MERRY CHRISTMAS
(Joyeux Noël)
Frankreich/Deutschland/Großbritannien/Rumänien/Belgien/Norwegen
2005
Dt. Erstaufführung: 24.11.2005
Regie: Christian Carion
Dt. Erstaufführung: 24.11.2005
Regie: Christian Carion
Die Aussage, es gäbe keine Anti-Kriegsfilme, hat etwas für
sich. Schließlich erliegt ein jeder Film, der Krieg bebildert, in gewisser
Weise auch dessen morbider Faszination. Film als visuelles Medium muss Wege
finden, das Grauen zu zeigen und genau in dieser Bebilderung liegt die Krux:
wie filmtauglich kann man Krieg abbilden, wie technisch versiert zeichnet man
Wunden, Tote, Scharmützel? Und letztlich: wie „unterhaltsam“ inszeniert man es.
Ja, man sollte sich nichts vormachen, auch die besten Genrevertreter wie Platoon haben immer noch einen Rest an
Schaulust in sich, wenn Krieg zum Kino wird schwingt immer etwas Restfaszination
mit. Merry Christmas nun ist einer der
Filme, der der Maxime des Anti-Kriegsfilms tatsächlich sehr nah kommt.
Schlachten spielen keine große Rolle, es geht um den menschlichen Faktor. Und
dass der von Christian Carion inszenierte Film auf einer wahren Begebenheit
beruht, macht ihn nur noch unglaublicher.
1914: Der erste Weltkrieg tobt in Europa. Nachdem die jungen
Männer mir Hurra-Schreien an die Front gezogen sind, bemerken sie sehr schnell,
dass die binnen kürzester Zeit mögliche Beilegung des Konflikts nur eine Mär
der Mächtigen war. Niemand wird, wie versprochen, Weihnachten wieder daheim
sein. So kommt es am Heiligen Abend zu einem denkwürdigen Ereignis: Franzosen,
Schotten und Deutsche, vor kurzem noch erbitterte Feinde, legen die Waffen nieder
und feiern zusammen Weihnachten. Es wird getrunken, gesungen, eine Messe
gehalten, man tauscht Geschichten und Adressen. Am nächsten Tag, als sie sich
eigentlich wieder als Todfeinde gegenüberstehen sollen, schweigen die Waffen.
Genauso wie am darauffolgenden und den kommenden Tagen…
Despektierlich könnte man Merry Christmas einen Euro-Pudding
nennen, jene Bezeichnung für aus allen Ecken Europas finanzierte Filme, die
dann oft auch inhaltlich und gestalterisch zum fahrigen Stückwert werden. Doch Merry Christmas behandelt nicht nur eine
genuin europäische Geschichte, er nimmt die verschiedenen Geldtöpfe auch nicht
als Ausrede für sinnloses location
hopping. Dies ist tatsächlich ein wohlschmeckender Euro-Pudding, auch wenn
die Zutaten nicht das absolut Beste sind, was man bekommen konnte.
Am schlimmsten hat es die Deutschen getroffen. Während
Daniel Brühl als Kommandant noch durchgeht, hat man sich mit Benno Fürmann und
vor allem Diane Kruger keinen Gefallen getan. Fürmann lässt die oftmals schon
hölzern geschriebenen Dialoge noch hölzerner erscheinen und Kruger beweist
einmal mehr, dass Schauspielerei nicht zu ihren großen Stärken zählt. Als ihre
Singstimme hört man Natalie Dessay, die nicht nur bezaubernd singen kann,
sondern auch Schauspiel studiert hat. Kruger dagegen ist ein Model, das
irgendwie zum Film gekommen ist (und die bisher lediglich in Barfuß auf Nacktschnecken glänzen
konnte). Passte Dessay nicht ins Konzept, weil man unbedingt eine ausdruckslose
deutsche Schauspielerin brauchte, die eine singende Dänin mimt?
Immerhin können aber auch mittelprächtige schauspielerische
Leistungen das absolute Herzstück des Films nicht ankratzen. Die Soldaten die,
beseelt von Weihnachten, aus ihren Schützengräben kommen, aufeinander zugehen
und beginnen, sich zu fraternisieren, ist der Stoff, aus dem Kinomagie gewebt
wird. Ebenso kraftvoll ist das nachfolgende Dilemma: kann man danach auf
Menschen schießen, mit denen man am Abend zuvor noch Wein getrunken hat? Auch
die lakonisch durchgespielte gegenseitige Einladung, die Bombardierung der
Gegenseite doch im jeweils anderen Schützengraben zuzubringen, ist einer der
großen Momente, die Merry Christmas
bietet. Dem Wahnsinn des Krieges kann man nur die pure Menschlichkeit
gegenüberstellen und Merry Christmas
gelingt es, diese vielleicht etwas plakative, aber nichtsdestotrotz wahre
Aussage so zu bebildern, dass der Pathos nicht übernimmt.
Ein bisschen erhält man den Eindruck, weil das Kernstück des
Films so überragend, die Wahrheit so berauschend ist, ist der Rest des Films
nur Staffage. In politische Einzelheiten wird sich nicht ergangen, man sieht
kurz die Kriegslust junger Männer, bevor sie losziehen und die Angst
Deutschlands, eingekesselt zu sein, wird kurz erwähnt, aber mehr auch nicht. Merry Christmas ist so sehr auf die
weihnachtliche Episode konzentriert, dass er den Kontext größtenteils vergisst
und seine Charaktere danach auch zusehends aus den Augen verliert. Wenn der französische
Befehlshaber nach Verdun abkommandiert und die deutsche Einheit an die Front
nach Russland gekarrt wird, dann kann man sich ihr Schicksal gewissermaßen
ausmalen, aber Carion verweigert eine definitive Antwort, was man gut und
schlecht bewerten kann. Zum einen erhält man so einen Kriegseinblick – auch die
Menschlichkeit kann nicht vor einem ungewissen Schicksal bewahren –
andererseits baut sich etwas Frustpotenzial auf, weil man trotz des
Reißbrettcharakters vieler Figuren wissen möchte, was mit ihnen passiert, ob
Versprechungen eingehalten werden, Freundschaften auch nach dem Krieg Bestand
haben können. Carions größte Leistung ist sicher, aus Merry Christmas einen durch und durch menschlichen Film gemacht zu
haben, der so an den emotionalen Grundfesten unserer Spezies rührt, dass man
die filmischen Unzulänglichkeiten ein Stück weit vergessen kann.
Merry Christmas
hat seine dramaturgischen, gestalterischen und darstellerischen Schwächen, aber
der „kleine Frieden im großen Krieg“ ist so gut gelungen, so anrührend und
unfassbar, dass es schwer fallen dürfte, rein gar nichts aus dem Film
mitzunehmen. Er eignet sich nicht als übergreifende Geschichtsstunde, seine
Dialoge sind oft forciert und gestelzt, aber dennoch rührt Merry Christmas an. Selbst im Krieg kann die Menschlichkeit siegen –
eine Aussage, die auch fast 100 Jahre nach dem Ereignis kraftvoll und hoffnungsfroh
daherkommt wie eh und je.
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