Samstag, 21. Dezember 2013

Merry Christmas (2005)




MERRY CHRISTMAS
(Joyeux Noël)
Frankreich/Deutschland/Großbritannien/Rumänien/Belgien/Norwegen 2005
Dt. Erstaufführung: 24.11.2005
Regie: Christian Carion

Die Aussage, es gäbe keine Anti-Kriegsfilme, hat etwas für sich. Schließlich erliegt ein jeder Film, der Krieg bebildert, in gewisser Weise auch dessen morbider Faszination. Film als visuelles Medium muss Wege finden, das Grauen zu zeigen und genau in dieser Bebilderung liegt die Krux: wie filmtauglich kann man Krieg abbilden, wie technisch versiert zeichnet man Wunden, Tote, Scharmützel? Und letztlich: wie „unterhaltsam“ inszeniert man es. Ja, man sollte sich nichts vormachen, auch die besten Genrevertreter wie Platoon haben immer noch einen Rest an Schaulust in sich, wenn Krieg zum Kino wird schwingt immer etwas Restfaszination mit. Merry Christmas nun ist einer der Filme, der der Maxime des Anti-Kriegsfilms tatsächlich sehr nah kommt. Schlachten spielen keine große Rolle, es geht um den menschlichen Faktor. Und dass der von Christian Carion inszenierte Film auf einer wahren Begebenheit beruht, macht ihn nur noch unglaublicher.

1914: Der erste Weltkrieg tobt in Europa. Nachdem die jungen Männer mir Hurra-Schreien an die Front gezogen sind, bemerken sie sehr schnell, dass die binnen kürzester Zeit mögliche Beilegung des Konflikts nur eine Mär der Mächtigen war. Niemand wird, wie versprochen, Weihnachten wieder daheim sein. So kommt es am Heiligen Abend zu einem denkwürdigen Ereignis: Franzosen, Schotten und Deutsche, vor kurzem noch erbitterte Feinde, legen die Waffen nieder und feiern zusammen Weihnachten. Es wird getrunken, gesungen, eine Messe gehalten, man tauscht Geschichten und Adressen. Am nächsten Tag, als sie sich eigentlich wieder als Todfeinde gegenüberstehen sollen, schweigen die Waffen. Genauso wie am darauffolgenden und den kommenden Tagen…

Despektierlich könnte man Merry Christmas einen Euro-Pudding nennen, jene Bezeichnung für aus allen Ecken Europas finanzierte Filme, die dann oft auch inhaltlich und gestalterisch zum fahrigen Stückwert werden. Doch Merry Christmas behandelt nicht nur eine genuin europäische Geschichte, er nimmt die verschiedenen Geldtöpfe auch nicht als Ausrede für sinnloses location hopping. Dies ist tatsächlich ein wohlschmeckender Euro-Pudding, auch wenn die Zutaten nicht das absolut Beste sind, was man bekommen konnte.

Am schlimmsten hat es die Deutschen getroffen. Während Daniel Brühl als Kommandant noch durchgeht, hat man sich mit Benno Fürmann und vor allem Diane Kruger keinen Gefallen getan. Fürmann lässt die oftmals schon hölzern geschriebenen Dialoge noch hölzerner erscheinen und Kruger beweist einmal mehr, dass Schauspielerei nicht zu ihren großen Stärken zählt. Als ihre Singstimme hört man Natalie Dessay, die nicht nur bezaubernd singen kann, sondern auch Schauspiel studiert hat. Kruger dagegen ist ein Model, das irgendwie zum Film gekommen ist (und die bisher lediglich in Barfuß auf Nacktschnecken glänzen konnte). Passte Dessay nicht ins Konzept, weil man unbedingt eine ausdruckslose deutsche Schauspielerin brauchte, die eine singende Dänin mimt?

Immerhin können aber auch mittelprächtige schauspielerische Leistungen das absolute Herzstück des Films nicht ankratzen. Die Soldaten die, beseelt von Weihnachten, aus ihren Schützengräben kommen, aufeinander zugehen und beginnen, sich zu fraternisieren, ist der Stoff, aus dem Kinomagie gewebt wird. Ebenso kraftvoll ist das nachfolgende Dilemma: kann man danach auf Menschen schießen, mit denen man am Abend zuvor noch Wein getrunken hat? Auch die lakonisch durchgespielte gegenseitige Einladung, die Bombardierung der Gegenseite doch im jeweils anderen Schützengraben zuzubringen, ist einer der großen Momente, die Merry Christmas bietet. Dem Wahnsinn des Krieges kann man nur die pure Menschlichkeit gegenüberstellen und Merry Christmas gelingt es, diese vielleicht etwas plakative, aber nichtsdestotrotz wahre Aussage so zu bebildern, dass der Pathos nicht übernimmt.

Ein bisschen erhält man den Eindruck, weil das Kernstück des Films so überragend, die Wahrheit so berauschend ist, ist der Rest des Films nur Staffage. In politische Einzelheiten wird sich nicht ergangen, man sieht kurz die Kriegslust junger Männer, bevor sie losziehen und die Angst Deutschlands, eingekesselt zu sein, wird kurz erwähnt, aber mehr auch nicht. Merry Christmas ist so sehr auf die weihnachtliche Episode konzentriert, dass er den Kontext größtenteils vergisst und seine Charaktere danach auch zusehends aus den Augen verliert. Wenn der französische Befehlshaber nach Verdun abkommandiert und die deutsche Einheit an die Front nach Russland gekarrt wird, dann kann man sich ihr Schicksal gewissermaßen ausmalen, aber Carion verweigert eine definitive Antwort, was man gut und schlecht bewerten kann. Zum einen erhält man so einen Kriegseinblick – auch die Menschlichkeit kann nicht vor einem ungewissen Schicksal bewahren – andererseits baut sich etwas Frustpotenzial auf, weil man trotz des Reißbrettcharakters vieler Figuren wissen möchte, was mit ihnen passiert, ob Versprechungen eingehalten werden, Freundschaften auch nach dem Krieg Bestand haben können. Carions größte Leistung ist sicher, aus Merry Christmas einen durch und durch menschlichen Film gemacht zu haben, der so an den emotionalen Grundfesten unserer Spezies rührt, dass man die filmischen Unzulänglichkeiten ein Stück weit vergessen kann.

Merry Christmas hat seine dramaturgischen, gestalterischen und darstellerischen Schwächen, aber der „kleine Frieden im großen Krieg“ ist so gut gelungen, so anrührend und unfassbar, dass es schwer fallen dürfte, rein gar nichts aus dem Film mitzunehmen. Er eignet sich nicht als übergreifende Geschichtsstunde, seine Dialoge sind oft forciert und gestelzt, aber dennoch rührt Merry Christmas an. Selbst im Krieg kann die Menschlichkeit siegen – eine Aussage, die auch fast 100 Jahre nach dem Ereignis kraftvoll und hoffnungsfroh daherkommt wie eh und je.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

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