Donnerstag, 24. Dezember 2015

Oslo, 31. August (2011)




OSLO, 31. AUGUST
Norwegen 2011
Dt. Erstaufführung: 04.04.2013
Regie: Joachim Trier

Diese Besprechung ist Teil der Adventsaktion „Wünsch dir ein Review!“ und wurde von Sonja Hartl von Zeilenkino gewünscht.

Es gibt immer Labels, die Filmen gerne aufgedrückt werden. „Das Portrait einer ganzen Generation!“ beispielsweise, oder auch „voller schockierender Schilderungen“. Gern wird auch behauptet, dass es so etwas noch nie gegeben hätte, ein „Must-See“ also. So sehr man mit Superlativen aufpassen muss, so sehr kommt man manchmal in Versuchung sie doch zu verwenden. Joachim Triers Oslo, 31. August ist so ein Beispiel, auf dass die bisher genannten Labels durchaus zutreffen. Ist er bahnbrechend auf eine Weise, die es so noch nie zuvor gegeben hat? Natürlich nicht, welcher (moderne) Film ist das schon? Dennoch ist dieses kleine, präzise, ruhige und dennoch tief bewegende Drama eben genau das: ein „Must-See“, ein Generationenportrait und auch eine auf eine Art schockierende Darstellung einer Suchterkrankung, die sich von (ebenfalls hervorragenden) Filmen wie Requiem for a Dream dadurch abhebt, dass sie den „Schauwert“ des Verfalls nicht in den Mittelpunkt stellt. Oslo, 31. August ist ein Film, der bleibt.

Anders (Anders Danielsen Lie) ist 34 Jahre alt und hat nur noch zwei Wochen Therapie vor sich, bevor er aus der idyllisch gelegenen Klinik entlassen werden kann, in der seine Drogensucht therapiert wurde. Heroin und Co. haben ihn körperlich nicht zerstört, auch kognitiv hat der Missbrauch keine Einbußen mit sich gebracht. Doch psychisch ist Anders gebrochen, sein Lebenswillen ist aufgebraucht. Als er 24 Stunden Ausgang erhält, um in Oslo ein Bewerbungsgespräch bei einer Zeitschrift wahrzunehmen, nutzt Anders auch die Möglichkeit, mit alten Freunden und Freundinnen Kontakt aufzunehmen. Es wird eine Reise in seine persönliche Vergangenheit.

Oslo, 31. August hat einen universellen Anspruch. Anders‘ Vergangenheit verknüpft sich an Oslo, jede Straßenecke bekommt eine ganz eigene Bedeutung, aber die Art und Weise, wie der Film gleich zu Beginn Voice-Over und alte Aufnahmen der Stadt zu einem träumerischen Konglomerat verquickt, ist allgemein. Unweigerlich sieht man sich als Zuschauer mit den Orten und Plätzen der eigenen Kindheit und Jugend selbst so eine Collage erstellen. Später erzählt der Protagonist ebenfalls aus dem Off Eigenschaften seiner Eltern auf, während die visuelle Ebene weitere, herrlich unspektakuläre, Oslo-Impressionen liefert (wer beispielsweise die Königsstrasse oder die Oper zu sehen erhofft, der wird enttäuscht – dies ist Anders‘ Oslo, nicht das der Touristen), an anderer Stelle erzählen weitere Figuren von ihren Lebenseindrücken der Stadt. Der Film ist ein intimes Portrait einer Stadt, subjektiv und dennoch so allgemeingültig, dass man erschauern kann.

So bietet der Ort den Rahmen für die Geschichte von Anders, einem fast schon generischen „coolen Typen“: gutaussehend, in seiner Jugend mehr an Partys interessiert als an alles anderem und durch die Drogen genau dann aus der hedonistischen Phase gerissen, als es daran ging, die Weichen für das weitere Leben zu stellen. Anders ist sein Status als privilegiertes Kind aus der Mittelschicht sehr bewusst, der Film öffnet ihm immer wieder Möglichkeiten, die er aber allesamt ausschlägt. Die Freunde setzen ihn, ohne es zu wollen, unter Druck – Kinder, Jobs, geregelte Leben: sie führen Anders, egal, ob sie individuell vollkommen glücklich mit ihrer Situation sind oder nicht, vor Augen, was er seiner Meinung nach längst haben sollte. Anders will die gesellschaftliche Konventionen erfüllen, es bietet sich ihm auch jede Gelegenheit, dies sogar wahrzumachen. Ein Job, eine potenzielle Beziehung mit naturgegebener Kindermöglichkeit mit einer Partybekanntschaft, die deutliches Interesse an Anders zeigt, vielleicht sogar die Möglichkeit, das Elternhaus zu übernehmen und den Grundstein für das zu legen, was nicht nur in Norwegen als „solide“ gilt – es ist alles da, Anders lässt alles im Sande verlaufen. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes lebensmüde, die Sucht hat jeglichen Elan aus ihm herausgesaugt, die Stoffe haben ihn gebrochen. Auch hier zeigt sich sein Konflikt mit den gesellschaftlichen Bildern – hat er als Ex-Drogensüchtiger überhaupt das „Recht“ auf Glück, auf einen Neustart, auf das Potenzial, auch mit über dreißig das Leben zu beginnen, das die Anderen bereits führen? Vieles davon wird nicht explizit ausgesprochen, Oslo, 31. August hat kein Interesse daran, auf den Zuschauer hinabzureden. Es ergibt sich aus den Handlungen, aus scheinbar zufälligen Dialogzeilen, aus Blicken, aus Gesten. Oslo, 31. August ist konzentriert und gleichzeitig traumwandlerisch, melancholisch und verzweifelt lebensbejahend, intim und universell. Ein Seufzer von Anders sagt mehr als so manche dicht beschriebene Drehbuchseite voller Expositionen.

So zieht Oslo, 31. August seine Faszination vor allem aus der sich dem Genersichen verweigernden Gestaltung. Es geht um Drogen, ohne das körperliche Elend Betroffener auszuschlachten, es geht um soziale Strickmuster, ohne dass man den Zuschauer mit der Nase darauf stoßen muss, es geht um Lebensprägung, die in ihrer unbedingten Subjektivität vielsagender wirkt, als es vermeidliche Objektivität hätte leisten können. Die 24 Stunden in Anders‘ Leben sind auch 24 Stunden in unserem Leben, denn kein Dasein kann ohne Einschnitte, ohne Passagen, ohne Fragen, Ängste, Hoffnungslosigkeit und Freude, Glück und Aufrappeln funktionieren. Anders‘ Geschichte mag spezifisch sein, aber wie das Stadtportrait Oslos entfaltet sie auf brillante, unglaublich zurückhaltende Art eine Wucht und Aussagekraft, die Oslo, 31. August zu einem Film macht, der nur an der Oberfläche ruhig wirkt. Unter ihr tobt alles, was das Leben ausmacht. Und da es um das Leben geht, geht es auch um das Kino. Oslo, 31, August ist Kino, wie es unter die Haut und ins Hirn geht und sich dort auf lange Zeit festsetzt. Und wenn die Wirkung verblasst, kann eine erneute Sichtung alles wieder zurückbringen. Um ein letztes Mal die Superlativen zu bedienen: Joachim Trier hat ein Meisterwerk geschaffen. Ganz einfach und ganz komplex.


 

Dienstag, 22. Dezember 2015

Star Wars Episode VII - Das Erwachen der Macht (2015)



STAR WARS EPISODE VII – DAS ERWACHEN DER MACHT
(Star Wars Episode VII: The Force Awakens)
USA 2015
Dt. Erstaufführung: 17.12.2015
Regie: J.J. Abrams

In der ziemlich durchwachsenen Parodie Fanboys gibt es einen pointierten Schlussgag: Nachdem eine Gruppe Freunde alles daran gesetzt hat, endlich Star Wars Episode I noch vor dem Kinostart zu sehen und dies nur einem der Ihren gewährt wurde, sitzt der Rest bei der Premiere im Kinosaal. Alle haben den immensen Hype mitgemacht, alle haben eine Odyssee den Film betreffend hinter sich. Einer wendet sich an seine Kumpel und fragt unvermittelt: „Und wenn der Film schlecht ist?“ Cut, Abspann. Treffender kann man die Fallhöhe eines Werkes wie der letzten Star Wars-Trilogie kaum zusammenfassen. Und als hätte niemand etwas daraus gelernt, ging es mit der Ankündigung, nun auch die chronologisch dritte Reihe der Sternensaga erzählen zu wollen, wieder von vorn los. Jeder Schnipsel wurde ausgiebig analysiert, jede Verlautbarung von Hardcorefans und „normalen“ Zuschauern gleichermaßen aufgesogen und trotz diverser ironischer Fanedits, die erschienen, sobald Bewegtbild in Form von Trailern auftauchte, umkreiste Episode VII von Anfang an eine besondere Aura, wohl auch wegen der Nerd-freundlichen Berichterstattung: Regisseur J.J. Abrams wurde nicht müde, sich selbst als Fan zu bezeichnen, der CGI-Overkill der vorherigen Filme sollte unterbunden werden, bekannte Gesichter wie Harrison Ford und Carrie Fisher waren wieder mit an Bord. Was sollte also schief gehen? So einiges, könnte man nun einwenden, wofür man aber von diversen Seiten wohl eher gesteinigt denn frenetisch beklatscht wird, wie es zum Beispiel am Ende der von mir besuchten Kinovorstellung passierte. Vielleicht lässt es sich zunächst so am besten ausdrücken: Das Erwachen der Macht ist keine Offenbarung, aber auch kein Reinfall. Vielmehr laviert er, wie der allermeiste von Abrams‘ Output, irgendwo in der Mitte, in einem Niemandsland zwischen Hommage und Remake, ohne dass man das Gefühl hat, dass er das Ausgangsmaterial wirklich durchdrungen hat. Wie das Star Trek-Reboot ist das Ganze für sich genommen recht unterhaltsam, kann aber sein inhaltliches Vakuum nicht gut verdecken, geschweige denn ein Gefühl für die funktionalen Elemente des Originals vermitteln. Episode VII ist das Fanboy-Remake von Episode IV.

Jahrzehnte nach dem Sturz des Imperiums droht neue Gefahr durch eine Nachfolgeorganisation namens „Die erste Ordnung“, die unter der Führung des Darth Vader-Fans Kylo Ren (Adam Driver) die Herrschaft im Universum wieder an sich reißen will. Der von der Republik unterstützte Widerstand will dies verhindern, doch mit einer Waffe, groß wie ein ganzer Planet im Rücken erkämpft sich die Ordnung schnell die Oberhand. Es ist an der Allianz zwischen dem Ordnungs-Abtrünnigen Finn (John Boyega), der einsamen Schrottsammlerin Rey (Daisy Ridley) und dem Droiden BB-8, den Widerstand dahingehend zu unterstützen, doch noch einen Weg zu finden, die aufkommende Dunkelheit zu besiegen …

Das J.J. Abrams eine menschliche Recyclingmaschine ist, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben. So ist es kein Wunder, dass Das Erwachen der Macht wie ein Best-Of des originalen Krieg der Sterne wirkt, während der Rest von Nostalgie angetrieben wird. Nicht unbedingt eine schlechte Kombination, dasselbe Rezept trieb auch die Spielberg-Hommage Super 8 an, aber der Film wirkt dadurch seltsam leer. Der geneigte Fan ist dem Drehbuch und den Figuren immer ein paar Schritte voraus, spannend ist hier kaum etwas, hauptsächlich erfreut man sich an der handwerklichen Qualität. Mit dem fertigen Film in den Kinos ist es kein Wunder, dass im Vorfeld dieser Aspekt immer sehr in den Vordergrund gestellt wurde, wenn er auf der inhaltlichen Ebene so wenig Neues oder auch nur sinniges bietet. So sehr man die chronologisch erste Trilogie hassen kann, sie bereitete immerhin einen politischen Nährboden, egal wie eindimensional oder plump dieser gehandhabt wurde. Es wurde verständlicher, wie das Imperium zu seiner Macht kommen und wie sich das simple Gut-gegen-Böse-Schema der Originalfilme etablieren konnte. In Episode VII sind Republik, Ordnung und Widerstand nur hohle Phrasen, die herumgeworfen werden. Das politische System wird niemals greifbar, zu sehr ist Abrams daran interessiert, wieder etwas in die Luft zu jagen. Die Simplizität funktioniert nicht, wir erfahren nie kritische Dinge wie den gesellschaftlichen Nährboden, auf den die Ordnung gefallen sein muss. Es wird völlig außer Acht gelassen, dass die galaktische Politik nach Die Rückkehr der Jedi-Ritter komplexer werden musste als das System, dem man in Eine neue Hoffnung begegnete und dem nun so blind nachgeifert wird. Episode VII ist in diesem Punkt so sagenhaft unterkomplex, dass man auf einmal dem Sündenfall in Episode III noch mehr abgewinnen kann. Auch dass von der angeblich so starken Republik unbemerkt eine Waffe von der Größe eines Planeten gebaut werden konnte, ist eins der diversen Plot Holes (der Todesstern wurde im System Imperium errichtet, der Starkiller ist einfach nur ein pubertärer Penisvergleich – schau her, meiner ist größer). Am politischsten wird der Film, wenn er die Ordnung so eindeutig als faschistisches Regime inszeniert, damit es auch der geschichtlich ungebildetste im Publikum noch als solches identifizieren kann.

Nun mag man davon absehen, dass es in einem Science-Fiction-Film nicht politisch nachvollziehbar zugeht. Doch auch dem größten Fan müsste es doch auffallen, wie unangenehm vertraut vieles erscheint. Es ist nicht ein verträumtes „Ach ja“, dafür hätten schon die grandiosen Bilder gestrandeter Sternenzerstörer gesorgt, es ist das bloße Wiederholen von Plot Points: der junge Mensch von einem Wüstenplaneten, in dem die Macht erstaunlich stark ist, der Droide mit einer Mission, die Bar voller Aliens, der Angriff einer kleinen Armada gegen eine hochtechnisierte Anlage, die sich am besten aus dem Innern zerstören lässt, der Waffentest an ganzen Planeten (auch hier wieder anstelle eines Planeten gleich ein paar – die Gesetze der Fortsetzung sind in Abrams Augen scheinbar gnadenlos). Das Erwachen der Macht ist, noch einmal, im Grunde nur eine neue Version des ersten Film von 1977, völlig die geänderten Umstände vergessend. Star Wars anno 2015 kann einfach nicht so sein wie Star Wars anno 1977, die Kunst liegt im sinnigen Update und nicht im Schwelgen in Nostalgie. Mit Kylo Ren, einem pathetischen Milchbubi mit Wutproblemen und Darth Vader-Fetisch, hat der Film aber immerhin eine passende Symbolfigur zur Hand: man kann noch so sehr versuchen, die Vergangenheit zu wiederholen, es führt nur zu Frustrationen.

So vermengen sich viele, für sich genommene kleine, Ärgerlichkeiten (zum Beispiel das teilweise katastrophale Puppenspiel – hat niemand die Kantine oder Jabbas Palast studiert?) zu einem Gesamteindruck eines weiteren eher durchschnittlichen Star Wars-Films. Dabei ist er beileibe nicht auf ganzer Linie schlecht – die neuen Figuren Rey, Finn und Pilot Poe (Oscar Isaac) sind sympathisch, das Tempo ist flott, der Humor weit von jeder Jar Jar Binks-Eskapade entfernt, die Sets und diverse visuelle Einfälle sehr schön anzusehen. Einzig, es bleibt ein Gefühl der Leere, dass sich aber mit den kommenden Episoden relativieren könnte. J.J. Abrams wird bei Episode VIII nicht Regie führen, es besteht also die Möglichkeit, dass ein zweiter Wurf wie Das Imperium schlägt zurück noch gelingen möge. Star Wars bedarf es mehr Mut, nicht einfach die altbekannten Geschichten noch einmal größer zu erzählen. Die Macht erwacht mit diesem Film beileibe nicht, es ist mehr ein unterhaltsamer, völlig konsequenzloser Zeitvertreib, der immerhin handwerklich eindeutig in die richtige Richtung zeigt. Wenn man nun noch mehr Zeit und Arbeit in das Drehbuch steckt und nicht nur darauf bedacht ist, das nächste Tie-In vorzubereiten („Das ist eine Geschichte für ein anderes Mal“ ist eine Dialogzeile, bei der Marketingfutzis feuchte Augen bekommen), der Saga wäre sehr geholfen. Die Zeit wird es zeigen müssen, wohin sich das Multimillardendollar-Franchise filmisch letztendlich bewegt. Es bleibt nur zu hoffen, dass Abrams‘ Beitrag sich nicht als wegweisend erweisen wird.



Sonntag, 20. Dezember 2015

Dellamorte, Dellamore (1994)




DELLAMORTE, DELLAMORE
Italien 1994
Dt. Erstaufführung: 10.09.1999 (DVD-Premiere)
Regie: Michele Soavi

Diese Besprechung ist Teil der Adventsaktion „Wünsch dir ein Review!“ und wurde von Peter Schneider von Mostly Movies gewünscht.

Der italienische Horrorfilm, irgendwo zwischen genuinen Giallo, schamlosem Rip-Off und Pseudo-Fortsetzung, ist immer für eine Überraschung gut. So ist Dellamorte, Dellamore beileibe nicht der übliche 08/15-Zombiefilm, den man zunächst mit dem Genreoutput des europäischen Landes assoziiert. Gestaltungstechnisch bekommt der Zuschauer hier einiges geboten, der Film ist visuell und in diversen Details sehr einfallsreich und mit sichtlichem Elan inszeniert. Leider ist er zudem wirr und setzt mit fortschreitender Laufzeit immer mehr auf in der Luft hängende Grotesken, so dass er nicht imstande ist, das Interesse wach zu halten. Kurz gesagt: Dellamorte, Dellamore entwickelt sich dank seines wenig kohärenten Drehbuchs (was ja nicht einmal eine unabdingbare Voraussetzung für einen Film ist) zu einem ziemlichen Langweiler. Und das ist gerade im Hinblick auf den Willen zum Spiel mit Versatzstücken wirklich zu bedauern.

Franceso Dellamorte (Rupert Everett) ist Totengräber und Friedhofswärter in einer kleinen italienischen Gemeinde, in der die Toten sieben Tage nach ihrem Ableben wieder auferstehen. Manche sind hirnlose Zombies, andere können sprechen und denken und sich an ihr vorheriges Leben erinnern – notfalls auch ohne Körper. Seine Aufgabe sieht Francesco darin, sie endgültig ins Jenseits zu befördern, unterstützt wird er dabei von seinem tumben Gehilfen Gnaghi (François Hadji-Lazaro). Als Francesco sich in eine trauernde Witwe (Anna Falchi) verliebt und sie beim Sex mit ihm auf dem Friedhof von einem Zombie angenagt wird, verfällt der Totengräber zusehends in eine Sinnkrise, die ihn nach und nach immer weiter aus der Realität entfernt und ihn Pläne schmieden lässt, seine Tätigkeit als Untotenkiller an den Nagel zu hängen …

Jenseits jeglicher Billigproduktion wartet Dellamorte, Dellamore mit ergebenen Darstellern und sehr gute Effekten auf (besonders ansehnlich ist eine Vision des Todes geraten, die zu Francesco spricht). Für den durchschnittlichen Genrefan gibt es einiges an Gewalt und freizügigen Sex, angereichert ist alles mit einem galligen Humor, der vor allem im ersten Drittel des Films hervorragend funktioniert. Je weiter sich der Film allerdings von einer zusammenhängenden Erzählung entfernt und zusehends nur noch traumartige Sequenzen aneinanderhängt, umso uninteressanter wird das Ganze. Irgendwann ist der Film nur noch eine Entschuldigung für blutige Effekte. Ich kannte mal einen Menschen, für den das einzige Qualitätsurteil die Anzahl der Toten in einem Film war und ob sie möglichst graphisch zu Tode kommen. Je länger Dellamorte, Dellamore läuft, desto mehr wird er zu einem Film, der diesem „Cineasten“ gefallen hätte – egal, ob das Ganze dramaturgisch notwendig ist oder nicht.

Dellamorte, Dellamore ist ein seltsamer Versuch, dass Zombiegenre mit einer Art Fantasy-Arthouse zu kreuzen. Die zusehends traumartige Gestaltung und Verhaltensweise der Figuren haben zwar einen ganz eigenen Charme, aber die vielen Elemente kommen nie ganz zusammen. Was als Offbeat-Charmeur beginnt verheddert sich in weitestgehend langweilige Eskapaden, was auch an dem recht unsympathischen Hauptcharakter liegt. Schwerlich lassen sich für Francesco so etwas wie echte Gefühle entwickeln, selbst eine schicksalshafte Enthüllung wird ziemlich emotionsfrei gehandhabt. Der Film vertraut so sehr auf seinen schwarzen Humor und seine morbiden Effekte, dass er das menschliche Element darüber hinaus weitestgehend vergisst. Es bleibt dabei: so sehr man Dellamorte, Dellamore mögen möchte, eben weil er die ausgetretenen Pfade verlässt und vor allem mit einem Ende gesegnet ist, dass in einem Film mit sicherer tonaler Gestaltung ein echter Knaller gewesen wäre, siegt doch die Gestaltung so sehr über den Inhalt, dass man ihn eher respektiert als aktiv mag. Technisch ist an Dellamorte, Dellamore nicht auszusetzen. Wenn das Drehbuch seinen Pfiff der ersten – sagen wir – dreißig Minuten durchgehend hätte bewahren können, der Status als Kultfilm wäre auch jenseits des Versuchs, mit dem Zombiemotiv etwas anderes anzufangen, gerechtfertigt gewesen. Und wer eine Genrefilm zum analysieren sucht (Dellamorte, Dellamore scheint genug Anhaltspunkte zu bieten, um ihn beispielsweise als Kommentar zum italienischen Faschismus zu lesen), der ist mit Produktionen wie Pontypool besser bedient.


 

Sonntag, 13. Dezember 2015

Der General (1926)




DER GENERAL
(The General)
USA 1926
Dt. Erstaufführung: 04.04.1927
Regie: Buster Keaton und Clyde Bruckman

Diese Besprechung ist Teil der Adventsaktion „Wünsch dir ein Review!“ und wurde von Annika von Die Filme, die ich rief gewünscht.

Die moderne (westliche) Filmwelt gibt vor, nur das Neue zu wollen, ihm zu huldigen und in seinem Optimierungswahn ja auch nur den Willen des Publikums zu befriedigen. Internetkommentare geben dieser Auffassung (scheinbar) Recht, wenn Filme, die keine 15 Jahre alt sind als antiquiert bezeichnet werden oder sich das Wissen um die Originale zu der Flut der Remakes und Reboots bestenfalls in Grenzen hält. Dabei war die Dichte genuiner Stoffe wohl noch nie so gering wie momentan, gerade Hollywood kannibalisiert sich zusehends. Filme werden neu aufgelegt, oft ohne tiefere (Er-)Kenntnis der Vorlage, nur, um vom bekannten Namen zu profitieren. Und wenn etwas nicht von vornherein als epischer Mehrteiler angelegt ist, glitzern die Augen der Marketingstrategen gar nicht so schön. Inmitten all des kreativen Ausverkaufs wird man vor allem der Unehrlichkeit gewahr, denn hinter der ständigen Neuauflage steckt, zumindest zum Teil, auch der Wunsch nach dem Erzählen zeitloser Geschichten – und daran ist rein gar nichts auszusetzen. Es ist keine tiefschürfende Erkenntnis, dass Geschichten und Figuren immer wieder vorkommen, in allen medialen Inkarnationen, weil sie den Menschen etwas Elementares erzählen – und wenn es nur das Nachkommen des Wunsches ist, rasant unterhalten zu werden. Redet man von den besten Actionfilmen, werden einige Titel immer wieder, meist zu Recht, genannt: Stirb langsam, Speed, Die sieben Samurai, Aliens – Die Rückkehr, Mad Max – Der Vollstrecker und seit 2015 auch Mad Max: Fury Road. Buster Keatons 1926 entstandener Stummfilm Der General gehört nun definitiv auch in diese Reihe und sollte sich ein Regisseur dazu berufen fühlen, einen ähnlichen Film zu drehen, dann doch bitte eine Hommage und kein Remake, dass letztlich nur vom Namen profitieren möchte. Denn wer käme schon auf die Idee, Keaton beerben zu wollen?

Während des amerikanischen Bürgerkriegs stehlen abtrünnige Südstaatler die Lok „Der General“, um damit die Versorgungswege zu kappen und dem Norden so einen strategischen Vorteil zu verschaffen. Doch sie haben nicht mit Lokführer Johnny (Buster Keaton) gerechnet, der den Diebstahl seiner ersten großen Liebe [die zweite wäre Annabelle Lee (Marion Mack)] nicht tatenlos hinnehmen kann und die Verfolgung aufnimmt. Es entbrennt eine Verfolgungsjagd hinein in den Norden und wieder zurück, von einer vertrackten Situation in die Nächste.

Kinetik war und ist bis heute das Zauberwort, wenn man von Actionfilmen redet. Es liegt in der Natur der Sache, den Zuschauer mitreißen zu wollen. Vergleicht man Der General mit den modernen Ablegern des Genres (und ich denke hier an die generischen Vertreter wie z. B. die Transporter-Filme) wirkt er geradezu statisch. Die Einstellungen kommen ohne einen Schnitt alle fünf Sekunden aus, es gibt Orientierung im Raum, die Inszenierung legt keinen Wert auf audiovisuelle Verwirrung. Kurz gesagt, es ist eine Wohltat. Und es ist, 89 Jahre nach seiner Entstehung, immer noch höchst unterhaltsam, was Keaton hier präsentiert. Angereichert mit zeitlosem Humor, dessen Slapstick nicht so exzessiv wie der von Laurel und Hardy daherkommt und daher, gerade in diesem Setting, besser wirkt, ist der Film so sehr auf die Verfolgungsjagden der Loks „General“ und „Texas“ zugeschnitten, dass er sogar mit einem gewissen Leerlauf zu kämpfen hat, wenn Johnny mal nicht auf Schienen unterwegs ist. Beeindruckend an den Actionsequenzen ist neben ihrer Kreativität und dem begnadeten Timing natürlich auch ihre Natürlichkeit. Egal, ob sich die Lok gemächlich durch die Landschaft bewegt, Keaton bei der Ausübung seiner Kunst während er Fahrt auf oder vor dem Gefährt zu beobachten hat einen ganz eigenen Charme, dem man sich schwerlich entziehen kann.

So ist Der General ein sehr unterhaltsamer Actionfilm, der leider einen leicht bitteren Nebengeschmack hat, weil er seine politischen Implikationen ziemlich sorglos einsetzt (auch so eine Parallele zum modernen Genrekino). Es wird eifrig am Mythos des „großen Südens“ gearbeitet, dessen Ehre (und damit Lebensweise) verteidigt werden muss. De facto zieht der tollpatschig-sympathische Johnny also für ein System ins Feld, dass an der Sklaverei nichts Verwerfliches findet. Der General ordnet nichts ein, für ihn sind die Fronten klar. Das mag man als Blick des 21. Jahrhunderts auf das Jahr 1926 abtun, sollte aber nicht vergessen, dass nur wenige Jahre später Chaplin Der große Diktator vorlegen sollte. Zumal es albern ist, der Vergangenheit kein politisches Verständnis/Gewissen zuzugestehen. Wohlwollend ist Der General ein Genrefilm, der sein historisches Setting etwas zu unbekümmert nutzt und sich immer darauf zurückziehen kann, doch nur die wahre Geschichte des Lokomotivenraubs während des Krieges erzählen zu wollen. Dass Keatons Johnny im Zweifelsfall ein Befürworter der Sklaverei ist, gibt dem Ganzen dennoch eine unangenehme Note.

Wenn man über den politischen Subtext hinwegsehen kann und Der General als filmhistorisch bedeutsamen Beitrag zum Kino wahrnimmt, so funktioniert das Werk, das als Keatons persönlichster Film gehandelt wird, nach wie vor bemerkenswert gut. Rasant, witzig, einfallsreich und sorgfältig inszeniert gehört Der General definitiv zu den großen Actionfilmen. Wer sich von den Labels Stummfilm und schwarz/weiß abschrecken lässt, der beraubt sich selbst einer lohnenden Filmerfahrung. Wäre der Film in punkto Politik ebenso sorgfältig vorgegangen wie bei der Inszenierung des Lok-Eskapaden, Der General wäre noch ein Stück besser geworden. Wobei man sich dies während der Verfolgungsjagden kaum vorstellen kann.