Mittwoch, 30. April 2014

Die Arier (2013)




DIE ARIER
Deutschland 2013
Dt. Erstaufführung: 29.04.2014 (TV-Film)
Regie: Mo Asumang

Es ist ein interessanter Kontrast: mit knapp einem Jahr Abstand starteten Quentin Tarantinos Django Unchained und Steve McQueens 12 Years a Slave in den deutschen Kinos. In beiden ging es um den amerikanischen Sündenfall, die Versklavung von Millionen Afrikaner als rechtlose und entmenschlichte Arbeiter. Die Herangehensweise konnte mit greller Rachefantasie versus schwer zu verkraftender Realitätsnähe kaum unterschiedlicher sein, aber die Diskussion über das Erbe dieser Zeit war, zumindest in den USA, entbrannt. Die deutsche Entsprechung ist die Schreckensherrschaft des Faschismus, mit dessen Erbe man sich hierzulande wohl auf ewig beschäftigen muss und sollte. Beiden Systemen liegt die Annahme zugrunde, eine Erscheinungsform des Menschen ist quasi per Naturgesetz dazu bestimmt, sich über eine andere (oder gleich über alle anderen) hinwegzusetzen, sie auszubeuten und zu töten. Als normaler Mensch (und das Wort normal wird ganz bewusst ohne Anführungszeichen gebraucht) steht man oft kopfschüttelnd vor dem in sich geschlossenen System der sogenannten Rassenideologie und neigt dazu, die stumpfen Parolen und das pseudowissenschaftliche Palaver der Rechtsextremen als geistige Verwirrung zu marginalisieren. Es ist wie im Film Kriegerin: der Neonazi, das ist der wohl gefährliche, aber auch unfähig zu einer wirklichen sozialen Veränderung am Rand der Gesellschaft stehende, den man aus sicherer Entfernung beobachten kann. Doch wie sicher kann man sich dessen sein, wenn alle 30 Minuten eine aus Fremdenhass motivierte Straftat in Deutschland geschieht oder es Landstriche in Mecklenburg-Vorpommern gibt, die sich als „national befreite Zonen“ verstehen, weil die Nazis dort die Bevölkerung unter ihrer Knute halten? Regisseurin Mo Asumang, Tochter eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter, geht dieser Frage nach und begibt sich in die sprichwörtliche Höhle des Löwen: sie redet mit Teilnehmern von Neonazi-Aufmärschen, trifft auf wahrlich verrückte Wissenschaftler und interviewt Mitglieder des Ku-Klux-Klans.

Wer glaubt, die Erkenntnis, dass eine nationale Identität nichts mit Hautfarbe, Eltern und Abstammung zu tun hat, sei inzwischen Allgemeinwissen, gehört sicherlich zu jenen Kosmopoliten, von denen Deutschland mehr gebrauchen könnte. In die Niederungen, in die sich Asumang begibt, gilt dies nicht. Dort herrscht ein völkisches Denken, eine Idealvorstellung eines deutschen „Herrenmenschens“, der sich durch eng gefasste physiognomische Eigenschaften auszeichnet – der sogenannte „Arier“. Genüsslich demontiert Asumang in einem entspannten Duktus die Mär vom „Arier“ als blauäugigen, blonden Hünen und führt zu den geschichtlich verbrieften Wurzeln des einst als Arier bekannten Hirtenvolkes – in den Iran. Diese Information ist für jeden, der sich bereits mit der Demontage rechten Gedankenguts beschäftigt hat, nicht neu, wird aber von Asumang prägnant auf den Punkt gebracht. Es ist auch für den Zuschauer eine Genugtuung, wenn eine Gruppe Menschen an einer Straßenecke im Iran in unter fünf Minuten intelligentere Aussagen trifft als alle faschistischen Interviewpartner zusammengenommen.

Asumang ist so klug, ihre Gegenüber möglichst viel unmoderiert reden zu lassen. Ab und zu fragt sie nach, bringt durch scheinbar simple Einwürfe beispielsweise das maskierte Ku-Klux-Klan-Mitglied vollkommen aus dem Konzept und bleibt sogar dann ruhig, wenn ihr ein per Radiosendung zu Ruhm gelangter Moderator in den USA von der „Gen-Entführung“ erzählt, die ihr Vater betrieben habe, um seine eigene „Rasse“ aufzuwerten. Oder schwarze Menschen mit Affen vergleicht und ganz nebenbei auch die menschliche Evolution in Frage stellt. Dieses Zusammentreffen mit Tom Metzger, eben jenem Hassprediger, gehört ohnehin zu den interessantesten Begebenheiten im Film. In seiner Sendung spricht er von den „Ariern“ als Sahnehäubchen auf der „weißen Rasse“, faselt wirren Blödsinn wie die oben erwähnten Beispiele und gibt dann ganz am Ende zu, dass sich mit dem Rassismus einfach gut Geld verdienen lässt. Dann umarmt er Asumang zum Abschied und hofft, dass diese Szene keiner seiner Anhänger sieht. Dies alles ist gleichzeitig verstörend und aufschlussreich.

Während man Metzger noch unterstellen mag, er benutze den Rassismus nur als Geschäftsmodell, greift bei den meisten anderen Beispielen die Erklärung Angst am besten. Warum verschanzt sich die NPD auf dem platten Land hinter meterhohen Zäunen und Stacheldraht, hat gar einen Wachturm aufgestellt in einer Gegend, in der die Menschen Angst haben, über die braunen Untriebe zu reden und der Ausländeranteil verschwinden gering ist? In den USA werden Weiße nach einer Prognose im Jahr 2030 nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit stellen und diese Vorstellung scheint für die US-Nazis genauso erschütternd zu sein wie die Furcht vor „Islamisierung“, die die europäischen Departments antreibt. Asumang bekommt es mehrheitlich mit sehr diffus geängstigten Menschen zu tun, deren Paarung aus Furcht und Wahn gleichermaßen etwas Erbärmliches und furchteinflößendes hat.

In all diesem liegt selbstredend auch eine ganz spezielle Art von Humor. So menschenverachtend und grausam viele der Dinge auch sein mögen, mit denen sich die Regisseurin konfrontiert sieht, es bleibt auch Raum zur geradezu satirischen Demontage. So will ein NPD-Mann sich nicht auf eine tiefergehende Diskussion einlassen, wie denn die angestrebte „Rückführung“ der Millionen Ausländer aus Deutschland im Detail funktionieren soll, auch verliert er kein Wort darüber, wo das Geld für die Auszahlungen von Immobilienbesitz herkommen soll, wenn jeder Ausgewiesene den Gegenwert von immobilen Hab und Gut in Form von Euros erhalten soll. Zu den Highlights zählt aber das Interview mit Axel Stoll, einem „Wissenschaftler“, der solch herrliche Bonmots wie diese zum Besten gibt: die Nazis haben den Mond, den Mars und angrenzende Sternensysteme besiedelt (letzteres aber ohne Gewähr – Iron Sky lässt grüßen), „Arier“ sind ohnehin Aliens und die Erde ein Strafplanet und Frauen können außerirdische Signale durch ihre Haare empfangen. Schön, dass wir darüber gesprochen haben. Asumang muss in solchen Situationen kaum mehr tun, als eine ernste Miene zu wahren (wie ihr das gerade bei Stoll gelungen ist – ein Mysterium) und manchmal wird die Realsatire wie zufällig eingefangen, wenn einer der ach so disziplinierten Neonazis bei einer Mini-Demo in den USA im Hintergrund ob der Anstrengung, ein Schild in die Luft zu halten, sich mit Bier volllaufen lässt, während sein Chef die umstehenden Gegendemonstranten beleidigt.

Natürlich kann ein Film wie Die Arier nur die Spitze des Eisbergs abbilden. Er klärt über den Mumpitz der titelgebenden Bezeichnung auf, über den Zusammenklau der restlichen Fascho-Symbolik wie der Swastika schweigt er. Einzelne Episoden bleiben Vignetten, auch wenn der Film insgesamt einen guten dramaturgischen Bogen findet und manchmal hätte man das Voice-Over weglassen können, um die Bilder für sich sprechen zu lassen. Insgesamt aber ist Die Arier eine hervorragende Reise ins „Herz der Finsternis“, jedoch nicht ohne Auflockerungen, nicht ohne schräge Nuancen, wenn Asumang von einem Ku-Klux-Klan-Mitglied beispielsweise brav mit Ma’am angesprochen wird. Die Erkenntnis, dass Rassismus und faschistische Ideologien durch Unwissenheit und Angst befeuert werden, dass vor allem Menschen ohne echtes Selbstbewusstsein ihnen anheimfallen (die „jungfräulichen Außenseiter“, wie es ein Mitglied der Burschenschaften gegen Rechts sinngemäß auf den Punkt bringt) ist zwar simpel, aber manche Dinge bedürfen augenscheinlich einer ständigen Wiederholung. Man kann Asumang zu ihrem Mut nur beglückwünschen – er hat einen sehenswerten Film mit hohem Diskussionsspielraum ermöglicht. Das der Diskurs durch die üblich späte Platzierung in den Sendeanstalten nicht die Breite erhalten wird, die er eigentlich verdient, war da schon fast zu erwarten.



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Dienstag, 29. April 2014

Höllenbrut (1998)




HÖLLENBRUT
(Progeny)
USA 1998
Dt. Erstaufführung: 03.01.2000 (Video-Premiere)
Regie: Brian Yuzna

Als Produzent war Brian Yuzna in den 1980er Jahren erfolgreicher als später auf dem Regiestuhl. Zu dem von ihm produzierten Filmen gehören nicht nur Horrorfilme wie Der Re-Animator und C2 – Killerinsekt, sondern kurioserweise auch der Familienfilm Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft. Als Regisseur drehte er Fortsetzungen von Re-Animator, The Dentist, Rottweiler (in dem der titelgebende Hund von kybernetischer Natur war) und eben Höllenbrut, der bemerkenswerterweise auf dem Filmfestival von Cannes seine Uraufführung erlebte. In Deutschland erkannte man das limitierte Potenzial des Low-Budget-Films, im Kino eine nennenswerte Zuschauerzahl anzuziehen und veröffentlichte ihn gleich als Videopremiere. Denn Höllenbrut ist unverkennbarer Trash, allerdings nicht von der Sorte, die sich für einen beschwingten Filmabend eignet. Sicherlich gibt es einige unfreiwillig komische Szenen, der Großteil des Films aber ist ein kalter, nihilistischer Thriller mit einigen wahrlich schauerlichen Einfällen, die trotz der begrenzten handwerklichen Mittel eine gewisse Wirkung entfalten.

Dr. Craig Burton (Arnold Vosloo) und seine Frau Sherry (Jillian McWhirter) haben gerade ihr neues Haus bezogen und versuchen, endlich schwanger zu werden. In einer der ersten Nächte im neuen Heim werden sie beim Sex von einem grellen Licht überrascht, anschließend fehlen ihnen zwei Stunden an Erinnerungen. Die Burtons versuchen, das seltsame Geschehen zu vergessen. Als Sherry schwanger wird, scheint das Glück perfekt, doch die verdrängten Erinnerungen an jene Nacht, die rechnerisch die Nacht der Empfängnis gewesen ist, lassen die Beiden nicht wirklich los. Zunächst mithilfe der Psychologin Dr. Susan Lamarche (Lindsay Crouse), dann mit Unterstützung des Parawissenschaftlers Dr. Clavell (Brad Dourif) gelangen immer mehr Details zurück in die aktive Erinnerung: Sherry wurde in jener Nacht von Außerirdischen entführt und vergewaltigt und was nun in ihrem Bauch wächst, ist alles andere als menschlich…

Höllenbrut wartet mit den üblichen Zutaten des Alien-Entführungsfilms auf. Die fremden Wesen entführen unbedarfte Menschen und missbrauchen sie für ihre (etwas nebulösen) Zwecke, die Opfer können sich zunächst an nichts erinnern und wenn sie anfangen, der Geschichte auf den Grund zu gehen, demonstrieren die Aggressoren beeindruckende Fähigkeiten in der Manipulation von menschlicher Technik wie Ultraschallgeräten und Herzschrittmachern (mit sowjetischen Videobändern scheinen sie hingegen Probleme zu haben, anders lässt sich die Existenz einer aufschlussreichen Aufnahme im Besitz von Dr. Clavell kaum erklären). Das ist alles wenig originell noch sonderlich spannend, auch wenn der Gedanke an die Existenz eines Videos, dass die „Geburt“ eines Aliens zeigt, durchaus für einen wohligen Schauer sorgen kann. Die Ausführung lässt zwar zu wünschen übrig, aber das tun die meisten Effekte in diesem Film. Mag man über die klischeehaften, ganz offensichtlich künstlichen Kreaturen anfangs noch geschmunzelt haben, dekliniert Höllenbrut gegen Ende einen Gedanken durch, der bereits 1989 in dem Christopher-Walken-Vehikel Die Besucher anklang: das Bild, dass man gemeinhin vom 08/15-Außeridischen hat (großer Kopf, kleiner Körper, riesige, mandelförmige schwarze Augen), ist ein Trugbild, eine Maskerade, weil das Gehirn mit dem wahren Grauen hinter der Fassade kaum umzugehen weiß. Wenn sich die Gummialiens am Ende in ein vergleichsweise aufwendiges Monster verwandeln, dass sich auf möglichst inhumane Weise an der Protagonistin vergeht, dann ist das ein durchaus erschreckende Vorstellung, die so gar nichts von den wohlmeinenden Kreaturen eines Steven Spielbergs hat. Es ist nur fraglich, ob jeder Zuschauer bis zu diesem Punkt durchhält, denn auch wenn Höllenbrut einige erschreckende Horrorbilder transportiert, muss man sich auch durch viel Mumpitz durchschlagen.

Es sind vor allem die schauspielerischen Leistungen, die abfallen. Vosloo und McWhirter geben ihr Bestes, kommen aber nicht über das übliche B-Movie-Niveau hinaus. Wilford Brimley holt sich stillschweigend seinen Gehaltsscheck ab und Brad Dourif ist eben Brad Dourif. Sein Dr. Clavell ist nur dazu da, Erklärungen in Richtung Publikum loszulassen und zieht sich am Ende schlicht aus der Handlung heraus. Für jemanden, der die Chance hat, ein Jahrtausendereignis auf Film zu bannen, ist er ziemlich flatterig. Hinzu kommen noch hölzerne Dialoge und diverse weniger gelungene visuelle Spielereien. Mit 2,5 Millionen Dollar Budget kann der Film seine bescheidenen Produktionsstandards kaum verbergen.

Am Ende ist Höllenbrut redlich um eine unheimliche Atmosphäre bemüht, was ihm zeitweise auch gelingt. Auf der einen Seite ein ehrlicher, no-nonsense B-Film, auf der anderen Seite durch die Beschränkungen der Produktion eben nicht no-nonsense, sondern albern, kommt der Film nie ganz zu einem kohärenten Ganzen zusammen. Es gibt Ideen und Ansätze in Höllenbrut, die es wert wären, sie weiterzuverfolgen – nur mit mehr Budget und weniger Trash.



Montag, 28. April 2014

Die Muppets (2011)




DIE MUPPETS
(The Muppets)
USA 2011
Dt.
Erstaufführung: 19.01.2012
Regie: James Bobin

Zwölf Jahre war es verhältnismäßig still um die Muppets, jene einst von Jim Henson erdachten Figuren, geworden. Der letzte Kinofilm, Muppets aus dem All, blieb hinter den Erwartungen zurück und markierte einen rapiden Qualitätsverlust im Franchise, der bei der ebenfalls durchgefallenen, aber immerhin sehr unterhaltsamen TV-Show Muppets Tonight noch nicht absehbar war. Es schien fast so, als sollte sich das bewahrheiten, was in diesem von James Bobin (TVs Flight oft he Conchords) inszenierten Reboot so oft ironisch zitiert wird: die Muppets waren antiquiert, Relikte aus einer analogen Welt, die nicht mehr in den Kosmos des computergenerierten Bombast passen wollten. So sehr dies eine maßlose Übertreibung war, so sehr musste man dennoch feststellen, dass die Muppets Kinder der 70er und 80er Jahre waren. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit für nachwachsende Generationen und ihre Mediensozialisation und wie sollte die Kinder des Jahrtausendwende Hensons Kreationen kennenlernen, wenn ihnen eine größere Medienaufmerksamkeit verwehrt blieb? Tot waren die Puppen nicht, wohl aber aus dem popkulturellen Gedächtnis an den Rand gedrängt. So funktioniert Die Muppets sowohl als Neueinstieg für Novizen als auch als hemmungslose Nostalgie-Orgie für Fans der ersten Stunde und ihre unmittelbaren Nachfolger. Jason Segel, Drehbuchautor, Initiator und bekennender Muppets-Fanboy hat mit allen Beteiligten einen charmanten Film geschaffen, der sich wieder mehr an dem anarchischen Spaß orientiert, der mit den Puppen in ihrer Hochphase assoziiert wurde.

Walter ist ein Muppet, ohne sich dessen bewusst zu sein. Zusammen mit seinem Bruder Gary (Jason Segel) lebt er in einer schnuckeligen Gemeinde und hat eine Art Erweckung, als er in den 1970er Jahren zum ersten Mal Die Muppet Show sieht. Daraus entwickelt sich eine lebenslange Obsession und als Walter eines Tages die Chance erhält, mit Gary und dessen Freundin Mary (Amy Adams) die Muppet-Studios in Los Angeles zu besichtigen, wird ein Traum für ihn wahr. Am Objekt der Begierde angekommen müssen alle Beteiligten allerdings feststellen, dass die Studios mitsamt dem alten Theater inzwischen ein heruntergekommener, trostloser Ort ist, den sich der Tycoon Tex Richman (Chris Cooper) aneignen will, weil unter dem Grundstück Öl zu fördern ist. Durch Zufall erfährt Walter, dass den Muppets eine Frist bleibt, in der sie das Studio für eine Million Dollar zurückkaufen könnten. Doch alle ehemaligen Stars sind in alle Winde verstreut. Als Gary, Walter und Mary jedoch auf Kermit den Frosch treffen, beginnt Hoffnung zu keimen…

Die Muppets verändert das Gefüge der dargestellten Welt etwas. Waren die Puppen bisher als eigenständige gesellschaftliche Gruppe zu lesen, also alle automatisch Muppets, muss man (sprich: Walter) sich diesen Status erst noch erarbeiten. Darüber, wie die Genetik in dieser Welt funktioniert und Walter und Gary Brüder sein können, denkt man lieber nicht zu angestrengt nach. Man wird zwar als Puppe geboren, ist aber nicht automatisch ein Muppet. Der Name einer Bevölkerungsgruppe wird so also zur bloßen Bezeichnung einer Showtruppe.
Nun ist der Film natürlich nicht darauf aus, seine dargestellte Welt in irgendeiner Art wasserdicht erklären zu wollen (oder zu müssen). Die Muppets ist eine herzliche Komödie, die unter dem Nostalgieaspekt noch besser funktioniert denn als eigenständiger Muppet-Film. Denn in erster Linie geht es darum, ein neues Setup für weitere Filme zu schaffen und dabei möglichst viele Verweise auf Muppet Movie unterzubringen. Ermüdend wird dieses „Spot the Reference“ glücklicherweise nicht, da der Film auch viel Wert auf die Rekreation des Auftretens der Figuren legt. Die Muppets mag ein in der Moderne angesiedelter Film sein, er fühlt sich aber sehr viel mehr nach Die Muppet Show an als es die (wunderbaren) Literaturadaptionen oder Muppets aus dem All getan haben. Nicht ganz unschuldig daran sind natürlich auch die Auftritte vieler in den Filmen gar nicht oder nur am Rande auftauchender Charaktere wie Lew Zealand, Marvin Suggs, dem Nachrichtensprecher, Beauregard, Wayne und Wanda.

Wie üblich haben die menschlichen Charaktere kaum etwas gegen die Muppets auszurichten. Chris Cooper versucht sein Bestes, Tim Curry als menschgewordene Puppe Konkurrenz zu machen, während der Auftritt von Jack Black über ein bloßes Cameo weit hinausgeht und Black die Geduld des Zuschauers durchaus strapaziert. Amy Adams und Jason Segel blenden als durch und durch knuddeliges Paar in den Hintergrund, während sich ansonsten noch Alan Arkin, Neil Patrick Harris, Selena Gomez, Whoopi Goldberg, Mickey Rooney, Ken Jeong, Bill Cobbs und Zach Galifianakis die Ehre geben. Der Auftritt von Jim Parsons mehr oder minder in seiner Rolle als Sheldon aus der TV-Sitcom The Big Bang Theory ist derweil ein weiterer Beweis für das ausgeklügelte Marketing, dass dem Film voraus ging und vor allem durch massenhafte Parodien, Trailer und Trailerparodien im Internet Aufmerksamkeit erzeugen konnte – bis zum Tag der Uraufführung wurde Parsons Beteiligung verschwiegen, selbst die IMDB-Seite nahm ihn erst danach in die Besetzungsliste auf.

Es spricht sehr viel Liebe und Herzblut aus Die Muppets, eine ehrlichem tiefe Freude darüber, den Helden der Kindheit zu neuem Leben zu verhelfen. Und auch wenn der Film in erster Linie Setup ist, ist es dennoch ein sehr unterhaltsames, technisch gewohnt brillantes Setup. Einzig die deutsche Synchronisation hat sich beispielsweise mit der Neubesetzung Gonzos keinen Gefallen getan – die Stimme von Moe aus Die Simpsons will nicht wirklich passen und auch wenn sein Festsprecher aus den Tagen der Muppet Show, Werner Abrolat, 1997 verstorben ist, gilt dies für Gudo Hoegel, seinen Nachfolger, nicht. Ähnliches kann man auch über Tom Deiniger sagen, dessen Interpretation von Fozzie Bär zwar näher am Original liegen mag, mit der wunderbaren Leistung von Bruno W. Pantel aber nichts gemein hat. Und war Andreas von der Meden nicht mehr gut genug, um Kermit zu sprechen? Die deutschen Versionen der Muppet-Abenteuer waren stets ein Auf und Ab und die Leistung bei Die Muppets gehört vom Wohlklang aus betrachtet nicht zu den Besten. Doch in Zeiten der Multitrackdatenträger kann auch dieses Problem schnell umgangen werden und Die Muppets in seiner ganzen nostalgischen Herrlichkeit genossen werden. Es bleibt zu hoffen, dass diesem Auftakt weitere Geschichten folgen werden, die dem Geist Hensons gerecht werden.



Montag, 21. April 2014

Muppets aus dem All (1999)




MUPPETS AUS DEM ALL
(Muppets From Space)
USA 1999
Dt. Erstaufführung: 16.12.1999
Regie: Tim Hill

Die Muppets waren über zwei Jahrzehnte ein Garant für gute Unterhaltung. Die TV-Serie Die Muppet Show war eine herrlich-alberne Angelegenheit, die Sesamstraße erfreute Kinder (und Erwachsene) in aller Welt, die ersten drei Kinofilme waren allesamt sehenswert. Nach dem Tod des Muppet-Erfinders Jim Henson näherte man sich immer weiter Disney an, etwas, dass Henson noch selbst initiiert hatte. Die darauffolgenden zwei Spielfilme waren liebevolle Adaptionen von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte und R.L. Stevensons Die Schatzinsel. 1996 bis 1998 versuchte man es mit einer nur zwei Staffeln überdauernden Neuauflage der TV-Show, diesmal unter dem Titel Muppets Tonight, die durchaus ihre Höhepunkte vorweisen konnte, beim Publikum aber eher durchfiel. Muppets aus dem All ist nun einerseits der bemühte Versuch, noch irgendwie aus Muppets Tonight Kapital zu schlagen, ähnlich wie man es mit Muppet Movie in Verbindung mit Die Muppet Show getan hatte, andererseits ist es eine breiige Mischung aus allem, was zur Entstehungszeit gerade „in“ war. Das Ergebnis ist der bisherige Tiefpunkt der Muppet-Kinofilme und der finale Anstoß zu jenem partiellen Niedergang, der im Reboot von 2011 so selbstironisch kommentiert wurde.

Gonzo, jahrelang in seiner Existenz als „Whatever“ nicht weiter aufgefallen, befindet sich auf Sinnsuche. Unerwartete Hilfe erhält er von seinem Captain Alphabet-Frühstücksflocken, durch die jemand versucht, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Schon bald ist ihm klar: er ist ein Außerirdischer und seine Familie ist auf dem Weg, den verlorenen Sohn zurückzuholen. Da Subtilität noch nie die Stärke von Gonzo oder sonst einem Muppet war, bekommt auch der fiese Regierungsbeamte K. Edgar Singer (Jeffrey Tambor) etwas vom geplanten Erstkontakt mit und lässt Gonzo kurzerhand entführen. Nun ist es an seinen Freunden Kermit, Fozzie, Rizzo & Co., ihn zu retten und es rechtzeitig zur Landung des Raumschiffs zu schaffen…

Analysieren wir kurz, wie sehr Muppets aus dem All versucht, ein möglichst breites Publikum zufriedenzustellen und welche Geschütze er dafür auffährt. Zum einen basiert das ganze Konzept der Films auf dem Song „I’m Going to Go Back There Someday“ aus Muppet Movie, den Gonzo unter einem klaren Sternenhimmel sang. So hat man nicht nur eine indirekte Verbindung zum Urvater der Muppet-Filme, sondern auch eine seltsame Interpretation des Songs. Dann verweist der Film durch seine Einbindung der diversen Figuren aus Muppets Tonight und wie sie in den Kino-Kanon der Muppets eingeführt werden ebenfalls auf die Handhabung in Muppet Movie, der als eine Art origin story fungierte. So wird den Figuren Clifford und Pepe sehr viel Raum eingeräumt, die ohne Kenntnis der Serien Muppets Tonight oder The Jim Henson Hour keinem Zuschauer bekannt sein dürften. Andere erst durch die neue TV-Show bekannt gewordenen Charaktere wie Bobo der Bär, Dr. Phil Van Neuter, Johnny Fiama und Sal Minella haben wenigstens Cameoauftritte. Ob der augenscheinlich erhoffte Effekt („Hey, die kenne ich doch aus dem Fernsehen!“) beim Großteil des Publikums eingetreten ist, bleibt fraglich.
Schlussendlich wäre dann natürlich noch der Science-Fiction-Aspekt des Films. Die Muppets sind nicht gerade an erster Stelle der Assoziationen, wenn man an die phantastischen Genres denkt, aber in einer Zeit, in der Aliens als Erklärung für so ziemlich alles herhalten mussten und auch die TV-Serie Akte X – Die unheimlichen Fälle des FBI noch erfolgreich lief, konnte man dieser kruden Verbindung wohl schlicht nicht widerstehen. Über die Sinnhaftigkeit, nun Gonzo als Alien zu erklären, während die Muppets allesamt – wenn nicht Tiere – doch in ihrer Spezies sehr uneindeutige Kreaturen sind, kann gestritten werden. Wenn Gonzo ein Außerirdischer ist, was ist dann Dr. Goldzahn? Oder Scooter? Oder Beaker? Oder Dr. Honigtau-Bunsenbrenner? Oder Sweetums? Die Liste könnte ewig so weitergehen. Die holprige extraterrestrische Erklärung untergräbt ein bisschen den gesamten Muppet-Kosmos, in dem man sich mit der Koexistenz von Menschen, Tieren und eben Muppets sehr gut anfreunden konnte.

Neben den inhaltlichen Schwächen ist Muppets aus dem All auch gestalterisch ein seltsames Unikum. Waren Songs stets ein wichtiger Part in den Filmen, setzen die Puppen hier nicht zum Singen an. Stattdessen beherbergt der Soundtrack allerlei Hits der 70er Jahre. Funk, Aliens und die Muppets – man ist sich wirklich nicht sicher, was die Macher eigentlich bezwecken wollten. Immerhin ist der Film gewohnt hervorragend, was die Puppenspielkunst angeht und das Set des Hauses, in dem all die Kreaturen zusammen wohnen, verströmt Behaglichkeit. In punkto menschliche Darsteller ist man wieder zum Cameo-Konzept übergegangen, so haben Andie MacDowell, Ray Liotta, F. Murray Abraham und David Arquette Auftritte, während Jeffrey Tambor jene Rolle als etwas tumber Beamter spielt, die er in den Hellboy-Filmen zur Perfektion bringen sollte. Die Chemie zwischen ihm und seinen fusseligen Co-Stars stimmt und es ist eine echte Schande, dass die deutsche Synchro, die Muppets – Die Schatzinsel noch zum Vorteil gereichte, hier keinen Weg findet, den besten Gag des Films zu retten („Bring me the remote!“ – „The Goat?“).

Muppets aus dem All beweist vor allem, dass selbst die liebenswerten Puppen des Jim Hensons ohne ein solides Skript und eine fähige Person auf dem Regiestuhl verlieren können. Tim Hill, vorher durchaus durch durchgeknallte TV-Serien wie Kablam! aufgefallen, sollte sich auch nach seinem Spielfilmdebüt mit Alvin und die Chipmunks und ähnlich gelagerten Familienfilmen als hoffnungsloser Routinier erweisen. Muppets aus dem All erzählt keine zeitlose Geschichte, sondern ist zu sehr in der Gegenwart des Jahres 1999 verhaftet. Außerdem ist die Entscheidung, die Handlung eher auf Gonzos Sinnsuche denn ein Teamunterfangen der ganzen Truppe aufzubauen, mindestens genauso irritierend wie die Alien-Prämisse. Muppets aus dem All ist schlicht genügsam-durchschnittliche 08/15-Unterhaltung – eine Bezeichnung, die man nie mit den Muppets in Verbindung bringen wollte.