Mittwoch, 30. April 2014

Die Arier (2013)




DIE ARIER
Deutschland 2013
Dt. Erstaufführung: 29.04.2014 (TV-Film)
Regie: Mo Asumang

Es ist ein interessanter Kontrast: mit knapp einem Jahr Abstand starteten Quentin Tarantinos Django Unchained und Steve McQueens 12 Years a Slave in den deutschen Kinos. In beiden ging es um den amerikanischen Sündenfall, die Versklavung von Millionen Afrikaner als rechtlose und entmenschlichte Arbeiter. Die Herangehensweise konnte mit greller Rachefantasie versus schwer zu verkraftender Realitätsnähe kaum unterschiedlicher sein, aber die Diskussion über das Erbe dieser Zeit war, zumindest in den USA, entbrannt. Die deutsche Entsprechung ist die Schreckensherrschaft des Faschismus, mit dessen Erbe man sich hierzulande wohl auf ewig beschäftigen muss und sollte. Beiden Systemen liegt die Annahme zugrunde, eine Erscheinungsform des Menschen ist quasi per Naturgesetz dazu bestimmt, sich über eine andere (oder gleich über alle anderen) hinwegzusetzen, sie auszubeuten und zu töten. Als normaler Mensch (und das Wort normal wird ganz bewusst ohne Anführungszeichen gebraucht) steht man oft kopfschüttelnd vor dem in sich geschlossenen System der sogenannten Rassenideologie und neigt dazu, die stumpfen Parolen und das pseudowissenschaftliche Palaver der Rechtsextremen als geistige Verwirrung zu marginalisieren. Es ist wie im Film Kriegerin: der Neonazi, das ist der wohl gefährliche, aber auch unfähig zu einer wirklichen sozialen Veränderung am Rand der Gesellschaft stehende, den man aus sicherer Entfernung beobachten kann. Doch wie sicher kann man sich dessen sein, wenn alle 30 Minuten eine aus Fremdenhass motivierte Straftat in Deutschland geschieht oder es Landstriche in Mecklenburg-Vorpommern gibt, die sich als „national befreite Zonen“ verstehen, weil die Nazis dort die Bevölkerung unter ihrer Knute halten? Regisseurin Mo Asumang, Tochter eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter, geht dieser Frage nach und begibt sich in die sprichwörtliche Höhle des Löwen: sie redet mit Teilnehmern von Neonazi-Aufmärschen, trifft auf wahrlich verrückte Wissenschaftler und interviewt Mitglieder des Ku-Klux-Klans.

Wer glaubt, die Erkenntnis, dass eine nationale Identität nichts mit Hautfarbe, Eltern und Abstammung zu tun hat, sei inzwischen Allgemeinwissen, gehört sicherlich zu jenen Kosmopoliten, von denen Deutschland mehr gebrauchen könnte. In die Niederungen, in die sich Asumang begibt, gilt dies nicht. Dort herrscht ein völkisches Denken, eine Idealvorstellung eines deutschen „Herrenmenschens“, der sich durch eng gefasste physiognomische Eigenschaften auszeichnet – der sogenannte „Arier“. Genüsslich demontiert Asumang in einem entspannten Duktus die Mär vom „Arier“ als blauäugigen, blonden Hünen und führt zu den geschichtlich verbrieften Wurzeln des einst als Arier bekannten Hirtenvolkes – in den Iran. Diese Information ist für jeden, der sich bereits mit der Demontage rechten Gedankenguts beschäftigt hat, nicht neu, wird aber von Asumang prägnant auf den Punkt gebracht. Es ist auch für den Zuschauer eine Genugtuung, wenn eine Gruppe Menschen an einer Straßenecke im Iran in unter fünf Minuten intelligentere Aussagen trifft als alle faschistischen Interviewpartner zusammengenommen.

Asumang ist so klug, ihre Gegenüber möglichst viel unmoderiert reden zu lassen. Ab und zu fragt sie nach, bringt durch scheinbar simple Einwürfe beispielsweise das maskierte Ku-Klux-Klan-Mitglied vollkommen aus dem Konzept und bleibt sogar dann ruhig, wenn ihr ein per Radiosendung zu Ruhm gelangter Moderator in den USA von der „Gen-Entführung“ erzählt, die ihr Vater betrieben habe, um seine eigene „Rasse“ aufzuwerten. Oder schwarze Menschen mit Affen vergleicht und ganz nebenbei auch die menschliche Evolution in Frage stellt. Dieses Zusammentreffen mit Tom Metzger, eben jenem Hassprediger, gehört ohnehin zu den interessantesten Begebenheiten im Film. In seiner Sendung spricht er von den „Ariern“ als Sahnehäubchen auf der „weißen Rasse“, faselt wirren Blödsinn wie die oben erwähnten Beispiele und gibt dann ganz am Ende zu, dass sich mit dem Rassismus einfach gut Geld verdienen lässt. Dann umarmt er Asumang zum Abschied und hofft, dass diese Szene keiner seiner Anhänger sieht. Dies alles ist gleichzeitig verstörend und aufschlussreich.

Während man Metzger noch unterstellen mag, er benutze den Rassismus nur als Geschäftsmodell, greift bei den meisten anderen Beispielen die Erklärung Angst am besten. Warum verschanzt sich die NPD auf dem platten Land hinter meterhohen Zäunen und Stacheldraht, hat gar einen Wachturm aufgestellt in einer Gegend, in der die Menschen Angst haben, über die braunen Untriebe zu reden und der Ausländeranteil verschwinden gering ist? In den USA werden Weiße nach einer Prognose im Jahr 2030 nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit stellen und diese Vorstellung scheint für die US-Nazis genauso erschütternd zu sein wie die Furcht vor „Islamisierung“, die die europäischen Departments antreibt. Asumang bekommt es mehrheitlich mit sehr diffus geängstigten Menschen zu tun, deren Paarung aus Furcht und Wahn gleichermaßen etwas Erbärmliches und furchteinflößendes hat.

In all diesem liegt selbstredend auch eine ganz spezielle Art von Humor. So menschenverachtend und grausam viele der Dinge auch sein mögen, mit denen sich die Regisseurin konfrontiert sieht, es bleibt auch Raum zur geradezu satirischen Demontage. So will ein NPD-Mann sich nicht auf eine tiefergehende Diskussion einlassen, wie denn die angestrebte „Rückführung“ der Millionen Ausländer aus Deutschland im Detail funktionieren soll, auch verliert er kein Wort darüber, wo das Geld für die Auszahlungen von Immobilienbesitz herkommen soll, wenn jeder Ausgewiesene den Gegenwert von immobilen Hab und Gut in Form von Euros erhalten soll. Zu den Highlights zählt aber das Interview mit Axel Stoll, einem „Wissenschaftler“, der solch herrliche Bonmots wie diese zum Besten gibt: die Nazis haben den Mond, den Mars und angrenzende Sternensysteme besiedelt (letzteres aber ohne Gewähr – Iron Sky lässt grüßen), „Arier“ sind ohnehin Aliens und die Erde ein Strafplanet und Frauen können außerirdische Signale durch ihre Haare empfangen. Schön, dass wir darüber gesprochen haben. Asumang muss in solchen Situationen kaum mehr tun, als eine ernste Miene zu wahren (wie ihr das gerade bei Stoll gelungen ist – ein Mysterium) und manchmal wird die Realsatire wie zufällig eingefangen, wenn einer der ach so disziplinierten Neonazis bei einer Mini-Demo in den USA im Hintergrund ob der Anstrengung, ein Schild in die Luft zu halten, sich mit Bier volllaufen lässt, während sein Chef die umstehenden Gegendemonstranten beleidigt.

Natürlich kann ein Film wie Die Arier nur die Spitze des Eisbergs abbilden. Er klärt über den Mumpitz der titelgebenden Bezeichnung auf, über den Zusammenklau der restlichen Fascho-Symbolik wie der Swastika schweigt er. Einzelne Episoden bleiben Vignetten, auch wenn der Film insgesamt einen guten dramaturgischen Bogen findet und manchmal hätte man das Voice-Over weglassen können, um die Bilder für sich sprechen zu lassen. Insgesamt aber ist Die Arier eine hervorragende Reise ins „Herz der Finsternis“, jedoch nicht ohne Auflockerungen, nicht ohne schräge Nuancen, wenn Asumang von einem Ku-Klux-Klan-Mitglied beispielsweise brav mit Ma’am angesprochen wird. Die Erkenntnis, dass Rassismus und faschistische Ideologien durch Unwissenheit und Angst befeuert werden, dass vor allem Menschen ohne echtes Selbstbewusstsein ihnen anheimfallen (die „jungfräulichen Außenseiter“, wie es ein Mitglied der Burschenschaften gegen Rechts sinngemäß auf den Punkt bringt) ist zwar simpel, aber manche Dinge bedürfen augenscheinlich einer ständigen Wiederholung. Man kann Asumang zu ihrem Mut nur beglückwünschen – er hat einen sehenswerten Film mit hohem Diskussionsspielraum ermöglicht. Das der Diskurs durch die üblich späte Platzierung in den Sendeanstalten nicht die Breite erhalten wird, die er eigentlich verdient, war da schon fast zu erwarten.



[KEIN TRAILER VORHANDEN]


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