DIE ARIER
Deutschland 2013
Dt. Erstaufführung: 29.04.2014 (TV-Film)
Regie: Mo Asumang
Deutschland 2013
Dt. Erstaufführung: 29.04.2014 (TV-Film)
Regie: Mo Asumang
Es ist ein interessanter Kontrast: mit knapp einem Jahr
Abstand starteten Quentin Tarantinos Django
Unchained und Steve McQueens 12 Years
a Slave in den deutschen Kinos. In beiden ging es um den amerikanischen
Sündenfall, die Versklavung von Millionen Afrikaner als rechtlose und
entmenschlichte Arbeiter. Die Herangehensweise konnte mit greller Rachefantasie
versus schwer zu verkraftender Realitätsnähe kaum unterschiedlicher sein, aber
die Diskussion über das Erbe dieser Zeit war, zumindest in den USA, entbrannt. Die
deutsche Entsprechung ist die Schreckensherrschaft des Faschismus, mit dessen
Erbe man sich hierzulande wohl auf ewig beschäftigen muss und sollte. Beiden
Systemen liegt die Annahme zugrunde, eine Erscheinungsform des Menschen ist
quasi per Naturgesetz dazu bestimmt, sich über eine andere (oder gleich über
alle anderen) hinwegzusetzen, sie auszubeuten und zu töten. Als normaler Mensch
(und das Wort normal wird ganz bewusst ohne Anführungszeichen gebraucht) steht
man oft kopfschüttelnd vor dem in sich geschlossenen System der sogenannten
Rassenideologie und neigt dazu, die stumpfen Parolen und das
pseudowissenschaftliche Palaver der Rechtsextremen als geistige Verwirrung zu marginalisieren.
Es ist wie im Film Kriegerin: der
Neonazi, das ist der wohl gefährliche, aber auch unfähig zu einer wirklichen sozialen
Veränderung am Rand der Gesellschaft stehende, den man aus sicherer Entfernung
beobachten kann. Doch wie sicher kann man sich dessen sein, wenn alle 30
Minuten eine aus Fremdenhass motivierte Straftat in Deutschland geschieht oder
es Landstriche in Mecklenburg-Vorpommern gibt, die sich als „national befreite
Zonen“ verstehen, weil die Nazis dort die Bevölkerung unter ihrer Knute halten?
Regisseurin Mo Asumang, Tochter eines schwarzen Vaters und einer weißen Mutter,
geht dieser Frage nach und begibt sich in die sprichwörtliche Höhle des Löwen:
sie redet mit Teilnehmern von Neonazi-Aufmärschen, trifft auf wahrlich
verrückte Wissenschaftler und interviewt Mitglieder des Ku-Klux-Klans.
Wer glaubt, die Erkenntnis, dass eine nationale Identität
nichts mit Hautfarbe, Eltern und Abstammung zu tun hat, sei inzwischen
Allgemeinwissen, gehört sicherlich zu jenen Kosmopoliten, von denen Deutschland
mehr gebrauchen könnte. In die Niederungen, in die sich Asumang begibt, gilt
dies nicht. Dort herrscht ein völkisches Denken, eine Idealvorstellung eines
deutschen „Herrenmenschens“, der sich durch eng gefasste physiognomische
Eigenschaften auszeichnet – der sogenannte „Arier“. Genüsslich demontiert
Asumang in einem entspannten Duktus die Mär vom „Arier“ als blauäugigen,
blonden Hünen und führt zu den geschichtlich verbrieften Wurzeln des einst als
Arier bekannten Hirtenvolkes – in den Iran. Diese Information ist für jeden,
der sich bereits mit der Demontage rechten Gedankenguts beschäftigt hat, nicht
neu, wird aber von Asumang prägnant auf den Punkt gebracht. Es ist auch für den
Zuschauer eine Genugtuung, wenn eine Gruppe Menschen an einer Straßenecke im
Iran in unter fünf Minuten intelligentere Aussagen trifft als alle
faschistischen Interviewpartner zusammengenommen.
Asumang ist so klug, ihre Gegenüber möglichst viel
unmoderiert reden zu lassen. Ab und zu fragt sie nach, bringt durch scheinbar
simple Einwürfe beispielsweise das maskierte Ku-Klux-Klan-Mitglied vollkommen
aus dem Konzept und bleibt sogar dann ruhig, wenn ihr ein per Radiosendung zu
Ruhm gelangter Moderator in den USA von der „Gen-Entführung“ erzählt, die ihr
Vater betrieben habe, um seine eigene „Rasse“ aufzuwerten. Oder schwarze
Menschen mit Affen vergleicht und ganz nebenbei auch die menschliche Evolution
in Frage stellt. Dieses Zusammentreffen mit Tom Metzger, eben jenem
Hassprediger, gehört ohnehin zu den interessantesten Begebenheiten im Film. In
seiner Sendung spricht er von den „Ariern“ als Sahnehäubchen auf der „weißen
Rasse“, faselt wirren Blödsinn wie die oben erwähnten Beispiele und gibt dann
ganz am Ende zu, dass sich mit dem Rassismus einfach gut Geld verdienen lässt. Dann
umarmt er Asumang zum Abschied und hofft, dass diese Szene keiner seiner
Anhänger sieht. Dies alles ist gleichzeitig verstörend und aufschlussreich.
Während man Metzger noch unterstellen mag, er benutze den Rassismus
nur als Geschäftsmodell, greift bei den meisten anderen Beispielen die
Erklärung Angst am besten. Warum verschanzt sich die NPD auf dem platten Land
hinter meterhohen Zäunen und Stacheldraht, hat gar einen Wachturm aufgestellt
in einer Gegend, in der die Menschen Angst haben, über die braunen Untriebe zu
reden und der Ausländeranteil verschwinden gering ist? In den USA werden Weiße
nach einer Prognose im Jahr 2030 nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit stellen
und diese Vorstellung scheint für die US-Nazis genauso erschütternd zu sein wie
die Furcht vor „Islamisierung“, die die europäischen Departments antreibt. Asumang
bekommt es mehrheitlich mit sehr diffus geängstigten Menschen zu tun, deren
Paarung aus Furcht und Wahn gleichermaßen etwas Erbärmliches und
furchteinflößendes hat.
In all diesem liegt selbstredend auch eine ganz spezielle
Art von Humor. So menschenverachtend und grausam viele der Dinge auch sein
mögen, mit denen sich die Regisseurin konfrontiert sieht, es bleibt auch Raum
zur geradezu satirischen Demontage. So will ein NPD-Mann sich nicht auf eine
tiefergehende Diskussion einlassen, wie denn die angestrebte „Rückführung“ der
Millionen Ausländer aus Deutschland im Detail funktionieren soll, auch verliert
er kein Wort darüber, wo das Geld für die Auszahlungen von Immobilienbesitz
herkommen soll, wenn jeder Ausgewiesene den Gegenwert von immobilen Hab und Gut
in Form von Euros erhalten soll. Zu den Highlights zählt aber das Interview mit
Axel Stoll, einem „Wissenschaftler“, der solch herrliche Bonmots wie diese zum
Besten gibt: die Nazis haben den Mond, den Mars und angrenzende Sternensysteme
besiedelt (letzteres aber ohne Gewähr – Iron
Sky lässt grüßen), „Arier“ sind ohnehin Aliens und die Erde ein Strafplanet
und Frauen können außerirdische Signale durch ihre Haare empfangen. Schön, dass
wir darüber gesprochen haben. Asumang muss in solchen Situationen kaum mehr
tun, als eine ernste Miene zu wahren (wie ihr das gerade bei Stoll gelungen ist
– ein Mysterium) und manchmal wird die Realsatire wie zufällig eingefangen,
wenn einer der ach so disziplinierten Neonazis bei einer Mini-Demo in den USA
im Hintergrund ob der Anstrengung, ein Schild in die Luft zu halten, sich mit
Bier volllaufen lässt, während sein Chef die umstehenden Gegendemonstranten
beleidigt.
Natürlich kann ein Film wie Die Arier nur die Spitze des Eisbergs abbilden. Er klärt über den
Mumpitz der titelgebenden Bezeichnung auf, über den Zusammenklau der restlichen
Fascho-Symbolik wie der Swastika schweigt er. Einzelne Episoden bleiben Vignetten,
auch wenn der Film insgesamt einen guten dramaturgischen Bogen findet und
manchmal hätte man das Voice-Over weglassen können, um die Bilder für sich
sprechen zu lassen. Insgesamt aber ist Die
Arier eine hervorragende Reise ins „Herz der Finsternis“, jedoch nicht ohne
Auflockerungen, nicht ohne schräge Nuancen, wenn Asumang von einem
Ku-Klux-Klan-Mitglied beispielsweise brav mit Ma’am angesprochen wird. Die
Erkenntnis, dass Rassismus und faschistische Ideologien durch Unwissenheit und
Angst befeuert werden, dass vor allem Menschen ohne echtes Selbstbewusstsein
ihnen anheimfallen (die „jungfräulichen Außenseiter“, wie es ein Mitglied der Burschenschaften gegen Rechts sinngemäß
auf den Punkt bringt) ist zwar simpel, aber manche Dinge bedürfen augenscheinlich
einer ständigen Wiederholung. Man kann Asumang zu ihrem Mut nur beglückwünschen
– er hat einen sehenswerten Film mit hohem Diskussionsspielraum ermöglicht. Das
der Diskurs durch die üblich späte Platzierung in den Sendeanstalten nicht die
Breite erhalten wird, die er eigentlich verdient, war da schon fast zu
erwarten.
[KEIN TRAILER VORHANDEN]
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