Montag, 26. September 2016

Die Kommune (2016)




DIE KOMMUNE
(Kollektivit)
Dänemark/Schweden/Niederlande 2016
Dt. Erstaufführung: 21.04.2016
Regie: Thomas Vinterberg

ACHTUNG! In folgender Besprechung werden ein paar „plot points“ verraten bzw. angedeutet.

Erstaunlich, dass dieser Film vom gleichen Regisseur wie der hervorragende Die Jagd stammt. Was sich auf dem Papier interessant liest, wird in Thomas Vinterbergs Film zu einem inkohärenten Ganzen, in dem vor allem die mitunter furchtbar geschriebenen Figuren sauer aufstoßen.

Um ein geerbtes, über alle Maßen großzügiges Haus halten zu können beschließt eine Kleinfamilie aus Dänemark Ende der 1960er Jahre, sich zahlende Mitbewohner in selbiges zu holen – sie gründen eine Kommune. Zunächst sind Vater Erik (Ulrich Thomsen), Mutter Anna (Tine Dyrholm) und die vierzehnjährige Tochter Freja (Martha Sofie Wallstrøm Hansen) noch sehr glücklich mit ihrer Entscheidung, unter anderem mit langjährigen Familienfreunden unter einem Dach zu wohnen. Nach und nach stoßen im gemeinsamen Zusammenleben jedoch Idealbild und Realität aufeinander.

Vor allem der Familienvater, der zunächst noch gegen die Kommune ist, sich dann aber eine junge Studentin anlacht und das Prinzip der freien Liebe den Anderen de facto aufoktroyiert, ist wirr. Wutausbrüche kommen unmotiviert aus dem Nichts, seine Liebschaft ebenfalls, die Argumentationsweise der Figur und sein Auftreten lassen jegliches rationales Maß vermissen. Wenn dies irgendwie im Charakter begründet läge, wäre dies eine Sache, aber --- leidet wie der gesamte Film unter einem anorganischen Fluss. Genuin fühlt sich hier nichts an, vielmehr hat man das Gefühl, Vinterberg und sein Ko-Drehbuchautor Tobias Lindholm würden mit einer Checkliste neben ihrem Film sitzen und einen Pflichtpunkt nach dem Anderen abhaken. Montage vom Finden der Kommune? Check. Erster Eindruck einer tollen Zeit? Check. Erste kleinere Probleme, die in ihrer plakativen Gestaltung später im größeren Rahmen wieder auftauchen? Check. Die Kommune fühlt sich dank dieser „Malen nach Zahlen“-Dramaturgie nur in wenigen Sequenzen natürlich an (eine positive Ausnahme ist der Zusammenbruch des kleinen Jungen an Weihnachten, der dank der Inszenierung, die in diesem Moment an Vinterbergs beste Arbeiten erinnert, tatsächlich funktioniert).

Die Figuren sind denn auch größtenteils das, was man im internationalen Programmkino so als „quirky“ und „edgy“ ansieht. Die weitestgehend stumme Tochter, die einen unbekannten Jungen verführt (schön übrigens auch die Reaktion des männlichen Gegenübers. Nach dem Namen oder der Motivation fragen? Warum, es gibt ja Sex …) und so wohl als Abziehbild für jugendliche Rebellion gelesen werden will, der frühreife Junge, der allen erzählt, dass er mit Neun sterben wird (und dann an gebrochenem Herz geradezu eingeht – oh, the Smacht), der eine Mitbewohner, der gern das Eigentum anderer Leuten verbrennt, der andere Mitbewohner, der ständig weinen muss – das Figurenpanoptikum definiert sich entweder aus einer einzigen Eigenschaft heraus oder gar nicht. Einige Kommunenmitglieder laufen Gefahr, schon vergessen zu werden, während der sich ziehende Film noch läuft.

Einzig Anna, die als Initiatorin der Kommune irgendwann mit den Entwicklungen hadert und an der psychischen Belastung zu zerbrechen droht, wäre von größerem Interesse, wenn ihre Geschichte nicht der faden Charakterisierung und der beliebigen Regie bei allen anderen gegenüberstehen würde, sie also gegen eine Wand aus Script agiert. Trine Dyrholm spielt denn auch mit sehr viel mehr Einsatz als es Die Kommune verdient hat.

Die Themen liegen ja quasi auf der Hand: die (Un-)Möglichkeiten alternativer Lebensentwürfe, wirkliche zwischenmenschliche Verwicklungen – Die Kommune sollte eigentlich ein soziologischer Leckerbissen von Film sein. Doch weder die Figuren noch der Regisseur interessieren sich wirklich für die gesamte Bandbreite der Prämisse, warum sollte es also das Publikum tun. Die Kommune hinterfragt so gut wie nichts, weiß nicht, wohin er eigentlich will, seine Leerstellen bleiben genau dies. Dieser Film gibt nur vor, zu atmen, zu leben und zu denken.




Sonntag, 25. September 2016

Wintergast (2015)




WINTERGAST
Schweiz 2015
Dt. Erstaufführung: 21.01.2016
Regie: Matthias Günter und Andy Herzog

ACHTUNG! Die folgende Besprechung diskutiert das Ende des Films mit einigen Details, die manche wohl als „Spoiler“ ansehen würden.

Cineasten beschwören es ja immer wieder: großartige Filme findet man häufig eher in den Nischen und weniger im Multiplex. Kaum ein anderer Film in diesem Jahr zeigt dies so gut wie Wintergast, eine kleine Produktion aus der Schweiz, die dank Untertiteln und den monochrom gehaltenen Bildern gleich zwei „Hürden“ für den Massenmarkt anbietet. Doch Wintergast ist auch eine präzise beobachtete Studie über die Schwierigkeiten des kreativen Schaffensprozess und die mit ihm kollidierenden diffusen Lebensziele, ohne dabei in schale Hipster-Posen abzugleiten - quasi eine europäische Version von Frances Ha ohne die enervierenden Elemente.

Stefan Keller (Andy Herzog) hat vor sieben Jahren einen vielbeachteten Kurzfilm gedreht und wurde mit Preisen geehrt. Eine begeisterte Produzentin (Susann Rüdlinger) bot ihm sogleich aufgrund einer Grundprämisse für einen Spielfilm einen Vertrag an. Sieben Jahre später steht die Deadline vor der Tür und das Treatment für den Film über vertauschte Koffer ist immer noch nicht fertig. Im Grunde hat Stefan in all den Jahren nichts weiter als den ersten Satz zu Papier bringen können. Ein One-Hit-Wonder also, dessen Freundin eine Auszeit verlangt, weil sie sich darüber klar werden muss, ob sie mit ihm ein Kind haben soll. Aus finanzieller Not (denn auch seine Eltern haben kein Interesse mehr daran, den 39-jährigen durchzufüttern) nimmt Stefan einen Job als Jugendherbergentester an. Jetzt, im Winter, ist er oft der einzige Gast und auch aus der erhofften Muße für sein Script wird nichts – und der Abgabetermin lässt sich mit Notlügen auch nicht ewig weiter aufschieben.

Jeder, der schon einmal regelmäßig kreativ tätig war (oder es beruflich oder ausbildungsbedingt sogar sein musste), kennt sicherlich das Vakuum, welches sich mitunter auftun kann. Ideen wollen nicht reifen, die Arbeit stockt, der Blick verengt sich, triviale Ablenkungen werden nur allzu gern angenommen – morgen ist ja auch noch ein Tag. Wintergast weiß diesen Zustand unaufgeregt zu schildern und schafft es dennoch, so etwas wie innere Anspannung zu generieren. Somit wird der Film für Menschen, die diesen Zustand kennen, wohl besser funktionieren als für jene, denen er weitestgehend fremd ist, auch wenn Wintergast durch seine unaufdringlich-involvierende Art eigentlich jedwedes Publikum ansprechen sollte.

Dabei löst Wintergast auch das gerade durch Filme verbreitete Mantra des unbedingten Erfolges auf. Anders als in der Wunschvorstellung führt eben nicht jeder Weg genau zu dem Ziel, dass man vielleicht anstrebt. Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne machst? Definitiv. Am Ende hat Stefan Keller ein augenscheinlich gutes Werk abgeliefert, zumindest hat er es sich im wahrsten Sinne von der Seele geschrieben, die brach liegende Kreativität hat durch die nicht immer angenehme Realität einen Katalysator bekommen, der die seit sieben Jahren dahinsiechende Idee des abstrakten Konzeptes Koffertausch dahin fegt – und dann scheitert es an den Vorstellungen des „Marktes“ in Person von Stefans Produzentin. Erfreulich? Wohl kaum, aber nicht nur Keller sondern auch das Publikum muss im Laufe des Films erkennen, dass die durch einen sicherlich verdienten Erfolg angestrebte Karriere vielleicht nichts für ihn ist. Talent ist das eine, Durchsetzungsvermögen, auch gegenüber dem eigenen Selbst, etwas anderes.

Dementsprechend ist das Ende auch nicht so nüchtern, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Stefan Keller ist kein Regisseur, aber er hat einen Job, der ihn erdet und der ihm genügend Raum gibt, etwaige weitere Schritte sorgfältiger zu planen. Und an der Beziehungsfront offeriert der Film auch noch einen kleinen Hinweis auf einen möglichen Neuanfang. So ist Wintergast kein Film darüber, dass man seine Träume aufgeben soll (wie er sicherlich von manchen auch gelesen werden könnte), sondern eher ein gutgemeinter Vorschlag, nicht ausschließlich in Luftschlössern zu leben. Das mag manchem wie der joviale Rat eines Erziehungsberechtigten an einen bockigen Teenager erscheinen, aber ist das so weit ab von der Realität? Auch wenn sie immer weiter hinausgezögert wird, die Jugend mit all ihren mitunter radikalen Idealen endet irgendwann. Allen Unkenrufen zum Trotz ist dies keine Assimilierung in „bürgerliche Werte“ sondern ein Entwicklungsprozess, der nicht automatisch bedeutet, zu einer leeren Hülle seines Selbst zu werden. Keller ist 39 und bereit, Erwachsen zu werden. Was das im Einzelnen bedeutet, ist dann ja immer noch jedem selbst überlassen.

So wird Herzogs/Günters Werk zu einem Film über das Leben, die Veränderungen und wie Widerstand gegen diese nur zu Lähmungen führt, die ihrerseits ein aktives Gestalten verhindern – also ein vielseitig interpretierbares Konzept. Wintergast ist großes kleines Kino.





Sonntag, 4. September 2016

The Shallows - Gefahr aus der Tiefe (2016)




THE SHALLOWS – GEFAHR AUS DER TIEFE
(The Shallows)
USA 2016
Dt. Erstaufführung: 25.08.2016
Regie: Jaume Collet-Serra

Die Welt wartet auf so vieles. Der Weltfrieden ist ein beliebter Traum, das Besiegen von Hunger und Armut weitere Kandidaten. Im filmischen Kontext wartet die Welt auch nach dem Erscheinen von The Shallows noch auf einen passablen Hai-Film. Das Subgenre des Tierhorrors (seinerseits eine Unterabteilung des Horrorfilms), 1975 von Steven Spielberg und seinem massiv überschätzten Der weiße Hai aus der Taufe gehoben und inzwischen dank Sharknado und Co. ihren Trashfaktor gar nicht mehr verbergend, ist keine Sache von Subtilität. An sich keine schlimme Sache, würde nicht auch The Shallows aus einem durchaus furchterregenden, letztlich aber recht unbescholtenen realen Tier eine fast unbesiegbar erscheinende Killermaschine mit persönlicher Vendetta machen, ganz so, als hätten die verlachten Fortsetzungen des Spielberg’schen Wasserschockers nie existiert. Und ganz wie der kleine Felsen, auf den sich die Protagonistin hier vor dem Fisch in Sicherheit bringt, ist dies nur die Spitze eines ganzen Fragenkatalogs, die der als ernstzunehmender Thriller getarnte Quatsch an den Strand der enttäuschten Filmhoffnungen spült.

Studentin Nancy (Blake Lively) befindet sich nach dem Tod ihrer Mutter in einer Sinnkrise und begibt sich nach Mexiko an den Strand, an dem diese einst zum letzten Mal surfte, bevor sie Nancy zur Welt brachte. Dort genießt sie die Wellen, bis von einem Weißen Hai angegriffen wird, der, angelockt durch einen Walkadaver, seinen Weg in die abgelegene Bucht gefunden hat. Nancy kann sich auf einen winzigen, nur bei Ebbe über dem Wasser liegenden Felsen retten, eine verletzte Möwe als einzigen Kompanion. 180 Meter trennen sie vom Strand und der patrouillierende Hai denkt gar nicht daran, die einfache Beute einfach davonkommen zu lassen …

The Shallows existiert in einem Universum, in dem es keine periphere Wahrnehmung gibt. Menschen schauen an toten Walen, schreienden Menschen und zerteilten Körpern vorbei, obwohl alles in der überschaubaren Bucht schwimmt bzw. dort am Strand liegt. Das Konzept des „suspension of disbelief“, also dem oft benötigten Willen des Publikums, auch unwahrscheinliche Dinge im Dienste der guten Geschichte zu akzeptieren beziehungsweise wohlwollend zu übersehen, wird hier derart überstrapaziert, dass der von Actionroutinier Jaume Collet-Serra (Non-Stop) inszenierte Film oft unfreiwillig komisch wirkt – schon bevor eine Boje sich gegen ihre Mechanik verhält und ein wildgewordener Hai alles daran setzt, eine dünne Surferin fressen zu können, obwohl immer noch ein nahrhafter Wal in der Bucht schwimmt.

Das könnte man unter Trash-Gesichtspunkten ja durchaus amüsant finden, würde sich The Shallows nicht selbst auf geradezu irritierende Art ernst nehmen. Collet-Serra und sein Drehbuchautor Anthony Jaswinski (Die Herrschaft der Schatten) wollen einerseits, das machten bereits die eher suggestiven Trailer klar, aus der Asylum-Ecke des Haifilms und seinem immerwährenden Strom an Material für Die schlechtesten Filme aller Zeiten heraus, bedienen dann aber aus einer seltsamen Haltung dem Publikum gegenüber („Die wollen das bestimmt so!“) jede Menge Klischees – der Hai brennt, der Hai riskiert für einen betrunkenen Happen, zu stranden, der Hai weiß, wo sich Nancy aufhält und will sie unbedingt verspeisen. Das ist oft so frustrierend blöd, dass man sich fragt, warum man die beständig nagende Stimme so konsequent ignoriert, die fragt: „Was hätte Hitchcock getan?“ 

Die Prämisse hatte das Potenzial, zu einem eher psychologischen Duell zwischen Mensch und Natur zu werden, zu einem Szenario, in dem der Hai vielleicht nach seinem ersten Angriff gar nicht hätte physisch anwesend sein müssen. So aber richtet sich The Shallows auf der einfachsten, der massentauglichsten Ebene ein. Die hübsche Kinematographie (die allerdings Lively etwas zu aufdringlich über den Körper streift) und das engagierte Spiel der Hauptdarstellerin stehen so in einem Kontrast zu dem hanebüchenen Script. Anstatt der (irrationalen) menschlichen Angst vor Haien eine gewinnbringende Form zu geben, entscheidet sich auch dieser Film für den Weg der unwillkommenen Verleumdung, die gar nicht versucht, dem tierischen Antagonisten irgendwie gerecht zu werden – The Shallows ist näher an Deep Blue Sea oder Shark Attack als an Der weiße Hai, der im direkten Vergleich bei allen Fehlern nur gewinnen kann. 

Schwimmen Sie weiter, es gibt hier nichts zu sehen.