Sonntag, 25. September 2016

Wintergast (2015)




WINTERGAST
Schweiz 2015
Dt. Erstaufführung: 21.01.2016
Regie: Matthias Günter und Andy Herzog

ACHTUNG! Die folgende Besprechung diskutiert das Ende des Films mit einigen Details, die manche wohl als „Spoiler“ ansehen würden.

Cineasten beschwören es ja immer wieder: großartige Filme findet man häufig eher in den Nischen und weniger im Multiplex. Kaum ein anderer Film in diesem Jahr zeigt dies so gut wie Wintergast, eine kleine Produktion aus der Schweiz, die dank Untertiteln und den monochrom gehaltenen Bildern gleich zwei „Hürden“ für den Massenmarkt anbietet. Doch Wintergast ist auch eine präzise beobachtete Studie über die Schwierigkeiten des kreativen Schaffensprozess und die mit ihm kollidierenden diffusen Lebensziele, ohne dabei in schale Hipster-Posen abzugleiten - quasi eine europäische Version von Frances Ha ohne die enervierenden Elemente.

Stefan Keller (Andy Herzog) hat vor sieben Jahren einen vielbeachteten Kurzfilm gedreht und wurde mit Preisen geehrt. Eine begeisterte Produzentin (Susann Rüdlinger) bot ihm sogleich aufgrund einer Grundprämisse für einen Spielfilm einen Vertrag an. Sieben Jahre später steht die Deadline vor der Tür und das Treatment für den Film über vertauschte Koffer ist immer noch nicht fertig. Im Grunde hat Stefan in all den Jahren nichts weiter als den ersten Satz zu Papier bringen können. Ein One-Hit-Wonder also, dessen Freundin eine Auszeit verlangt, weil sie sich darüber klar werden muss, ob sie mit ihm ein Kind haben soll. Aus finanzieller Not (denn auch seine Eltern haben kein Interesse mehr daran, den 39-jährigen durchzufüttern) nimmt Stefan einen Job als Jugendherbergentester an. Jetzt, im Winter, ist er oft der einzige Gast und auch aus der erhofften Muße für sein Script wird nichts – und der Abgabetermin lässt sich mit Notlügen auch nicht ewig weiter aufschieben.

Jeder, der schon einmal regelmäßig kreativ tätig war (oder es beruflich oder ausbildungsbedingt sogar sein musste), kennt sicherlich das Vakuum, welches sich mitunter auftun kann. Ideen wollen nicht reifen, die Arbeit stockt, der Blick verengt sich, triviale Ablenkungen werden nur allzu gern angenommen – morgen ist ja auch noch ein Tag. Wintergast weiß diesen Zustand unaufgeregt zu schildern und schafft es dennoch, so etwas wie innere Anspannung zu generieren. Somit wird der Film für Menschen, die diesen Zustand kennen, wohl besser funktionieren als für jene, denen er weitestgehend fremd ist, auch wenn Wintergast durch seine unaufdringlich-involvierende Art eigentlich jedwedes Publikum ansprechen sollte.

Dabei löst Wintergast auch das gerade durch Filme verbreitete Mantra des unbedingten Erfolges auf. Anders als in der Wunschvorstellung führt eben nicht jeder Weg genau zu dem Ziel, dass man vielleicht anstrebt. Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne machst? Definitiv. Am Ende hat Stefan Keller ein augenscheinlich gutes Werk abgeliefert, zumindest hat er es sich im wahrsten Sinne von der Seele geschrieben, die brach liegende Kreativität hat durch die nicht immer angenehme Realität einen Katalysator bekommen, der die seit sieben Jahren dahinsiechende Idee des abstrakten Konzeptes Koffertausch dahin fegt – und dann scheitert es an den Vorstellungen des „Marktes“ in Person von Stefans Produzentin. Erfreulich? Wohl kaum, aber nicht nur Keller sondern auch das Publikum muss im Laufe des Films erkennen, dass die durch einen sicherlich verdienten Erfolg angestrebte Karriere vielleicht nichts für ihn ist. Talent ist das eine, Durchsetzungsvermögen, auch gegenüber dem eigenen Selbst, etwas anderes.

Dementsprechend ist das Ende auch nicht so nüchtern, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Stefan Keller ist kein Regisseur, aber er hat einen Job, der ihn erdet und der ihm genügend Raum gibt, etwaige weitere Schritte sorgfältiger zu planen. Und an der Beziehungsfront offeriert der Film auch noch einen kleinen Hinweis auf einen möglichen Neuanfang. So ist Wintergast kein Film darüber, dass man seine Träume aufgeben soll (wie er sicherlich von manchen auch gelesen werden könnte), sondern eher ein gutgemeinter Vorschlag, nicht ausschließlich in Luftschlössern zu leben. Das mag manchem wie der joviale Rat eines Erziehungsberechtigten an einen bockigen Teenager erscheinen, aber ist das so weit ab von der Realität? Auch wenn sie immer weiter hinausgezögert wird, die Jugend mit all ihren mitunter radikalen Idealen endet irgendwann. Allen Unkenrufen zum Trotz ist dies keine Assimilierung in „bürgerliche Werte“ sondern ein Entwicklungsprozess, der nicht automatisch bedeutet, zu einer leeren Hülle seines Selbst zu werden. Keller ist 39 und bereit, Erwachsen zu werden. Was das im Einzelnen bedeutet, ist dann ja immer noch jedem selbst überlassen.

So wird Herzogs/Günters Werk zu einem Film über das Leben, die Veränderungen und wie Widerstand gegen diese nur zu Lähmungen führt, die ihrerseits ein aktives Gestalten verhindern – also ein vielseitig interpretierbares Konzept. Wintergast ist großes kleines Kino.





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