WINTERGAST
Schweiz 2015
Dt.
Erstaufführung: 21.01.2016
Regie: Matthias
Günter und Andy Herzog
ACHTUNG! Die
folgende Besprechung diskutiert das Ende des Films mit einigen Details, die
manche wohl als „Spoiler“ ansehen würden.
Cineasten
beschwören es ja immer wieder: großartige Filme findet man häufig eher in den
Nischen und weniger im Multiplex. Kaum ein anderer Film in diesem Jahr zeigt
dies so gut wie Wintergast, eine
kleine Produktion aus der Schweiz, die dank Untertiteln und den monochrom
gehaltenen Bildern gleich zwei „Hürden“ für den Massenmarkt anbietet. Doch Wintergast ist auch eine präzise
beobachtete Studie über die Schwierigkeiten des kreativen Schaffensprozess und
die mit ihm kollidierenden diffusen Lebensziele, ohne dabei in schale
Hipster-Posen abzugleiten - quasi eine europäische Version von Frances Ha ohne die enervierenden
Elemente.
Stefan Keller
(Andy Herzog) hat vor sieben Jahren einen vielbeachteten Kurzfilm gedreht und
wurde mit Preisen geehrt. Eine begeisterte Produzentin (Susann Rüdlinger) bot
ihm sogleich aufgrund einer Grundprämisse für einen Spielfilm einen Vertrag an.
Sieben Jahre später steht die Deadline vor der Tür und das Treatment für den
Film über vertauschte Koffer ist immer noch nicht fertig. Im Grunde hat Stefan
in all den Jahren nichts weiter als den ersten Satz zu Papier bringen können.
Ein One-Hit-Wonder also, dessen Freundin eine Auszeit verlangt, weil sie sich
darüber klar werden muss, ob sie mit ihm ein Kind haben soll. Aus finanzieller
Not (denn auch seine Eltern haben kein Interesse mehr daran, den 39-jährigen
durchzufüttern) nimmt Stefan einen Job als Jugendherbergentester an. Jetzt, im
Winter, ist er oft der einzige Gast und auch aus der erhofften Muße für sein
Script wird nichts – und der Abgabetermin lässt sich mit Notlügen auch nicht
ewig weiter aufschieben.
Jeder, der schon
einmal regelmäßig kreativ tätig war (oder es beruflich oder ausbildungsbedingt
sogar sein musste), kennt sicherlich das Vakuum, welches sich mitunter auftun
kann. Ideen wollen nicht reifen, die Arbeit stockt, der Blick verengt sich,
triviale Ablenkungen werden nur allzu gern angenommen – morgen ist ja auch noch
ein Tag. Wintergast weiß diesen
Zustand unaufgeregt zu schildern und schafft es dennoch, so etwas wie innere
Anspannung zu generieren. Somit wird der Film für Menschen, die diesen Zustand
kennen, wohl besser funktionieren als für jene, denen er weitestgehend fremd
ist, auch wenn Wintergast durch seine
unaufdringlich-involvierende Art eigentlich jedwedes Publikum ansprechen
sollte.
Dabei löst Wintergast auch das gerade durch Filme
verbreitete Mantra des unbedingten Erfolges auf. Anders als in der
Wunschvorstellung führt eben nicht jeder Weg genau zu dem Ziel, dass man
vielleicht anstrebt. Leben ist das, was passiert, während du andere Pläne machst?
Definitiv. Am Ende hat Stefan Keller ein augenscheinlich gutes Werk
abgeliefert, zumindest hat er es sich im wahrsten Sinne von der Seele
geschrieben, die brach liegende Kreativität hat durch die nicht immer angenehme
Realität einen Katalysator bekommen, der die seit sieben Jahren dahinsiechende
Idee des abstrakten Konzeptes Koffertausch dahin fegt – und dann scheitert es
an den Vorstellungen des „Marktes“ in Person von Stefans Produzentin. Erfreulich?
Wohl kaum, aber nicht nur Keller sondern auch das Publikum muss im Laufe des
Films erkennen, dass die durch einen sicherlich verdienten Erfolg angestrebte
Karriere vielleicht nichts für ihn ist. Talent ist das eine,
Durchsetzungsvermögen, auch gegenüber dem eigenen Selbst, etwas anderes.
Dementsprechend
ist das Ende auch nicht so nüchtern, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.
Stefan Keller ist kein Regisseur, aber er hat einen Job, der ihn erdet und der
ihm genügend Raum gibt, etwaige weitere Schritte sorgfältiger zu planen. Und an
der Beziehungsfront offeriert der Film auch noch einen kleinen Hinweis auf
einen möglichen Neuanfang. So ist Wintergast
kein Film darüber, dass man seine Träume aufgeben soll (wie er sicherlich von
manchen auch gelesen werden könnte), sondern eher ein gutgemeinter Vorschlag,
nicht ausschließlich in Luftschlössern zu leben. Das mag manchem wie der
joviale Rat eines Erziehungsberechtigten an einen bockigen Teenager erscheinen,
aber ist das so weit ab von der Realität? Auch wenn sie immer weiter
hinausgezögert wird, die Jugend mit all ihren mitunter radikalen Idealen endet
irgendwann. Allen Unkenrufen zum Trotz ist dies keine Assimilierung in
„bürgerliche Werte“ sondern ein Entwicklungsprozess, der nicht automatisch
bedeutet, zu einer leeren Hülle seines Selbst zu werden. Keller ist 39 und
bereit, Erwachsen zu werden. Was das im Einzelnen bedeutet, ist dann ja immer
noch jedem selbst überlassen.
So wird
Herzogs/Günters Werk zu einem Film über das Leben, die Veränderungen und wie
Widerstand gegen diese nur zu Lähmungen führt, die ihrerseits ein aktives
Gestalten verhindern – also ein vielseitig interpretierbares Konzept. Wintergast ist großes kleines Kino.
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