Dienstag, 24. Dezember 2013

Charles Dickens - Eine Weihnachtsgeschichte (1951)



CHARLES DICKENS – EINE WEIHNACHTSGESCHICHTE
(Scrooge)
Großbritannien 1951
Dt. Erstaufführung: 24.12.1966 (TV-Premiere)
Regie: Brian Desmond Hurst

Geschäftsmann Ebenezer Scrooge (Alastair Sim) lebt im London des ausgehenden 19. Jahrhunderts und ist für seine Hartherzigkeit bekannt. Im Laufe seines Lebens hat er so ziemlich jeden Menschen verprellt, nur zu seinem Geschäftspartner Jacob Marley (Michael Hordern) verband ihn eine Freundschaft. Nun, sieben Jahre nach seinem Tod, an einem kalten Heiligen Abend, steht Marley wieder vor Scrooge – in Ketten gelegt und etwas durchsichtig. Als Geist zurückgekommen warnt er seinen Partner davor, sein Leben weiterhin dem bloßen Anhäufen von Geld bei gleichzeitiger Missachtung aller emotionalen Bindungen zu den Menschen um sich herum zu widmen. Zur Unterstreichung dieses Anliegen soll Scrooge Besuch von drei Geistern bekommen, die ihn läutern sollen. Als die Uhr eins schlägt, steht schließlich der Geist der vergangenen Weihnacht (Michael Dolan) vor ihm und nimmt ihn mit auf eine emotionale Tour-de-Force durch Scrooges Vergangenheit. Werden er und die anderen Geistern ihre Mission erfüllen und aus dem Grantler einen Gutmenschen machen können?

Die Frage ist natürlich nur hypothetisch, denn jeder dürfte Charles Dickens, seine Weihnachtsgeschichte und ihre Dramaturgie kennen. Im Laufe der Jahre hat es viele Varianten des Stoffs gegeben, Onkel Dagobert versuchte sich ebenso als Scrooge wie Michael Caine, umringt von Muppets. Patrick Stewart, Albert Finney, George C. Scott, Bill Murray – sie alle waren bereits Ebenezer Scrooge, aber alle müssen sich, zumindest was die englischsprachige Welt betrifft, mit Alastair Sim messen, der vielen als die definitive Verkörperung der Figur gilt. In Deutschland kam der Film erst 15 Jahre nach seiner Premiere im Vereinigten Königreich an – als TV-Premiere am Heiligen Abend. Sicherlich eine passende Programmierung, aber ein wenig respektvoller Umgang mit einem Film, der selbst als beste Verteidigung ins Feld gehen kann gegen jedwede Einwände á la „Ist er wirklich so gut?“ Die Antwort ist einfach: Charles Dickens – Eine Weihnachtsgeschichte ist so gut und er hat es ohne Frage nicht verdient, heute auf obskuren Sendern zu verrotten (die letzte Ausstrahlung bei der Entstehung dieser Besprechung liegt fast ein Jahr zurück, Weihnachten 2012 auf Das Vierte – unterbrochen von diversen Teleshopping-Werbeblöcken).

Charles Dickens – Eine Weihnachtsgeschichte ist in schwarz/weiß gedreht, was einige heutige Zuschauer abschrecken mag. Doch dadurch beraubt man sich nur eines hervorragenden Filmgenusses. Im Kern ein Märchen ist der Film ähnlich elegant wie die von Jean Cocteau in Kriegstrümmern 1946 inszenierte Version von Die Schöne und das Biest – eine gleichsam unheimliche wie anrührende Atmosphäre, deren Ästhetik etwas zutiefst zeitloses hat. Man kann heute Scrooges Reise durch die Zeit sicherlich spektakulärer in Szene setzen, aber das Stundenglas, dass Regisseur Brian Desmond Hurst hier einsetzt hat einen unvergleichlichen Charme. Der Film findet für jedes technisch bedingtes Darstellungsproblem seiner Zeit eine Lösung, die auch heute noch Bestand hat. Einiges hat mit der schier unzerstörbaren Kraft der Vorlage zu tun, anderes mit der sorgfältigen Inszenierung Hursts. Man spürt, wie viel Akribie von allen Beteiligten in das Projekt investiert wurde und dies zahlt sich im fertigen Film aus. Mit nur knapp über 80 Minuten Laufzeit ist der Film schnell vorbei, man hat aber das Gefühl, länger ein Teil von Scrooges Welt gewesen zu sein, so hervorragend ist die Dramaturgie, so genau abgestimmt kommt der Film daher. Keine Szene ist verschwendet, keine Einstellung überflüssig.

Man kann verstehen, warum Alastair Sim in Cineastenkreisen so beliebt ist: sein Scrooge ist eine bestechende Leistung. Das Entscheidende an jeder Interpretation der Charakters ist immer seine Dualität: man muss dem Darsteller sowohl den Misanthropen wie den Humanisten abnehmen und Sim gelingt diese Gratwanderung bemerkenswert gut. Er ist als arroganter Mann, dessen Gesicht seine Abscheu kaum verbergen kann, am Anfang ebenso effektiv wie in der Konklusion, wenn seine Reue und seine Wandlung genuin daherkommen. Sim nimmt die Dualität in sich auf und verschafft ihr eine ungemeine Präsenz. Da sich der Film auch hauptsächlich mit der Vergangenheit des Charakters beschäftigt (dramaturgisch sinnvoll, die Gegenwart und die hypothetische Zukunft sind ohnehin nur Möglichkeiten, die sich aus der Vergangenheit ergeben) bringt uns Sim auch Scrooges Evolution kongenial nahe. Man kann sein Verhalten in der filmischen Gegenwart nicht gutheißen, aber man kann sehr wohl nachvollziehen, warum er so geworden ist, wie er ist. Wieder findet der Film einen adäquaten Ausdruck für die Stärke der Dickens’chen Gedanken.

Charles Dickens – Eine Weihnachtsgeschichte erinnert den Zuschauer daran, dass wundersame Dinge passieren können. Die Inszenierung, die das märchenhafte nicht versucht zu verstecken sondern mit offenen Armen begrüßt, und ihr hervorragender Hauptdarsteller verhelfen dem Film zum Erfolg. Und es ist weniger der Nostalgiefaktor, der bei einem Film von 1951 auch immer eine Rolle spielt, der Hursts Version so großartig macht, sondern eine wirkliche filmische Qualität. Charles Dickens – Eine Weihnachtsgeschichte ist sorgsam erstellt, clever in seinen Kompositionen und unverfälscht in seinem Herzen.




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Montag, 23. Dezember 2013

Ist das Leben nicht schön? (1946)




IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN?
(It’s a Wonderful Life)
USA 1946
Dt. Erstaufführung:  25.12.1962 (TV-Premiere)
Regie: Frank Capra

George Bailey (James Stewart) ist verzweifelt. Jahrelang hat er die Arbeiter seiner Heimatstadt Bedford Falls vor den Machenschaften des raffgieren Potter (Lionel Barrymore) bewahrt, doch nun hat sein schusseliger Onkel (Thomas Mitchell) 8.000 Dollar verloren und George steht vor dem Ruin, zusammen mit seiner Bank und allen Leben, die daran hängen. Seine Lebensversicherung indes ist 15.000 Dollar wert. Also beschließt George, seinem Leben an diesem verschneiten Heilig Abend ein Ende zu setzen, um so viele andere Leben zu retten. Schließlich wären sie ohnehin immer besser ohne ihn dran gewesen, nicht wahr? Nein, meint Clarence (Henry Travers), ein Engel, der sich mit der Rettung von George seine Flügel verdienen möchte. Er zeigt ihm, wie Bedford Falls aussehen würde, wenn er nie existiert hätte und wie viele Leben sich zum schlechteren, nicht zum guten, verändert hätten.

All dies, Cineasten ohnehin seit langem bekannt, spielt sich in der letzten halben Stunde des zwei Stunden starken Films ab. Es ist wohl nur der Konklusion zu verdanken, dass Ist das Leben nicht schön? als DER Weihnachtsfilm schlechthin gehandelt wird, vor allem in den Vereinigten Staaten. Denn ansonsten hat Frank Capras Film mit dem Fest nicht viel zu tun, 1 ½ Stunden werden auf die Schilderung von Georges Leben verwendet und da geht es weniger um Weihnachten als um zerplatzte Träume und wirtschaftliches Überleben im Zwiespalt zwischen Wirtschaftlichkeit und Altruismus. Aber natürlich kann man auch hier einen Festverweis finden – geben ist seliger als nehmen.

Es gibt viele Szenen, Sequenzen und Details in Ist das Leben nicht schön?, die im Gedächtnis bleiben. Die Dramaturgie erweist sich dabei als manchmal etwas unglücklich. In Georges Kindheit wird die Erklärung für ein plot device, seine Taubheit auf einem Ohr, geliefert, um dann zu einer der emotional packensten Sequenzen zu schwenken: George bewahrt ein anderes Kind vor der Vergiftung durch einen trauernden Apotheker, der versehentlich Pillen mit Gift anstelle eines Wirkstoffs herausgegeben hat. Dies ist in seiner scheinbaren Beiläufigkeit so kraftvoll, dass man sich mehr Szenen mit kindlichem Mut wünscht, weil sie eben so völlig unprätentiös sind – George tut das Richtige ohne vorherige Überlegungen. Doch dann erfährt man sehr viel über den erwachsenen George, wie er sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss und seine Reisepläne, seine Hoffnungen, dass Kaff Bedford Falls zu verlassen, immer wieder durchkreuzt werden. George verzichtet for the greater good auf eine Europareise, aufs College, sogar auf seine Hochzeitsreise. Er ist der leidensfähige Lakai der Stadt und es hat auch etwas Tragisches an sich, dass ihm alles verwehrt wird. Sicherlich, man soll es als Bebilderung des Ausspruchs „Das Leben ist das, was passiert, wenn du andere Pläne machst“ sehen und sich mit George freuen, wenn am Ende die gesamte Stadt für ihn eintritt, was letztlich ja auch zur eigenen Rettung beiträgt. Und so wunderschön das Finale an sich auch ist, man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass Capra seinem Helden etwas zu viel versagt. Und natürlich wird auch der Schurke Potter nie zur Rechenschaft gezogen. Man soll ihn bedauern, weil er keinen solch gesellschaftlichen Rückhalt wie George hat, aber das ist Potter schlicht egal. Und Menschen bedauern, die um ihre eigene charakterliche Misere nicht wissen, ist im Film immer etwas unbefriedigend.

So sind George und Potter keine dreidimensionalen Figuren und wer argumentiert, der Film sei ein modernes Märchen und darum nicht verpflichtet zur tiefergehenden Charaktersierung jenseits von Chiffren, der sollte sich daran erinnern wie sehr sich Capra um Authenzität bemüht. Wenn es um Darlehen und drohende Bankenkollapse geht, dann bekommt man sehr wohl das Gefühl, dass etwas auf dem Spiel steht. Wenn George seine Familie anherrscht, dann kann man den Schock der Kinder förmlich spüren. So schafft es der Film gleichermaßen extrem sorgsam und an entscheidenden Stellen etwas fahrig zu sein. Womöglich ist es aber auch so, dass der ungebrochene Optimismus des Films den Zuschauer so sehr packt, dass man sich schlicht nicht damit abfinden will, dass George keinen seiner Träume verwirklichen kann. Zuhause ist es doch eh am schönsten, nicht wahr…?

Bei aller Kritik, die man auch bei einem Klassiker wie Ist das Leben nicht schön? anbringen kann, ist er als Gesamtpaket doch ein ziemlich unterhaltsame Sache. Von Dingen, die der Entstehungszeit geschuldet und heute etwas irritierend wirken (in der alternativen Realität ohne George hat seine Frau nie geheiratet, ist eine „alte Jungfer“, trägt Brille und arbeitet in einer Bibliothek – das Höchstmaß an weiblicher Nicht-Erfüllung anno 1946, heute peinlicher Sexismus) ist der Film in seinem Kern gut gealtert. Eine Bank wie die der Baileys dürften sich viele Menschen heute wieder wünschen und auch wenn die Dramaturgie an mancher Stelle zu viel, an anderer zu wenig investiert, bleibt der Kern unangetastet. Als menschliches Drama funktioniert Ist das Leben nicht schön? hervorragend, er ist elegant inszeniert und – wie gesagt – das Ende… Nichts für Hardcore-Zyniker, das ist klar, aber wer aus dieser Gruppe würde schon einen Film mit diesem Titel ansehen? Der weihnachtliche Aspekt wurde vielleicht in der Retrospektive etwas wichtiger, als er dem Film an sich war (in den USA lief der Film auch im Januar an, nicht etwa im Dezember), aber es ist unbestreitbar, dass er so etwas erschuf, dass viele Menschen anrührte. Selbst wenn es nicht gänzlich absichtlich geschah – schön ist es trotzdem.

Ist das Leben nicht schön? ist bei allen kleineren Mängeln ein hervorragender Film über bedingungslose Hingabe an die Mitmenschen. In einer Welt, in der der hemmungslose Egoismus zwar angeprangert wird, sich aber trotzdem weiter ausbreitet, sollten wir vielleicht alle etwas mehr wie George Bailey sein. Man muss ja nicht gleich alle Träume aufgeben.



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Sonntag, 22. Dezember 2013

Wunder einer Winternacht - Die Weihnachtsgeschichte (2007)





WUNDER EINER WINTERNACHT – DIE WEIHNACHTSGESCHICHTE
(Joulutarina)
Finnland 2007
Dt. Erstaufführung:  01.10.2009 (DVD-Premiere)
Regie: Juha Wuolijoki

Manchmal, wenn man Glück hat, stolpert man bei den zahlreichen DVD-Premieren, die den Markt überschwemmen, zwischen der ganzen Dutzendware auch mal auf eine wirkliche Perle. Während man noch nachvollziehen kann, dass veritablen Flops hierzulande eine Kinoauswertung verwehrt wird, verhält es sich bei Wunder einer Winternacht anders, in seinem Entstehungsland Finnland kam er sogar zwei Jahre hintereinander ins Kino. Die Nachfrage muss dementsprechend riesig gewesen sein – gemessen an einem Land von vergleichsweise überschaubarer Einwohnerzahl.  In Deutschland lief der Film auf einem Kinderfilmfestival, dann erschien er zwei Jahre nach seiner finnischen Premiere auf DVD. Dort konnte er zwar ein großes Publikum anziehen, wenn man der Werbung auf dem Cover glauben darf, aber warum man ihn nicht ins Kino brachte bleibt schleierhaft. Denn Wunder einer Winternacht ist womöglich einer der besten, familientauglichsten Weihnachtsfilme, die je gedreht wurden.

Finnland in einer nicht näher definierten Vergangenheit ohne Elektrizität: der kleine Nikolas (Jonas Rinne) verliert seine Eltern und seine kleine Schwester durch einen Unfall. Das Dorf beschließt, gemeinsam für den Jungen zu sorgen, Jahr für Jahr lebt er bei einer anderen Familie, damit die Belastung gleich mäßig verteilt wird. Mit dreizehn Jahren nimmt sich der grantelnde Tischerlermeister Iisakki (Kari Väänänen) des Jungen an und Nikolas (nun gespielt von Otto Gustavsson) geht bei ihm in die Lehre. Die beiden raufen sich langsam, aber sicher zusammen und als Iisakki von Nikolas‘ alljährlicher Tradition erfährt, für die Kinder seiner Gasteltern Geschenke zu schnitzen, hilft er ihm sogar dabei. Die Jahre gehen ins Land und auch als Erwachsener frönt Nikolas (nun Hannu-Pekka Björkman) noch seiner Leidenschaft, dem Beschenken von Kindern in der Weihnachtsnacht. Inzwischen hat er auf alle Kinder des Dorfes expandiert, welches seinerseits stetig wächst. Als der alte Iisakki von seinen Söhnen zum Ruhestand in die Stadt geholt wird, vermacht er Nikolas nicht nur sein Haus mit Werkstatt, sondern auch ein stattliches Vermögen. Nikolas beginnt, nur noch für das Weihnachtsfest zu arbeiten, um als unerkannter Gabenbringer nicht nur den Kindern eines alten Dorfes, sondern auch der umliegenden Höfe und Ortschaften in der Heiligen Nacht eine Freude zu machen. Doch kann dieses „Geschäft“ auf Ewigkeiten Bestand haben, wo doch auch Nikolas altert…?

Mit einem vergleichsweise lächerlichen Budget von 2,5 Millionen Euro ist Regisseur Juha Wuolijoki ein kleines Meisterwerk geglückt. Nicht nur, dass der handwerklich überaus sorgsam erstellte Film sehr hochwertig aussieht, ein gutes Drehbuch kann man ohnehin kaum mit Gold aufwiegen und mit Marko Leino hatte man augenscheinlich eine gute Wahl getroffen. Sein Buch kann als Blaupause für einen perfekten Familienfilm herhalten: es überfordert niemanden, auch keine sechsjährigen Zuschauer, aber es vermeidet auch gewissenhaft Unterforderung. Die Figuren sind sympathisch, die Wendungen berührend und der Kitsch fast nicht existent. Wunder einer Winternacht erzählt die Werdung des Weihnachtsmannes auf denkbar angenehme Weise. Es gibt keinen meterdicken Zuckerguss, keine seltsamen Elfen, keine sprechenden Rentiere, keine Slapstickeinlagen – einfach nur eine dramaturgisch hervorragend konstruierte Geschichte, deren Humor eher auf leisen Sohlen daherkommt, anstatt mit dem Holzhammer. Clever ist auch, wie viele Versatzstücke des Weihnachtsmythos der Film aufgreift und einbaut: Knecht Ruprecht, die Rentiere, warum man als Weihnachtsmann eine rote Mütze braucht, der Santa begleitende Engel, ja sogar der Zwiespalt zwischen beschenkenden Eltern und der Existenz des Weihnachtsmannes wird aufgegriffen. Wunder einer Winternacht weiß um die Evolution von Sagen und Mythen, ohne diese für die kleinsten Zuschauer zu zerstören. Wenn am Ende etwas jenseitige Magie am Werk ist, dann findet der Film auch dort das rechte Maß, um nicht in den weniger charmanten Ecken des Weihnachtskitsches zu versinken.

Selbst Klischees werden durch Leino und Wuolijoki so gekonnt eingesetzt, dass sie nicht wie der x-te Aufguss wirken. Iisakki ist natürlich der „übliche“ Brummbär, dessen weichen Kern es freizulegen gilt, natürlich ist Nikolas der aufopferungsvolle Held, der nie an sich denkt und keine scharfen Ecken und Kanten hat, aber die schlicht überbordende Sympathie, die man als Zuschauer diesen liebevoll gezeichneten Figuren, bei allen Versatzstücken, entgegenbringt, lässt dies gut verkraften. Bei all dem weihnachtlichen Müll, der auf diversen Speichermedien zu dieser Zeit endgelagert wird, bei all den müden Versuchen, aus Bausteinen etwas von Wert zu bauen, ist es eine wahre Wohltat, wenn es einem Film gelingt. Wunder einer Winternacht ist als Kinderfilm ein voller Erfolg, ebenso als Familienfilm. Mit schier unendlich viel Liebe inszeniert, ausgestattet und gespielt ist Wunder einer Winternacht mehr wert als eine DVD-Premiere. Er hat es verdient, als einer der besten Weihnachtsfilme überhaupt in die Annalen einzugehen.



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Samstag, 21. Dezember 2013

Merry Christmas (2005)




MERRY CHRISTMAS
(Joyeux Noël)
Frankreich/Deutschland/Großbritannien/Rumänien/Belgien/Norwegen 2005
Dt. Erstaufführung: 24.11.2005
Regie: Christian Carion

Die Aussage, es gäbe keine Anti-Kriegsfilme, hat etwas für sich. Schließlich erliegt ein jeder Film, der Krieg bebildert, in gewisser Weise auch dessen morbider Faszination. Film als visuelles Medium muss Wege finden, das Grauen zu zeigen und genau in dieser Bebilderung liegt die Krux: wie filmtauglich kann man Krieg abbilden, wie technisch versiert zeichnet man Wunden, Tote, Scharmützel? Und letztlich: wie „unterhaltsam“ inszeniert man es. Ja, man sollte sich nichts vormachen, auch die besten Genrevertreter wie Platoon haben immer noch einen Rest an Schaulust in sich, wenn Krieg zum Kino wird schwingt immer etwas Restfaszination mit. Merry Christmas nun ist einer der Filme, der der Maxime des Anti-Kriegsfilms tatsächlich sehr nah kommt. Schlachten spielen keine große Rolle, es geht um den menschlichen Faktor. Und dass der von Christian Carion inszenierte Film auf einer wahren Begebenheit beruht, macht ihn nur noch unglaublicher.

1914: Der erste Weltkrieg tobt in Europa. Nachdem die jungen Männer mir Hurra-Schreien an die Front gezogen sind, bemerken sie sehr schnell, dass die binnen kürzester Zeit mögliche Beilegung des Konflikts nur eine Mär der Mächtigen war. Niemand wird, wie versprochen, Weihnachten wieder daheim sein. So kommt es am Heiligen Abend zu einem denkwürdigen Ereignis: Franzosen, Schotten und Deutsche, vor kurzem noch erbitterte Feinde, legen die Waffen nieder und feiern zusammen Weihnachten. Es wird getrunken, gesungen, eine Messe gehalten, man tauscht Geschichten und Adressen. Am nächsten Tag, als sie sich eigentlich wieder als Todfeinde gegenüberstehen sollen, schweigen die Waffen. Genauso wie am darauffolgenden und den kommenden Tagen…

Despektierlich könnte man Merry Christmas einen Euro-Pudding nennen, jene Bezeichnung für aus allen Ecken Europas finanzierte Filme, die dann oft auch inhaltlich und gestalterisch zum fahrigen Stückwert werden. Doch Merry Christmas behandelt nicht nur eine genuin europäische Geschichte, er nimmt die verschiedenen Geldtöpfe auch nicht als Ausrede für sinnloses location hopping. Dies ist tatsächlich ein wohlschmeckender Euro-Pudding, auch wenn die Zutaten nicht das absolut Beste sind, was man bekommen konnte.

Am schlimmsten hat es die Deutschen getroffen. Während Daniel Brühl als Kommandant noch durchgeht, hat man sich mit Benno Fürmann und vor allem Diane Kruger keinen Gefallen getan. Fürmann lässt die oftmals schon hölzern geschriebenen Dialoge noch hölzerner erscheinen und Kruger beweist einmal mehr, dass Schauspielerei nicht zu ihren großen Stärken zählt. Als ihre Singstimme hört man Natalie Dessay, die nicht nur bezaubernd singen kann, sondern auch Schauspiel studiert hat. Kruger dagegen ist ein Model, das irgendwie zum Film gekommen ist (und die bisher lediglich in Barfuß auf Nacktschnecken glänzen konnte). Passte Dessay nicht ins Konzept, weil man unbedingt eine ausdruckslose deutsche Schauspielerin brauchte, die eine singende Dänin mimt?

Immerhin können aber auch mittelprächtige schauspielerische Leistungen das absolute Herzstück des Films nicht ankratzen. Die Soldaten die, beseelt von Weihnachten, aus ihren Schützengräben kommen, aufeinander zugehen und beginnen, sich zu fraternisieren, ist der Stoff, aus dem Kinomagie gewebt wird. Ebenso kraftvoll ist das nachfolgende Dilemma: kann man danach auf Menschen schießen, mit denen man am Abend zuvor noch Wein getrunken hat? Auch die lakonisch durchgespielte gegenseitige Einladung, die Bombardierung der Gegenseite doch im jeweils anderen Schützengraben zuzubringen, ist einer der großen Momente, die Merry Christmas bietet. Dem Wahnsinn des Krieges kann man nur die pure Menschlichkeit gegenüberstellen und Merry Christmas gelingt es, diese vielleicht etwas plakative, aber nichtsdestotrotz wahre Aussage so zu bebildern, dass der Pathos nicht übernimmt.

Ein bisschen erhält man den Eindruck, weil das Kernstück des Films so überragend, die Wahrheit so berauschend ist, ist der Rest des Films nur Staffage. In politische Einzelheiten wird sich nicht ergangen, man sieht kurz die Kriegslust junger Männer, bevor sie losziehen und die Angst Deutschlands, eingekesselt zu sein, wird kurz erwähnt, aber mehr auch nicht. Merry Christmas ist so sehr auf die weihnachtliche Episode konzentriert, dass er den Kontext größtenteils vergisst und seine Charaktere danach auch zusehends aus den Augen verliert. Wenn der französische Befehlshaber nach Verdun abkommandiert und die deutsche Einheit an die Front nach Russland gekarrt wird, dann kann man sich ihr Schicksal gewissermaßen ausmalen, aber Carion verweigert eine definitive Antwort, was man gut und schlecht bewerten kann. Zum einen erhält man so einen Kriegseinblick – auch die Menschlichkeit kann nicht vor einem ungewissen Schicksal bewahren – andererseits baut sich etwas Frustpotenzial auf, weil man trotz des Reißbrettcharakters vieler Figuren wissen möchte, was mit ihnen passiert, ob Versprechungen eingehalten werden, Freundschaften auch nach dem Krieg Bestand haben können. Carions größte Leistung ist sicher, aus Merry Christmas einen durch und durch menschlichen Film gemacht zu haben, der so an den emotionalen Grundfesten unserer Spezies rührt, dass man die filmischen Unzulänglichkeiten ein Stück weit vergessen kann.

Merry Christmas hat seine dramaturgischen, gestalterischen und darstellerischen Schwächen, aber der „kleine Frieden im großen Krieg“ ist so gut gelungen, so anrührend und unfassbar, dass es schwer fallen dürfte, rein gar nichts aus dem Film mitzunehmen. Er eignet sich nicht als übergreifende Geschichtsstunde, seine Dialoge sind oft forciert und gestelzt, aber dennoch rührt Merry Christmas an. Selbst im Krieg kann die Menschlichkeit siegen – eine Aussage, die auch fast 100 Jahre nach dem Ereignis kraftvoll und hoffnungsfroh daherkommt wie eh und je.


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