Montag, 27. Januar 2014

The Breakfast Club - Der Frühstücksclub (1985)




THE BREAKFAST CLUB – DER FRÜHSTÜCKSCLUB
(The Breakfast Club)
USA 1985
Dt.
Erstaufführung: 05.07.1985
Regie: John Hughes

Ein Problem mit Genre-definierenden Filmen ist, dass sie durch die Flut an Nachahmern an Strahlkraft verlieren können. Es ist leider eine Tatsache, dass in manchen Kreisen ein Werk wie Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt nicht den Respekt bekommt, dass es verdient – unzählige mehr oder minder offensichtliche Plagiate, die womöglich „schneller“ daherkommen als das sich mehr auf Atmosphäre denn plumpe Schocks verlassene Original, haben die Wahrnehmung getrübt (über Hardcore-Fans von It! The Terror from beyond Space wollen wir an dieser Stelle gar nicht erst reden). The Breakfast Club ist ein ähnlicher Fall: die unglaubliche Flut an Teeniekomödien, die sich mal mehr, mal weniger auf John Hughes Instant-Klassiker berufen, verstellen manchmal den Blick auf einen der vielleicht ehrlichsten Vertreter des Subgenres. Doch während viele Nachfolger die Klischees, mit denen Hughes spielt, aufgreifen und sie als Stereotype stehen lassen, bricht The Breakfast Club genüsslich mit ihnen. Es gibt sehr viel Material in diesem Film, für das die Amerikaner den schönen Ausdruck cheesy haben – latent peinliche Szenen, die durch Nostalgie besser davon kommen als sie eigentlich dürften. Aber unter der Oberfläche liegt ein Film, dessen Verständnis für pubertierende Gehirne so unverkrampft und wahr daherkommt, dass The Breakfast Club auch jenseits der 1980er Jahre noch etwas zu sagen hat.

März 1984, eine High School in Illinois, USA, Samstagmorgen: Fünf sehr unterschiedliche Charaktere, jeder aus einer anderen „Kaste“ der Schule, müssen sich um 7 Uhr in der Bibliothek einfinden, um dort wegen verschiedener Vergehen nachzusitzen. Die Gruppe besteht aus Andrew (Emilio Estevez), Mitglied der Ringermannschaft, dem beliebtesten Mädchen der Schule, Claire (Molly Ringwald), dem Nerd Brian (Anthony Michael Hall), dem Rebell John (Judd Nelson) und der sehr eigenen Außenseiterin Allison (Ally Sheedy). Beaufsichtigt vom kleinkarierten Lehrer Richard Vernon (Paul Gleason) sollen sie einen Aufsatz zum Thema „Wer bin ich?“ schreiben. Doch ihrer Identität sind sie sich nur oberflächlich bewusst, offerieren die Stunden der Zwangsgemeinschaft doch nach und nach neue, ungeahnte Einblicke in den Charakter des jeweils anderen…

…und entlarvt nebenher das Artifizielle des „Kastensystems“ an amerikanischen High Schools. Es kommt wohl auf die Schulform und die einzelnen Klassen an, inwieweit sich dies auch auf deutsche Schulen übertragen lässt, aber in der Quintessenz hat The Breakfast Club etwas bemerkenswert Universelles an sich. So interessiert sich Hughes sehr für das Innenleben seiner Figuren und nimmt die Stereotypen nur als Aufhänger. Die Konstellation des Breakfast Club wurde bereits massenhaft kopiert, Hughes erforscht aber die Figuren hinter dem Klischee und begnügt sich nicht mit der Ausstellung des Status Quo. Cliquendenken wird hier genauso infrage gestellt wie Hughes, bei der Veröffentlichung des Films immerhin 35 Jahre alt, eine ungeheure Sicherheit in der Zeichnung seiner jugendlichen Figuren beweist. Alle Protagonisten sind bereits über die I know it all-Phase der frühen Pubertät hinaus, der „Ernst des Lebens“ schleicht sich unaufhörlich heran und diese Erkenntnis sorgt bei allen für eine bittersüße Grundstimmung. Denn allen ist klar, dass sie langsam ihr Leben selbst verhandeln müssen, was zu inneren Konflikten zwischen Sehnsucht und Pragmatismus führt. Wenn Andrew offenbart, dass er sein Sportlerimage nur seinem Vater zuliebe pflegt, er sich eigentlich etwas anderes für sein Leben vorstellt (was, das kann er, ganz Teenager, nicht wirklich benennen), seinen Vater und seine Werte verachtet und von seinen eigenen Taten bestürzt ist, dann dürfte dies eine der besten Darstellungen von teen angst sein, die je auf Film gebannt wurde. Die Furcht, so zu werden wie die eigenen Eltern, wird ohnehin nie an Brisanz verlieren, zumal die Diskussionen, die die Figuren in diesem Film führen, in der Realität mitunter noch Jahre jenseits der Adoleszenz weitergesponnen werden. So ist es auch nur folgerichtig, dass sich Brian mit Selbstmordgedanken wegen einer schlechten Zensur (in Werken!) trägt. Für einen Erwachsenen mag das befremdlich sein („Davon geht die Welt doch nicht unter…“), aber in der Logik der Pubertät ist es tatsächlich für manchen eine Option, die durchgespielt wird. Hughes, in den USA ohnehin auf Ewigkeiten mit dem Ruf des „ewigen Teenagers“ tituliert, weiß ganz genau, wie Menschen in diesem Alter ticken und es ist eine zusätzliche Leistung, dass The Breakfast Club auch noch für Zuschauer jenseits des Kernpublikums funktioniert. Der Film ist äußerst sorgfältig inszeniert.
Dabei sollte auch erwähnt werden, dass sich der Film auch nicht auf eine simple Schwarz/Weiß bzw. Oben/Unten Schilderung verlässt, die (wenigen) Erwachsenen im Film also nicht als bloße Antagonisten zeichnet. Vernon ist ein kleinkarierter Bürokrat, jene Sorte negativer Lehrer, die wohl jeder während seiner Schulzeit hatte. Doch Hughes lässt ihn nicht zum zahnlosen Schurken verkommen. Sicher, Vernon nutzt seine Machtposition, die sich natürlich nicht durch Können oder zwischenmenschliche Qualifikationen erklären lässt, aus, aber der Film gibt ihm darüber hinaus einen Grund dafür. Dieser muss zwar durch den Hausmeister Carl (John Kapelos) hinterfragt werden, aber Vernon wird dadurch (in Verbindung mit einigen weiteren Details) zu mehr als einem bloßen Abziehbild.

Man wünscht sich eine ähnliche Sensibilität im Umgang, wie sie The Breakfast Club zeigt, für die Realität. Es ist schwierig zu sagen, ob sich ein jugendliches Publikum heute noch genauso für den Film erwärmen könnte wie in den 1980er Jahren, denn er ist dank Musik und Kostümen eindeutig ein Kind seiner Zeit. Allerdings spricht sein pures Verständnis für die Figuren sehr für ihn. Die Parameter mögen sich ändern, der Kern bleibt davon aber unangetastet. The Breakfast Club ist ein sehr viel intelligenterer Film, als man ihm auf den ersten Blick zutrauen würde und er hat das unbestreitbare Potenzial, dass ich auch noch sehr viele künftige Generationen von Filmfreunden die Frage stellen werden: Was passiert am Montag?




Flucht vom Planet der Affen (1971)




FLUCHT VOM PLANET DER AFFEN
(Escpae from the Planet of the Apes)
USA 1971
Dt. Erstaufführung: 12.08.1971
Regie: Don Taylor

Wenn der Vorgänger Rückkehr zum Planet der Affen bereits eine rechts sinnlose Angelegenheit war, eher ein „Best Of“ des ersten Teils denn ein sich organisch bewegender eigenständiger Film, so muss man bei der zweiten Fortsetzung, Flucht vom Planet der Affen, all seinen Willen zur Unterhaltung aufbringen, um die Prämisse zu verdauen. Der Plot ist ein Schweizer Käse, voller bemerkenswert offensichtlicher Logiklöcher. Umso erstaunlicher, dass das Endergebnis durchaus eine Stufe besser ist als sein Vorgänger. Flucht vom Planet der Affen lebt von der Umkehr der Verhältnisse aus Franklin J. Schaffners Genreklassiker. Das mag dramaturgisch herzlich wenig sein, garantiert aber 90 Minuten genügsame Unterhaltung.

1973: An der Pazifikküste der USA notwassert ein Raumschiff, dem drei sprechende, intelligente Schimpansen entsteigen: Cornelius (Roddy McDowall), Zira (Kim Hunter) und Milo (Sal Mineo). Sie kommen aus der Zukunft der Erde und werden selbstredend schnell zu Medienstars. Doch das kuriose Interesse weicht bald einer diffusen Angst, als herauskommt, dass Zira schwanger ist. Die Furcht, dass mit ihrem Kind die Herrschaft der Affen über den Menschen eingeläutet werden könnte, fliehen die eben noch Geliebten in den Untergrund.

War Charlton Hestons Aufenthalt unter sprechenden Affen noch Anlass zu diversen satirischen Seitenhieben auf die Gesellschaft des Jahres 1968, wird das Leben der Affen unter Menschen hier hauptsächlich als Blaupause für breit angelegten Humor gesehen. Die Affen tragen Anzüge, trinken Sekt, genießen die Annehmlichkeiten der Moderne – das ist alles recht nett anzusehen, aber auch ziemlich austauschbar.
Über den Durchschnitt hebt sich der Film aber, wenn er sich auf politische und ethische Debatten einlässt, die das Schicksal der Besucher betreffen. Darf man bei Zira einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen, nur weil die Möglichkeit besteht, dass die Zukunft, aus der sie kommen, auch eintrifft? Haben sie durch ihre Flucht nicht vielleicht bereits den Lauf der Geschichte geändert? Und wie ist mit nicht-menschlichen, vernunftbegabten Wesen generell umzuspringen? Flucht vom Planet der Affen versucht offensiv, wieder näher an den Subtext des ersten Teils heranzukommen, was ihm manchmal sehr viel besser gelingt als man es nach dem Aufhänger zu urteilen meinen dürfte.

Ist der Film erst einmal in seiner Geschichte angekommen, funktioniert er recht ordentlich, der Weg dahin bereitet aber einige Kopfschmerzen. Cornelius, Zira und die Deus-ex-machina-Figur Milo haben nach eigenen Angaben das Raumschiff von Taylor aus dem ersten Teil gefunden, repariert und sind mit ihm ins All geflogen. Woher nahmen sie Affen, die in einer vorindustriellen Gesellschaft lebten, das Wissen, ein Raumschiff (!) wieder flugtüchtig zu bekommen? Und warum sind sie ohne ein Wort darüber gegenüber Brent zu erwähnen einfach ins All geflogen? Und wie haben sie Taylors Raumschiff überhaupt aus dem See tief in der verbotenen Zone geborgen? Und wie konnten sie dies vor den bigotten Orang-Utans und den militaristischen Gorillas geheim halten? Man erkennt schnell, dass der Aufhänger von Flucht vom Planet der Affen keinerlei Analyse stand hält und da hilft es auch nicht, den Charakter Milo einzuführen, einen angeblich äußerst fortschrittlichen Schimpansen, nur um ihn dann nach kurzer Zeit aus der Geschichte zu schreiben, um weiteren unangenehmen Fragen nach dem Sinn aus dem Weg zu gehen.

Doch, wie gesagt, hat man erst einmal den dürftigen Einstieg überstanden (und wenn man sich nicht dazu bringen kann, die Prämisse trotz ihrer Dummheit zu akzeptieren, wird man wohl auch weniger Spaß an dem gesamten Film haben), offeriert auch Flucht vom Planet der Affen seinen Anteil an Sozialsatire und gesellschaftlichem Kommentar, der erst im Spiegel des 1970er Jahre und des Klimas in den USA seine volle Wirkung entfaltet. Hinzu kommen einige hübsche Gags und ein Ricardo Montalban, der als Zirkusbesitzer Armando so ein overacting betreibt, dass es eine wahre Freude ist.

Flucht vom Planet der Affen kann sich in der Retrospektive als beste Fortsetzung des Originalfilms sehen lassen. Abgesehen davon, dass er auf einem zunächst schwer zu akzeptierenden Fundament steht, bietet der Film dennoch genug Denkanstöße, satirische Spitzen und das gewohnt großartige John-Chambers-Make-Up, um nicht langweilig zu werden. An die Klasse des Originals kommt er nicht heran, aber die nachfolgenden Jahre sollten zeigen, dass es noch sehr viel schlechter geht.




Donnerstag, 23. Januar 2014

12 Years a Slave (2013)




12 YEARS A SLAVE
USA/Großbritannien 2013
Dt. Erstaufführung: 16.01.2014
Regie: Steve McQueen

Das Schöne an der deutschen Kinolandschaft ist, dass sie so unglaublich vielfältig ist und auch sehr viele Filme jenseits des Hollywood-Mainstreams in die Abspielstätten bringt. Das Schlechte an ihr ist, dass man manchmal etwas Geduld aufbringen muss, bis ein Film auch in Deutschland erscheint. Bei 12 Years a Slave ist das besonders eklatant, weil er seit seinem US-Start im Oktober 2013 bereits eine ungeheure Resonanz ausgelöst hat. Und auch wenn man sein Bestes versuchte, dem Hype zu entgehen, möglichst wenig über den Film zu lesen und auch die Debatten nicht zu verfolgen, ganz verschließen konnte man sich nicht. Dies bringt natürlich immer eine gewisse Gefahr mit sich – erwartet man nun zu viel von dem Werk, kann es aufgrund des Hypes die gesteckten Ziele gar nicht erreichen? Oder, noch schlimmer, fällt man auf einen sogenannten Oscar Bait Film herein, ein Film also, der hauptsächlich existiert, um Preise bei der Verleihung einzuheimsen, weil man weiß, dass man die Jury mit dem Sujet „kriegt“? Glücklicherweise sitz mit Steve McQueen einer der großen Autorenfilmer unserer Zeit auf dem Regiestuhl, der Inhalt des Films ist kraftvoll, Oscar hin oder her, und insgesamt hält 12 Years a Slave dem Rummel um ihn wacker stand. Völlig egal, welche kleineren Disharmonien man auch ins Feld führen mag, die verfilmten Memoiren von Solomon Northup sind großes Kino im allerbesten Sinn.

Saratoga, New York, 1841: Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein freier schwarzer Mann, mit Frau und zwei kleinen Kindern, und ein angesehener Bürger der Stadt. Als ihn zwei Artisten für ihre Varietéshow verpflichten wollen, wo er die Darbietung auf der Violine begleiten soll, nimmt Northup ob des großzügigen Angebots an und begleitet die Beiden nach Washington. Nach dem Job feiern die drei, trinken etwas zu viel und Solomon findet sich am nächsten Morgen in Ketten gelegt in einem Keller wieder: seine vermeidlichen Gönner haben ihn unter Drogen gesetzt und schlicht verkauft. Unter dem Namen Platt wird Northup in die Sklaverei verfrachtet, die Versuche, andere von seiner wahren Identität zu überzeugen, fruchten nicht. 12 Jahre soll er im unvorstellbar grausamen System der Sklaverei verbringen, bis eine zufällige Begegnung mit einem Kanadier (Brad Pitt) ihm Hoffnung auf Rettung verspricht…

Die Sklaverei als Ursünde der USA, konterkarierend zum Selbstverständnis einer freien Nation mit den gleichen Rechten für Jedermann und Jederfrau, ist nie wirklich aufgearbeitet worden. Nach ihrer Abschaffung ging es, zumindest in den Südstaaten, im täglichen Umgang munter so weiter wie bisher: Weiße Master, schwarze Untergebende. Und man kommt nicht umhin, Solomons Verschweigen der eigenen Bildung, der intellektuellen Überlegenheit vor allem über Figuren wie Tibeats (Paul Dano), zu Gunsten des Überlebens, als subtilen Kommentar auch über heutige Verhältnisse zu lesen.
Dabei ist 12 Years a Slave mehr als ein simpler Film, der dem (weißen) Publikum das erzählt, was es ohnehin schon kennt: Sklaverei war/ist verabscheuungswürdig. Wie schon bei seinem vorangegangenen Film Shame ist sich Regisseur McQueen zu schade für solch simplifizierte Ansichten. Vielmehr ist 12 Years a Slave ein Film über das System Sklaverei, über den Vergiftungsprozess, dem sich eine im Selbstverständnis zivilisierte Gesellschaft aussetzt, wenn sie solche Gräuel sehenden Auges zulässt. Es liegt McQueen nichts daran, einfach nur die Verhältnisse Oben/Unten zu bebildern, vielmehr spürt er den unauflöslich erscheinenden Verstrickungen nach, die diese Konstellation mit sich bringt. Danos Figur kompensiert sichtlich mit der Machtausübung über die Sklaven eigene Unzulänglichkeiten. Benedict Cumberbatchs Ford wird als generöser Plantagenbesitzer gezeichnet, der den Händler Freeman (Paul Giamatti) nach seiner Menschlichkeit fragt, Northup eine Violine schenkt, aber auch nichts von dessen Vergangenheit hören will, als Solomon versucht, sich ihm anzuvertrauen. Ford profitiert wie jeder andere von der Arbeitskraft seiner Sklaven und auch wenn er persönlich für einen menschlicheren Umgang plädieren mag, kann er diesen nicht durchsetzen, weil das System übermächtig im Wege steht. Zumal auch sein Haushalt nicht frei ist von haarsträubenden Rassismen: bei der Ankunft von Northup und Eliza (Adepero Oduye), einer von Ford gekauften und bitterlich weinenden Sklavin, die gerade von ihren zwei Kindern gewaltsam getrennt wurde, meint Mrs. Ford (Liza J. Bennett) nur: „Etwas zu essen und etwas Ruhe, dann sind die Kinder schnell vergessen.“ Ähnlich wird auch über Zootiere geredet, denen man die Jungen wegnimmt und denen man keine Fähigkeit zur Trauer zugesteht.

Mit Northups Transfer an den brutalen Epps (Michael Fassbender) findet McQueen noch weitere Facetten seines Themas. Epps führt eine Alibiehe mit seiner Frau (Sarah Paulson), fühlt sich aber sehr viel mehr zur Sklavin Patsey (Lupita Nyong’o) hingezogen. Sexuell muss sie ihm zu Diensten sein, sie ist die ertragreichste Baumwollpflückerin auf der ganzen Farm und Epps steht auch in einem gewissen inneren Widerspruch, wenn er Patsey einerseits vor den Eifersuchtsausbrüchen seiner Frau bewahren möchte, sie andererseits aber wie Eigentum behandelt und sie – in einer der am schwersten zu ertragenden Szenen des Films – auspeitscht bis ihr Rücken nur noch eine aufgerissene Kraterlandschaft ist. Es ist eine verquere Liebe, die Patsey nie erwidern kann und will, was Epps nur noch mehr in den Widerspruch und neue Grausamkeiten treibt. Gewinner kann es nicht geben, auch nicht bei den Weißen, die sich in den schicken Herrenhäusern vor der Wahrheit verbarrikadieren.

Nach Jahren als Nebendarsteller dürfte 12 Years a Slave der Durchbruch für Chiwetel Ejifor sein, dessen zurückgenommenes, aber dadurch keineswegs weniger kraftvolles Spiel, den Film dominiert. Was Ejifor mit einem Blick, mit wenigen Gesten auszudrücken vermag, ist phantastisch, ebenso überzeugend sind Michael Fassbender als gemeingefährlicher Epps und Lupita Nyon’o als Patsey, unter deren ruhigen Oberfläche ein ebenso streitbarer Geist liegt wie bei Solomon. Einzig Brad Pitt als Bass ist unstimmig besetzt, die Figur ist zwar äußerst wichtig und zumindest im Subtext stimmig (nur ein von außen kommendes Element, in diesem Fall ein weißer Kanadier, kann das System durchbrechen), aber die Starpräsenz von Pitt überstrahlt den Charakter, der auch Exposition-Guy oder Kartharsis-Dude hätte heißen können. Doch 12 Years a Slave ist so immens reich an starken Sequenzen dass solche Störungen (dazurechnen könnte man auch das mangelnde Zeitgefühl, dass der Film vermittelt – wie 12 Jahre fühlt die die Erzählung nicht an. Wenn eine Laufzeit von drei Stunden sinnvoll ist, dann bei diesem Film und nicht bei etwas wie The Wolf of Wall Street) kaum ins Gewicht fallen. Der Film ist wie Solomon an der Violine: wenn jemand so virtuos spielt, wen stört es da ernsthaft, wenn er sich mal kurz vergreift?

12 Years a Slave verdient viele Auszeichnungen, weil der Film so stark ist und nicht, weil er artifiziell darauf getrimmt wurde. Man spürt eine Art „nüchterne Dringlichkeit“ hinter dem Ganzen, McQueen manipuliert sein Publikum nicht, de facto ist seine Inszenierung recht neutral, sogar Hans Zimmer als Soundtrackkomponist hält sich zurück. Vielleicht ist es als Brite seine größere Distanz zur Sache, aber 12 Years a Slave kommt als ungeschönt, ja geradezu unvermeidlich daher. Der Mensch ist des Menschen Wolf, dies mag an sich nichts Neues sein, aber McQueen und sein Drehbuchautor John Ridley (der das Drehbuch nach den 1853 erschienenen Memoiren Northups schrieb und auch das Drehbuch zu dem herrlich bekloppten Undercover Brother verfasste – was für eine Mischung in der Vita) zeigen dies so offen, so ohne Zurückhaltung und mit so viel Gespür für das System, dass solch eine unglaubliche Ausbeutung erst möglich machte, dass es unmöglich wird, sie zu ignorieren. 12 Years a Slave ist perfektes Kino: handwerklich ohnehin untadelig, intelligent geschrieben, hervorragend gespielt und so voller nachhallender Bilder, dass sich der Film schon jetzt einen Platz auf diversen Top-10-Listen zum Jahresabschluss gesichert haben dürfte. Und selten war dies verdienter als im Falle von 12 Years a Slave.




Dienstag, 21. Januar 2014

Poltergeist (1982)




POLTERGEIST
USA 1982
Dt. Erstaufführung:23.09.1982
Regie: Tobe Hooper

Mal ganz abgesehen von all den behind-the-screen-Querelen zwischen Produzent und Drehbuchautor Steven Spielberg und Nenn-Regisseur Tobe Hooper und dem sogenannten „Poltergeist-Fluch“, der sich nach dem Tod von insgesamt vier DarstellerInnen aus diesem und dem zweiten Teil in den Medien einnistete, ist Poltergeist ein in Würde gealterter Film. Die atmosphärische Färbung des Ganzen klafft manchmal etwas auseinander, womöglich aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsweisen von Spielberg und Hooper. So ist Poltergeist letztlich sehr viel mehr ein „typischer“ Spielberg-Film denn ein Hooper-Film – zumal ein Film vom Regisseur von Blutgericht in Texas wohl kaum mit der Freigabe PG machbar gewesen wäre (in Deutschland ist der Film sehr viel sinniger ab 16 freigegeben – PG entspricht in etwa der deutschen Freigabe ab 6). Poltergeist ist in erster Linie perfekt inszeniertes Unterhaltungs- und Effektkino.

Die Freeling sind die idealtypische All-American-Family: Vater Steve (Craig T. Nelson), Mutter Diane (JoBeth Williams), Teenager-Tochter Dana (Dominique Dunne), Sohn Robbie (Oliver Robins) und Nesthäkchen Carol Anne (Heather O’Rourke). Letzteres beginnt eines Tages eine seltsame Beziehung zum Weißen Rauschen im Fernsehen aufzubauen, das nach dem Sendeschluss einsetzt. Es dauert nicht lange und es häufen sich unerklärliche Zwischenfälle im Haus der Familie, bis eines Nachts Carol Anne von einer unbekannten Macht entführt wird. Gefangen in einer geisterhaften Zwischenwelt versuchen die Freelings alles, um ihre Tochter zurückzubekommen und greifen schließlich auf die Hilfe von Parapsychologin Dr. Lesh (Beatrice Straight) und ihrem Team zurück…

Ein bisschen wirkt Poltergeist wie Spielbergs Entschuldigung für Unheimliche Begegnung der dritten Art, der interfamiliäre Beziehungen sehr viel fragwürdiger darstellte. Die Freelings wirken mehr wie eine Gemeinschaft und ihre Erdung ist es, was einen nicht unerheblichen Anteil am Erfolg des Films ausmacht. Die Freelings sind herrlich normal, umso mehr erhalten die paranormalen Ereignisse eine emotionale Resonanz. Einzig die Szene, in der Diane ihrem Mann die neuentdeckten Möglichkeiten, die die Geister ihnen bieten, vorführt, ist kaum ausbalanciert. Diane zeigt keinerlei Furcht vor einer Präsenz, die Möbel und Menschen durch den Raum bewegen kann, während Steve eher mit der Art ungläubigen Schock reagiert, den wohl jeder in dieser Situation bekommen würde. Mehr noch, Diane gibt Carol Anne allzu bereitwillig in die Hand der unsichtbaren Mächte. Es gibt nicht allzu viele Szenen wie diese in Poltergeist, aber wenn sie auftauchen (wie der völlig aus dem Nichts kommende Einsatz von Humor, nachdem Dr. Lesh zum ersten Mal die Mächte in Aktion erlebt hat), dann zeigen sie deutlich die zwei Egos von Hooper und Spielberg, wie sie sich duellieren. Umso erstaunlicher, dass der Film ansonsten recht gut funktioniert.

Wird man so erschreckt, wie es das Anliegen dieses nach heutigen Verhältnissen zahmen Horrorfilms ist? Wohl eher nicht. Man erschauert wohlig und die plötzlich aufgestapelten Stühle auf dem Küchentisch sind immer noch der Beste und gruseligste Moment im ganzen Film, aber vom echten Horror ist man entfernt. Vielleicht ist es der inflationären Flut an vergleichbaren Filmen geschuldet, vielleicht auch dem Umstand, dass viele Elemente aus Poltergeist inzwischen zu Genrestandards geworden sind oder Opfer von Parodien wurden (Friedhof, anyone?), aber der Film ist eher stark im Aufbau einer unheilvollen Atmosphäre als in konkretem Horror. Was vielleicht auch nicht die Schlechteste Eigenschaft ist.
Auf jeden Fall auch heute noch beeindruckend sind die Effekte von Richard Edlund (Krieg der Sterne). Der Einsatz von Puppen, Stop-Motion, Kopiertechniken und ähnlichem ist brillant und fügt sich oftmals ohne Irritationen in das Bild ein. Poltergeist besitzt jene handgemachte, physische Präsenz, die vielen computergenerierten Bildern heutzutage oftmals fehlt. Wenn ein Geist vor der Kinderzimmertür auftaucht und Diane am Eintreten hindert, dann weiß man, dass er nicht am Set war sondern animiert und nachträglich einkopiert wurde, aber die Komposition ist so hervorragend, dass man JoBeth Williams in wirklicher Gefahr wähnt. Poltergeist ist ein geradezu greifbarer Film.

Die Darsteller sind so solide, wie man es von einem Film dieser Art erwarten darf, selbst Nebenrollen wie Richard Lawson als Dr. Leshs Assistent Ryan sind konzentriert und mit Elan bei der Sache. Besonders auffallend ist aber Heather O’Rourke als Carol Anne, die mit „They’re he-eeere“ dem amerikanischen Gruselkino nicht nur einen Klassiker schenkte, sondern auch ungemein authentisch wirkt. Wenn sie fröhlich ist, ist sie entwaffnend niedlich, wenn der Terror in das Leben ihrer Filmfamilie einbricht, wirkt sie genuin erschrocken. Umso trauriger, dass sie mit zwölf Jahren verstarb und keine Chance hatte, an ihrer Karriere zu feilen.

Poltergeist ist unterhaltsam, keine Frage. Die sympathischen Figuren und die ausgezeichneten Effekte tun ihr übriges, um dies einen der besseren Spielberg-Filme werden zu lassen – egal, ob ihm nun ein Regie-Credit gebührt oder nicht. Poltergeist ist atmosphärisch stimmig und vielleicht nicht so furchterregend, wie er hätte sein können, aber das, was man als Zuschauer letztlich serviert bekommt, kann sich sehen lassen. Für einen Brei, an dem mindestens zwei große Köche herumexperimentierten, ist diese Geisterbahnfahrt bemerkenswert konsistent.