THE WOLF OF WALL
STREET
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 16.01.2014
Regie: Martin Scorsese
Dt. Erstaufführung: 16.01.2014
Regie: Martin Scorsese
Eine kleine
Geschichte aus der von mir besuchten Kinovorstellung von The Wolf of Wall Street: eine Gruppe von vielleicht sieben oder
acht Personen packte ungefähr nach einer Stunde ihre Sachen zusammen und
verließ das Kino, während die Gruppe junger Männer neben mir jeden Winkelzug
des Films goutierte und ganz offensichtlich eine sehr gute Zeit bei Martin
Scorseses dreistündigem Mammutwerk hatte. Dies scheint der bisherige Konsens zu
sein – entweder man liebt The Wolf of
Wall Street oder man hasst ihn. Dabei gibt es durchaus einen Mittelweg,
offeriert der Film doch mindestens genauso viele abstoßende wie gelungene
Elemente. Wenn man dem Film eins aber grundlegend vorwerfen muss, dann ist das
seine fragwürdige Haltungslosigkeit dem Sujet gegenüber. Die Satire
funktioniert schlicht nicht immer, wenn der Film der Darstellung des Exzess
erliegt.
The Wolf of Wall Street erzählt die wahre Geschichte des
ehrgeizigen Broker-Neulings Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio), der an der Wall
Street in der Agentur des exzentrischen Mark Hanna (Matthew McConaughey) in den
1980er seine Feuertaufe besteht, nur um Sekunden nach seinem ersten Einsatz als
Aktienhändler den Untergang von Hannas Agentur am „schwarzen Montag“, dem tiefsten
Fall des Dow Jones seit den 1920er Jahren, mitzuerleben. Belfort kommt danach
in einer kleinen Klitsche unter, die sogenannte Pennystocks an Kleinanleger
verkauft – Anteile an Garagenfirmen mit beschränktem Potenzial und anderem
sinnlosen Blödsinn, der nicht an der Wall Street gelistet wird. Mit seinem
einzigartigen Verkaufstalent gelingt es Belfort, den unbedarften Leuten am
anderen Ende der Telefonleitung tatsächlich all die wertlosen Aktien zu
verkaufen und verdient durch eine 50%ige Gewinnbeteiligung sehr gut. Dann lernt
er den Kindermöbelfabrikanten Donnie Azhoff (Jonah Hill) kennen, der Belfort
schon seit einiger Zeit aus der Ferne bewundert und mit ihm zusammenarbeiten
will. Kurzerhand eröffnen sie ihren eigenen Pennystock-Handel, werben noch ein
paar Mitarbeiter auf der Suche nach dem schnellen Geld an, und erweise sich
bald als äußerst raffiniert und profitabel darin, Menschen das Geld aus den
Taschen zu ziehen und sich daran zu bereichern. Belforts Agentur wächst und
wächst, die Gewinne schießen in ungeahnte Millionenhöhen – und mit ihnen der
Drogenkonsum, die Anzahl der Sexparties und die zwielichtigen Geschäfte. Dies
ruft irgendwann auch das FBI in Form des Agenten Patrick Denham (Kyle Chandler)
auf den Plan, doch Belfort fühlt sich da bereits unbesiegbar.
Der Beginn von The Wolf of Wall Street ist
hervorragend, energiegeladen, bösartig-witzig und Leonardo DiCaprio spielt so
unglaublich gut, dass man schon Sorge hat, dies könne er nicht den ganzen Film
über durchhalten. Doch weit gefehlt, DiCaprio zeigt eine beeindruckende
Bandbreite, sogar eine skurrile Slapsticknummer fehlt nicht im Repertoire. Nur
sympathisch, dass wird er nie. Beziehungsweise ist dies wohl tatsächlich
Ansichtssache, denn wie bereits erwähnt mangelt des Regisseur Scorsese und
Drehbuchautor Terence Winter (TVs Boardwalk
Empire) an eindeutiger Haltung gegenüber des realen Belforts und seinen
Machenschaften. The Wolf of Wall Street
erliegt etwas zu sehr der hohlen Glamourwelt, deren Verkommenheit wahrlich
beachtlich ist, und damit auch dem Charisma des bad guy. Dies zeigt sich schon daran, dass der Film einen kaum
übersehbaren Hang zur Wiederholung hat: das Karussell von Drogen und Sex dreht
sich munter weiter auch wenn man die entsprechenden Szenen bereits ein paarmal durchexerziert
hatte. Doch Scorsese und Winter können offensichtlich gar nicht genug davon bekommen,
DiCaprio nochmal beim Koksen oder dem Einwerfen von sogenannten Quaaludes zu
zeigen oder noch einen nackten Frauenkörper mehr in die Aufnahmen zu quetschen.
Bei drei Stunden Laufzeit (die eindeutig eine Straffung hätte gebrauchen
können) wird dies weitaus schneller langweilig als es die Involvierten wohl
glaubten. Wohlwollend kann man hier durchaus noch eine Absicht erkennen: durch
die zunehmende Tristesse des Exzess wird das menschliche Scheitern, wird der
Nihilismus der Situation freigelegt. Entweder das oder Scorsese fühlte sich
nicht imstande, etwas wegzulassen. Zumal der Film viel dramatisches Potenzial
einfach außen vor lässt, beispielsweise die krude Lebensweise von Belfort und
Donnie kaum im Spiegel ihrer Familien oder der Gesellschaft zeigt. Wenn man
sich gegen Ende dann doch noch entschließt, eine äußerst gelungene Szene
zwischen Belfort, seiner Frau (Margot Robbie) und ihrem Kind einzubauen, in
deren Verlauf Belfort versucht, seine Tochter zu entführen, dann wirkt das wie
eine zu spät kommende Erkenntnis, dass man hier mehr hätte erzählen können als
die Geschichte eines amoralischen Widerlings im Dauerrausch. Wenn man sich
schon drei Stunden Zeit nimmt, warum sich dann nicht auch Zeit für solche „Details“
nehmen?
Ist The Wolf of Wall Street eine Glorifizierung all dessen, was er
nicht müde wird, zu zeigen? Einerseits ja, eben weil er zu keinem wirklichen
Standpunkt findet, andererseits nein, weil er auf das Publikum setzt, dass die
moralische Verwerflichkeit und das ultimativ grauenhaft-leere Getue schon
durchschauen wird. Doch kann diese Rechnung aufgehen, wenn man Belfort nie
wirklich entlarvt und sogar die integerste Figur, den Agenten Dunham, am Ende seine
Entscheidung, gegen den Makler vorzugehen, still in Frage stellen lässt? Man
weiß, was der Film bezweckt und es liegt auch gerade darin viel Sprengstoff,
dass er den Zuschauer mit seinen eigenen Träumen von Reichtum und Hedonismus
konfrontiert, aber der Schuss kann auch schnell nach hinten losgehen. Die
Mischung aus Vertrauen in die Abstraktionsfähigkeit des mündigen Zuschauers bei
gleichzeitigem oberflächlichen Spaß und gewisser Honorierung Belforts ist eine
ambivalente, aber auch nicht immer funktionelle Mischung.
Es gibt genügend Material in The Wolf of Wall Street, dass es wert
ist, bemerkt zu werden. Neben dem hervorragenden Spiel DiCaprios sind es vor
allem die Dialoge, die Beachtung finden. Angefüllt mit Schimpfworten und
Widerlichkeiten sind sie dennoch präzise und oftmals witzig, während der
lauernde Worttausch zwischen Belfort und Denham auf einer Jacht zum heimlichen
Höhepunkt des Films wird. Sequenzen wie diese sind es, die das Interesse wach
halten, nicht die repetitiven Parties oder die ohnehin fragwürdige
Objektivierung aller Frauenfiguren.
The Wolf of Wall Street ist wahrlich kein Meisterstück, zu sehr
verheddert er sich in jenem amoralischen Bombast, den er eigentlich satirisch
unterwandern will. Die grandiosen Elemente befinden sich im Dauerstreit mit den
weniger funktionierenden Parts und der Film wirkt dadurch unkonzentriert.
Der Film basiert auf dem Memoiren
von Jordan Belfort und vielleicht hätte ihm ein Blick über den Tellerrand gut
getan. So vertröstet der Film das Gewissen des Zuschauers damit, dass Belfort
dazu verurteilt wurde, Geld an die Geschädigten zurückzuzahlen. Dass er bis
heute dieser Forderung nur ungenügend nachgekommen ist, verschweigt das Werk.
Scorsese wirkt wie halb geblendet und das ist angesichts des Inhalts von The Wolf of Wall Street keine gute
Sache.
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