Freitag, 17. Januar 2014

The Wolf of Wall Street (2013)




THE WOLF OF WALL STREET
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 16.01.2014
Regie: Martin Scorsese

Eine kleine Geschichte aus der von mir besuchten Kinovorstellung von The Wolf of Wall Street: eine Gruppe von vielleicht sieben oder acht Personen packte ungefähr nach einer Stunde ihre Sachen zusammen und verließ das Kino, während die Gruppe junger Männer neben mir jeden Winkelzug des Films goutierte und ganz offensichtlich eine sehr gute Zeit bei Martin Scorseses dreistündigem Mammutwerk hatte. Dies scheint der bisherige Konsens zu sein – entweder man liebt The Wolf of Wall Street oder man hasst ihn. Dabei gibt es durchaus einen Mittelweg, offeriert der Film doch mindestens genauso viele abstoßende wie gelungene Elemente. Wenn man dem Film eins aber grundlegend vorwerfen muss, dann ist das seine fragwürdige Haltungslosigkeit dem Sujet gegenüber. Die Satire funktioniert schlicht nicht immer, wenn der Film der Darstellung des Exzess erliegt.

The Wolf of Wall Street erzählt die wahre Geschichte des ehrgeizigen Broker-Neulings Jordan Belfort (Leonardo DiCaprio), der an der Wall Street in der Agentur des exzentrischen Mark Hanna (Matthew McConaughey) in den 1980er seine Feuertaufe besteht, nur um Sekunden nach seinem ersten Einsatz als Aktienhändler den Untergang von Hannas Agentur am „schwarzen Montag“, dem tiefsten Fall des Dow Jones seit den 1920er Jahren, mitzuerleben. Belfort kommt danach in einer kleinen Klitsche unter, die sogenannte Pennystocks an Kleinanleger verkauft – Anteile an Garagenfirmen mit beschränktem Potenzial und anderem sinnlosen Blödsinn, der nicht an der Wall Street gelistet wird. Mit seinem einzigartigen Verkaufstalent gelingt es Belfort, den unbedarften Leuten am anderen Ende der Telefonleitung tatsächlich all die wertlosen Aktien zu verkaufen und verdient durch eine 50%ige Gewinnbeteiligung sehr gut. Dann lernt er den Kindermöbelfabrikanten Donnie Azhoff (Jonah Hill) kennen, der Belfort schon seit einiger Zeit aus der Ferne bewundert und mit ihm zusammenarbeiten will. Kurzerhand eröffnen sie ihren eigenen Pennystock-Handel, werben noch ein paar Mitarbeiter auf der Suche nach dem schnellen Geld an, und erweise sich bald als äußerst raffiniert und profitabel darin, Menschen das Geld aus den Taschen zu ziehen und sich daran zu bereichern. Belforts Agentur wächst und wächst, die Gewinne schießen in ungeahnte Millionenhöhen – und mit ihnen der Drogenkonsum, die Anzahl der Sexparties und die zwielichtigen Geschäfte. Dies ruft irgendwann auch das FBI in Form des Agenten Patrick Denham (Kyle Chandler) auf den Plan, doch Belfort fühlt sich da bereits unbesiegbar.

Der Beginn von The Wolf of Wall Street ist hervorragend, energiegeladen, bösartig-witzig und Leonardo DiCaprio spielt so unglaublich gut, dass man schon Sorge hat, dies könne er nicht den ganzen Film über durchhalten. Doch weit gefehlt, DiCaprio zeigt eine beeindruckende Bandbreite, sogar eine skurrile Slapsticknummer fehlt nicht im Repertoire. Nur sympathisch, dass wird er nie. Beziehungsweise ist dies wohl tatsächlich Ansichtssache, denn wie bereits erwähnt mangelt des Regisseur Scorsese und Drehbuchautor Terence Winter (TVs Boardwalk Empire) an eindeutiger Haltung gegenüber des realen Belforts und seinen Machenschaften. The Wolf of Wall Street erliegt etwas zu sehr der hohlen Glamourwelt, deren Verkommenheit wahrlich beachtlich ist, und damit auch dem Charisma des bad guy. Dies zeigt sich schon daran, dass der Film einen kaum übersehbaren Hang zur Wiederholung hat: das Karussell von Drogen und Sex dreht sich munter weiter auch wenn man die entsprechenden Szenen bereits ein paarmal durchexerziert hatte. Doch Scorsese und Winter können offensichtlich gar nicht genug davon bekommen, DiCaprio nochmal beim Koksen oder dem Einwerfen von sogenannten Quaaludes zu zeigen oder noch einen nackten Frauenkörper mehr in die Aufnahmen zu quetschen. Bei drei Stunden Laufzeit (die eindeutig eine Straffung hätte gebrauchen können) wird dies weitaus schneller langweilig als es die Involvierten wohl glaubten. Wohlwollend kann man hier durchaus noch eine Absicht erkennen: durch die zunehmende Tristesse des Exzess wird das menschliche Scheitern, wird der Nihilismus der Situation freigelegt. Entweder das oder Scorsese fühlte sich nicht imstande, etwas wegzulassen. Zumal der Film viel dramatisches Potenzial einfach außen vor lässt, beispielsweise die krude Lebensweise von Belfort und Donnie kaum im Spiegel ihrer Familien oder der Gesellschaft zeigt. Wenn man sich gegen Ende dann doch noch entschließt, eine äußerst gelungene Szene zwischen Belfort, seiner Frau (Margot Robbie) und ihrem Kind einzubauen, in deren Verlauf Belfort versucht, seine Tochter zu entführen, dann wirkt das wie eine zu spät kommende Erkenntnis, dass man hier mehr hätte erzählen können als die Geschichte eines amoralischen Widerlings im Dauerrausch. Wenn man sich schon drei Stunden Zeit nimmt, warum sich dann nicht auch Zeit für solche „Details“ nehmen?

Ist The Wolf of Wall Street eine Glorifizierung all dessen, was er nicht müde wird, zu zeigen? Einerseits ja, eben weil er zu keinem wirklichen Standpunkt findet, andererseits nein, weil er auf das Publikum setzt, dass die moralische Verwerflichkeit und das ultimativ grauenhaft-leere Getue schon durchschauen wird. Doch kann diese Rechnung aufgehen, wenn man Belfort nie wirklich entlarvt und sogar die integerste Figur, den Agenten Dunham, am Ende seine Entscheidung, gegen den Makler vorzugehen, still in Frage stellen lässt? Man weiß, was der Film bezweckt und es liegt auch gerade darin viel Sprengstoff, dass er den Zuschauer mit seinen eigenen Träumen von Reichtum und Hedonismus konfrontiert, aber der Schuss kann auch schnell nach hinten losgehen. Die Mischung aus Vertrauen in die Abstraktionsfähigkeit des mündigen Zuschauers bei gleichzeitigem oberflächlichen Spaß und gewisser Honorierung Belforts ist eine ambivalente, aber auch nicht immer funktionelle Mischung.

Es gibt genügend Material in The Wolf of Wall Street, dass es wert ist, bemerkt zu werden. Neben dem hervorragenden Spiel DiCaprios sind es vor allem die Dialoge, die Beachtung finden. Angefüllt mit Schimpfworten und Widerlichkeiten sind sie dennoch präzise und oftmals witzig, während der lauernde Worttausch zwischen Belfort und Denham auf einer Jacht zum heimlichen Höhepunkt des Films wird. Sequenzen wie diese sind es, die das Interesse wach halten, nicht die repetitiven Parties oder die ohnehin fragwürdige Objektivierung aller Frauenfiguren.
The Wolf of Wall Street ist wahrlich kein Meisterstück, zu sehr verheddert er sich in jenem amoralischen Bombast, den er eigentlich satirisch unterwandern will. Die grandiosen Elemente befinden sich im Dauerstreit mit den weniger funktionierenden Parts und der Film wirkt dadurch unkonzentriert.
Der Film basiert auf dem Memoiren von Jordan Belfort und vielleicht hätte ihm ein Blick über den Tellerrand gut getan. So vertröstet der Film das Gewissen des Zuschauers damit, dass Belfort dazu verurteilt wurde, Geld an die Geschädigten zurückzuzahlen. Dass er bis heute dieser Forderung nur ungenügend nachgekommen ist, verschweigt das Werk. Scorsese wirkt wie halb geblendet und das ist angesichts des Inhalts von The Wolf of Wall Street keine gute Sache. 



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