Donnerstag, 23. Januar 2014

12 Years a Slave (2013)




12 YEARS A SLAVE
USA/Großbritannien 2013
Dt. Erstaufführung: 16.01.2014
Regie: Steve McQueen

Das Schöne an der deutschen Kinolandschaft ist, dass sie so unglaublich vielfältig ist und auch sehr viele Filme jenseits des Hollywood-Mainstreams in die Abspielstätten bringt. Das Schlechte an ihr ist, dass man manchmal etwas Geduld aufbringen muss, bis ein Film auch in Deutschland erscheint. Bei 12 Years a Slave ist das besonders eklatant, weil er seit seinem US-Start im Oktober 2013 bereits eine ungeheure Resonanz ausgelöst hat. Und auch wenn man sein Bestes versuchte, dem Hype zu entgehen, möglichst wenig über den Film zu lesen und auch die Debatten nicht zu verfolgen, ganz verschließen konnte man sich nicht. Dies bringt natürlich immer eine gewisse Gefahr mit sich – erwartet man nun zu viel von dem Werk, kann es aufgrund des Hypes die gesteckten Ziele gar nicht erreichen? Oder, noch schlimmer, fällt man auf einen sogenannten Oscar Bait Film herein, ein Film also, der hauptsächlich existiert, um Preise bei der Verleihung einzuheimsen, weil man weiß, dass man die Jury mit dem Sujet „kriegt“? Glücklicherweise sitz mit Steve McQueen einer der großen Autorenfilmer unserer Zeit auf dem Regiestuhl, der Inhalt des Films ist kraftvoll, Oscar hin oder her, und insgesamt hält 12 Years a Slave dem Rummel um ihn wacker stand. Völlig egal, welche kleineren Disharmonien man auch ins Feld führen mag, die verfilmten Memoiren von Solomon Northup sind großes Kino im allerbesten Sinn.

Saratoga, New York, 1841: Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) ist ein freier schwarzer Mann, mit Frau und zwei kleinen Kindern, und ein angesehener Bürger der Stadt. Als ihn zwei Artisten für ihre Varietéshow verpflichten wollen, wo er die Darbietung auf der Violine begleiten soll, nimmt Northup ob des großzügigen Angebots an und begleitet die Beiden nach Washington. Nach dem Job feiern die drei, trinken etwas zu viel und Solomon findet sich am nächsten Morgen in Ketten gelegt in einem Keller wieder: seine vermeidlichen Gönner haben ihn unter Drogen gesetzt und schlicht verkauft. Unter dem Namen Platt wird Northup in die Sklaverei verfrachtet, die Versuche, andere von seiner wahren Identität zu überzeugen, fruchten nicht. 12 Jahre soll er im unvorstellbar grausamen System der Sklaverei verbringen, bis eine zufällige Begegnung mit einem Kanadier (Brad Pitt) ihm Hoffnung auf Rettung verspricht…

Die Sklaverei als Ursünde der USA, konterkarierend zum Selbstverständnis einer freien Nation mit den gleichen Rechten für Jedermann und Jederfrau, ist nie wirklich aufgearbeitet worden. Nach ihrer Abschaffung ging es, zumindest in den Südstaaten, im täglichen Umgang munter so weiter wie bisher: Weiße Master, schwarze Untergebende. Und man kommt nicht umhin, Solomons Verschweigen der eigenen Bildung, der intellektuellen Überlegenheit vor allem über Figuren wie Tibeats (Paul Dano), zu Gunsten des Überlebens, als subtilen Kommentar auch über heutige Verhältnisse zu lesen.
Dabei ist 12 Years a Slave mehr als ein simpler Film, der dem (weißen) Publikum das erzählt, was es ohnehin schon kennt: Sklaverei war/ist verabscheuungswürdig. Wie schon bei seinem vorangegangenen Film Shame ist sich Regisseur McQueen zu schade für solch simplifizierte Ansichten. Vielmehr ist 12 Years a Slave ein Film über das System Sklaverei, über den Vergiftungsprozess, dem sich eine im Selbstverständnis zivilisierte Gesellschaft aussetzt, wenn sie solche Gräuel sehenden Auges zulässt. Es liegt McQueen nichts daran, einfach nur die Verhältnisse Oben/Unten zu bebildern, vielmehr spürt er den unauflöslich erscheinenden Verstrickungen nach, die diese Konstellation mit sich bringt. Danos Figur kompensiert sichtlich mit der Machtausübung über die Sklaven eigene Unzulänglichkeiten. Benedict Cumberbatchs Ford wird als generöser Plantagenbesitzer gezeichnet, der den Händler Freeman (Paul Giamatti) nach seiner Menschlichkeit fragt, Northup eine Violine schenkt, aber auch nichts von dessen Vergangenheit hören will, als Solomon versucht, sich ihm anzuvertrauen. Ford profitiert wie jeder andere von der Arbeitskraft seiner Sklaven und auch wenn er persönlich für einen menschlicheren Umgang plädieren mag, kann er diesen nicht durchsetzen, weil das System übermächtig im Wege steht. Zumal auch sein Haushalt nicht frei ist von haarsträubenden Rassismen: bei der Ankunft von Northup und Eliza (Adepero Oduye), einer von Ford gekauften und bitterlich weinenden Sklavin, die gerade von ihren zwei Kindern gewaltsam getrennt wurde, meint Mrs. Ford (Liza J. Bennett) nur: „Etwas zu essen und etwas Ruhe, dann sind die Kinder schnell vergessen.“ Ähnlich wird auch über Zootiere geredet, denen man die Jungen wegnimmt und denen man keine Fähigkeit zur Trauer zugesteht.

Mit Northups Transfer an den brutalen Epps (Michael Fassbender) findet McQueen noch weitere Facetten seines Themas. Epps führt eine Alibiehe mit seiner Frau (Sarah Paulson), fühlt sich aber sehr viel mehr zur Sklavin Patsey (Lupita Nyong’o) hingezogen. Sexuell muss sie ihm zu Diensten sein, sie ist die ertragreichste Baumwollpflückerin auf der ganzen Farm und Epps steht auch in einem gewissen inneren Widerspruch, wenn er Patsey einerseits vor den Eifersuchtsausbrüchen seiner Frau bewahren möchte, sie andererseits aber wie Eigentum behandelt und sie – in einer der am schwersten zu ertragenden Szenen des Films – auspeitscht bis ihr Rücken nur noch eine aufgerissene Kraterlandschaft ist. Es ist eine verquere Liebe, die Patsey nie erwidern kann und will, was Epps nur noch mehr in den Widerspruch und neue Grausamkeiten treibt. Gewinner kann es nicht geben, auch nicht bei den Weißen, die sich in den schicken Herrenhäusern vor der Wahrheit verbarrikadieren.

Nach Jahren als Nebendarsteller dürfte 12 Years a Slave der Durchbruch für Chiwetel Ejifor sein, dessen zurückgenommenes, aber dadurch keineswegs weniger kraftvolles Spiel, den Film dominiert. Was Ejifor mit einem Blick, mit wenigen Gesten auszudrücken vermag, ist phantastisch, ebenso überzeugend sind Michael Fassbender als gemeingefährlicher Epps und Lupita Nyon’o als Patsey, unter deren ruhigen Oberfläche ein ebenso streitbarer Geist liegt wie bei Solomon. Einzig Brad Pitt als Bass ist unstimmig besetzt, die Figur ist zwar äußerst wichtig und zumindest im Subtext stimmig (nur ein von außen kommendes Element, in diesem Fall ein weißer Kanadier, kann das System durchbrechen), aber die Starpräsenz von Pitt überstrahlt den Charakter, der auch Exposition-Guy oder Kartharsis-Dude hätte heißen können. Doch 12 Years a Slave ist so immens reich an starken Sequenzen dass solche Störungen (dazurechnen könnte man auch das mangelnde Zeitgefühl, dass der Film vermittelt – wie 12 Jahre fühlt die die Erzählung nicht an. Wenn eine Laufzeit von drei Stunden sinnvoll ist, dann bei diesem Film und nicht bei etwas wie The Wolf of Wall Street) kaum ins Gewicht fallen. Der Film ist wie Solomon an der Violine: wenn jemand so virtuos spielt, wen stört es da ernsthaft, wenn er sich mal kurz vergreift?

12 Years a Slave verdient viele Auszeichnungen, weil der Film so stark ist und nicht, weil er artifiziell darauf getrimmt wurde. Man spürt eine Art „nüchterne Dringlichkeit“ hinter dem Ganzen, McQueen manipuliert sein Publikum nicht, de facto ist seine Inszenierung recht neutral, sogar Hans Zimmer als Soundtrackkomponist hält sich zurück. Vielleicht ist es als Brite seine größere Distanz zur Sache, aber 12 Years a Slave kommt als ungeschönt, ja geradezu unvermeidlich daher. Der Mensch ist des Menschen Wolf, dies mag an sich nichts Neues sein, aber McQueen und sein Drehbuchautor John Ridley (der das Drehbuch nach den 1853 erschienenen Memoiren Northups schrieb und auch das Drehbuch zu dem herrlich bekloppten Undercover Brother verfasste – was für eine Mischung in der Vita) zeigen dies so offen, so ohne Zurückhaltung und mit so viel Gespür für das System, dass solch eine unglaubliche Ausbeutung erst möglich machte, dass es unmöglich wird, sie zu ignorieren. 12 Years a Slave ist perfektes Kino: handwerklich ohnehin untadelig, intelligent geschrieben, hervorragend gespielt und so voller nachhallender Bilder, dass sich der Film schon jetzt einen Platz auf diversen Top-10-Listen zum Jahresabschluss gesichert haben dürfte. Und selten war dies verdienter als im Falle von 12 Years a Slave.




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