Donnerstag, 27. November 2014

Snowpiercer (2014)




SNOWPIERCER
USA/Südkorea 2014
Dt. Erstaufführung: 03.04.2014
Regie: Bong Joon-ho

Fun Fact: Die US-amerikanischen Verleiher wollten Regisseur Bong Joon-ho dazu verpflichten, eine weniger „intelligente“ Fassung des Films herauszubringen, weil man um seine Potenziale auf dem US-Markt fürchtete. Joon-ho wehrte sich dagegen und so ist der Snowpiercer, den auch wir hierzulande zu Gesicht bekommen, nicht eine (noch weiter) verwässerte Version. Dies zeigt vor allem eins: dass an dem Klischee des US-Bürgers, der alles im weitesten Sinne „ausländische“ an Kulturprodukten automatisch eine höhere Wertigkeit und Intelligenz zuschreibt, immer noch etwas dran ist – so ähnlich, wie die Deutschen die Italiener oder die Franzosen insgeheim immer noch für lebensfroher als sich selbst halten. Dementsprechend waren die Kritiken in den Staaten phänomenal, Snowpiercer wurde zu einem Liebling der Rezensenten, dessen fordernder Inhalt immer wieder lobend in den Vordergrund gesetzt wurde. Vielleicht haben die Kritiker in den USA klammheimlich doch eine andere Version zu sehen bekommen als die Europäer, denn zumindest der Kunde vom überragend intelligenten Drehbuch wird der auf einem französischen Comic basierende Film nicht gerecht. Sicherlich macht sich Snowpiercer mehr Gedanken um sein Setting als der nächstbeste SF-Actionfilm, aber so wirklich in die Tiefe gehen will er dann auch nicht.

Der Versuch, die Erderwärmung zu stoppen, ist katastrophal gescheitert: durch eine in die Erdatmosphäre ausgebrachte Chemikalie wurde eine Kettenreaktion ausgelöst, die die Erde in eine alles Leben vernichtende Eiszeit gestürzt hat. Die Reste der Menschheit bewegen sich in einem gigantischen Zug, dem titelgebenden „Snowpiercer“, angetrieben von einer geheimnisvollen Maschine, auf einem alle Kontinente umspannenden und dereinst vom Zugfanatiker Wilford (Ed Harris) erbauten Schienennetz um die Welt. In diesem Mikrokosmos leben die Wohlhabenden im vorderen Teil des Zuges, der Pöbel darbt im hinteren Teil und wird von den faschistoiden Streitkräften der Herrschenden gequält. Curtis (Chris Evans) und die Seinen haben den ihnen zugedachten Platz in der Hierarchie verständlicherweise satt und proben den Aufstand – das Ziel, den Triebwagen und damit die alles beherrschende Maschine zu erreichen, fest vor Augen…

Snowpiercer legt eine geradezu manische Energie an den Tag. Ähnlich wie für die Protagonisten im Film selbst scheint Stillstand für ihn ein Todesurteil zu sein. Joon-ho bewegt seinen Film mit einem flotten Tempo voran, ohne dabei auf eine generische Abfolge von Actionsequenzen zu setzen. Die Handlung wird konstant nach vorn (haha) gebracht, es ist unbestreitbar, dass Snowpiercer ein Film ist der sich schlicht bewegt. Dennoch lässt er dem Zuschauer genug Raum zum Nachdenken und das ist paradoxerweise einer seiner Fehler.

Wie kann das sein, wenn man es doch immer begrüßen sollte, wenn ein Genrefilm die Intelligenz seines Publikums nicht beleidigt? Zum einen ist Snowpiercer sehr sorgsam darin, kritische Plotelemente zu erklären. So erfährt man, wie die Wasserversorgung funktioniert und woraus die Nahrungsersatzstoffe gemacht sind, die als Speisung für die Marginalisierten aus dem hintern Zugteil dienen. Doch dann passieren die Figuren beispielsweise ein gut gefülltes Kühlhaus und es wird mit keinem Wort erwähnt, so die Rinderhälften und die Unmengen Hühnchen eigentlich herkommen. Der Film spielt 17 Jahre nach der Apokalypse. Ich bin kein ausgewiesener Experte, aber auch gekühlt dürfte sich Fleisch nicht über solch einen langen Zeitraum halten. Und wenn es eine lebens- und reproduktionsfähige Anzahl von Rindern und Hühnern gibt, warum verschweigt der Film diesen Wagen so konsequent? Auch die Unterbringung der Oberschicht wird nicht weiter beleuchtet, man sieht lediglich ihre Annehmlichkeiten: Zahnarztpraxis, Sauna, Disco. Dass man, um in die Disco zu gelangen, immer den Saunawagen passieren muss, ist nur eines der Details, auf die man wohl nicht allzu deutlich achten soll. Auch unterhält man eine eigens für Revolten zuständige Hooligantruppe.

Zugegebenermaßen schafft es der Film immer wieder, dass solche Gedanken in den Hintergrund treten, wenn Snowpiercer seine Kinetik voll ausspielt. Ein grundlegendes Gerechtigkeitsbedürfnis lässt die sich anbahnende Revolution immer wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit treten, auch wenn der Film letztlich eine plausible Erklärung für die Zuginterne Gesellschaftsstruktur schuldig bleibt. Snowpiercer ist selbstredend über alle Maße plakativ, wirklich niemanden dürfte die Gesellschaftskritik entgehen und als mitunter erstaunlich differenziertes Lebensbild (kaum eine Figur, die nicht zwei Seiten hat) kann der Film zwar punkten, doch viel mehr als über ein ominösen Losverfahren, mit dem man den Platz im Zug zugewiesen bekommen hat, erfährt man nicht. Auch nicht darüber, ob die Menschen aus dem hinteren Teil außer der Kinderproduktion noch eine weitere Aufgabe an Bord erfüllen. Das, was Snowpiercer nachprüfbar anbietet, ist etwas dünn, um die illustrierte Gesellschaft vollständig zu legitimieren. Man kann nun einwenden, genau dies sei ja der Spiegel, den der Film der Realität vorhält, aber gehört es auch zu den Stärken des Kinos, über das Bekannte hinauszugehen und etwas mehr Substanz zu bieten. Als spekulativer Auswuchs eines konsequenten Sozialdarwinismus, der auf Zufall und Ökonomie fußt, ist Snowpiercer nicht gänzlich erfolgreich.

So nimmt der Film den Zuschauer bei aller Bewegung immer wieder aus der Geschichte heraus, wenn er ihn dazu animiert, seinen Denkapparat nicht gänzlich auszuschalten. Dadurch, dass man immer wieder Fragen nach der inneren Logik stellen kann, wird ihm sein eigener Ansatz zum Verhängnis, auch wenn das Wort im Hinblick auf die allgemeinen Unterhaltungswerte des Films wohl etwas zu harsch ist. Denn als futuristischer Actionfilm kann er stets überzeugen, die Kameraarbeit und das Produktionsdesign sind fantastisch, die sozialen Aspekte immerhin für Diskussionen gut (schon allein, weil es an Bord des Zugs vor allem eine Ober- und eine Unterschicht gibt. Die Mittelschicht wird durch zahlenmäßig wenige Bedienstete, die sich im Status Quo eingerichtet zu haben scheinen, vertreten).
Snowpiercer ist sicher kein neuer Genreklassiker, auch wenn darüber wohl die Zeit entscheiden wird. Aber sein purer Wille, sich nicht komplett einer verordneten Idiotie hinzugeben, verbunden mit der souveränen und deutlich mit Spaß ausgeführten Regie von Bong Joon-ho, die schon seinen internationalen Durchbruch The Host vor dem vollkommenden Trash rettete, machen aus Snowpiercer zumindest ein solides Stück Unterhaltungskino. Auch wenn man speziell in Deutschland immer wieder daran denken muss, was wäre, wenn der Zug im Film von der DB betrieben würde, wo drei Schneeflocken dort doch meist schon als Naturkatastrophe interpretiert werden…




Montag, 17. November 2014

Interstellar (2014)




INTERSTELLAR
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 06.11.2014
Regie: Christopher Nolan

Das der Platz des Menschen im Universum mit den Mitteln des Films versucht wird zu verhandeln, ist ein konstantes, wenn auch relativ seltenes Ereignis im Science-Fiction-Genre. Die Filmart, die für viele lediglich mit dem Eskapismus des Star Trek und Star Wars-Franchises assoziiert wird, ist zu beachtlichen Leistungen fähig, wenn sie sich an die großen Fragen wagt, die interstellare Reisen zwangsläufig aufwerfen. Es sind Konzepte, die weit über das eigentliche menschliche Verständnis hinausreichen und vielleicht ist darin der Grund zu suchen, warum außer den großen Namen wie 2001 – Odyssee im Weltraum und Contact sich so wenige Genrefilme mit ihnen beschäftigen – die Prämisse ist nicht gerade der Garant für einen völlig konsequenzlosen, rein unterhaltenden Filmabend. Interstellar macht da keine Ausnahme, es ist ein erwachsener Film, der weit entfernt ist von den naiv-fröhlichen Weltraummärchen eines George Lucas. Sieht man ihn als Teil des Dreigestirns der genannten Filme, so muss man allerdings auch konstatieren, dass er der Schwächste der Drei ist, hauptsächlich, weil Regisseur und Drehbuchautor Christopher Nolan, der für Cineasten abwechselnd Messias und Antichrist darstellt, an entscheidenden Stellen patzt und den berauschenden Bildern auf inhaltlicher Ebene oftmals nur kruden Mumbo-Jumbo entgegenzusetzen hat. Interstellar ist ein gestalterisch großartiger Film und es ist schön, dass Nolan normale menschliche Emotionen nun endlich für sich entdeckt hat, aber die Reise an die Grenzen der menschlichen Erfahrungen hinterlässt ob ihrer nur behaupteten Tiefe einen schalen Beigeschmack.

In naher Zukunft ist die Menschheit dem Untergang geweiht: die natürlichen Ressourcen gehen zur Neige, Sandstürme fegen immer wieder über die Länder, der Anbau von Nahrungsmitteln wird immer schwieriger und selbst ehemalige Ingenieure müssen sich als Farmer verdingen, um den Bedarf zu decken. Einer von ihnen ist Cooper (Matthew McConaughey), ehemals einer der besten Piloten der NASA und vom stillen Wunsch beseelt, den Planeten zu verlassen. Die Gelegenheit bietet sich ihm, als eine Gravitationsanomalie ihn und seine Tochter Murph (Mackenzie Foy) zu einer geheimen Forschungseinrichtung führt, wo der geschrumpfte Rest der NASA unter der Leitung von Coopers ehemaligem Mentor Brand (Michael Caine) eine Mission zu einem augenscheinlich von jemanden gezielt platzierten Wurmloch in der Nähe des Saturns vorbereitet. Von der Weltöffentlichkeit verborgen sind bereits Menschen hindurch in eine andere Galaxie geflogen, um dort nach neuen, bewohnbaren Planeten zu fahnden. Die zweite Mission soll nun die Ergebnisse vor Ort auswerten und erste Schritte zu einer Kolonialisierung unternehmen. Cooper wird als Pilot angeworben, lässt seine Familie auf der Erde zurück und begibt sich auf eine Reise weiter und gefährlicher, als sie je ein Mensch vor ihm unternommen hat.

Die Prämisse von Interstellar ist atemberaubend und die Trailer taten einen hervorragenden Job dabei, sie zu verkaufen. Es ist nicht verwunderlich, dass Nolans Herzensprojekt zu einem der am meisten erwarteten Filme des Jahres werden sollte. Und zumindest visuell wird er dem Hype gerecht. Interstellar hat großartige Bilder zu bieten, einige davon in ihrer Größe und gleichzeitigen Simplizität emotional ausgenommen wuchtig, die Effekte sind erste Wahl (was man angesichts des Budgets wohl auch erwarten durfte) und sogar der vielgescholtene Hans Zimmer kann diesmal wieder mit einem rundum gelungenen Soundtrack überzeugen, der vor allem in den actionorientierten Sequenzen wohlplatziert ist, ähnlich wie Gravity im letzten Jahr nicht zuletzt durch die Musik lebte.

Doch so ganz will Interstellar bei aller Wucht nicht funktionieren. Die liegt vor allem darin, dass Nolan in seinen Charakteren keine Entsprechungen zu den grandiosen Bildern findet. Die Reise ins All wird von den recht blassen Figuren hingenommen, kaum ist etwas von ihrer Anspannung zu spüren, vom Sinn für Wunder, den eine solche Odyssee eigentlich besonders stimulieren sollte, auch nicht. Dennoch gelingt es ihm diesmal, eine grundlegende Gefühlsebene zu bedienen, denn einige Szenen sind emotional so befriedigend ausgefallen, wie man es von Nolan gar nicht gewohnt ist. Das Schablonenhafte der Figuren reicht an diesen Stellen, um eine Reaktion zu generieren, tiefer als eine rein beschreibende Oberfläche geht es meistens nicht, vor allem über Wes Bentleys Figur erfährt man atemberaubend wenig, während Anne Hathaway einen reichlich seltsamen Charakter mimt, der das Klischee der irrationalen Frau bedient und der trotz des letztendlich gerechtfertigten Payoffs dieser Emotionalität nie dreidimensional wird.

Hinzu kommt ein nicht zu leugnender Drang, dem Zuschauer alles erklären zu wollen. Nolan fürchtet sich vor einem wirklichen Interpretationsspielraum, wie ihn beispielsweise 2001 an den Tag legte, indem er nicht krampfhaft versuchte, alles in einen sinnigen Kontext zu bringen. Stanley Kubricks Film ist schon allein deshalb zeitlos, weil er dem Publikum eine individuelle Interpretation des Gesehenen nicht nur anbietet, sondern regelrecht abverlangt. Interstellar hat dafür viel zu viel Furcht vor der Leerstelle, vor dem, was jeder Zuschauer aus dem Film machen könnte – oder eben nicht. Um ja niemanden zu verwirren, verabreicht der Film brav Erklärungen, wenn sie gebraucht werden und versucht durch allerlei Techno-Palaver, wie es die Crew des Raumschiffs Enterprise nicht besser hätte aufsagen können, eine Art wissenschaftliche Legitimität aufzubauen. Wie viel davon (theoretischer) Fakt und was Fiktion ist, ist schwer zu sagen, denn es reicht Interstellar voll und ganz, sich im Vagen, im Ungefähren zu bewegen und dies als ausreichend zu verkaufen. So findet alles innerhalb der Narrative eine Begründung, eine Auflösung, und sei sie noch so vorhersehbar (das Rätsel um die Macht, die das Wurmloch „platziert“ hat, ist besonders plakativ und dürfte nicht nur für Genrefans ziemlich leicht lange vor Filmschluss zu erraten sein). So wird Interstellar auf dieser Ebene nichts Halbes und nichts Ganzes, weil er einerseits die Interpretation zu sehr fürchtet, zum anderen gleichzeitig zu hanebüchene und einfach zu verstehende Erklärungen anbietet. Strukturell ist Interstellar genau der richtige Film für Leute, die meinen, Inception wäre ein extrem verschachteltes, schwierig zu verstehendes Werk oder denen die Symbolik in The Dark Knight Rises nicht plakativ genug war.

Interstellar ist zudem an entscheidenden Stellen zu kurz und schafft es trotzdem, 2 ½ Stunden Laufzeit in die Waagschale zu werfen. Entscheidungsfindungen werden abgekürzt, eine ganzheitliche Betrachtungsweise konsequent ausgeblendet (man sieht ausschließlich die USA im Niedergang und auch die Mission ins All ist eine reine NASA-Angelegenheit und nicht etwa eine Teamangelegenheit wie die Erdverteidigung im unterschätzten Pacific Rim) und für einen Film, in dem das Konzept der Zeit eine sehr wichtige, ja zentrale Rolle spielt ist der Film nicht gut darin, das Vergehen selbiger erfahrbar zu machen. Auch hier bleibt der Film sehr oberflächlich, von der Weigerung einer globalen Schildrung der Menschheitssituation ganz zu schweigen (MRTs wurden abgeschafft? Bitte?).

Was bleibt? Interstellar verfehlt auf jeden Fall sein Ziel, in die Fußstapfen der großen Vorbilder zu treten, dafür ist er inhaltlich zu unausgegoren und schielt zu sehr auf eine unbedingte Befriedigung möglichst vieler Zuschauererwartungen, anstatt das Risiko eines wirklich herausfordernden Films zu suchen. Interstellar ist ein Mainstream-2001, auch wenn er selbstredend immer noch weit entfernt von den Spaß-Science-Fiction-Welten eines Star Trek-Reboots ist. Doch der Film geht zu sehr auf Nummer Sicher, sonnt sich etwas zu sehr in der Gewissheit, zumindest mehr Gesprächsstoff als die nächstbeste Space Opera zu bieten und bleibt so hinter seinen Möglichkeiten zurück. Interstellars handwerkliche Qualität ist teilweise atemberaubend, sein Inhalt wird der Prämisse und vor allen den geschürten Erwartungen nicht gerecht. Die Zeit wird, ähnlich wie beim von der Intention ähnlich gelagerten Tree of Life, zeigen, ob Nolans love child auch im Hinblick auf die starke Konkurrenz von Zemeckis und Kubrich das Zeug zum Klassiker hat.




Donnerstag, 30. Oktober 2014

The Ward - Die Station (2010)




THE WARD – DIE STATION
(John Carpenter’s The Ward)
USA 2010
Dt. Erstaufführung: 29.09.2011
Regie: John Carpenter

Der moderne Horrorfilm hat ein Problem: er ist oft doch auf geradezu frustrierende Weise austauschbar. Es gibt kaum gestalterische, geschweige denn inhaltliche Überraschungen, viel zu oft versagen sie sogar auf dem eigentlichen Betätigungsfeld des Genres, dem Erzeugen von Angst. Gerade der Geisterfilm ist in seinen neueren Beiträgen näher an dem unsäglichen 1999er Remake Das Geisterschloss als an dem atmosphärischen Original Bis das Blut gefriert. Und selbst ein Altmeister wie John Carpenter kann nicht viel mehr tun, als sich den Spielarten des massenkompatiblen Genrefilms anzubiedern. The Fog – Nebel des Grauens, auch ein Film mit geisterhaften Antagonisten, war seinerzeit recht unspektakulär, erscheint in der Retrospektive aber sehr viel besser, frischer, spielfreudiger als The Ward, Carpenters erstem Film seit neun Jahren und dem Debakel Ghosts of Mars. Es sollte ein großes Comeback werden, herausgekommen ist ein Sturm im Wasserglas. Sicherlich entbehrt The Ward nicht eines genügsamen Unterhaltungswerts, aber der Ideenklau bei Filmen wie Identität und das weitestgehende Fehlen von Carpenters Handschrift machen aus ihm eine recht unbefriedigende Angelegenheit.

Die junge Kristen (Amber Heard) wird völlig verwirrt in eine Psychiatrie eingewiesen, nachdem sie ein abgelegenes Farmhaus bis auf die Grundmauern abgebrannt hat. In der streng geführten Einrichtung lernt sie sie anderen weiblichen Insassen kennen, die alle von einer geisterhaften Erscheinung berichten, die die Station heimsucht. Schon bald befindet sich auch Kristen im Fadenkreuz der Entität…

Wenn man The Ward extrem herunterwertet, spricht möglicherweise der enttäuschte Fan aus einem. Denn, bei aller Generik ist Carpenters 18. Kinofilm ein handwerklich kompetent gemachter Film, der zumindest mit einigen wohlig gruseligen Einstellungen aufwarten kann. Es sind Standardmomente des Genres, meist vorhersehbar, in der Exekutive aber dennoch hübsch anzusehen. Was fehlt ist eine stringente Atmosphäre, ein durchgehendes Gefühl der Bedrohung, wie es der Film gebraucht hätte. Zudem verlässt er sich allzu sehr auf die Ausstellung des Altbekannten, auf wenig freundliche Psychiatrieeinrichtungn mit allem, was spätestens seit Einer flog übers Kuckucksnest dazu gehört. Innovationskraft gehört nicht gerade zu den Stärken von The Ward.

An dieser Stelle sei denjenigen, die ein Spoilerfreies Filmerlebnis schätzen, vom Weiterlesen abgeraten, denn das Ende muss einfach diskutiert werden.

Das Ende ist ein typischer Fall eines Films, der sich als cleverer generieren will als er eigentlich ist. Der Kniff mit der gespalteten Persönlichkeit, deren dominantesten Vertreter um Vorherrschaft in ein und demselben Körper kämpfen, ist ein recht müder, weil bereits zu angegriffener, Twist, das modernisierte Äquivalent zu „Es war alles nur ein Traum“. Wahrscheinlich muss man noch froh sein, dass die „Enthüllung“ nicht penetrant nach Anerkennung verlangt, sondern ziemlich schnörkellos erzählt wird.

The Ward ist insgesamt ein auf seltsame Art wenig greifbarer Film, was nicht für irgendwelche ätherischen Qualitäten steht, sondern für sein allgemein generisches Sein. Der Film ist handwerklich gekonnt inszeniert, mit 10 Millionen Dollar im 21. Jahrhundert wohl als Low-Budget anzusehen und hat, zumindest theoretisch, einen der versiertesten Genreregisseure als Schirmherr auf dem alles entscheidenden Stuhl. Doch Carpenter wirkt hier ähnlich wenig präsent wie bei Jagd auf einen Unsichtbaren, als hätte er schon im Vorfeld aufgegeben, weil er wieder nur das Drehbuch anderer verfilmt und sein Namenszusatz im Titel eher zu Marketingzwecken genutzt wird. The Ward hat einen nicht abzustreitenden Unterhaltungswert, keine Frage, aber den kann man auch bei inhaltlich ähnlichen Produktionen von Regie-Newcomern finden. Würde nicht der große Name überall stehen, man würde nicht auf die Idee kommen, einen stereotypen Horrorfilm wie diesen mit John Carpenter in Verbindung zu bringen. Das Comeback wird zum Beweis, dass der ehemals unabhängige Regisseur dem Zwang zur Uniformität im Unterhaltungssektor erlegen ist. Erfreulich ist das nicht, aber die heutige Medienlandschaft hat immerhin den Vorteil, dass man sich jederzeit dank Heimmedien in die Zeit zurückversetzen kann, in der Carpenter atmosphärische Meisterstücke erschaffen hat. Und das sei gerade jenen jungen Filmfreunden empfohlen, die Carpenter nicht durch The Ward – Die Station kennerlernen sollten. Glaubt mir, er war einst zu sehr viel mehr in der Lage.




Mittwoch, 29. Oktober 2014

Ghosts of Mars (2001)




GHOSTS OF MARS
(John Carpenter’s Ghosts of Mars)
USA 2001
Dt. Erstaufführung: 18.10.2001
Regie: John Carpenter

Drei Jahre nahm sich John Carpenter Zeit, um nach dem vergessenswerten Vampire einen weiteren Film vorzulegen – und damit den absoluten Tiefpunkt seiner Karriere abzuliefern. Genauso wie man bei den eher unbekannten Werken eines Regisseurs fast automatisch ein vergessenes Meisterwerk vermutet, wittert man bei einem so universell abgelehnten Film wie Ghosts of Mars eine ungerechte Behandlung – er kann doch gar nicht so schlecht sein, oder? Leider ja; manchmal zerplatzen schöne Hoffnungen nun mal wie Seifenblasen. Ghosts of Mars ist ein kruder, ein so unglaublich klischeebeladener Film, dass er müde Auftragsarbeiten wie Jagd auf einen Unsichtbaren und Das Dorf der Verdammten wie eine gute Samstag-Abend-Beschäftigung aussehen lässt. Selbst die potenziell guten Ideen, mit denen der jüngere, wildere Carpenter bestimmt Spaß gehabt hätte, verpuffen ob der grausigen Art und Weise, wie sie ausgeführt und behandelt werden.

In der Zukunft wird der Mars von Menschen besiedelt, um der katastrophalen Überbevölkerung der Erde Herr zu werden. Eine Polizeieinheit unter der Führung von Commander Helena Braddock (Pam Grier) soll den Schwerverbrecher James „Desolation“ Williams (Ice Cube) aus einer Minenstadt auf dem roten Planeten abholen und überführen. Doch leider müssen sie bei ihrer Ankunft feststellen, dass die meisten Siedler von den Seelen der Mars-Ureinwohner besessen sind, die nun mithilfe ihrer neuen Körper den Kampf gegen die Kolonialisten aufnehmen…

Aliens, die sich gegen die Landnahme von der Erde zur Wehr setzen, eine Gesellschaft, in der das Patriarchat abgeschafft wurde, das Dilemma, dass die Geister des Mars nach dem Tod des Wirtskörpers weiterleben und de facto unbesiegbar sind – es mangelt Ghosts of Mars nicht an Ideen, die die Zutaten zu einem vergnüglichen B-Film hätten sein können. Doch was macht Carpenter aus ihnen? Die außerirdischen Geister sind tumbe Monster, brutal und aggressiv, auch schon vor der Kolonialisierung, das Matriarchat ist lediglich der Aufhänger für dumpfe Lesben-Anspielungen (weil eine taffe Figur wie Braddock in der Logik des Actionfilm natürlich ein lesbischer „sexual predator“ sein muss) und die Besessenheit dient nur als Ausrede für die Zurschaustellung von Verstümmelungen. In vielerlei Hinsicht ist Ghosts of Mars die Art von Trash, die Carpenter selbst bei seinen bisher schlechtesten Filmen noch weitestgehend umgehen konnte: martialischer Müll ohne Gespür für Atmosphäre, Charaktere und Settings.

Die mangelnde Qualität des Films ist fernerhin dafür verantwortlich, dass der Planet Mars in der sehr eigenen Logik der Filmwirtschaft seitdem als Kassengift angesehen wird, denn Ghosts of Mars war nach dem leicht prätentiösen Mission to Mars und dem eigentlich recht vergnüglichen verfilmten Groschenroman Red Planet der dritte finanzielle Filmflop, der auch noch weitestgehend bei der Kritik durchfiel. Jüngere Megaflops wie John Carter – Zwischen den Welten haben den schlechten Ruf des Mars im Kino nur noch weiter zementiert - als würde es an der Darstellung des Planeten selber liegen und nicht an den Drehbüchern.

Wie man es auch dreht und wendet, Ghosts of Mars ist bis dato Carpenters schlechteste Arbeit, ein in seiner Simplizität eher an die weniger fordernden Vertreter des Videospiels erinnernder C-Film mit Figuren aus dem Überraschungsei, lahmer Dramaturgie und kaum Unterhaltungswert jenseits der kruden Faszination, wie der Regisseur von Sie leben und Assault – Anschlag bei Nacht so einen generischen Blödsinn auf den Zuschauer loslassen konnte. Nach Ghosts of Mars sollte John Carpenter lange Jahre von der Bildfläche verschwinden. Man muss nicht lange darüber nachgrübeln, warum.