SNOWPIERCER
USA/Südkorea 2014
Dt. Erstaufführung: 03.04.2014
Regie: Bong Joon-ho
Dt. Erstaufführung: 03.04.2014
Regie: Bong Joon-ho
Fun Fact:
Die US-amerikanischen Verleiher wollten Regisseur Bong Joon-ho dazu
verpflichten, eine weniger „intelligente“ Fassung des Films herauszubringen,
weil man um seine Potenziale auf dem US-Markt fürchtete. Joon-ho wehrte sich
dagegen und so ist der Snowpiercer,
den auch wir hierzulande zu Gesicht bekommen, nicht eine (noch weiter)
verwässerte Version. Dies zeigt vor allem eins: dass an dem Klischee des
US-Bürgers, der alles im weitesten Sinne „ausländische“ an Kulturprodukten
automatisch eine höhere Wertigkeit und Intelligenz zuschreibt, immer noch etwas
dran ist – so ähnlich, wie die Deutschen die Italiener oder die Franzosen
insgeheim immer noch für lebensfroher als sich selbst halten. Dementsprechend
waren die Kritiken in den Staaten phänomenal, Snowpiercer wurde zu einem Liebling der Rezensenten, dessen
fordernder Inhalt immer wieder lobend in den Vordergrund gesetzt wurde.
Vielleicht haben die Kritiker in den USA klammheimlich doch eine andere Version
zu sehen bekommen als die Europäer, denn zumindest der Kunde vom überragend
intelligenten Drehbuch wird der auf einem französischen Comic basierende Film
nicht gerecht. Sicherlich macht sich Snowpiercer
mehr Gedanken um sein Setting als der nächstbeste SF-Actionfilm, aber so
wirklich in die Tiefe gehen will er dann auch nicht.
Der Versuch, die Erderwärmung zu
stoppen, ist katastrophal gescheitert: durch eine in die Erdatmosphäre
ausgebrachte Chemikalie wurde eine Kettenreaktion ausgelöst, die die Erde in
eine alles Leben vernichtende Eiszeit gestürzt hat. Die Reste der Menschheit
bewegen sich in einem gigantischen Zug, dem titelgebenden „Snowpiercer“,
angetrieben von einer geheimnisvollen Maschine, auf einem alle Kontinente
umspannenden und dereinst vom Zugfanatiker Wilford (Ed Harris) erbauten
Schienennetz um die Welt. In diesem Mikrokosmos leben die Wohlhabenden im vorderen
Teil des Zuges, der Pöbel darbt im hinteren Teil und wird von den faschistoiden
Streitkräften der Herrschenden gequält. Curtis (Chris Evans) und die Seinen
haben den ihnen zugedachten Platz in der Hierarchie verständlicherweise satt
und proben den Aufstand – das Ziel, den Triebwagen und damit die alles
beherrschende Maschine zu erreichen, fest vor Augen…
Snowpiercer legt eine geradezu manische Energie an den Tag. Ähnlich
wie für die Protagonisten im Film selbst scheint Stillstand für ihn ein
Todesurteil zu sein. Joon-ho bewegt seinen Film mit einem flotten Tempo voran,
ohne dabei auf eine generische Abfolge von Actionsequenzen zu setzen. Die
Handlung wird konstant nach vorn (haha) gebracht, es ist unbestreitbar, dass Snowpiercer ein Film ist der sich schlicht
bewegt. Dennoch lässt er dem Zuschauer genug Raum zum Nachdenken und das ist
paradoxerweise einer seiner Fehler.
Wie kann das sein, wenn man es
doch immer begrüßen sollte, wenn ein Genrefilm die Intelligenz seines Publikums
nicht beleidigt? Zum einen ist Snowpiercer
sehr sorgsam darin, kritische Plotelemente zu erklären. So erfährt man, wie
die Wasserversorgung funktioniert und woraus die Nahrungsersatzstoffe gemacht
sind, die als Speisung für die Marginalisierten aus dem hintern Zugteil dienen.
Doch dann passieren die Figuren beispielsweise ein gut gefülltes Kühlhaus und
es wird mit keinem Wort erwähnt, so die Rinderhälften und die Unmengen Hühnchen
eigentlich herkommen. Der Film spielt 17 Jahre nach der Apokalypse. Ich bin
kein ausgewiesener Experte, aber auch gekühlt dürfte sich Fleisch nicht über
solch einen langen Zeitraum halten. Und wenn es eine lebens- und
reproduktionsfähige Anzahl von Rindern und Hühnern gibt, warum verschweigt der
Film diesen Wagen so konsequent? Auch die Unterbringung der Oberschicht wird
nicht weiter beleuchtet, man sieht lediglich ihre Annehmlichkeiten:
Zahnarztpraxis, Sauna, Disco. Dass man, um in die Disco zu gelangen, immer den
Saunawagen passieren muss, ist nur eines der Details, auf die man wohl nicht
allzu deutlich achten soll. Auch unterhält man eine eigens für Revolten
zuständige Hooligantruppe.
Zugegebenermaßen schafft es der
Film immer wieder, dass solche Gedanken in den Hintergrund treten, wenn Snowpiercer seine Kinetik voll
ausspielt. Ein grundlegendes Gerechtigkeitsbedürfnis lässt die sich anbahnende
Revolution immer wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit treten, auch wenn der
Film letztlich eine plausible Erklärung für die Zuginterne
Gesellschaftsstruktur schuldig bleibt. Snowpiercer
ist selbstredend über alle Maße plakativ, wirklich niemanden dürfte die
Gesellschaftskritik entgehen und als mitunter erstaunlich differenziertes
Lebensbild (kaum eine Figur, die nicht zwei Seiten hat) kann der Film zwar
punkten, doch viel mehr als über ein ominösen Losverfahren, mit dem man den
Platz im Zug zugewiesen bekommen hat, erfährt man nicht. Auch nicht darüber, ob
die Menschen aus dem hinteren Teil außer der Kinderproduktion noch eine weitere
Aufgabe an Bord erfüllen. Das, was Snowpiercer
nachprüfbar anbietet, ist etwas dünn, um die illustrierte Gesellschaft
vollständig zu legitimieren. Man kann nun einwenden, genau dies sei ja der
Spiegel, den der Film der Realität vorhält, aber gehört es auch zu den Stärken
des Kinos, über das Bekannte hinauszugehen und etwas mehr Substanz zu bieten.
Als spekulativer Auswuchs eines konsequenten Sozialdarwinismus, der auf Zufall
und Ökonomie fußt, ist Snowpiercer
nicht gänzlich erfolgreich.
So nimmt der Film den Zuschauer bei
aller Bewegung immer wieder aus der Geschichte heraus, wenn er ihn dazu
animiert, seinen Denkapparat nicht gänzlich auszuschalten. Dadurch, dass man
immer wieder Fragen nach der inneren Logik stellen kann, wird ihm sein eigener
Ansatz zum Verhängnis, auch wenn das Wort im Hinblick auf die allgemeinen
Unterhaltungswerte des Films wohl etwas zu harsch ist. Denn als futuristischer
Actionfilm kann er stets überzeugen, die Kameraarbeit und das Produktionsdesign
sind fantastisch, die sozialen Aspekte immerhin für Diskussionen gut (schon
allein, weil es an Bord des Zugs vor allem eine Ober- und eine Unterschicht
gibt. Die Mittelschicht wird durch zahlenmäßig wenige Bedienstete, die sich im
Status Quo eingerichtet zu haben scheinen, vertreten).
Snowpiercer ist sicher kein neuer Genreklassiker, auch wenn darüber wohl die Zeit entscheiden wird. Aber sein purer Wille, sich nicht komplett einer verordneten Idiotie hinzugeben, verbunden mit der souveränen und deutlich mit Spaß ausgeführten Regie von Bong Joon-ho, die schon seinen internationalen Durchbruch The Host vor dem vollkommenden Trash rettete, machen aus Snowpiercer zumindest ein solides Stück Unterhaltungskino. Auch wenn man speziell in Deutschland immer wieder daran denken muss, was wäre, wenn der Zug im Film von der DB betrieben würde, wo drei Schneeflocken dort doch meist schon als Naturkatastrophe interpretiert werden…
Snowpiercer ist sicher kein neuer Genreklassiker, auch wenn darüber wohl die Zeit entscheiden wird. Aber sein purer Wille, sich nicht komplett einer verordneten Idiotie hinzugeben, verbunden mit der souveränen und deutlich mit Spaß ausgeführten Regie von Bong Joon-ho, die schon seinen internationalen Durchbruch The Host vor dem vollkommenden Trash rettete, machen aus Snowpiercer zumindest ein solides Stück Unterhaltungskino. Auch wenn man speziell in Deutschland immer wieder daran denken muss, was wäre, wenn der Zug im Film von der DB betrieben würde, wo drei Schneeflocken dort doch meist schon als Naturkatastrophe interpretiert werden…
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