Freitag, 29. November 2013

Pacific Rim (2013)




PACIFIC RIM
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 18.07.2013
Regie: Guillermo del Toro

Im wundervollen Comic Strip Calvin & Hobbes gibt es an einer Stelle einen bezeichnenden Dialog. Auf die Frage, was im Kino läuft, liest Protagonist Calvin seinem Kumpel Hobbes folgende Inhaltsangabe für einen Film mit „japanischer Besetzung“ vor: „Zwei glibberige Riesenmonster kloppen sich um die Weltherrschaft in den wichtigsten Metropolen.“ Hobbes‘ Erwiderung: „Und da heißt es immer, der ausländische Film sei unübertroffen.“
Ein bisschen fühlt es sich so an, als habe Guillermo del Toro diesen Strip gelesen und sich gesagt, dass dies eine tolle Filmprämisse sei. Oder er hat sich schlicht von den Godzilla-Filmen inspirieren lassen. Wie auch immer, Pacific Rim kommt der Calvin & Hobbes-Inhaltsangabe ziemlich nah und da er auch den ironischen Unterton nicht außer Acht lässt, bewahrt er sich davor, in Transformers-Gebiet abzudriften.

Die Aliens kommen aus der Tiefe: durch einen Riss zwischen den Dimensionen am Pazifikgrund gelangen riesenhafte Kreaturen auf die Erde, um einen Vernichtungsfeldzug gegen die Menschheit zu starten. Die Nationen der Welt bündeln ihre Ressourcen, legen ihre Differenzen bei und erschaffen riesige Kampfroboter, Jaeger genannt, um die Kaiju getauften Monster zu besiegen. Um die monströsen Apparate zu steuern verschmelzen zwei Menschen zu einer geistigen Einheit, weil die neurale Belastung für einen allein nicht auszuhalten wäre. Nach sieben Jahren sind die Kaiju Popkultur und die Menschheit scheint zu gewinnen, als der Jaeger-Pilot Raleigh (Charlie Hunnam) seinen Bruder im Gefecht verliert. Weitere fünf Jahre später dämmert es den Menschen, dass auch die Feinde der Evolution unterliegen – die Kaijus passen sich an und rüsten sich zum finalen Kampf, während die Weltregierungen lieber auf instabile Schutzmauern an den Küsten setzen und die kostspieligen und in letzter Zeit wenig erfolgreichen Jaeger zur Ausmusterung schicken wollen. Raleigh wird von seinem ehemaligen Chef Stacker (Idris Elba) rekrutiert: mit den letzten vier verbleibenden Jaegern soll die Apokalypse doch noch aufgehalten werden…

Guilermo del Toro ist ein Fanboy. Dies merkte man bereits bei seinen werkgetreuen Adaptionen der Hellboy-Comics und nun auch bei Pacific Rim. Del Toro macht keinen Hehl daraus, dass er eine wahre Freude an den Konfrontationen zwischen riesigen Robotern und riesigen Monstern hat und frönt dabei seinem inneren 12jährigen Jungen. Dabei steht ihm gut zu Gesicht, dass ihm der Rest, anders als Michael Bay, nicht vollkommen egal ist. Del Toro hat sich spätestens mit Pans Labyrinth als stark an Charakteren interessierter Regisseur geoutet und auch wenn keine Figur in Pacific Rim vor Originalität übersprüht, so nehmen die interpersonellen Aktionen weit mehr Raum ein, als man erwarten würde. Zwar baut er den Verlust von Raleigh nicht weiter aus, der Schmerz des Charakters wird in der Fünf-Jahres-Blende größtenteils versteckt, aber mit der Konstellation Stacker/Mako Mori (Rinko Kikuchi) schlägt del Toro verblüffend viele richtige Saiten an. Den beiden Darsteller gelingt es, mit subtilen Gesten eine glaubwürdige Ziehvater/Ziehtochter-Beziehung aufzubauen und Mana Ashida als junge Mako sollte nicht unerwähnt bleiben – ihre Sequenzen gehören zum emotional potentesten, was der Film zu bieten hat.
Da das Dreieck Raleigh/Stacker/Mako so gut funktioniert, verzeiht man auch die forcierte Feindschaft zwischen Raleigh und Pilotenkollege Chuck (Robert Kazinsky), die völlig unmotiviert daherkommt, und die anstrengenden Eskapaden der comic relief-Figuren Dr. Geiszler (Charlie Day) und Gottlieb (Burn Gorman). Und das Ron Perlman in einem besseren Cameo-Auftritt erscheint wird wohlwollend zur Kenntnis genommen, auch wenn sein Hannibal Chau reichlich überflüssig ist.

Pacific Rim setzt auf eine globalpolitische Botschaft. Durch die Bedrohung durch die Kaiju eint sich die Menschheit, was ein hübsches progressives Element darstellt, während andere Zutaten in diesem wilden Mix geradezu rückwärtsgewand sind: am Ende ist es die Atomkraft, die uns retten kann. Okay. Und dann wird an anderer Stelle die Umweltverschmutzung ins Spiel gebracht, die die Existenz der Kaijus begünstigt. So richtig kann sich Pacific Rim nicht zwischen klassischer Action á la Independence Day und moderner Action mit einem Bewusstsein hinter der Fassade entscheiden. Ob das auch am Stilmix, der klassische Monsterfilme amerikanischer und japanischer Couloir mit Versatzstücken des Science-fiction und des Animes verquirlt, liegt, sei dahingestellt. Fakt ist auf jeden Fall, dass man im Abspann den Creature Feature-Helden Ray Harryhausen, Stop-Motion-Animator u.a. bei Jason und die Argonauten, und Ishirô Honda, dem Regisseur des originalen Godzilla, dankt und sich auch sehr viele Motive aus der Anime-Serie Neon Genesis Evangelion leiht. So viele, dass man manchmal schon fast von Plagiat sprechen könnte. Doch die Komplexität der Serie erreicht Pacific Rim nie.

So hat die ehrliche Freude an der Action auch etwas Entwaffnendes. Hier hat ein kleiner Junge stellvertretend für viele andere kleine Jungen sehr viel Spaß. Ja, Pacific Rim ist hauptsächlich durch die Existenz von Testosteron zu erklären und ja, der Kampf in Hong Kong ist die beste am Rechner erzeugte Schlacht seit dem „Triple-T-Rex-Smackdown“ im King Kong-Remake. Auch dieses versprühte das Flair eines Kindes, dass mit seinem Spielzeug einen zuvor gesehenen Film nach den Maximen des „Höher, Schneller, Weiter“ nachspielt. Das ist zwar nichts Besonderes und man hat vieles bereits in der einen oder anderen Form gesehen, aber Pacific Rim wohnt genug Unterhaltungswert und ein Mindestmaß an Gedanken inne, dass er kein Desaster wird. Und das ist weitaus mehr, als man von den meisten Sommerblockbustern 2013 behaupten kann.



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Donnerstag, 28. November 2013

Lone Ranger (2013)




LONE RANGER
(The Lone Ranger)
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 08.08.2013
Regie: Gore Verbinski

Das passiert, wenn man sich seiner Sache zu sicher ist. Mit einem exorbitanten Budget von 215 Millionen US-Dollar hat Disney einen der größten Flops des Jahres in die Kinos gebracht. Dabei schien doch alles klar zu sein: man hatte eine in den USA beliebte Ausgangsgeschichte, die vom Lone Ranger und seinem Partner Tonto. 1933 erblickten sie als Protagonisten einer Radioserie das Licht der Welt, es folgten TV-Serien wie Die Texas Rangers (ab 1949) und Filmversionen wie Der weiße Reiter (1956) und Die Legende vom einsamen Ranger (1981). Das auch letztere Version ein Kinoflop war, blendete man wohl aus. Schließlich hatte man Johnny Depp an Bord, der zusammen mit Regisseur Gore Verbinski einen ähnlichen Erfolg wie Fluch der Karibik einfahren sollte. Zumal Verbinski zuvor mit dem animierten Rango das Westerngenre neu belebt hatte. Doch Erfolge lassen sich augenscheinlich doch nicht planen. Gerade im Vergleich mit Rango offenbart sich, dass ein Mediumswechsel dem Lone Ranger womöglich gut getan hätte. Verbinskis Film ist angelegt wie ein Cartoon, der sich als Realfilm durchschlägt und dementsprechend seine Wirkung verfehlt.

1869 im Wilden Westen: Der pazifistische Anwalt John Reid (Armie Hammer) und sein Bruder, der Texas Ranger Dan (James Badge Dale) werden von dem entflohenen Straftäter Butch Cavendish (William Fichtner) und seinen Mannen ermordet. Doch dank der spirituellen Kraft eines weißen Pferdes und der Hilfe des durchgeknallten Indianers Tonto (Johnny Depp) gelangt John wieder unter die Lebenden und begibt sich als Lone Ranger getarnt auf die Spur von Cavendish. Zufällig enthüllen sie ein Komplott gegen die indianische Bevölkerung, das einige Beteiligten sehr reich machen könnte. Dabei spielt die Eisenbahn, die gerade den Westen erschließen soll, eine nicht unwesentliche Rolle…

Der Western hat es im 21. Jahrhundert schwer. Hier und da taucht nochmal ein Gattungsvertreter auf, im Großen und Ganzen hat sich das Genre aber aufs Altenteil zurückgezogen. Interessanterweise sind zwei der erfolgreicheren Beispiele animiert: Spirit – Der wilde Mustang und der schon erwähnte Rango. Auch Lone Ranger ist ein Animationsfilm – zumindest in seiner Seele. So hat es etwas zutiefst albernes, wenn sich Armie Hammer und Johnny Depp wie Cartoonfiguren geben. Jeglicher Witz geht verloren und lässt nur peinlich berührtes Kopfschütteln zurück. Die Eskapaden der Zwei zünden ebenso wenig wie ihre Dialoge, die sie sich reißbrettartig zuwerfen. Hammer ist ein farbloser Held und Depp ist in einem unangenehmen Pirates of the Caribbean 3-Modus gefangen (darüber, dass man Depp einen Indianer spielen lässt, wollen wir gar nicht erst anfangen zu diskutieren). So stolpern die Zwei ungelenk und irritierend durch fast 2 ½ Stunden Film, der ein Grundinteresse nur dadurch aufrecht erhalten kann, dass man sich fragt, welche Blödsinnigkeit als nächstes auf den Zuschauer losgelassen wird.

Eins sollte man allerdings nicht unterschlagen: Gioachino Rossini passt perfekt in den Wilden Westen. Das Finale seiner William Tell Ouvertüre untermalt herausragend das einsame Highlight des Films, den Showdown auf einem Zug. Diese Sequenz ist voller Spielfreude, Esprit, Spannung, Tempo – also allen Eigenschaften, die man im Rest des Films so schmerzlich vermisst. Dies lässt nicht nur die vorherigen zwei Stunden Spielzeit kurzzeitig vergessen, die Sequenz ist auch eine der besten Actioneinstellungen des Jahres. Wirklich schade, dass sie sich in Lone Ranger und nicht in einem besseren Film befindet.

So mäandert der Film vor sich hin, weiß wenig sowohl mit seinen Haupt- wie auch seinen Nebenfiguren (Helena Bonham Carter als Bordellchefin mit schießwütigem Elfenbeinprothese…) anzufangen und irritiert viel mehr als dass er gut unterhält. Wenn der perfekte Showdown einsetzt hat Lone Ranger womöglich schon so viele Zuschauer in die Flucht geschlagen, dass sie das Highlight nicht mehr mitbekommen. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass es schwer fallen dürfte, Verbinskis Film zu verlassen oder auszuschalten. Ob aber die Neugier darauf, welchen Fehltritt er als nächstes begeht eine Empfehlung wert ist, das ist eine sehr individuelle Entscheidung. Lone Ranger ist das perfekte Beispiel dafür, dass wir als Publikum uns halt doch nicht jeden Mist vorsetzten lassen, egal wie sehr man meint, eine perfekte Malen-nach-Zahlen-Formel gefunden zu haben.


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Frances Ha (2012)




FRANCES HA
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 01.08.2013
Regie: Noah Baumbach

Frances Ha ist einerseits eine einzige Hommage an Woody Allens New Yorks á la Manhattan, andererseits an das französische Nouvelle Vague. Fast jedes Frame des digital in schwarz/weiß gedrehten Films schreit nach der Aufmerksamkeit der berühmten Vorbilder. Dass sich Noah Baumbachs Film dadurch ein Stück weit einer gänzlich eigenständigen Identität beraubt, ist noch verkraftbar, auch wenn er frustrierend wenig mit seiner Optik anstellt (oft hat man eher den Eindruck, der Film wurde in Farbe gedreht und dann konvertiert). Was sauer aufstößt ist der erste Teil des Films, der sich stark in Take This Waltz-Territorium begibt: unsympathische Figuren sagen und tun unsympathische Dinge. Doch dann, als sich die Hauptfigur vom Ballast anderer Charaktere befreit, beginnt Frances Ha urplötzlich aufzublühen und die Anstrengungen des Beginns erweisen sich als kluger Baustein des dramaturgischen Konstrukts.

Frances (Greta Gerwig) ist 27 Jahre alt und lebt in New York. Gefangen in einem postpubertären Schwebezustand versucht sie als Tänzerin Fuß zu fassen, was ihr nicht wirklich gelingt. Als ihre beste Freundin Sophie (Mickey Sumner) aus der gemeinsamen WG auszieht, um mit ihrem Freund (Patrick Heusinger) zusammenzuleben, kann sich Frances ihr Appartement nicht mehr leisten. Sie zieht mit den Hipstern Lev (Adam Driver) und Benji (Michael Zegen) zusammen, doch auch diese Konstellation hält nicht lange. Durch viele falsche Entscheidungen und einer langsamen Aufweichung ihrer hippen Attitüde beginnt Frances, ihr Leben zu hinterfragen…

Frances Ha ist konzentriert beobachtet, auch wenn die Verlängerung der Pubertät kein neues Sujet ist, Richard Linklater konnte dies bereits Mitte der 1990er Jahre in Before Sunrise – Zwischenstopp in Wien beobachten. Damals hießen die Verweigerer des Erwachsenwerdens noch Slacker und waren durchaus sympathisch gezeichnet. Nun heißen sie Hipster und nerven mit ihrer selbstverliebten Art, die vor allem eins vermissen lässt: Gefühle. Lev und Benji sind grauenvolle Figuren, auch wenn sie natürlich eine dramaturgische Aufgabe erfüllen. Dennoch sind die in der ersten Filmhälfte dominierenden Dialoge in ihrer Mischung aus Arroganz, Distanzlosigkeit und Dummheit mitunter schwer zu ertragen. Auch Protagonistin Frances gefällt sich in dieser Rolle etwas zu sehr, so dass es zunächst schwer ist, Sympathien für sie aufzubauen. Ihre pragmatischere Freundin Sophie, die sich einer Entwicklung nicht so versperrt wie Frances, kommt dabei besser weg.
Doch sobald sich Frances aus dem Dunstkreis von Lev und Benji lösen kann, zeigt der Film, dass sie als Figur zu einer Entwicklung fähig ist. Und plötzlich ergeben die Quälereien vom Beginn sogar Sinn: Erst durch die Distanz kann man Dinge oftmals besser einschätzen. Frances legt ein erstaunliches Talent an den Tag, immer genau die falschen Entscheidungen zu treffen und oft will man sie zur Vernunft schütteln. Doch Baumbach und seine Freundin/Autorin Greta Gerwig lassen den Zuschauer zappeln. Langsam beginnt aber auch die hippe Frances zu erkennen, dass das Leben nicht ewig so weitergehen kann, wie sie es sich am Anfang ausgemalt hat. Eine Begegnung mit einem ihrer WG-Genossen illustriert dies auf subtile Art: Manche Menschen bleiben in ihrer persönlichen Entwicklung stehen, während andere weiterziehen. Am Ende steht die nüchterne, aber dadurch nicht minderwertige Erkenntnis, dass im Kompromiss, im Zurechtstutzen von Träumen auch ein Segen liegen kann. Ein stabiles Fundament ist besser als ein Wolkenkuckucksheim. Dies mag jene, die immer noch in der Phase der Verweigerung stecken, abschrecken, wie ein Verrat erscheinen, aber Baumbach und Gerwing rücken ihre Charakterstudie so in ein Licht, das nicht wie ein trotziger Traum erscheint. Entwicklung bedeutet nicht automatisch etwas negatives, auch wenn es die selbsternannte Boehme so sehen mag.

Auf diese Art unterwandert Baumbach gewissermaßen auch die erste Filmhälfte: Was am WG-Tisch noch eine sich in ihrer coolen „Allwissenheit“ gefallende Konversation war, stößt später an einem Tisch voller „Erwachsener“ auf wenig Gegenliebe. Es sind solche Momente, wie in denen Frances‘ von Selbstliebe erfüllten Statements, die so viel aussagen sollen, aber nur ihre Unwissenheit über das Leben enthüllen, die Frances Ha sehenswert machen. Man schämt sich oft für die Hauptfigur, für ihre manchmal unverschämte Art, Vorteile zu nutzen. Und dann ist da auch tiefes Bedauern, wenn sie verkrampft versucht, die Vergangenheit nicht aus ihren Händen gleiten zu lassen. Die Erkenntnis, dass in einem selbst wahrscheinlich mehr Frances steckt als man wahrhaben möchte ist ebenso bitter wie das langsame Erkennen der Figur, dass sie sich den Herausforderungen des Lebens stellen muss.

Frances Ha hat eine Chance verdient. Wer die erste Hälfte mit ihrem zunächst unreflektierten Portrait einer selbstverliebten „ewigen Jugend“ übersteht und auch kein Problem mit der episodenhaften Struktur der Geschichte hat, der wird am Ende mit einem clever konstruierten Film belohnt, der sehr viel besser aus der Story herausgeht als er eingestiegen ist. Frances Ha ist dadurch immerhin so aussagekräftig, dass er irgendwann durchaus als Generationenportrait von Bedeutung sein könnte.


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Montag, 25. November 2013

The East (2013)




THE EAST
USA/Großbritannien 2013
Dt. Erstaufführung: 18.07.2013
Regie: Zal Batmanglij

The East ist ein Film über Grauzonen. Zwar lehnt er sich in den finalen Minuten deutlich in eine Richtung und identifiziert damit seine Sympathien, aber über weite Teile ist er ein intelligentes Spiel über Macht, deren Missbrauch, Umweltzerstörung und die Untiefen, in denen Menschen operieren, um einem „höheren Gut“ gerecht zu werden. Dabei changiert der Film ständig zwischen den Sympathiewerten und fordert den Zuschauer aktiv auf, selbst Stellung zu beziehen. The East ist ein durchgehend fesselnder Politthriller.

Der Titel ist der Name einer kleinen, aber entschlossenen Gruppe von Öko-Terroristen, die schwerwiegende Umweltsünden großer Konzerne aufdecken und den Verantwortlichen die Folgen ihres Handelns am eigenen Leib spüren lassen, indem sie beispielsweise dem Vorstandsvorsitzenden eines Konzerns, dessen Firma eine Ölpest verursacht hat, Öl in seine Klimaanlage einfließen lassen, das dann sein Haus unbewohnbar macht – so wie den Lebensraum von Millionen Tieren im Meer. Jane (Brit Marling) soll als Undercoveragentin eines elitären Sicherheitsunternehmens die Gruppe infiltrieren, um zukünftige Aktionen gegen die Klienten zu verhindern. Unter den Decknamen Sarah gelingt es ihr schnell, das Vertrauen der kleinen Gruppe zu gewinnen und lernt die Mitglieder, vor allem die zornige Izzy (Ellen Page), den unter den Nebenwirkungen eines als sicher geltenden Medikaments leidenden Doc (Toby Kebbell) und den charismatischen Anführer Benji (Alexander Skarsgård), kennen und nach einiger Zeit auch schätzen. Sie beginnt, hin und hergerissen zu sein zwischen Loyalität ihrer resoluten Chefin (Patricia Clarkson) gegenüber und Verständnis für die Aktionen der Gruppe. Doch Unschuldslämmer gibt es auf beiden Seiten nicht…

Wie sehr The East auch in Zukunft Bestand haben wird, darüber lässt sich momentan noch keine Aussage treffen. Vieles, was Regisseur Zal Batmangliji und seine Drehbuchautorin und Hauptdarstellerin Brit Marling (in beiden Funktionen auch für den faszinierenden Another Earth verantwortlich) auffahren, entspringt aktuellen Debatten. Zugutehalten muss man ihnen aber unbedingt, dass sie diese Dinge nicht ausstellen. So wird das sogenannte „Deep Web“, welches im Zuge der WikiLeaks-Affäre mehr in den Fokus des Öffentlichkeit gelangt ist, zwar erwähnt, nicht aber durch langwidrige Erklärungen ins Scheinwerferlicht gezerrt. The East ist ein Film am Puls der Zeit, nicht aber, um sich damit hip in der Gegenwart zu verordnen. Man kann ihm nur wünschen, dass er sich auch über die unmittelbare Welt seiner Entstehungszeit hinaus behaupten wird. Zumal die Fragen, die er diskutiert, recht zeitlos sind.

Es ist eine schwierige moralische Grauzone, die The East betritt. Einfache Antworten kann es hier nicht geben. Ist es gerechtfertigt, mit illegalen Mitteln große Verbrechen aufzudecken? Im Hinblick auf die aktuelle WikiLeaks-Debatte scheinen die meisten Menschen eher positiv gestimmt zu sein: Edward Snowdon hat richtig gehandelt, deckte er doch Ungeheuerlichkeiten auf, die sonst womöglich nie ans Licht der Öffentlichkeit gekommen wären. Doch wie verhält es sich, wenn man Mittel einsetzt, die Menschen aktiv schaden können? Ist es vertretbar, wenn Verantwortliche zum Bad in von ihren Firmen versuchtem Wasser gezwungen werden, was unabsehbare gesundheitliche Probleme bis hin zum Tod nach sich ziehen könnte? Oder wenn Pharmafirmen mit den Nebenwirkungen ihrer für das schnelle Geld hastig auf den Markt geworfenen Produkte konfrontiert werden? Batmangliji und Marling sind schlau genug, darauf keine abschließenden Antworten zu geben. So mag man Sarahs Chefin als Feindbild ausmachen, handelt sie doch genauso skrupellos wie die Konzerne, von denen sie engagiert wird, wenn es nicht um ihre Klienten geht. Doch auch die in ihrer Zusammensetzung zunächst durchaus sympathisch-verschroben gezeichnete Aktivistengruppe aus Cyber-Hippies und reichen Aussteigern schreckt nicht vor äußerst fragwürdigen Mitteln zurück, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Konzerne nehmen den potentiellen Tod ihrer „Kunden“ in Kauf, The East den Tod derer, die so handeln. Wo bleibt da die Gerechtigkeit auch für jene, die unzweifelhaft Schuld auf sich geladen haben? Gibt sich eine Formation wie die titelgebende Gruppe nur demokratisch und ist es nicht? Am Ende bezeugt der Film unmissverständlich seine Sympathien für alle Whistelblower dieser Welt, deren Gewissen groß genug ist, um sich mit den Mächtigen anzulegen und womöglich Wege zu finden, die Gerechtigkeit herstellen, ohne auf terroristische Mittel zurückzugreifen.

The East ist spannend inszeniert und dank der prägnanten Brit Marling macht der Zuschauer ihren Entwicklungsprozess erfahrbar mit. Komplexer und viel mehr an den Hintergründen interessiert als der durchschnittliche Thriller ist dies eine der leisen Überraschungen des Kinojahres. The East stellt Fragen, verweigert sich einfachen Antworten und unterschätzt vor allem nicht sein Publikum. Dies ist intelligente, diskussionswürdige Unterhaltung.


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