Freitag, 15. November 2013

Kon-Tiki (2012)




KON-TIKI
Norwegen/Großbritannien/Dänemark/Schweden/Deutschland 2012
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Joachim Rønning & Espen Sandberg

Das norwegische Kino fällt auf: Egal ob mit typisch-skandinavischen Spleen-Geschichten (Ein Mann von Welt), dem Update der eigenen Mythologie (Troll Hunter), gekonnten Kinderfilmen (S.O.S. – Ein spannender Sommer) oder den Verfilmungen von landeseigenen Krimi-Exportschlagern (Headhunters), das Land im hohen Norden bringt, gemessen an der Einwohnerzahl, erstaunlich viele sehenswerte Produktionen heraus, die sich zunehmend den Weg auf die großen Bühnen des internationalen Marktes freiboxen. Kon-Tiki macht da keine Ausnahme, als aufwendigster norwegischer Film aller Zeiten wurde er nicht nur für den Oscar nominiert, er ist in seiner ganzen Gestaltung auch sehr auf den weltweiten Markt zugeschnitten. Simultan wurde gar eine norwegische und eine englischsprachige Version erstellt, um vor allem den USA lästige Untertitel zu ersparen. Kon-Tiki ist ein Abenteuerfilm alter Schule, der zwar Bilder von ungeahnter Schönheit zeigt, dramaturgisch aber einige geradezu groteske Entscheidungen präsentiert.

Als junger Gelehrter auf den polynesischen Inseln verfällt Thor Heyerdahl (Pål Sverre Hagen) 1937 der Idee, die Menschen der abgelegenen Inseln könnten von Südamerika aus eingewandert sein und nicht, wie die gängige Lehrmeinung suggeriert, von Asien aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg will er dies mit einer waghalsigen Aktion beweisen: mit einem nach alten Vorbildern exakt nachgebauten Floß und einer abenteuerlustigen Crew aus fünf weiteren Männern sticht Heyerdahl von Lima aus in See, um den Weg zu nehmen, den seiner Meinung nach Menschen bereits vor tausenden Jahren nahmen…

Als Schilderung einer der berühmtesten Seereisen der Welt und der Initialzündung der modernen experimentellen Archäologie ist Kon-Tiki im Besonderen Maße der Wahrheit verpflichtet und den Regisseuren Rønning und Sandberg gelingt es auch über weite Teile, sich an die wahren Begebenheiten zu halten. Wo der Film aber massiv irritiert ist die Seereise selbst, die sich mitunter dramatischer zugetragen hat als es der Film schildert. Ein Sturm, der in der Realität fünf Tage wütete, wird im Film zur Vignette und auch das Floß nahm in der letzten Etappe der Reise weit mehr Schaden, als es die Dramatisierung zeigt (auch wenn es sich letztlich als bemerkenswert stabil erwiesen hat). Es bleibt rätselhaft, warum der Film viele dieser filmisch potenten Einzelheiten zugunsten einer vergleichsweise ereignislosen Dramaturgie nicht nutzt. Hatte man Angst, sich dem Vorwurf der Über-Dramatisierung auszusetzen und ist darum lieber den anderen Weg gegangen? Die filmische Reise der Kon-Tiki ist auf jeden Fall irgendwann zu Ende und hinterlässt ein Gefühl des Verschweigens, als nutzten die Regisseure das Understatement etwas zu sehr.

Dies soll allerdings nicht bedeuten, dass die Reise langweilig inszeniert wäre. Sie lässt „nur“ zu viel weg, aber an großartigen Momenten mangelt es dennoch nicht. Lakonischer Humor paart sich beispielsweise mit einer sanft-schönen Begegnung mit einem Walhai, die eine in Kitsch versinkende ähnliche Szene in Life of Pi locker in den Schatten stellt. Die Rauheit mancher Ereignisse korrespondiert mit Szenen von erhabener Schlichtheit und universeller Schönheit. Kon-Tiki ist eine gute Illustrierung des Ausspruchs „Der Weg ist das Ziel.“ Handwerklich bemerkenswert verfällt der Film immerhin auch nicht der Versuchung, an anderer Stelle mehr Dramatik in die Handlung einzubauen, die er anderswo weglässt. Will heißen: die sechs Männer an Bord des Floßes erleiden keinen Thriller-tauglichen Koller, sondern arbeiten, von kleineren Reibereien abgesehen, gut zusammen. Vielleicht ist es letztlich auch gerade die dadurch entstehende meditative Kraft, die Kon-Tiki sehenswert macht.

So ist Kon-Tiki in seiner tiefsten Seele auch ein Abenteuerfilm für Zuschauer, denen die Eskapaden von Indiana Jones zu albern sind. Der Ausspruch Old School knirscht zwar etwas, aber ist hier wohl angebracht. Die Dramaturgie mag etwas zu gradlinig sein, die Gestaltung dürfte eingefleischte Fans des skandinavischen Films laut „Mainstream!“ schreien lassen, aber dennoch ist Kon-Tiki eine würdige Spielfilm-Adaption jener Reise, die Heyerdahl seinerzeit ebenfalls filmisch dokumentierte und die 1950 einen Oscar als bester Dokumentarfilm gewann. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass sich Heyerdahls These letztlich als doch falsch herausstellte. Einen wichtigen Beitrag zur Wertschätzung der Seefahrer in einer Zeit weit vor Seekarten und GPS hat er dennoch geleistet.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

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