Mittwoch, 13. November 2013

Werden Sie Deutscher (2013)




WERDEN SIE DEUTSCHER
Deutschland 2013
Dt. Erstaufführung: 25.04.2013
Regie: Britt Beyer

Zehn Monate hat die Regisseurin Britt Beyer (Der junge Herr Bürgermeister) die Schüler eines Integrationskurses an einer Berliner Volkshochschule begleitet. Die Bilder aus dem Deutsch-als-Fremdsprache-Kurs bleiben aus dem Off unkommentiert, erzählen aber dennoch ziemlich viel über die nationale Mentalität, mit der sich die Menschen aus Japan, Uruguay, Palästina, Frankreich, Bangladesch und andere Nationen konfrontiert sehen. Werden Sie Deutscher erzählt genauso viel über die Personen, die in diesem Land leben wollen wie über die „Eingeborenen“.

Der Tonfall des Films wird gleich zu Beginn deutlich: durch die Distanz des Films wirft er einen regelrechten Suchscheinwerfer auf die Grotesken, mit denen die Integrationsschüler konfrontiert werden. Sie können noch nicht erahnen, dass sie in dem Kurs mit bemerkenswert vielen Klischees über Deutschland in Berührung kommen, die innerhalb des Unterrichts auch relativ unkommentiert reproduziert werden. „Wenn abends ein guter Krimi im Fernsehen kommt, bin ich glücklich“, tönt es beispielsweise von einer CD. Prostitution ist gut organisiert und was es mit dem Punktesystem in Flensburg auf sich hat, will sich den Teilnehmern auch nicht ganz erschließen. Manches entfaltet eine ganz eigene Komik, andere Beispiele sind subtil beleidigend. Das Beispiel für einen Anruf auf Deutsch schallt von der CD und die dort vorgestellte fiktive Einwanderin fragt nach einem Job als Putzfrau bei einem Bäcker für zwei Stunden pro Tag. Dass die beiden Frauen im anschließenden Spiel daraus Webdesignerin und Deutsche Bank machen, darf man wohl getrost als Aufzeigen von Stereotypen werten.

Der Klassenraum wird öfters verlassen, um einigen Einwandern bei ihren individuellen Bestrebungen zu folgen, Deutschland besser zu verstehen und heimisch zu werden. Dabei entfaltet nur die Geschichte von Shipon Chowdhury die nötige emotionale Anteilnahme. Der aus Bangladesch eingewanderte Chowdhury ist mit einer Deutschen verheiratet, die er gleich an seinem ersten Tag im Land kennenlernte. Sie hilft ihm geduldig bei seinem Lernprozess, er kümmert sich liebevoll um die Tochter aus erster Ehe. An Chowdhury exerziert der Film auch exemplarisch die bürokratischen Schwierigkeiten durch, mit denen sich Einwanderer auseinandersetzten müssen. Dabei erfährt der Zuschauer Misstrauen und schlichte Unverschämtheiten seitens der Behörden ungefiltert mit. Wenn Chowdhury kaum noch in die Kamera schauen kann, weil ihm ob der Behandlung in der Ausländerbehörde die Tränen in die Augen steigen, er und seine Familie wartend in der winterlichen Kälte hingehalten werden oder auch die Einwanderin aus Palästina berichtet, dass sie 20 Jahre Hängepartie mit maximal sechs Monaten Aufenthaltsrecht hinter sich hat, bis man sich erbarmte und es auf zunächst drei Jahre hinaufsetzte, dann muss Werden Sie Deutscher nicht mehr viel dazutun, um den Zuschauer schwer schlucken zu lassen. Dabei portraitiert der Film doch gerade jene Menschen, die so gern als „nützliche Einwanderer“ bezeichnet werden, die hier leben, arbeiten, wählen wollen und denen dennoch diverse Hürden aufgebaut werden, die durchaus zur Disposition stehen könnten. Die „Deutschwerdung“ ist vor allem ein Ungeheuer aus Formularen und einer Pervertierung der „deutschen Gründlichkeit“, über die die Integrationswilligen im Kurs so viel lernen.

Dennoch hätte man auch diese Probleme womöglich im Mikrokosmos des Klassenzimmers verhandeln können. Shipon kommt uns menschlich sehr nahe, die Inserts mit den anderen Einwanderern kommen manchmal dagegen regelrecht störend daher, wahrscheinlich, weil die Beobachtungen im Kurs so unterhaltsam und aufschlussreich sind. Dort wird das Wesen von nationalen Identitäten ernsthaft besprochen, auf jeden Fall ernsthafter, als es das Unterrichtsmaterial dies oft zu tun scheint. Der Zuschauer sieht teils absurde Aufgabenstellungen, die aber genauso gewissenhaft bearbeitet werden wie eine Vorbereitung auf die liberale Debattenkultur. Dass das auch im Integrationskurs schon nach Günther Jauchs Talkshow aussieht, wirkt dabei ziemlich süffisant.
Werden Sie Deutscher ist ein unaufdringlicher Blick auf das Einwanderungsland Deutschland. Man schmunzelt über die grotesken Blüten, die im Kurs manchmal sprießen und bangt mit Chowdhury im Angesicht einer wenig freundlich erscheinenden Ausländerbehörde, die prinzipiell eher gegen Einwanderung zu sein scheint. So legt Beyer ohne viel Aufhebens Paradoxien frei – und wahrt gleichzeitig einen zutiefst menschlichen Blick. Ein sehenswerter Beitrag zur Integrationsdebatte, die manchmal ähnliche Stilblüten hervorbringt wie das Unterrichtsmaterial an der Berliner VHS, nach der alle Deutsche offenbar pünktliche Tatort-Fans sind.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

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