Dienstag, 5. November 2013

Before Midnight (2013)




BEFORE MIDNIGHT
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 06.06.2013
Regie: Richard Linklater

Mit dem Erscheinen von Before Midnight ist Richard Linklaters Chronologie einer Liebe nicht nur zur Trilogie herangereift, sondern auch endgültig zu einem der stimmigsten, konstant hochqualitativen Kinoexperimente geworden. Das einzige, was wirklich negativ ins Gewicht fällt, ist die Tatsache, dass man nun wieder neun Jahre auf eine Fortsetzung warten muss. Before Midnight ist schlicht ein überragender Film.

Neun Jahre sind seit den Ereignissen aus Before Sunset vergangen und wie wir erfahren, haben sich Jesse (Ethan Hawke) und Celine (Julie Delpy) diesmal nicht getrennt, sondern sind zusammengeblieben. Jesse hat seine Frau und seinen Sohn (Seamus Davey-Fitzpatrick) verlassen und der erste ungeschützte Sex mit Celine brachte den Beiden Zwillinge (Jennifer & Charlotte Prior) ins Haus. Die Zwei sind nicht verheiratet, leben aber zusammen in Paris und sind im Sommerurlaub bei einem Autorenkollegen von Jesse in Griechenland eingeladen gewesen. Als sich der Urlaub dem Ende neigt, Jesses Sohn von seinen Stippvisite wieder zurück in die Staaten aufbricht und Celine und Jesse den letzten Abend mal ohne Kinder in einem Hotel verbringen wollen, beginnen sie ihr gemeinsames Leben zu verhandeln. Ist es wirklich so gut, wie sie es sich vor knapp 18 Jahren bei ihrer ersten Begegnung in Wien ausgemalt haben?

Wieder schafft es das Trio Linklater/Delpy/Hawke, den Jesse/Celine-Kosmos sinnvoll und nachvollziehbar zu erweitern. Und wieder ist der Film wunderbar weit entfernt von den gängigen Kinokonventionen. Es wird fast ausschließlich geredet in Before Midnight und es ist eine Freude, dabei zuzuhören. Die Dialoge sind gewohnt nah am echten Leben, die Figuren glaubwürdig, ihre Reaktionen mitunter geradezu unheimlich bekannt. Das Herzstück des Films ist diesmal ein Streit, keine romantisierte Verhandlung der gegenseitigen Liebe und reflektiert damit wieder einmal genial-einfach die fortgeschrittene Beziehung zwischen den Figuren. Wie schnell aus einer erotischen Stimmung ein alles in Frage stellender Streit werden kann, dass konnten sich weder Jesse und Celine anno 1995 vorstellen, noch ihre damals ungefähr im gleichen Alter befindlichen Zuschauer. 2013 sieht die Sache ganz anders aus. Die Before-Filme zu sehen ist wie einen emotionalen Zeitraffer zu erleben.

Dementsprechend ist der Ton gesetzter als in den vorangegangenen Filmen. Before Sunrise – Zwischenstopp in Wien war ein Liebesfilm über den Zauber der ersten Begegnung, Before Sunset handelte von dem unglücklichen Pragmatismus, der sich ins Leben einschleichen kann und aus dem ein Ausweg gesucht wird, während Before Midnight ein gewisses Gefühl von „Pass auf, was du dir wünschst“ versprüht. Celine und Jesse haben das, was sie sich neun Jahre lang wünschten und nun steht ihre Beziehung mehr zu Disposition als jemals zuvor. Der Zuschauer wird lange Zeit in der Schwebe gehalten, ob das großartigste Leinwandpaar aller Zeiten überhaupt eine Zukunft hat. Wieder krachen Vorstellungen und Realität aufeinander, nur anders als in Before Sunrise hat dies diesmal Konsequenzen. Die Beiden stehen nicht mehr für sich allein, ihre Verantwortungen sind größer und mit ihnen die Ängste und Nöte. Eindeutige Postionen beziehen die Protagonisten ohnehin nicht. Ist Jesse unverantwortlich, weil er für Celine seine Familie im Stich gelassen hat, auch wenn die Mutter seines Sohns emotionale Probleme hat und ihn verachtet? Ist Celine unflexibel, wenn sie einen potenziellen Umzug nach Chicago ausschließt? Die Fragen, mit denen sie sich herumschlagen müssen, sind keine Lappalien. Before Midnight ist ein Film über die tragikomische Schönheit des ganz normalen Lebens.

Zudem ist Before Midnight sich seiner Selbst geradezu süffisant bewusst. Der Film räumt ein, dass das Kennenlernen seines Paares in der heutigen Zeit dank Internet und Smartphones nicht mehr in dieser Form möglich wäre und auch, dass die Protagonisten älter geworden sind. Wenn Jesse seinen Sohn am Beginn des Films zum Flughafen bringt und sich über alle Maßen bemüht, mit dem Teenager ein Gespräch zu führen, dann kollidiert der im Selbstverständnis immer noch jugendlich-coole Jesse mit der harschen Realität aus der Sicht seines Sohnes. Er ist einfach nur ein leicht nerviger Vater, dem man Verrücktheiten wie in Before Sunrise niemals zutrauen würde. Before Midnight ist voller solchen kleinen, wunderbaren Momenten.

Was wird aus Celine und Jesse? In neun Jahren sind sie 50, der Sohn erwachsen, die Töchter in ihren letzten Teenagerjahren. Die Kinder werden das Alter ihrer Eltern in Before Sunrise erreichen, was wird das für alle Beteiligten bedeuten? Chicago oder Paris? Trennung oder Durchhalten? Before Midnight endet zwar versöhnlich, nicht aber ohne eine ungewisse Grundnote. Alles ist möglich in dieser Liebesgeschichte und es erscheint ausgeschlossen, dass das Niveau absacken könnte. Dies ist ein intimer, ein subtiler, ein großer kleiner Film. Und Teil einer der besten Filmreihen aller Zeiten. Wer davon nach den ersten zwei Teilen noch nicht restlos überzeugt war, der wird es nach Before Midnight sein.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen