Montag, 18. November 2013

Captain Phillips (2013)




CAPTAIN PHILLIPS
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 14.11.2013
Regie: Paul Greengrass

Captain Phillips ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich ein intelligentes Drehbuch, nervenzerreißende Thrills und minuziöse Action nicht gegenseitig ausschließen müssen. Der auf wahren Begebenheiten beruhende Thriller (diese Behauptung ist hier sehr viel ernster zu nehmen, als wenn sie einem Horrorfilm vorangestellt wird) ist spannend von Anfang bis Ende und bietet darüber hinaus noch eine unaufdringliche Metaebene als Globalisierungskommentar mit sich. Regisseur Paul Greengrass (Flug 93) wertet nicht und entzieht sich auch der meisten gängigen Actionklischees. Hier sind die Antagonisten genauso wichtig und menschlich wie die titelgebende Hauptfigur und alle sind in einem Spiel gefangen, dass schlussendlich nur Verlierer kennt.

Basierend auf den Ereignissen, die der echte Richard Phillips (im Film gespielt von Tom Hanks) in seinem passend zum Film auch auf Deutsch erschienenen und hierzulande reichlich plakativ betitelten Buch Höllentage auf See: In den Händen von somalischen Piraten – gerettet von Navy Seals niedergeschrieben hat, erzählt der Film vom Handelsschiff Maersk Alabama. Unter US-Flagge unterwegs soll es im Jahr 2009 Hilfsgüter nach Mombasa transportieren und muss dabei das Horn von Afrika passieren. In diesen Gewässern wird das Schiff von einer vierköpfigen Gruppe Piraten angegriffen, denen es unter der Führung von Muse (Barkhad Abdi) schließlich auch gelingt, den Frachter zu kapern. Es entspinnt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, in dessen Verlauf die Piraten mit einem Rettungsboot fliehen wollen, nicht aber ohne den Kapitän zu entführen. Die Navy wird zur Hilfe gerufen, unterdessen die Piraten mit ihrer wertvollen Fracht verzweifelt versuchen, dass Festland zu erreichen. Während sich draußen ein Kampf David gegen Goliath anbahnt, werden die Spannungen zwischen Phillips und der sehr heterogenen Gruppe der Entführer stetig mehr…

Captain Phillips ist dann am besten, wenn es Tom Hanks‘ Everyman-Qualitäten dem erstaunlichen Spiel von Newcomer Barkhad Abdi gegenüberstellt. Wie schön, dass sich ein Großteil des Film auch genau daraus zusammensetzt. Captain Phillips ist ein Psychoduell, fast minütlich verschiebt sich das subtile Gefüge, das sich innerhalb der Enge des Rettungsbootes herausbildet. Dabei sind die vorher allesamt unbekannten Darsteller der Piraten ein Erlebnis, bilden sie ihre Figuren doch gänzlich unbeeindruckt von den Statuten aus, die sonst gemeinhin die Prämisse „amerikanische Geisel – ausländische Aggressoren“ prägen. Neben dem besonnenen Anführer Muse (Abdi) setzt sich die Gruppe aus dem jungen, durchaus altruistischen Bilal (Barkhad Abdiranhman), dem ruhigen Elmi (Mahat M. Ali) und dem einzig wirklich gemeingefährlichen Mitglied, dem zornigen Najee (Faysal Ahmed), zusammen. Die Vier stehen unter der Knute eines Warlords, der sie quasi zum Überfall auf die Maersk Alabama zwingt, Somalia erscheint, durchaus der Realität entsprechend, als Ort, der Menschen wie Muse geradezu zwangsläufig produziert. Sie sind nicht schlecht, sie sind Opfer der Umstände und durch die grausame Hand im Hintergrund wird auch ihr Handlungsraum, ihre Eigenständigkeit, empfindlich eingeschränkt. Sollen Muse und die Seinen das Schiff überfallen und ihr Leben riskieren? Wohl kaum. Sie sind Getriebene, dass sie bei ihrer Verzweiflungstat ausgerechnet ein amerikanisches Schiff kapern, ist fast schon schwärzeste Realsatire. Die USA und Somalia, das ist kein schönes Kapitel der Geschichte, auch wenn Ridley Scott noch so heroisierend an die Sache herangeht (siehe Black Hawk Down).

Der Globalisierungsaspekt ist offenkundig, auch wenn man Greengrass‘ Film auch schlicht als handwerklich perfekten Thriller goutieren kann. Doch wenn im Vergleich gigantische US-Flugzeugträger und –Zerstörer ein winziges Rettungsboot umkreisen, in dem vier Piraten aus einem der ärmsten Länder der Welt sich in eine Situation manövriert haben, die sie nicht gewinnen können, dann ist klar, wie die Machtverhältnisse verteilt sind; in dieser Situation und auf globaler Ebene. Das Ende ist unvermeidlich und dementsprechend als Tragödie inszeniert, in dem Hanks sein gesamtes schauspielerisches Können entfaltet. So superb die vorangegangenen zwei Stunden auch sind, es sind diese verhältnismäßig kurzen Minuten gegen Ende, die Captain Phillips nachhallen lassen.

Eine Mini-Kontroverse hat sich darüber entsponnen, ob Captain Phillips nicht einfach nur die US-Version des dänischen Film Kapringen ist, der ebenfalls das Thema Piraterie im somalischen Becken behandelt. Angeblich Greengrass‘ Version überlegen, lief der Film bereits vor über einem Jahr in Dänemark und konnte hierzulande bisher nur im Sommer 2013 auf dem Internationalen Filmfestival München bewundert werden. Es wird interessant sein, die beiden Filme irgendwann der thematischen Nähe gegeben miteinander zu vergleichen. Bis dahin bleibt Captain Phillips einer der besten Filme des Jahres: mitreißend inszeniert (auch wenn Greengrass am Beginn die Close-Ups übertreibt) und vor allem hervorragend gespielt ist dies ein weiterer Grund, den Regisseur auch weiterhin Stoffe aus der Realität fürs Kino aufbereiten zu lassen. Einmal mehr entpuppt sich Paul Greengrass als zutiefst besonnener, humanistischer Auteur.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

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