Freitag, 26. Februar 2016

Victoria (2015)




VICTORIA
Deutschland 2015
Dt. Erstaufführung: 11.06.2015
Regie: Sebastian Schipper

Nach etwa zwanzig Minuten Laufzeit gibt es den ersten und einzigen genuin wunderbaren Moment in Victoria: die Protagonistin und eine ihrer Zufallsbekanntschaften fahren auf einem Fahrrad eine nächtliche Berliner Straße hinunter, die anderen Neu-Freunde folgen, ebenso die Kamera, die den Anschein erweckt, nicht Schritt halten zu können. Die Tonspur blendet die Stimmen der Schauspieler aus und der traumwandlerische Soundtrack übernimmt. Es ist eine gleichzeitig beschwingte wie melancholische Situation, ein Augenblick, der in seiner Einfachheit eine bemerkenswerte Kaskade an Emotionen auslösen kann. Ärgerlich ist, dass der Film durch seine selbstauferlegte Existenzberechtigung, in einem einzigen Take gedreht worden zu sein, diesen Anflug der banalen Poesie schnell kaputt bekommt, weil sich zum Beispiel eine dann weitaus weniger schöne Aufzugfahrt anschließt und schnell auch wieder die enervierenden „Dialoge“ der Figuren zu hören sind. Und genau da liegt das Problem, dass den hochgefeierten Victoria durchzieht: man verbringt etwas über zwei Stunden mit unsympathischen – verzeihen Sie meine Ausdrucksweise – Volldeppen und einer schmerzlich naiven Hauptdarstellerin, die sich innerhalb dieser Zeit zum Kopf für durchdachte kriminelle Aktivitäten mausert. Der Film vertraut so sehr auf sein Gimmick und wohl auch darauf, dass der Zuschauer ständig die Augen nach Möglichkeiten offen hält, wo man doch einen unsichtbaren Schnitt hätte ansetzen können, dass er versäumt, seinen Figuren wirkliche Qualitäten mit auf den Weg zu geben. Victoria gibt alles für die logistische Herkulesaufgabe, lässt aber andere Qualitäten vermissen. Ein gleichermaßen langweiliger wie anstrengender Film ohne Liebe, die über die technische Umsetzung hinausgeht. Hätte er ein Schnittpult benutzt würde wohl niemand über ihn reden.

Eins Nachts gegen vier Uhr morgens verlässt die jungen Spanierin Victoria (Laia Costa) eine Disco in Berlin und macht sich auf den Weg zu dem Café, in dem sie arbeitet und das sie gegen sieben Uhr aufschließen muss. Ihr Weg wird von den angetrunkenen Freunden Sonne (Frederick Lau), Boxer (Franz Rogowski), Blinker (Burak Yigit) und Fuß (Max Mauff) unterbrochen, die sie überreden, noch etwas mit ihnen zu trinken. Sie stehlen ein paar Biere aus einem Spätkauf, trinken sie auf einem Dach und Sonne begleitet Victoria schließlich zurück zu ihrem Café. Kurze Zeit später wird klar, dass Boxer in dieser Nacht noch etwas zu tun hat, er dafür vier Personen braucht, der völlig alkoholisierte Fuß aber unbrauchbar ist. Mehr Sonne zuliebe willigt Victoria ein, als Fahrerin zu fungieren, was sie mitten hinein in einen Banküberfall katapultiert …

Victorias Technik nötigt Respekt ab, ja sie lässt den Zuschauer sogar staunen. Minuziös durchgeplant, punktgenau inszeniert, die Kamera wie ein Handlungssubjekt inmitten des Geschehens, die Kopfbewegungen des Kameramanns Sturla Brandth Grøvlen als verlängertes Sein des eigenen Körpers: es ist eine Meisterleistung, die sich hier abspielt, auch weil die Crew trotz der gewissen Restunsicherheit stets unsichtbar bleibt. Und das alles steht im Dienste einer Geschichte, deren artifizielle Konstruktion stets unangenehm präsent ist. Kann man den ersten Akt noch als intimes Haupsstadtportrait durchwinken, verzettelt sich Victoria danach in einen banalen Krimiplot aus der Tatort-Nachwuchsschreibwerkstatt, der wie der Rest des Films niemals jene Sogwirkung bekommt, wie man es eigentlich erwarten würde.

Unangenehm viel Leerlauf, in der die tumben Charaktere nichts tun bzw. deren Darsteller über ihre nächste Improvisation nachdenken (das „Drehbuch“ umfasste nur zwölf Seiten), schafft es, beinahe jeden Part des Films das nötige Tempo zu nehmen. Erst in der Wohnung des Paares mit Baby liefert der Film einen gelungenen Spannungsbogen, der durch die an dieser Stelle bereits vollkommen eingebüßte Sympathie für irgendeine der Figuren allerdings auch schnell torpediert wird. Sonne und seine Kumpel als „herzensgut“ zu charakterisieren ist eine interessante Wortwahl für einen Haufen dumm daher schwätzender Proleten, die über lange Zeit eher wie potenzielle Vergewaltiger denn wie „nette Berliner Jungs“ wirken. Warum nur sollte Victoria auf ihre übergriffige Art eingehen? Natürlich weil sich Regisseur Sebastian Schipper auch nicht sonderlich um sie kümmert.

Victorias Darstellung ist so widersprüchlich, als habe man es mit zwei Varianten eines Drehbuchs zu tun. Auf der einen Seite auf eine Art naiv, wie sie ebenso unangenehm daherkommt wie das Gehabe und Boxer und Co. mit ihren ewigen „Digger!“-Rufen, auf der anderen Seite eine Virtuosin, deren Intelligenz in einem beachtlichen Missverhältnis zu ihren Taten steht. Der Film versucht gar nicht, ihre Motivationen nachvollziehbar zu gestalten und drängt die Figur in jeder Situation in einen andere Ecke, nur um das jeweilig dramaturgisch notwendige durchzuexerzieren. Victoria ist hervorragend am Klavier, damit Sonne über sie staunen kann. Victoria ist eine skrupellose Kidnapperin, weil sie damit ihre eigene Haut retten kann. Und dann ist sie wieder das gutgläubige Dummchen, das mit den Jungs feiern geht. Nun ist jeder Mensch keine monothematische Angelegenheit, aber etwas Grundstruktur wäre schon sinnvoll gewesen, um Victoria nicht wie einen Spielball der größtenteils doch erstaunlich vorhersehbaren Story zu machen.

Victoria ist ein Film, der bleiben wird. Doch ähnlich wie Avatar – Aufbruch nach Pandora wird es nicht wegen der ausgeklügelten Geschichte sein sondern ausschließlich wegen der eingesetzten Technik. Filmwissenschaftler und –studenten werden ihn analysieren und seine meisterhafte Inszenierung loben, noch viele Zuschauer werden in die Welt des nächtlichen Berlins hineingezogen werden. Doch sie werden dort immer die über alle Maßen anstrengenden und dummen Figuren, die ewig gleichen Dialoge und den stumpfen Krimiplot finden. Victoria ist entweder ein Drama, dass von einem generischen Thriller abgelöst wird oder ein leidlich interessanter Thriller, dem ein zumindest in Ansätzen interessantes Portrait der deutschen Großstadt und einer der vielen Millionen kleiner Geschichten, die tagtäglich in ihr geschehen, vorangeht. Der deutsche Film hat kein technisches Problem, er hat ein Protagonisten-Problem und Berlin pulsiert nicht, sondern gibt nur vor, wirklich am Leben zu sein. So will uns Victoria lediglich mit seinem One-Take-Ansatz überwältigen, wirklich etwas von Belang erzählen will er nicht. Sie können weitergehen, es gibt hier nichts zu sehen oder zu fühlen.





Dienstag, 23. Februar 2016

Bone Tomahawk (2015)




BONE TOMAHAWK
USA 2015
Dt. Erstaufführung: 21.01.2016 (DVD-Premiere)
Regie: S. Craig Zahler

Die Zeiten des Unterkomplexen sind eigentlich vorbei. TV-Serien sind ohne folgen- bzw. staffelübergreifende Handlungsstränge kaum noch denkbar und Filme ohne eine zumindest rudimentäre Reflexionsebene werden in Zeiten des dankbaren Meinungspluralismus schnell demaskiert. Umso erstaunlicher, wie wenig der in Deutschland gleich auf Heimmedien erschienene Horrorwestern Bone Tomahawk in seinen Subtext investiert. Gerade in seiner Grundidee liegt im Kern ein Kommentar zur Xenophobie des Westerngenres, ein Nachdenken über den Hurra-Patriotismus einer Filmgattung, die die „Eroberung“ eines Kontinents und die damit einhergehende Enteignung und Entmenschlichung der indigenen Bevölkerung lange Zeit relativ kritiklos als „Abenteuer“ inszeniert hat. Doch das Regiedebüt von S. Craig Zahler ist weit entfernt von solchen Brechungen, es fehlt ihm der Mut zum Subversiven, eben zur Reflexion jenseits des Boulevardblatt-Charakters seines Sujets. Das Ganze ist zwar stilistisch bemerkenswert sicher und gekonnt inszeniert und Zahler hat eindeutig ein Händchen für Dialoge, aber am Ende des Tages ist Bone Tomahawk ein Film, der allzu leichtfertig lediglich auf die Symbiose zweier Genres hin konzipiert wurde. Cannibal Holocaust trifft auf Tombstone ist als einzig tragendes Element der Handlung dann doch etwas wenig.

Im verschlafenen Westernstädtchen Bright Hope kommt eines Abends ein Fremder an, der sich als Buddy (David Arquette) vorstellt, durch seine Art aber sofort das Misstrauen des Sheriffs Hunt (Kurt Russell) und seines schlichten Deputys Chicory (Richard Jenkins) auf sich zieht. Schnell bewahrheitet sich der Verdacht, denn ein Clan kannibalistischer Indianer verfolgt Buddy, weil er ihre Grabstätte entweiht hat und entführt kurzerhand nicht nur ihn, sondern auch den zweiten Deputy (Evan Jonigkeit) und die Ärztin des Ortes, Samantha (Lili Simmons). Hunt, Chicory, der Pseudo-Gentleman Brooder (Matthew Fox) und der dank eines gebrochenen Beines eigentlich ziemlich immobile Mann Samanthas, Arthur (Patrick Wilson) nehmen die Verfolgung auf, in der Hoffnung, die Entführten noch zu retten, bevor sie in den Mägen der in Höhlen hausenden Antagonisten enden.

Bone Tomahawk will nicht als rassistisch, auch nicht als ein bisschen xenophob, gelten. So trauern die ausnahmslos weißen Protagonisten offensiv um einen schwarzen Stallburschen, der von den Indianern getötet wurde und der wie ein Feigenblatt daherkommende Ureinwohner mit Sprechrolle soll klar machen, dass die Höhlenbewohner jenseits jeder menschlicher Ordnung, ob nun indianisch oder europäisch, stehen. Man kämpft in dieser Logik nicht mit Menschen, sondern mit Monstern. Die Entmenschlichungsbestreben sind eines Eli Roth würdig, der Film setzt viel daran, die komplette Vernichtung des Stammes zu legitimieren. Nun ist es wahrlich kein feiner Zug, Gefangene bei lebendigen Leib in der Mitte zu zerteilen, um sie hernach zu kochen, aber irgendwie wirkt alles wie ein Vorwand, mal wieder zum Stereotyp des „Wilden“ zurückzukommen, der nicht Zivilisationsfähig ist und durch seine Handlungen den Tod verdient hat. Wenn schon die anderen First Nations nicht mit ihnen klar kommen und sie außerdem mit Vorliebe Weiße verspeisen, ist doch alles klar, oder? Gerade im letzten Fakt, der beiläufig eingestreut wird, blitzt etwas von der Subversivität auf, die Bone Tomahawk hätte kennzeichnen können – die Antagonisten als Antwort auf die Landnahme, die die Aggressoren in einem Akt der Verzweiflung verschlingen wie diese es vorher mit ihrer Lebensgrundlage und Kultur getan haben. Ansätze, die Bone Tomahawk zugunsten des plakativen Horroraspekts vollkommen außer Acht lässt. Man wartet ständig auf einen Twist, auf eine clevere Brechung im Portrait der Kannibalen, die niemals eintritt. Die Troglodyten genannten Schurken bleiben kulturlose Heiden (was auch nicht aufgeht, weil der Film ihnen zu dramaturgischen Zwecken eine Spiritualität und beeindruckende chirurgische  Kenntnisse andichtet), ihr Tod ist gerecht, zumal sie auch ihre Frauen nicht so zuvorkommend behandeln wie der weiße Mann (vgl. eine der letzten Szenen in der Höhle). Say what?

Wenn man in der Lage ist, all diese soziologischen und gesellschaftlich frustrierenden Implikationen außer Acht zu lassen, der bekommt mit Bone Tomahawk immerhin einen sauber in Szene gesetzten Film mit detailverlebter Ausstattung und jenen deftigen Effekten, die die Gorehounds anlocken sollen, vorgesetzt. Die Dialoge erinnern in ihren besten Momenten an die Wortwechsel bei Quentin Tarantino (wenn auch hier mit weniger Schimpfwörtern) und die Dramaturgie setzt Wert darauf, die Länge und Strapazen der Reise zu zeigen. Die bereits angesprochenen Gorehounds könnten dabei leicht ungeduldig werden, dabei ist Bone Tomahawk dann am besten, wenn er sich seinen Figuren und ihren Beziehungen widmet. Gerade weil sich der Film in seinem Mittelteil größtenteils so gut macht wirken das Finale und der xenophobische Impetus (natürlich wird man unterwegs auch von Mexikanern überfallen) wie ein nachträglich eingeworfener Zweitgedanke, wie einer Selbsterinnerung, dass man ja hier einen modernen Exploitationfilm drehen wollte.

Bone Tomahawk ist ein sehr unausgegorener Film, der eindeutig inszenatorisches Potenzial seitens Zahler erkennen lässt, aber auch zu sehr einem unreflektierten Horroraspekt huldigt, der in dieser Form dem Film eher schadet als das er ihn aufwertet. Oder sollte das ganze Unterfangen etwa eine Origin-Story für die US-amerikanische „culture of fear“ darstellen?




Donnerstag, 18. Februar 2016

Entity - Es gibt kein Entrinnen vor dem Unsichtbaren, das uns verfolgt (1982)




ENTITY – ES GIBT KEIN ENTRINNEN VOR DEM UNSICHTBAREN, DAS UNS VERFOLGT
(The Entity)
USA 1982
Dt. Erstaufführung:20.01.1983
Regie: Sidney J. Furie

Die ständigen Querverweise im Internet und gerade in den Filmblogger-Kreisen können mitunter anstrengend sein. Da erweist sich die eine Sequenz aus jenen Film als eine Reminiszenz an jenen Film, den man noch nicht gesehen hat, oder dieser Film trägt viel DNA von diesem anderen Film in sich, der auch schon seit einer gefühlten Ewigkeit auf der Watchlist versauert. Im Gefühl, nie ganz alles von Belang übersehen zu können verkleinert sich besagte Liste denn auch eher in Gletschergeschwindigkeit. Doch manchmal stößt man so auch auf eine Perle an einem Ort, an dem man sie nie für möglich gehalten hätte. So gab der schnöde Wikipedia-Artikel zu dem Überraschungshit It Follows den Hinweis, die Verbindung Sex/Paranormale Aktivität sei bereits 1982 in dem wenig bekannten Film Entity (der monströse deutsche Untertitel wird hier ausschließlich oben bei den Basisdaten genannt) durchexerziert worden. Nun gut, wie empfehlenswert sollte schon ein Film sein, der auch als der versaute kleine Bruder von Steven Spielbergs/Tobe Hoopers Poltergeist durchgehen könnte? Die Antwort, um es im Neusprech des enervierenden Online-Clickbaitings zu formulieren, wird Sie überraschen.

Carla (Barbara Hershey) ist in ihren 30ern, alleinerziehende Mutter von zwei kleinen Mädchen und einem pubertierenden Jungen und setzt alles daran, durch Weiterbildungsmaßnahmen einen besseren Job ergattern zu können. Der Stress lässt nie nach, doch Carla gibt ihr Bestes. Doch etwas in ihrem Haus ist ganz und gar nicht an ihrem Wohlergehen interessiert, im Gegenteil: eines Abends wird die junge Frau von einer unsichtbaren Gestalt angegriffen und vergewaltigt. Vollkommen verstört versucht sie, das Erlebte zu vergessen, doch die Entität lässt sie sehr bald durch eine erneute Vergewaltigung wissen, dass es eben nicht nur ein böser Traum war. Als sich die Situation immer weiter zuspitzt, die psychologische Beratung wirkungslos bleibt und das Wesen sogar beginnt, Carla vor ihren Kindern anzugreifen, gerät sie durch Zufall an ein Team von Parawissenschaftlern der örtlichen Universität, die sich ihres Falles annehmen. Ihr Plan: die bösartige Erscheinung mithilfe von flüssigem Helium in der Welt der Menschen zu bannen …

Entity beruht auf – bitte tief einatmen und aufseufzen – „realen Ereignissen“. Eine Doris Bither erlebte angeblich in den 1970er Jahren eine Heimsuchung durch mehrere Poltergeister, von denen sie einer auch wiederholt vergewaltigt haben soll. Ein Team von Wissenschaftlern versuchte denn auch wirklich, dem Spuk irgendwie habhaft zu werden. So soll sich die Filmszene, in der eine Silhouette inmitten eines Indoor-Gewitters mit grünen Blitzen erscheint, so ähnlich auch in der Realität zugetragen und zur Ohnmacht einer der wissenschaftlich Beteiligten geführt haben. Nun sollte man nicht außer Acht lassen, dass Bither starke Alkoholikerin war, in einem vollkommen verwahrlosten Haus lebte und die Beziehung zwischen ihr und ihren drei Söhnen von einer permanenten Atmosphäre der Aggression geprägt war. Ihr Filmpendant ist weitaus angenehmer und der paranormale Befall wird eher zu einem willkürlichen (und damit weitaus erschreckenderen) Phänomen als etwas, dass man küchenpsychologisch auch auf ganz andere Faktoren zurückführen könnte.

Dementsprechend gut man gut daran, Entity wie alle Filme dieser Art einfach als Gruselmär zu sehen, denn als solche funktioniert er zudem ausgezeichnet. Entity erschafft eine Atmosphäre der Angst, ein beinahe permanentes Unbehagen, bei dem man sich nie sicher sein kann, was als nächstes passieren könnte. Die Angriffe sind unendlich bösartige Attacken und Barbara Hershey macht mit ihrer engagierten Darbietung sowohl sie als auch Carlas Leben im ständigen Ausnahmezustand erfahrbar. Man spürt die Angst, die Erschöpfung, aber auch den Kampfgeist, sich nicht von dem Erlebten bis zum Äußeren vereinnahmen zu lassen. Im Kern ist Entity demnach auch ein feministischer Film: eine vergewaltigte Frau zwingt ihre Umwelt dazu, ihre Erfahrung anzuerkennen und lässt sich nicht mit den üblichen Plattitüden und Beschwichtigungen abspeisen. Der Aggressor mag außerweltlicher Natur sein, die Mechanismen, denen sich Carla nach ihrer Vergewaltigung ausgesetzt sieht, sind nur allzu weltlich. Diesen Kampf verkörpert Hershey mit Bravour, ebenso wie sie ohne Mühe zwischen Carlas gesellschaftlichen Rollen changiert. Es ist eine Figur, die weitaus komplexer daherkommt als beispielsweise die All-American-Family in Poltergeist.

Subtextlich reich beschenkt, glaubwürdig gespielt und atmosphärisch dicht inszeniert ist Entity auch im Hinblick auf die handwerkliche Qualität bemerkenswert. Es gibt Effekte in dem Film, die dem Zuschauer den Mund offenstehen lassen, mehr als einmal fragt man die altbekannte Frage „Wie haben die das bloß gemacht?“ (es ist eine rein rhetorische Frage, bitte nicht das Staunen durch nüchterne Fakten zerstören – ich weiß auch, dass die Antwort wahrscheinlich bemerkenswert einfacher Natur sein würde). Entity wirkt nie billig, weder von der Machart noch inhaltlich, obwohl sich die Prämisse auch zu einem hemmungslosen Exploitationfilm eignen würde. Doch alle Beteiligten nehmen ihr Sujet so ernst, dass Entity nie zur Lachnummer verkommt. Der Film mag unbekannt, ja fast vergessen, sein – es ist an der Zeit, Entity neu zu entdecken: als einen der besten, durchdachtesten und spannendsten Filme seiner Zunft.





Montag, 15. Februar 2016

It Follows (2014)




IT FOLLOWS
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 09.07.2015
Regie: David Robert Mitchell

Jugendliche haben es nicht leicht, besonders in Horrorfilmen. Sobald die Libido erwacht und den Körper mit Hormonen überflutet, die dann nur noch „das Eine“ suggerieren, führt das hemmungslose Nachkommen dieser Triebe meist zu einem schnellen Ableben. Nur wer keusch und in einem puritanischen Sinne „rein“ bleibt (dass das Überleben meist nur durch Gewaltanwendung möglich ist, eröffnet darüber hinaus einen Diskurs über eine Gesellschaft, in der Sex verpönt ist, Gewalt aber in all ihren Spielarten weniger Protest auslöst) hat die Chance auf ein Happy End. So weit, so konservativ. It Follows belegt nun den Geschlechtsakt an sich mit einem – nicht nur im übertragenden Sinne – Fluch. Es ist nicht mehr die ekstatische Unaufmerksamkeit, die es dem maskierten Killer ermöglicht, sich anzuschleichen, sonder im Akt selbst liegt gleichermaßen der Auslöser wie die Lösung für die Probleme der Protagonisten. „Der kleine Tod“ bekommt hier eine ganz neue Intention. Das ist nun ähnlich altbacken wie die Moral des Slasherfilms (wer keinen Sex hat, hat auch keine Probleme) und die Interpretationsmöglichkeiten liegen auf der Hand (sexuell übertragbare Krankheiten als offensichtlichstes Beispiel), aber als Horrorfilm, vor allem als überdeutliche Hommage an John Carpenter, funktioniert It Follows doch ziemlich gut. Und das ist viel gesagt, wenn sogar der Regisseur selbst zugibt, dass sich die Prämisse des Films laut ausgesprochen ziemlich hanebüchen anhört.

In einem Vorort von Detroit schläft die junge Jay (Maika Monroe) zum ersten Mal mit ihrem Freund Hugh (Jake Weary). Das Stelldichein nimmt ein jähes Ende, als er sie zuerst mit Chloroform betäubt, um ihr dann zu eröffnen, dass er sie mit etwas angesteckt hat. Nein, nicht mit einem Genitalpilz oder ähnlichem, sondern mit einer mörderischen Entität, einem Wesen, das sie nun verfolgen wird und dabei jede menschliche Gestalt annehmen kann. Es wird nicht eher ruhen, bis es sie erwischt und getötet hat, es sei denn, sie schläft mit jemand anderem und gibt so den Fluch weiter. Zunächst schenkt Jay dem Gesagten keinen rechten Glauben, doch als sie zusehends von Menschen verfolgt wird, die augenscheinlich nur sie sehen kann, bewahrheitet sich Hughs Prognose. Zunächst versucht Jay, eine andere Lösung für das Problem zu finden, auch, weil wenn derjenige, an den sie den Fluch weitergibt, von dem Wesen getötet wird, es wieder Jagd auf sie machen würde. Doch das Ding ohne Namen lässt sich nicht abschütteln und Jays Leben wird immer mehr zu einer Dauertortour.

It Follows hat den genreüblichen lustfeindlichen Ansatz, der sich allerdings nicht auf die Angstlust bezieht. Will meinen: der von David Robert Mitchell inszenierte Film ist ziemlich spannend geraten. Dank der unbehaglichen Atmosphäre, der suggestiven Kameraarbeit und der (zugegebermaßen mitunter etwas plakativ eingesetzten) Musik verbunden mit dem Auftreten des Wesens, dass gleichermaßen ruhig wie unaufhaltsam daherkommt, gelingt es It Follows, selbst dem versierten Genrefan noch den ein oder anderen Schreckensmoment abzutrotzen. Manchmal kann  sich Mitchell nicht zurückhalten (am Strand, wenn das Wesen kurz in den Modus des handelsüblichen Kinodämonen zurückfällt) und frei von Albernheiten (die High Heels des „opening kills“, die Jurassic World stolz machen) und groben Schnitten (die Sequenz im Schwimmbad hat keine sinnige Konklusion) ist sein Film auch nicht, aber auch dank der natürlich agierenden Darsteller gleitet It Follows nie in Gefilde ab, in denen man vollkommen aus der Geschichte katapultiert wird.

Dabei gibt es genügend Dinge, über die man nachgrübeln könnte. Der Film zeigt ausschließlich heterosexuelle Begegnungen. Heißt das, Homosexuelle sind vor dem Dämon sicher? Muss es ungeschützter Verkehr sein oder kann das Wesen Kondome und Pille umgehen? Gilt nur Penetration oder lässt das Ding auch beispielsweise Oralsex durchgehen? Fragen über Fragen … Immerhin lässt der Film die Frage nach dem Warum nicht unbeantwortet. Die Entität beraubt ihre Opfer, wenn sie sie einmal erreicht hat, deren – man muss es wohl so nennen – Lebensenergie und wird so zu einer modernen Interpretation des Sukkubus/Inkubus-Glaubens, jenen verführerischen Wesen, die seit jeher dem Menschen nachstellen. Eine sinnige Motivation ist ja heutzutage auch für außerweltliche Wesen von Belang. Und ist es Zufall, dass ein solches Etwas sein Unwesen nahe Detroit treibt, einer sich immer wieder am Abgrund befindlichen Stadt, in der kaum etwas sicher ist, weder die öffentliche Ordnung noch die ökonomische Existenz? Warum sollte es also der Sex sein? Neben der Angst vor Krankheiten (der Film lässt auf brillante Art den Handlungszeitraum im vagen, was zu einer universellen Anwendbarkeit führt) ist das Wesen als personifizierte Zukunftsangst (in diesem Kontext macht auch die anhaltende Gestaltwandlung durchaus Sinn – Teenagerprobleme sind nie gleich und wechseln ständig) sicherlich eine der interessantesten Lesarten.

In einer Zeit, in der der Vergangenheitsbezug zum Grundrepertoire gehört und die mediale Kindheit und Jugend der in den 1970ern/1980ern geborenen einer fortwährenden Revitalisierung unterliegt ist It Follows sicherlich eins der besten Beispiele, wie man eine Hommage generieren kann, ohne die eigene Identität vollkommen dranzugeben. John Carpenter ist allgegenwärtig, doch sklavisch kopiert wird er nie. Vielmehr dient sein Oeuvre (zumindest jenes bis Mitte der 80er Jahre) als Ankerpunkt, um eine neue Generation möglichst so zu schocken, wie es wohl Filme wie Halloween – Die Nacht des Grauens anno 1978 getan haben. Das Ergebnis ist ein gradliniger Horrorfilm, dessen Gerüst einer genaueren Prüfung zwar nicht standhält, der aber bessere Genreunterhaltung bietet, als es die Prämisse „Sexuell übertragbarer Dämon“ eigentlich zulassen dürfte. Nicht so durchdacht wie der andere große Horrorfilm des Jahres 2015, Der Babadook, wohl aber effektiv genug, um für Unbehagen in finsteren Korridoren zu sorgen.