THE HATEFUL EIGHT
USA 2015
Dt.
Erstaufführung: 28.01.2016
Regie: Quentin
Tarantino
ACHTUNG! Die
folgende Besprechung enthält Details zum Handlungsverlauf, die einem
„unbefleckten“ Filmgenuss im Wege stehen könnten.
Das Brettspiel Schiffe versenken hat es schon hinter
sich, ebenso diverse Konsolenspiele wie Mortal
Kombat oder Super Mario Bros.;
der Klassiker Tetris noch vor sich
und wann es einen Film geben wird, in dessen Credits „Basierend auf dem Spiel Monopoly“ oder ähnliches stehen wird,
ist eigentlich nur eine Frage der Zeit. Nun reiht sich auch Quentin Tarantino
in diesen Reigen ein und präsentiert seine Verfilmung des höchst unterhaltsamen
Krimispiels Cluedo. Oder so ähnlich.
Denn die Dramaturgie des über 2 ½ Stunden langen Werkes (in der „Road
Show“-Variante sogar über drei Stunden) erinnert doch stark an die auf dem
Spielbrett stattfindende Jagd nach Hinweisen und Verdächtigen. War es der
Mexikaner mit dem Revolver in der Südseite der Hütte oder der angehende Sheriff
mit Gift in der Nordseite? Das „muder mystery“ ist aber nur Vorwand für eine
Tarantino typische Eskapade, die sich stellenweise wie eine Ergänzung und
Quasi-Fortsetzung zum letzten Film Django
Unchained anfühlt. Unterhaltsam ist das Ganze unbestreitbar, technisch
gewohnt virtuos, liebevoll ausgestattet und weitestgehend flott inszeniert. Es
fehlt jedoch der letzte Schliff, das Novum, dass den Film von den anderen
Werken des Regisseurs unterscheidet. Gerade im Hinblick auf Django wirkt The Hateful Eight ein wenig wie recycelt und auch wenn sich die
beiden Streifen stilistisch und inhaltlich gut ergänzen, geht The Hateful Eight irgendwann schlicht
die Puste aus. Ein nur guter anstatt grandioser Tarantino-Film ist zwar immer
noch besser als die meisten anderen Filme namenhafter Regisseure, aber es
schleicht sich der Gedanke ein, dass er den Western fortan meiden sollte. Es
ist alles erzählt (außer vielleicht eine Rache-Geschichte eines Ureinwohners,
aber das wäre dann wohl auch zu nah an Django
Unchained), zumal Tarantino hier kein Genre-bending betreibt, sondern einen
ziemlich gradlinigen Western inszeniert. Kein komplettes Bingo.
Einige Jahre nach
dem US-Bürgerkrieg kreuzen sich die Wege von Major Marquis Warren (Samuel L.
Jackson) und John Ruth (Kurt Russell), ihres Zeichens beide Kopfgeldjäger. Ruth
hat Daisy Domergue (Jennifer Jason Leigh) im Schlepptau, die der in der
nächsten Stadt, Red Rock, an den Galgen bringen will, während der Major die
Prämie für seine „erlegte Beute“ kassieren möchte. Zusammen mit dem Kutscher
O.B. (James Parks) und dem ebenfalls aufgelesenen zukünftigen Sheriff von Red
Rock, Chris Mannix (Walton Goggins), suchen sie Schutz vor eine herannahenden
Schneesturm in „Minnies Miederwarenladen“, einer heimeligen Mischung aus
Verkaufsraum und „Truck Stop“. Dort treffen sie auf Bob (Demian Bichir), der
Minnies Laden in ihrer Abwesenheit führt, sowie eine weitere Gruppe
Gestrandeter: den ehemaligen Südstaatengeneral Sandy Smithers (Bruce Dern), der
auf der Suche nach seinem Sohn ist, der aus englischen Gefilden stammende
angehende Henker von Red Rock, Oswaldo Mobray (Tim Roth in einer Rolle, die
offensichtlich eigentlich für Christoph Waltz bestimmt war), sowie den
schweigsamen Cowboy Joe Gage (Michael Madsen), der auf dem Weg zu seiner Mutter
ist. Zeitnah äußert Ruth den Verdacht, dass einer der Anwesenden mit Domergue mit
der Absicht unter einer Decke stecken könnte, sie zu befreien. In der zunehmend
paranoiden Atmosphäre, die auch durch den schwellenden Rassismus Major Warren
gegenüber nicht besser wird, entwickelt sich ein Verdacht nach dem Anderen, bis
eine Entladung unvermeidlich ist …
Die Prämisse und
vor allem das Setting von The Hateful
Eight hätten etwas hergegeben, dass an Spannung nicht zu überbieten gewesen
wäre: eine lange Variante der Eröffnungssequenz aus Inglorious Basterds oder des Dinners an Cotton Candys Tisch in Django Unchained. Menschen, um deren Verkommenheit
man weiß, halten sich so lange durch schnippische Dialoge und Suggestionen in
Schach, bis die Situation eskaliert, während der Zuschauer nervös auf seinem
Sitz herumrutscht. Man weiß, dass etwas kommen wird, nur das Wann und Wie sind
noch unsichere Parameter. Diese Verheißung löst der Film nicht ein, weil er
einige Dinge beginnt, ohne sie zu beenden (die Verbindungsschnüre zwischen
Abort, Hütte und Pferdestall beispielsweise, die suggestiv in Szene gesetzt
werden, ohne dass ihnen danach noch eine dramaturgische Relevanz zugesprochen
wird) und recht schnell zu dem Kern des Geschehens kommt. Kugeln fliegen nicht
erst nach einem zweistündigen Psychoduell und ein bisschen wirkt der Film, als
ob er damit nicht nur rein bildlich zu früh zum Schuss kommt.
Dieser Umstand
ist insofern keine völlige Katastrophe, weil die Tarantino-typischen Dialoge
diesmal einen redundanten Spin erfahren. Zu oft reden verschiedene Figuren über
den gleichen Inhalt und die Ergebnisse sind zu ähnlich, als dass es als
gelungenes Stilmittel durchgehen könnte. Man hört es sich immer noch
weitestgehend gerne an, was der Autor seinen Protagonisten in den Mund legt,
ist aber nicht so gefesselt wie bei den früheren Filmen. Auch hier gilt die
Devise „gut, nicht grandios“.
Was man The Hateful Eight allerdings zugutehalten
muss, ist seine süffisante Art, mit einem Genre der Vergangenheit (jeder neue
Western ist eine Erwähnung wert, weil es nicht mehr so viele von ihnen gibt wie
dereinst) die partielle Auflösung der Gesellschaft in der Gegenwart zu
thematisieren. Unverhohlen unsubtil macht Tarantino deutlich, um was es geht:
um die Gewalt in der US-amerikanischen Gesellschaft, die nach Ethnien und
Klassen unterschiedlich zum Ausbruch kommt und immer noch von tiefem Misstrauen
und blankem Rassismus durchzogen wird (eine Diagnose, die auch auf Deutschland
und wahrscheinlich jedes andere Land der Welt ebenfalls anwendbar ist). „Der
Schwarze ist erst sicher, wenn die Weißen entwaffnet sind“, lässt Jacksons
Major verlauten, woraufhin der durch und durch rassistische Südstaatengeneral
„Die Weißen sind sicher, wenn die Schwarzen in Angst leben“ erwidert. Eine der
Kapitelüberschriften im Film lautet „Schwarzer Mann, weiße Hölle“ und die Hütte
wird sehr schnell zu einem Abbild des damaligen (immer noch aktuellen?)
US-Amerikas, indem man sie in einen Nord- und einen Südteil entzweit, mit
klaren Fronten und politischen Ansichten.
Am eindeutigsten
aber wird The Hateful Eight, wenn es
darum geht, die Vorgeschichte von Daisy Domergues geplanter Befreiung zu
erzählen. Domergues Komplizen bemächtigen sich Minnies Laden und töten alle
Anwesenden, eine fröhliche und freundliche Mischung aus schwarzen wie weißen
Menschen, in der Sympathien und auch die Liebe nicht entlang ethnischer
„Grenzen“ verlaufen. Es ist ein Mini-Utopia, nicht nur für die Zeit, sondern
auch für heutige (westliche) Gesellschaften, in denen Diversität etwas ist,
dass von manchen Stellen als durch und durch angriffswürdig angesehen wird. Die
Idylle wird von rücksichtslosen, rassistischen Mördern zerstört, die eine ihrer
Führerfiguren befreien wollen. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Auslöschung
von Gesellschaft kann nur ihr Wiederaufbau folgen, auch bei Tarantino. Doch er
wäre nicht der Regisseur, der er ist, wenn dies nicht einen ebenso
gewalttätigen Ausgang hätte. Am Ende lässt sich The Hateful Eight wie eine Legitimation der Todesstrafe lesen:
„Richtig miese Verbrecher muss man hängen.“ Wer Gemeinschaft zerstört, wird
durch sie bestraft, notfalls auch mit dem Tode. Das ist im Kontext des Films
eine nur allzu verständliche Reaktion, schließlich ist Domergue nicht wirklich
eine Sympathieträgerin und Anlass für all die Grausamkeiten in Minnies Laden,
bedient sie aber auch die (zweifellos primitiven) Rachegelüste des Publikums.
Aber das „Geschmäckle“ wird auch nicht dadurch weniger, dass die Exekution vom
Major und dem sich aus dem vorbelasteten Schatten seines Vaters emanzipierten
Sheriff durchgeführt wird. Schwarz und Weiß arbeiten zusammen, um das Böse zu
stoppen. Ein schönes Topos, allerdings auch noch pointierter in Django Unchained durchexerziert.
Staatliche Gewalt, die The Hateful Eight
durchaus als legitimiert ansieht, unterliegt so auch einer gewissen Willkür,
einem „grundamerikanischen“ Gedanken von der Rechtmäßigkeit, in der Exekutive
das Ableben von anderen Menschen anzuordnen. Will man als Zuschauer, dass
Domergue aus der Hütte entkommt? Wohl kaum. Aber die Art, wie mit dem finalen
Dilemma umgegangen wird – auch wenn es ebenso für die restlichen Figuren kein
Happy End bei bester Gesundheit bedeutet – hinterlässt doch Kratzer. Die alternative
Geschichtsschreibung der vorangegangenen Filme wird durch eine Empfehlung
ersetzt, Feuer auf jeden Fall mit Feuer zu bekämpfen. Gerade als Follow-Up zu Django ist das eine Herangehensweise,
die es sich etwas zu einfach macht. Und damit sind auch gar nicht die
Gewaltanwendungen an sich gemeint, denn dieser Diskurs („Ist die Gewalt zum
Selbtszweck verkommen?“) wird bei jedem Tarantino-Film von neuem aufgezogen.
The Hateful Eight, eine Zitatemaschine
und übliche Meta-Angelegenheit (schon allein, weil es nicht acht, sondern neun
Personen sind, die zusammentreffen – einerseits ein Verweis auf John Fords Höllenritt nach Santa Fé, andererseits,
in Anspielung auf die Tagline „Der achte Film von Quentin Tarantino“, eine
Kopfbewegung in Richtung Kill Bill,
der ja eigentlich aus zwei Filmen besteht) ist sicher nicht Tarantinos bester
Film, zu sehr wiederholt er sich in den Dialogen, zu löcherig kommt die
Katharsis daher. Es ist immer noch ein Film, der trotz der enormen Laufzeit
nicht langweilt (obwohl man ohne Probleme die Schere hie und da hätte ansetzen
können), ein spielfreudiges Ensemble vereint und technisch auf einem so hohem
Niveau ist, dass man schon allein deshalb mitunter diebisch grinsen muss. Ob
der Appell, die Gesellschaft nicht durch Hass zerfressen zu lassen, ankommt,
wird wohl die Zeit verneinen müssen. Am Ende des Tages ist es ein Western, der
auf seltsame Weise einen lakonischen Pessimismus mit einem kleinen, aber
aufrichtigen Maß Optimismus mixt. Als Film „nur“ im oberen Mittelfeld, wird er
dennoch Diskussionen, nicht nur unter Filmfans, anregen, über deren Ausgang,
wie gesagt, nur spekuliert werden kann. The
Hateful Eight hassen, was das Zeug hält und es ist an uns, ob wir uns ihrem
Hass ergeben oder wir versuchen, ihm zu widerstehen.
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