Mittwoch, 9. März 2016

Zoomania (2016)




ZOOMANIA
(Zootopia)
USA 2016
Dt. Erstaufführung: 03.03.2016
Regie: Byron Howard & Rich Moore

Es gibt ein Brettspiel für Kinder mit dem alles erklärenden Namen Tiere füttern, quasi die Fortsetzung des Besuchs im Zoo, Wald oder am Wildgatter für den heimischen Esstisch. Menschen, nicht nur die an Jahren junge, locken gerne andere Tiere mit Futter um sie eben zu füttern, zu streicheln, sie aus der Nähe zu sehen. Dabei steht weniger das Beobachten der schnöden Nahrungsaufnahme im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Kontakt zu einem nicht-menschlichen Lebewesen. Der Mensch, quasi isoliert durch einen Evolutions- und Kulturprozess, der ihn immer weiter von den anderen Geschöpfen des Planeten entfernt, sehnt sich nach „den Anderen“. Dieses sich in Relation setzen kann natürlich gute wie schlechte Blüten treiben und man muss nur an das koloniale Klischee vom „edlen Wilden“ erinnern, um zu erkennen, dass die Suche sogar innerhalb der eigenen Art auf grausamste Spitzen getrieben werden kann. Umso erfrischender, dass Zoomania, der in der Zählweise des Disneystudios inzwischen 55. abendfüllende Animationsfilm, genau solch plumpe Zuschreibungen umgeht. Der Film ist cleverer, als wohl die Meisten erwartet haben dürften, geradezu wasserdicht handhabt er seinen Subtext, der über die einfache Rechnung „Vorurteile sind schlecht“ weit hinausgeht. Zoomania ist genau der richtige Film zur richtigen Zeit, eine im besten Sinne moderne Parabel in einer politisch vergifteten Zeit, in der die Differenzierung dem Stammtisch geopfert wird.

Zoomania (wer beim deutschen Verleih kam eigentlich auf die Idee, dass die Endung –mania für eine Stadt irgendwie sinnvoll wäre?)/Zootopia ist ein Schmelztiegel. Angesiedelt in einer parallelen Realität, in der allerlei Säugetierarten Intelligenz entwickelten und irgendwann das Fressen und Gefressen werden zugunsten eines friedlichen Miteinanders aufgaben, ist die Stadt das Sinnbild des gesellschaftlichen Fortschritts. Seit Kindertagen träumt das junge Kaninchen Judy Hopps davon, in der Metropole zu arbeiten – als Polizistin, obwohl dieser Job eher von größeren Tieren wie Büffeln, Elefanten und Tigern erledigt wird. Als ihr Traum gegen alle Widrigkeiten in Erfüllung geht, wird sie an ihrem ersten Tag zum Politessendienst verdonnert. Dort trifft sie den trickreichen Fuchs Nicholas Wilde, der nicht nur allerlei zwielichtigen Geschäften nachgeht, sondern Judy auch alsbald in einem Vermisstenfall widerwillig unterstützt: Immer mehr Säuger verschwinden spurlos, die Polizei steht vor einem Rätsel. Judy und Nicholas kommen bei ihren Nachforschungen einer ungeheuerlichen Verschwörung auf die Schliche, die schnell auch ihre eigene Sicherheit gefährdet …

Was hätte nicht alles schief laufen können: einzelnen Tiergruppen eine ethnische Entsprechung in der Menschenwelt zuschreiben, beispielsweise (erinnert sich noch jemand an den undurchdachten Blödsinn in Große Haie, kleine Fische?: „A lot of white fish can’t do it.“) oder eine allzu unterkomplexe Darstellung (und Resolution) sozialer Konflikte. Doch Zoomania schafft es, stets intelligent und so komplex zu sein, dass die größtenteils lieblich-belanglosen Produktionen der letzten Zeit (ja, Die Eiskönigin darf sich hier explizit angesprochen fühlen) gegen ihn verblassen.
Die Botschaft des Films, sich in seinem Urteil über Andere nicht von stereotypen Vorstellungen bis hin zu offenem Rassismus (ein Wort, das in einer Welt voller sprechender Tiere synonym zu verwenden ist) leiten zu lassen, wird mit Bravour durchexerziert. Die Figuren, auch die Sympathieträger, haben alle Vorurteile. Judy ist intelligent genug, die Ängste ihrer Eltern als Panikmache zu durchschauen und verallgemeinert ein negatives Erlebnis mit einem Fuchs in ihrer Kindheit nicht, ganz lösen kann sie sich aber zunächst dennoch nicht von dem Stereotyp, Füchse wären alle nicht vertrauenswürdig. Ihre erste Begegnung mit Nick wird gar durch dieses stereotype Misstrauen erst möglich. Nicks Vorstellung von „Kaninchen = dumm und nicht ernst zu nehmen“ bröckelt nur langsam und als die Sachlage ein schnelles Urteil erlaubt, zieht Zoomania durch die konstruierte Gleichung „Raubtier = potenzieller Gewalttäter“, die Judy sogar in einem unbedachten Moment mit ihren genetischen Veranlagungen erklärt, eine Parallele zur Rassenideologie menschlich-faschistischer Systeme, natürlich um derlei Unsinn schnell zu entkräften. Wer hier etwas problematisches sieht, eben weil der Film mit anthropomorphen Tieren arbeitet und Tieren bestimmte Instinkte zugeordnet werden, Zoomania die Vorstellung von genetischer Disposition zu bestimmten Verhalten also indirekt bekräftigen würde, der verkennt die ganze Prämisse des Films: ebenso wenig wie der Mensch von heute mit seinen Vorgängerspezies‘ zu vergleichen ist sind es die Wesen in Zoomania mit den Tieren, die wir heute auf der Erde finden. Der Film bestärkt niemals ein wie auch immer geartetes System der Abwertung, vielmehr legt er die Mechanismen, nach denen Schuldzuweisungen, Hysterie und Populismus funktionieren, auf so süffisante Art offen, dass man nur erstaunt sein kann, wie sehr versucht wird, Zoomania etwas zu unterstellen, dass der Film in keinster Weise unterstützt. Vielleicht ist es der Schock, dass ein Disneyfilm so etwas wie Rassenlehre, politischen Populismus und ethnische Typisierung so souverän zur Sprache bringt.

Neben dem soziologischen Aspekt ist Zoomania auch ein gelungener Polizeifilm. Der Fall, den es zu lösen gilt, setzt nicht darauf, von vornherein durchschaubar zu sein, die Ermittlungen sind wie der Rest des Films unterhaltsam und mit einem gebührenden Tempo inszeniert, dass nie außer Atem gerät und selbst in den üblichen dramaturgischen Kniffen (die Trennung der Hauptfiguren zu Beginn des dritten Aktes etwa) eine Notwendigkeit erkennt, die erstaunt. Das Überwinden von verletzenden Vorurteilen ist eben keine einfache Sache. Hinzu kommen die vielen visuellen Einfälle, die ein zweites und drittes Sehen fast obligatorisch machen und ein „World-building“, das hervorragend funktioniert. Zootopia ist ein Ort, der nach eigenen, aber dank des bildlichen Storytellings sofort nachvollziehbaren, Regeln in Gang gehalten wird [Für all diejenigen, die sich fragen, ob die Raubtiere sich nun vegetarisch ernähren: in dieser Welt haben nur (Land-)Säugetiere augenscheinlich Intelligenz entwickelt, es bleiben also noch Fische, Vögel, etc. Kentucky Fried Chicken ist auch in Zoomania denkbar …]. Diese Souveränität geht so weit, dass ein adipöser, augenscheinlich homosexueller Gepard von Judy darüber belehrt werden muss, dass das Wort „niedlich“ nur von anderen Kaninchen für Kaninchen verwendet werden darf, es aus dem Mund anderer Tiere aber einen fahlen Beigeschmack hat. Zoomania liefert ein Spiegelbild unserer Welt, ohne dabei auf einfache Analogien zurückzufallen. Dies geht so weit, dass auch Judy, um einen Punkt zu machen, mitunter auf Klischees zurückgreift („Wenn es eins gibt, in dem Kaninchen gut sind, dann ist es multiplizieren.“). Es ist wohl gerade die Anerkennung von Grauzonen, die Zoomania so lebendig macht.

Gewohnt augenfreundlich (wenn auch zugegebenermaßen gestalterisch recht konventionell) animiert, rasant erzählt, durchdacht und schlicht sympathisch ist Zoomania endlich, nach langem Warten, der Film, auf den man seit dem Start der hauseigenen Disney-CGI-Filme mit Himmel und Huhn gewartet hat. Sicherlich waren Baymax – Riesiges Robowabohu oder Rapunzel – Neu verföhnt unterhaltsam, aber erst die Geschichte von der Tierstadt schafft es, auf allen Ebenen zu überzeugen. Und, wie gesagt, in einer Welt, in der dumpfer Hass dank politischer Parteien und Agitatoren wieder salonfähig wird, ist Zoomania ohnehin der Film der Stunde. Wenn Fuchs und Hase zusammenleben können, dann sind Trump, Höcke und Petry obsolet – was für ein Hoffnungsschimmer in finsterer Zeit.





Mittwoch, 2. März 2016

The Wave - Die Todeswelle (2015)




THE WAVE – DIE TODESWELLE
(Bølgen)
Norwegen 2015
Dt. Erstaufführung: 24.02.2016 (DVD-Premiere)
Regie: Roar Uthaug

Der tief ins Festland reichende Geirangerfjord ist eine der größten Touristenattraktionen Norwegens. In der Hauptsaison wird der kleine Ort ständig von Kreuzfahrtschiffen belagert, aus deren Innern sich Ströme von Besuchern ergießen, die mit Bussen die schmalen Straßen hinauf gekarrt werden, um von den Aussichtsplattformen ein Foto von ihrem unten im Fjord  liegenden Schiff zu schießen. Der Campingplatz des Ortes bietet Wohnmobilfahrern VIP-Plätze mit Blick auf das Schiffspektakel an und aus eigener Anschauung weiß ich, dass eine der Hauptsorgen der Kreuzfahrer ist, ob nach den Ausflügen denn noch genug Zeit bleibt, um im großzügigen Souvenirshop etwas Geld unters Volk zu bringen. Die fantastische Natur, die sich, wie so oft in Norwegen, in ihrer vollen, atemberaubenden Schönheit erst abseits der Straßen erschließt, scheint hier nur Staffage zu sein. Geiranger ist ein hübscher, aber auch seltsamer Ort. Und er ist akut gefährdet, sind sich Geologen doch einig, dass eine der beeindruckenden Felsformationen irgendwann abbrechen und in den Fjord stürzen wird. Die damit ausgelöste Flutwelle könnte verheerende Folgen haben und es wäre nicht das erste Mal, dass Norwegen von solch einer Naturkatstrophe heimgesucht werden würde. Kurzum, es ist das perfekte Setting für den ersten Katastrophenfilm des Landes, der bei allen genrekonformen Elementen und ziemlich unecht aussehendem CGI-Wasser auf einer unterhaltsamen Ebene besser ist, als man erwarten durfte (auch wenn das Poster ein Kreuzfahrtschiff verspricht, dieses aber nicht im Film vorkommt). The Wave, in Deutschland direkt auf Heimmedien gewandert und mit einem Untertitel versehen, der auch dem letzten Zuschauer verständlich macht, um was es geht, ist all das, was man von einem Film dieses Kalibers erwartet, nur mit weniger cheese als seine US-amerikanischen Cousins.

Für den leicht zerstreuten Geologen Kristian (Kristoffer Joner) und seine Familie, die Hotelmanagerin Idun (Ana Dahl Torp) und die Kinder Sondre (Jonas Hoff Ostebro) und Julia (Edith Haggenrud-Sande) steht der Abschied von Geiranger bevor. Nach Jahren als Mitarbeiter des örtlichen Überwachungsteams für die gefährdeten Felsformationen rund um den Fjord wurde er von der Ölindustrie abgeworben, der Umzug nach Stavanger steht kurz zuvor. Doch in der letzten Nacht im Ort passiert das, was lange prognostiziert wurde: die Felsen geben nach, krachen in den Fjord und jagen einen viele Meter hohen Tsunami Richtung Geiranger. Nach dem Alarm bleiben Kristian nur zehn Minuten, um sich, seine Familie und möglichst viele weitere Menschen auf eine sichere Höhe zu bringen. Doch kann man den Wettlauf mit einer Naturgewalt überhaupt gewinnen?

The Wave gelingt es schnell, Sympathien für seine Figuren zu generieren. Kristian ist kein Nerd, wie ihn Hollywood produzieren würde. Er überlässt zwar seiner Frau die handwerklichen Aufgaben im Haushalt (auch ein Ausdruck der selbstverständlichen Gleichberechtigung in Norwegen) und geht vor allem in seinem Metier auf, aber er verhält sich wie ein normaler, liebenswerter Mensch und nicht wie eine trottelige Karikatur. Die Kinder verhalten sich ebenso wie normale Kinder, die Beziehung der Erwachsenen ist auf eine Art gewöhnlich wie sie im Kontext des Genres geradezu erfrischend daherkommt. Auch werden unserem Protagonisten nicht umständlich behördliche oder zwischenmenschliche Steine in den Weg gelegt, wenn er die Katastrophe prophezeit geht niemand großspurig über ihn hinweg oder ein bornierter Bürgermeister fürchtet um ein anstehendes Fest. Kristian ist lediglich vorsichtiger als andere und auch dies trägt dazu bei, dass The Wave sich nicht im Netz seiner offensichtlichen Vorbilder verheddert. Hier ist alles etwas gesetzter, unaufgeregter, menschlicher.

So kann man mit den Charakteren durch die Handlung wandern und auch deren Dramaturgie mittragen, die sich bei aller zwischenmenschlichen Liebe natürlich nicht von der üblichen Drei-Akt-Struktur unterscheidet: Nach dem Setup kommt die Katstrophe und dann die Rettung. In jedem Akt gibt es etwas, dass den Film sehenswert macht, besonders hervorzuheben ist eine wahrlich gespenstische Szene gegen Ende, die sich ebenso gegen die üblichen Klischees stemmt wie die Figurenzeichnung und die einen Bus involviert.
Das Herzstück des Films, die hereinbrechende Katstrophe, wird erstaunlicherweise zur Zäsur für den in seinem Entstehungsland ziemlich erfolgreichen Film. Mit der nötigen emotionalen Nähe kann das Adrenalin hier wirklich fließen, wer mehr darauf achtet, wie schwer es immer noch ist, glaubwürdiges Wasser im Computer entstehen zu lassen, der wird womöglich mehr amüsiert sein. Die monströse Naturkraft sieht gerade bei ihrem ersten Shot genauso aus – wie ein Monster, dem die Animatoren gar nicht genug Wirbel, Wellen und Schaumkronen geben konnten. Wahrscheinlich sollte man froh sein, dass die Welle nicht auch noch ein Löwengebrüll anstimmt wie der Wirbelsturm in Twister. Die eigentliche Zerstörung Geirangers ist dann kurz, heftig, trotz CGI-Wassers besser gelungen und auch das Bild, wie sich die Wassermassen um eine Fjordbiegung schieben, ist Stoff für Alpträume. In der Logik des Geschehens gibt es zudem nicht unzählige Nachkatastrophen, die Welle trifft, zerstört und hat ihr Werk damit getan.

The Wave ist kein überragender Film und wirklich verwundert darüber, warum er hierzulande nur auf Heimmedien erschien, ist wohl auch niemand. Aber er hat – und das ist bei Katastrophenfilmen kein Standard – das Herz am rechten Fleck. Tiefenanalytisch ist es wohl konservativ, eine generische Familie in den Mittelpunkt zu stellen und darüber hinaus alle anderen Charaktere ein Stück weit zu negieren, aber eben weil der Film so unangestrengt dabei ist, uns Kristian und die Seinen als beachtenswert zu verkaufen, verdient er Respekt. Kann das Spektakel mitunter unfreiwillig komisch wirken? Ja. Zieht der Film im dritten Akt ein paar klischeehafte Register zu viel? Auf jeden Fall. Wartet er mit mehr Unterhaltungswert auf, als man ihm hätte zutrauen können? Auch das ist wahr. The Wave ist ein Genrefilm für alle, die von den markigen Heldenposen á la San Andreas und 2012 und ihrem unstillbaren Durst nach totaler Zerstörung inzwischen eher angeödet denn unterhalten sind.