ZOOMANIA
(Zootopia)
USA 2016
Dt.
Erstaufführung: 03.03.2016
Regie: Byron
Howard & Rich Moore
Es gibt ein
Brettspiel für Kinder mit dem alles erklärenden Namen Tiere füttern, quasi die Fortsetzung des Besuchs im Zoo, Wald oder
am Wildgatter für den heimischen Esstisch. Menschen, nicht nur die an Jahren
junge, locken gerne andere Tiere mit Futter um sie eben zu füttern, zu
streicheln, sie aus der Nähe zu sehen. Dabei steht weniger das Beobachten der
schnöden Nahrungsaufnahme im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Kontakt zu einem
nicht-menschlichen Lebewesen. Der Mensch, quasi isoliert durch einen
Evolutions- und Kulturprozess, der ihn immer weiter von den anderen Geschöpfen
des Planeten entfernt, sehnt sich nach „den Anderen“. Dieses sich in Relation
setzen kann natürlich gute wie schlechte Blüten treiben und man muss nur an das
koloniale Klischee vom „edlen Wilden“ erinnern, um zu erkennen, dass die Suche
sogar innerhalb der eigenen Art auf grausamste Spitzen getrieben werden kann. Umso
erfrischender, dass Zoomania, der in
der Zählweise des Disneystudios inzwischen 55. abendfüllende Animationsfilm,
genau solch plumpe Zuschreibungen umgeht. Der Film ist cleverer, als wohl die
Meisten erwartet haben dürften, geradezu wasserdicht handhabt er seinen
Subtext, der über die einfache Rechnung „Vorurteile sind schlecht“ weit
hinausgeht. Zoomania ist genau der
richtige Film zur richtigen Zeit, eine im besten Sinne moderne Parabel in einer
politisch vergifteten Zeit, in der die Differenzierung dem Stammtisch geopfert
wird.
Zoomania (wer
beim deutschen Verleih kam eigentlich auf die Idee, dass die Endung –mania für
eine Stadt irgendwie sinnvoll wäre?)/Zootopia ist ein Schmelztiegel.
Angesiedelt in einer parallelen Realität, in der allerlei Säugetierarten
Intelligenz entwickelten und irgendwann das Fressen und Gefressen werden
zugunsten eines friedlichen Miteinanders aufgaben, ist die Stadt das Sinnbild
des gesellschaftlichen Fortschritts. Seit Kindertagen träumt das junge
Kaninchen Judy Hopps davon, in der Metropole zu arbeiten – als Polizistin, obwohl
dieser Job eher von größeren Tieren wie Büffeln, Elefanten und Tigern erledigt
wird. Als ihr Traum gegen alle Widrigkeiten in Erfüllung geht, wird sie an
ihrem ersten Tag zum Politessendienst verdonnert. Dort trifft sie den
trickreichen Fuchs Nicholas Wilde, der nicht nur allerlei zwielichtigen
Geschäften nachgeht, sondern Judy auch alsbald in einem Vermisstenfall
widerwillig unterstützt: Immer mehr Säuger verschwinden spurlos, die Polizei
steht vor einem Rätsel. Judy und Nicholas kommen bei ihren Nachforschungen
einer ungeheuerlichen Verschwörung auf die Schliche, die schnell auch ihre
eigene Sicherheit gefährdet …
Was hätte nicht
alles schief laufen können: einzelnen Tiergruppen eine ethnische Entsprechung
in der Menschenwelt zuschreiben, beispielsweise (erinnert sich noch jemand an
den undurchdachten Blödsinn in Große
Haie, kleine Fische?: „A lot of white fish can’t do it.“) oder eine allzu
unterkomplexe Darstellung (und Resolution) sozialer Konflikte. Doch Zoomania schafft es, stets intelligent
und so komplex zu sein, dass die größtenteils lieblich-belanglosen Produktionen
der letzten Zeit (ja, Die Eiskönigin darf sich hier explizit angesprochen
fühlen) gegen ihn verblassen.
Die Botschaft des
Films, sich in seinem Urteil über Andere nicht von stereotypen Vorstellungen
bis hin zu offenem Rassismus (ein Wort, das in einer Welt voller sprechender
Tiere synonym zu verwenden ist) leiten zu lassen, wird mit Bravour
durchexerziert. Die Figuren, auch die Sympathieträger, haben alle Vorurteile.
Judy ist intelligent genug, die Ängste ihrer Eltern als Panikmache zu
durchschauen und verallgemeinert ein negatives Erlebnis mit einem Fuchs in
ihrer Kindheit nicht, ganz lösen kann sie sich aber zunächst dennoch nicht von
dem Stereotyp, Füchse wären alle nicht vertrauenswürdig. Ihre erste Begegnung
mit Nick wird gar durch dieses stereotype Misstrauen erst möglich. Nicks
Vorstellung von „Kaninchen = dumm und nicht ernst zu nehmen“ bröckelt nur
langsam und als die Sachlage ein schnelles Urteil erlaubt, zieht Zoomania durch die konstruierte
Gleichung „Raubtier = potenzieller Gewalttäter“, die Judy sogar in einem
unbedachten Moment mit ihren genetischen Veranlagungen erklärt, eine Parallele
zur Rassenideologie menschlich-faschistischer Systeme, natürlich um derlei
Unsinn schnell zu entkräften. Wer hier etwas problematisches sieht, eben weil
der Film mit anthropomorphen Tieren arbeitet und Tieren bestimmte Instinkte
zugeordnet werden, Zoomania die
Vorstellung von genetischer Disposition zu bestimmten Verhalten also indirekt bekräftigen
würde, der verkennt die ganze Prämisse des Films: ebenso wenig wie der Mensch
von heute mit seinen Vorgängerspezies‘ zu vergleichen ist sind es die Wesen in Zoomania mit den Tieren, die wir heute
auf der Erde finden. Der Film bestärkt niemals ein wie auch immer geartetes
System der Abwertung, vielmehr legt er die Mechanismen, nach denen
Schuldzuweisungen, Hysterie und Populismus funktionieren, auf so süffisante Art
offen, dass man nur erstaunt sein kann, wie sehr versucht wird, Zoomania etwas zu unterstellen, dass der
Film in keinster Weise unterstützt. Vielleicht ist es der Schock, dass ein
Disneyfilm so etwas wie Rassenlehre, politischen Populismus und ethnische
Typisierung so souverän zur Sprache bringt.
Neben dem
soziologischen Aspekt ist Zoomania
auch ein gelungener Polizeifilm. Der Fall, den es zu lösen gilt, setzt nicht
darauf, von vornherein durchschaubar zu sein, die Ermittlungen sind wie der
Rest des Films unterhaltsam und mit einem gebührenden Tempo inszeniert, dass
nie außer Atem gerät und selbst in den üblichen dramaturgischen Kniffen (die
Trennung der Hauptfiguren zu Beginn des dritten Aktes etwa) eine Notwendigkeit
erkennt, die erstaunt. Das Überwinden von verletzenden Vorurteilen ist eben
keine einfache Sache. Hinzu kommen die vielen visuellen Einfälle, die ein
zweites und drittes Sehen fast obligatorisch machen und ein „World-building“,
das hervorragend funktioniert. Zootopia ist ein Ort, der nach eigenen, aber
dank des bildlichen Storytellings sofort nachvollziehbaren, Regeln in Gang
gehalten wird [Für all diejenigen, die sich fragen, ob die Raubtiere sich nun
vegetarisch ernähren: in dieser Welt haben nur (Land-)Säugetiere
augenscheinlich Intelligenz entwickelt, es bleiben also noch Fische, Vögel,
etc. Kentucky Fried Chicken ist auch
in Zoomania denkbar …]. Diese Souveränität geht so weit, dass ein adipöser,
augenscheinlich homosexueller Gepard von Judy darüber belehrt werden muss, dass
das Wort „niedlich“ nur von anderen Kaninchen für Kaninchen verwendet werden
darf, es aus dem Mund anderer Tiere aber einen fahlen Beigeschmack hat. Zoomania liefert ein Spiegelbild unserer
Welt, ohne dabei auf einfache Analogien zurückzufallen. Dies geht so weit, dass
auch Judy, um einen Punkt zu machen, mitunter auf Klischees zurückgreift („Wenn
es eins gibt, in dem Kaninchen gut sind, dann ist es multiplizieren.“). Es ist
wohl gerade die Anerkennung von Grauzonen, die Zoomania so lebendig macht.
Gewohnt
augenfreundlich (wenn auch zugegebenermaßen gestalterisch recht konventionell)
animiert, rasant erzählt, durchdacht und schlicht sympathisch ist Zoomania endlich, nach langem Warten,
der Film, auf den man seit dem Start der hauseigenen Disney-CGI-Filme mit Himmel und Huhn gewartet hat. Sicherlich
waren Baymax – Riesiges Robowabohu
oder Rapunzel – Neu verföhnt
unterhaltsam, aber erst die Geschichte von der Tierstadt schafft es, auf allen
Ebenen zu überzeugen. Und, wie gesagt, in einer Welt, in der dumpfer Hass dank
politischer Parteien und Agitatoren wieder salonfähig wird, ist Zoomania ohnehin der Film der Stunde.
Wenn Fuchs und Hase zusammenleben können, dann sind Trump, Höcke und Petry
obsolet – was für ein Hoffnungsschimmer in finsterer Zeit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen