Dienstag, 29. Oktober 2013

Der Dieb der Worte (2012)




DER DIEB DER WORTE
(The Words)
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 23.05.2013
Regie: Brian Klugman & Lee Sternthal

Ein kurzer Blick auf Rotten Tomatoes genügt: englischsprachige Rezensenten waren nicht gerade begeistert vom Dieb der Worte, mit gerade einmal 22% positiven Stimmen kann man von einer veritablen Flop sprechen. Dabei ist das Regiedebüt von Brian Klugman und Lee Sternthal emotional erstaunlich potent und bietet einen recht akkuraten Blick auf die Fallstricke, die ein „kreativer“ Lebensentwurf mit sich bringt. Zumal sich der Film einer gängigen Dramaturgie dahingehend verweigert, als dass er große, filmreife Konfrontationen auslässt. In Der Dieb der Worte wird sehr leise sehr laut geschrien.

Rory Jansen (Bradley Cooper) ist ein erfolgloser Autor, dessen Arbeiten zwar Potenzial aufweisen, nicht aber so marktkompatible sind, als das sich ein Verleger für sie finden würde. So schlägt sich Rory durchs Leben, nur die Liebe zu seiner Frau Dora (Zoe Saldana) hält ihn aufrecht. Als die beiden sich entschließen zu heiraten und ihre Flitterwochen in der Schriftsteller-Sehnusuchtsstadt Paris verbringen, kaufen sie in einem Antiquitätengeschäft eine alte Ledertasche. Wieder daheim bemerkt Rory irgendwann durch Zufall, dass im Innenfutter der Tasche ein Manuskript versteckt ist. Es erzählt so eindringlich die Geschichte eines jungen Soldaten (Ben Barnes) im Paris am Ende des Zweiten Weltkrieges, dass Rory sein eigener Misserfolg nochmals schmerzlich vor Augen geführt wird. Nur um zu spüren, wie es ist, wenn solch kraftvolle Worte aus seinen Fingern strömen, beginnt er, das Manuskript anzuschreiben, Zeile für Zeile, Wort für Wort. Es kommt, wie es kommen muss: die Geschichte landet bei einem Verleger, wird gedruckt und bildet den Grundstein für Rorys langersehnten Erfolg als Schriftsteller. Eines Tages taucht ein alter Mann (Jeremy Irons) auf – und Rorys Lügengebäude droht zu kollabieren.

Der Dieb der Worte besteht aus drei Erzählebenen: in der einen wird die Geschichte von Rory erzählt, die ihrerseits die Grundlage für ein Buch geliefert hat, dass in der als Rahmenhandlung zu verstehenden Lesung des Autors Clay Hammond (Dennis Quaid) rezitiert wird. Die von Rory gefundene Erzählung ist ebenfalls als Flashback erzählt. Was sich zunächst kompliziert anhört, ergibt im Endeffekt nicht nur ein natürlich fließendes, keineswegs verwirrendes Ganzes, sondern ist auch mehr als die Summe seiner Teile. Sicherlich ist der Rahmen mit Dennis Quaid und einer als Figur ziemlich ziellosen Olivia Wilde als Daniella der schwächste Part, passt aber in seiner melancholischen Stimmung zum Rest des Films. Der Dieb der Worte ist ein Film über Geschichten, sicherlich, aber auch darüber, wie Realitäten zu eben jenen Geschichten werden, die wir in Büchern und Filmen antreffen. Die drei Ebenen sind miteinander verbunden, womöglich etwas vorhersehbar, aber dennoch stimmig. Leben werden zu Erzählungen, die ihrerseits wieder zu so etwas wie Legenden werden. So räumt Hammond nie ganz die Zweifel aus, ob er der „wahre“ Rory ist, die Hauptgeschichte also nur eine mit Alter-Egos erzählte Wahrheit ist, oder ob es sich um eine dramatisierte Version einer Realität handelt, die nur in Auszügen so stattgefunden hat. Hat sich Hammond dem Plagiat schuldig gemacht? Will er mit der Rory-Geschichte alles wieder ins Lot rücken, Buße tun? Der Dieb der Worte mag in diese Richtung argumentieren, gänzlich anderen Interpretationen verschließt er sich dabei nicht.

Der Duktus ist ruhig, vielleicht zu ruhig für manches Publikum. Aber auch darin liegt eine der ungeahnten Kräfte des Films. Die innere Spannung wird gehalten und gerade im Zusammentreffen von Rory und dem alten Mann liegt sehr viel emotionaler Zündstoff, der sich nicht auf der Leinwand entlädt, wohl aber stetig glimmt. „Sie nahmen diese Worte, dann nehmen Sie auch den Schmerz“ wird zu einem zentralen Satz, der sehr viel besser funktioniert als jede öffentliche Entblößung, die man Rory hätte angedeihen lassen können. Auch die als sehr harmonisch geschilderte Beziehung zwischen Rory und Dora explodiert nicht, sondern zerbricht leise und dadurch umso schmerzvoller. Manchmal sind die kleinen Gesten sehr viel kraftvoller als das große Gehabe.

So ist Der Dieb der Worte ein trauriger, aber emotional dadurch auch erstaunlich involvierender Film geworden. In der Kreativität liegt per se viel Leid und Klugman und Sternthal sind entwaffnend ehrlich damit. Selbst- und Außenbild können leicht kollidieren, Neid und innere Melancholie jemanden in ethische Dilemmas stürzen. Rory ist kein schlechter Mensch, nur jemand, dessen kreative Arbeit nicht so geschätzt wird, wie er es sich wünscht. Der Dieb der Worte ist weitaus klüger, als es die restlichen 78% auf Rotten Tomatoes ihm zugestehen wollen.



Ein MordsTeam (2012)




EIN MORDSTEAM
(De l’autre côte du périph)
Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: David Charhon

Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass einzig und allein Omar Sys Mitarbeit dafür verantwortlich ist, dass Ein MordsTeam eine europaweite Kinoauswertung vergönnt wurde (lediglich die Niederländer waren bisher so schlau, den Film gleich auf DVD zu vermarkten). Der Film lechzt so sehr danach, den Erfolg von Ziemlich beste Freunde wenn nicht zu wiederholen, so doch zumindest in seinem Fahrwasser noch den ein oder anderen schnellen Euro zu machen, dass es mitunter ziemlich peinlich wird. Sets werden wiederverwendet, Sy wird mit de facto der gleichen Rolle abgespeist und streckenweise wirkt Ein MordsTeam so sinnlos zusammengeschnitten, als wäre die Deadline oft näher, als allen Beteiligten lieb gewesen wäre.

Die Frau eines hohen Wirtschaftsführers wird in einem verwahrlosten Vorort von Paris tot im Müll entdeckt. Der snobistische Kripo-Beamte Francois (Laurent Lafitte) muss sich mit dem ortskundigen Streifenpolizisten Ousmane (Omar Sy) zusammenraufen, um den Fall zu lösen, der sie in einen Sumpf aus Korruption und anderen weniger schmeichelhaften menschlichen Eigenschaften führt…

So weit, so simpel. Ein MordsTeam ist einer dieser typischen Malen-nach-Zahlen-Filme, der es nie schafft, zu überraschen oder wenigstens gut zu unterhalten. Denn auch wenn ständig ironisch Eddie Murphys Beverly Hills Cop – Ich lös‘ den Fall auf jeden Fall erwähnt wird, dem altbackenen Drehbuch gelingt es nicht, sich über den Durchschnitt zu erheben. Die müden Kalauer, die vorhersehbare Dramaturgie und – größte Sünde für solch einen Film – die fehlende Chemie zwischen den Darstellern machen es dem Zuschauer schwer. So plätschert der Film dahin, verlässt sich auf die Wiederholung altbekannter Klischees und langweilt auf immerhin handwerklich recht ordentlichem Niveau.

Wie erwähnt, Ein MordsTeam ist ohne Ziemlich beste Freunde kaum denkbar. Ein direkter Vergleich zwischen den Filmen zeigt exemplarisch die Fallstricke auf, in die ein Werk treten kann. Denn, machen wir uns nichts vor, auch Ziemlich beste Freunde konnte nicht mit einer innovativen oder konstant überraschenden Geschichte aufwarten. Was den Film aber weit über den Durchschnitt emporhob, war die perfekt ausgearbeitete Chemie zwischen den Charakteren und vor allem die unmissverständliche Hingabe, mit der der Film inszeniert wurde. Ziemlich beste Freunde war deshalb so erfolgreich, weil sich die Spielfreude der Darsteller in Sehfreude für den Zuschauer übersetzte, die souveräne Inszenierung den Film vor den gängigen Kitschfallen bewahrte. Und der Humor funktionierte, weil er einerseits keinerlei Berührungsängste kannte, zum anderen dadurch so offen, ehrlich und menschlich wurde. Ziemlich beste Freunde ist ein Feel-Good-Film, auch mit seinem Schuss bekannter Versatzstücke, aber gerade unter diesem Gesichtspunkt einer der besseren seiner Zunft. Ein MordsTeam illustriert nun, wie sehr das Konzept nach hinten losgehen kann, wenn man keinerlei Wert auf Eigenständigkeit oder ein Drehbuch legt, dass sich um seine Charaktere schert. Formelhaftigkeit kann durch so viel aufgewertet werden, Regisseur David Charhon kennt offensichtlich keinen einzigen dieser Handgriffe.

Ein MordsTeam ist, egal, wie sehr man ihn wendet, eine schmerzlich generische Buddy-Komödie, wie man sie schon zu oft gesehen hat. Der Film ist nicht per se schlecht, wahrscheinlich kann man auch durchaus 90 Minuten höchst genügsame Unterhaltung daraus ziehen, aber seine Existenz als schamloser Trittbrettfahrer, der den Erfolg eines besseren Films ausnutzen möchte mit der damit verbundenen Lust- und Einfallslosigkeit des Films werfen ein zu schlechtes Bild auf dieses uninteressante Polizistenpärchen, als dass man eine Empfehlung aussprechen könnte.



Freitag, 25. Oktober 2013

Paradies: Glaube (2012)




PARADIES: GLAUBE
Österreich/Deutschland/Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Ulrich Seidl

Der zweite Teil der Paradies-Trilogie ist technisch und in der allgemeinen Herangehensweise mit Paradies: Liebe identisch. Viele Szenen haben einen deutlichen Improvisationstouch, die Gestaltung ist schonungslos realistisch. Doch Paradies: Glaube bietet nichts, was beispielsweise mit der Stripper-Sequenz aus dem ersten Teil vergleichbar wäre, was nicht heißen soll, dass nicht auch der zweite Teil einiges an emotional fordernden Einstellungen mitbringen würde. Doch neben diesen ergeht sich der Film auch etwas zu sehr in Klischees, die auch nach der Dechiffrierung nicht interessanter werden.

Wieder geht es um eine einsame Frau, die ihre innere Leere mit einer Ersatzhandlung auszufüllen gesucht. Diesmal ist es Anna Maria (Maria Hofstätter), die Schwester der aus dem ersten Teil bekannten Teresa, die ihre Erfüllung im katholischen Glauben gefunden hat. Mit einer Marienstatue „bewaffnet“ versucht sie, Migranten zu missionieren und in Sünde lebende Österreicher zu bekehren; ihre Gebetsgruppe bittet den Herrn darum, Österreich wieder voll und ganz katholisch zu machen. Als ihr nach einem Unfall auf einen Rollstuhl angewiesene Mann Nabil (Nabil Saleh) nach einem längeren Aufenthalt in Ägypten wieder auftaucht, gerät Anna Maria in einen Konflikt mit sich und ihrem so innig geliebten Jesus…

Dass die Verehrung eines über 2000 Jahre alten Zimmermanns so manch groteske Blüte treibt, ist bekannt. Paradies: Glaube wird nicht müde, dies zu illustrieren. Anna Maria rutscht den Rosenkranz betend auf Knien durch ihre Wohnung, geißelt sich selbst, um dem hölzernen Kreuz an der Wand zu gefallen und benutzt es irgendwann auch, um zu masturbieren. Diese reichlich plakative Jesusliebe ist zwar im Kontext des Films durchaus nachzuvollziehen, als Bild aber ziemlich schal. Gemüter können dadurch immer noch erhitzt werden, auch Ulrich Seidls Film wurde mit dem Blasphemie-Vorwurf konfrontiert. Doch jenseits der religiös motivierten Empörung sind es solche Elemente, die dem geneigten Zuschauer allzu bekannt vorkommen. Das Kreuz als phallisches Symbol, die geistige Liebe zu Jesus, die so auch eine körperliche Entsprechung findet – innovativ ist das kaum, interessant auch nicht. So ist auch die von Maria Nächtens im Stadtpark beobachtete Orgie eher albern denn schockierend: Ein Dutzend Personen haben Sex in einer vom Mondlicht beschienenden Wiese und Anna Maria schaut dem Treiben mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination zu, um sich daheim schnell zu duschen und zu geißeln. Die plakativen Bilder dieser Art treten in Paradies: Glaube deutlicher und unangenehmer zutage als jene in Paradies: Liebe.

Andere vermeidliche Klischees sind durchaus stimmig. Der seine Frau bespuckende Muslim mag auf den ersten Blick beispielsweise ein furchtbares Klischeebild sein, erklärt sich aber aus der vorangegangenen Interaktion von Nabil und Anna Maria. Wenn Nabil heimkehrt, zeichnet ihn Seidl als verletzlichen, von Selbstzweifeln zerfressenden Mann, der Anna Marias Zuspruch benötigt. Da sie diese ihm aber in ihrer Bigotterie nicht geben kann und will und ihm keinerlei seelisches Feedback gibt, greift er irgendwann in seiner Verzweiflung zu den selben, in der Religion begründeten archaischen Mitteln der Interaktion wie Anna Maria. Nabil ist kein Fundamentalist oder ähnliches, aber Anna Maria bringt mit ihrer Haltung das Schlechteste in ihm zum Vorschein. So handelt Paradies: Glaube natürlich auch von der zerstörerischen Komponente der Religionen, wenn sie einen wahren Dialog zwischen Menschen nicht mehr zulassen und das eigenständige Denken mit Ge- und Verboten vernebeln. Wenn Anna Maria erkennt, dass stures Beten keine Probleme löst, hat sie in ihrer Beziehung zu Nabil bereits irreparablen Schaden angerichtet.

Paradies: Glaube verlangt ähnlich viel Geduld vom Zuschauer wie sein Vorgänger, die Payoffs sind allerdings nicht so groß. Trotz hervorragender Szenen wie Anna Marias erster Besuch bei einer Familie, ihr Streitgespräch mit einem „gottlosen“ Paar und der Konfrontation mit einer alkoholkranken Russin (Natalya Baranova) mit bisexuellen Tendenzen (hier liegen Klischeedarstellungen und superb inszenierte Konfrontationen dicht beieinander) fehlt dem Film der finale Schnips mit dem Finger. Zumal Anna Marias Weg in den Fundamentalismus nicht so tragisch daherkommt wie Teresas Weg in die rassistisch konnotierte sexuelle Ausbeutung, weil sie den Weg aktiv gewählt hat. Für jemanden, der in einer wissenschaftlichen Welt (in diesem Fall im Krankenhaus) arbeitet und daheim wie in einer Höhle magische Rituale durchführt, kann man sich als Zuschauer weniger erwärmen. Und das will etwas heißen, bot doch auch Paradies: Liebe keine Identifikationsfigur oder in irgendeiner Form positive Zwischentöne.

Streckenweise interessant, aber diesmal mit schwerer zu übersehenden Stolpersteinen ausgestattet, ist Paradies: Glaube immer noch ein durchaus sehenswertes Erlebnis für den experimentierfreudigen Kinogänger, aber als Nachfolger kann er nicht ganz an den ersten Teil anknüpfen. Es bleibt abzuwarten, wie Seidl mit Paradies: Hoffnung diese Trilogie über Einsamkeit und alltägliche, menschliche Grausamkeiten enden lassen wird.



Mittwoch, 23. Oktober 2013

Albert Nobbs (2011)




ALBERT NOBBS
Großbritannien/Irland/Frankreich/USA 2011
Dt. Erstaufführung: 26.09.2013
Regie: Rodrigo García

Im Irland des späten 19. Jahrhunderts ist Albert Nobbs (Glenn Close) der schweigsame, aber perfekt agierende Butler in einem der besten Hotels in Dublin. Sein bestgehütetes Geheimnis, nämlich dass er in Wahrheit eine Frau ist, droht aufgedeckt zu werden, als er sich mit dem Maler Hubert Page (Janet McTeer) kurzfristig das Zimmer teilen muss. Doch auch Hubert führt eine Doppelexistenz und nicht nur das – „er“ ist auch mit einer Frau verheiratet. Albert beginnt zu Träumen, von einem eigenen Laden, von Erfolg und bescheidenem Glück und auch von dem Zimmermädchen Helen (Mia Wasikowska), dass sich aber viel mehr für den windigen Joe (Aaron Johnson) interessiert…

Nicht nur die Prämisse von Albert Nobbs ist außergewöhnlich, ebenso ist es seine Veröffentlichungshistorie in Deutschland. Trotz dreifacher Oscarnominierung und zahlreichen weiteren Preise dauerte es etwa 1 ½ Jahre, bis er nach seiner US-Premiere auf die deutschen Leinwände kam. Gestartet mit mageren neun Kopien konnte der Film zwar eine fünfstellige Summe erwirtschaften, wurde aber nur drei Wochen später für die DVD-Auswertung freigegeben. So konnte man Albert Nobbs Ende September im Kino erleben und bereits Mitte Oktober das Erlebnis dank Home Entertainment wiederholen. Fast wirkt es so, als wolle man von Seiten des Verleihs diesen Film schnell „hinter sich bringen“, als würde man der Geschlechterbilder zu Disposition stellenden Geschichte keinen Erfolg zutrauen.

Albert Nobbs ist ein melodramatischer Film, ohne Frage. Aber er ist gleichzeitig so zurückhaltend inszeniert, dass seine Seifenoper-Elemente nicht irritieren. Dies liegt vor allem an dem Ensemble, das sich völlig in das historische Setting hineingibt. Glenn Close kämpfte Jahre darum, die zuvor als Kurzgeschichte und Theaterstück existierende Story auf die Leinwand zu bringen und ihrem Portrait von Albert Nobbs merkt man das Herzblut an, dass sie in die Rolle gesteckt hat. Neben der darstellerischen Leistung ist vor allem das Make-Up ein voller Erfolg (anders als in Filme wie beispielsweise Cloud Atlas). Man erkennt Close, akzeptiert sie aber gleichzeitig so vollkommen als verhuschtes Männlein, dass eine Szene, in der Albert in einem Kleid auf die Straße tritt, doppelt irritiert: Die Frau, die einen Mann spielt, sieht in Frauenkleidern aus wie ein verkleideter Mann. Janet McTeers Verwandlung zum Mann ist weniger gelungen, vielleicht auch, weil sich ihre Oberweite nur schwerlich verbergen lässt. Aber auch die Maske ist weniger sorgfältig, geschweige denn überzeugend. Albert Nobbs ist trotz aller soliden Darsteller, von denen noch Pauline Collins als widerliche Hotelchefin Erwähnung finden sollte, die Close umgeben, dennoch unbestreitbar ihr Film.

Sorgfältig gestaltet und ansprechend inszeniert können auch die Darsteller die Schwächen des Drehbuchs nur bedingt übertünchen. Es sind keine großen Patzer, beileibe nicht, aber sie fallen dennoch auf. Zum einen die bereits erwähnte Melodramatik, die wie ein Damoklesschwert dem Zuschauer suggeriert, dass eine Geschichte wie diese nicht gut ausgehen kann. Zum anderen der Hang zum Erklären von Dingen, die keiner Erklärung bedurft hätten. Wir erfahren nie Alberts „richtigen“ Namen und der Film tut sich damit einen Gefallen. Dennoch muss er die Gründe für die Maskerade von Nobbs und Page explizit erläutern. Dass es ökonomische Zwänge und sexuelle Gewalt als Triebfedern sind, dass kann sich jeder Zuschauer mit wenig Fantasie zusammenreimen. Durch die Erwähnung, also die Bestätigung der einfachsten Überlegungen nimmt sich der Film einiges an Potenzial, unweigerlich beginnt man über Alberst früheres Leben nachzudenken. Der Charakter wird dadurch zwar weniger mystifiziert, aber auch uninteressanter. Es ist fast so, als könne man Albert nicht Albert sein lassen, sondern seine gesellschaftliche Schizophrenie mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner erklären zu müssen. In dem Moment, in dem der Film das offensichtliche ausspricht, begibt er sich auf dramaturgisch ausgetretene Pfade, die dem sonst so konzentriert inszenierten Film nicht gut zu Gesicht stehen. Auch das Albert/Helen/Joe-Dreieck funktioniert weit weniger reibungslos als offenbar beabsichtigt.

Am Ende des Tages bleibt Albert Nobbs aber ein funktionales, nicht überkandideltes Melodram mit ambitionierten Darstellern, einer liebevollen Maske und Ausstattung und einem nicht von der Hand zu weisendem Unterhaltungswert. Allein schon deshalb, weil man einer liebenswerten Figur wie dem Titelcharakter alles Glück der Erde wünscht – und ganz nebenbei kluge Anstöße zur Geschlechterdiskussion frei Haus mitgeliefert bekommt.