PARADIES: GLAUBE
Österreich/Deutschland/Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Ulrich Seidl
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Ulrich Seidl
Der zweite Teil der Paradies-Trilogie ist technisch und in
der allgemeinen Herangehensweise mit Paradies:
Liebe identisch. Viele Szenen haben einen deutlichen Improvisationstouch,
die Gestaltung ist schonungslos realistisch. Doch Paradies: Glaube bietet nichts, was beispielsweise mit der
Stripper-Sequenz aus dem ersten Teil vergleichbar wäre, was nicht heißen soll,
dass nicht auch der zweite Teil einiges an emotional fordernden Einstellungen
mitbringen würde. Doch neben diesen ergeht sich der Film auch etwas zu sehr in
Klischees, die auch nach der Dechiffrierung nicht interessanter werden.
Wieder geht es um eine einsame Frau, die ihre innere Leere
mit einer Ersatzhandlung auszufüllen gesucht. Diesmal ist es Anna Maria (Maria
Hofstätter), die Schwester der aus dem ersten Teil bekannten Teresa, die ihre
Erfüllung im katholischen Glauben gefunden hat. Mit einer Marienstatue „bewaffnet“
versucht sie, Migranten zu missionieren und in Sünde lebende Österreicher zu
bekehren; ihre Gebetsgruppe bittet den Herrn darum, Österreich wieder voll und
ganz katholisch zu machen. Als ihr nach einem Unfall auf einen Rollstuhl
angewiesene Mann Nabil (Nabil Saleh) nach einem längeren Aufenthalt in Ägypten
wieder auftaucht, gerät Anna Maria in einen Konflikt mit sich und ihrem so
innig geliebten Jesus…
Dass die Verehrung eines über 2000 Jahre alten Zimmermanns
so manch groteske Blüte treibt, ist bekannt. Paradies: Glaube wird nicht müde, dies zu illustrieren. Anna Maria
rutscht den Rosenkranz betend auf Knien durch ihre Wohnung, geißelt sich
selbst, um dem hölzernen Kreuz an der Wand zu gefallen und benutzt es
irgendwann auch, um zu masturbieren. Diese reichlich plakative Jesusliebe ist
zwar im Kontext des Films durchaus nachzuvollziehen, als Bild aber ziemlich
schal. Gemüter können dadurch immer noch erhitzt werden, auch Ulrich Seidls
Film wurde mit dem Blasphemie-Vorwurf konfrontiert. Doch jenseits der religiös
motivierten Empörung sind es solche Elemente, die dem geneigten Zuschauer allzu
bekannt vorkommen. Das Kreuz als phallisches Symbol, die geistige Liebe zu
Jesus, die so auch eine körperliche Entsprechung findet – innovativ ist das
kaum, interessant auch nicht. So ist auch die von Maria Nächtens im Stadtpark
beobachtete Orgie eher albern denn schockierend: Ein Dutzend Personen haben Sex
in einer vom Mondlicht beschienenden Wiese und Anna Maria schaut dem Treiben
mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination zu, um sich daheim schnell zu
duschen und zu geißeln. Die plakativen Bilder dieser Art treten in Paradies: Glaube deutlicher und
unangenehmer zutage als jene in Paradies:
Liebe.
Andere vermeidliche Klischees sind durchaus stimmig. Der
seine Frau bespuckende Muslim mag auf den ersten Blick beispielsweise ein
furchtbares Klischeebild sein, erklärt sich aber aus der vorangegangenen
Interaktion von Nabil und Anna Maria. Wenn Nabil heimkehrt, zeichnet ihn Seidl
als verletzlichen, von Selbstzweifeln zerfressenden Mann, der Anna Marias
Zuspruch benötigt. Da sie diese ihm aber in ihrer Bigotterie nicht geben kann
und will und ihm keinerlei seelisches Feedback gibt, greift er irgendwann in
seiner Verzweiflung zu den selben, in der Religion begründeten archaischen
Mitteln der Interaktion wie Anna Maria. Nabil ist kein Fundamentalist oder
ähnliches, aber Anna Maria bringt mit ihrer Haltung das Schlechteste in ihm zum
Vorschein. So handelt Paradies: Glaube
natürlich auch von der zerstörerischen Komponente der Religionen, wenn sie
einen wahren Dialog zwischen Menschen nicht mehr zulassen und das eigenständige
Denken mit Ge- und Verboten vernebeln. Wenn Anna Maria erkennt, dass stures
Beten keine Probleme löst, hat sie in ihrer Beziehung zu Nabil bereits irreparablen
Schaden angerichtet.
Paradies: Glaube
verlangt ähnlich viel Geduld vom Zuschauer wie sein Vorgänger, die Payoffs sind allerdings nicht so groß.
Trotz hervorragender Szenen wie Anna Marias erster Besuch bei einer Familie,
ihr Streitgespräch mit einem „gottlosen“ Paar und der Konfrontation mit einer
alkoholkranken Russin (Natalya Baranova) mit bisexuellen Tendenzen (hier liegen
Klischeedarstellungen und superb inszenierte Konfrontationen dicht beieinander)
fehlt dem Film der finale Schnips mit dem Finger. Zumal Anna Marias Weg in den Fundamentalismus
nicht so tragisch daherkommt wie Teresas Weg in die rassistisch konnotierte
sexuelle Ausbeutung, weil sie den Weg aktiv gewählt hat. Für jemanden, der in
einer wissenschaftlichen Welt (in diesem Fall im Krankenhaus) arbeitet und
daheim wie in einer Höhle magische Rituale durchführt, kann man sich als
Zuschauer weniger erwärmen. Und das will etwas heißen, bot doch auch Paradies: Liebe keine
Identifikationsfigur oder in irgendeiner Form positive Zwischentöne.
Streckenweise interessant, aber diesmal mit schwerer zu
übersehenden Stolpersteinen ausgestattet, ist Paradies: Glaube immer noch ein durchaus sehenswertes Erlebnis für
den experimentierfreudigen Kinogänger, aber als Nachfolger kann er nicht ganz
an den ersten Teil anknüpfen. Es bleibt abzuwarten, wie Seidl mit Paradies: Hoffnung diese Trilogie über
Einsamkeit und alltägliche, menschliche Grausamkeiten enden lassen wird.
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