Dienstag, 1. Oktober 2013

Stoker - Die Unschuld endet (2013)




STOKER – DIE UNSCHULD ENDET
(Stoker)
Großbritannien/USA 2013
Dt. Erstaufführung: 09.05.2013
Regie: Chan-wook Park

Chan-wook Park, der südkoreanische Regisseur von Oldboy und Lady Vengeance, wäre so gern Alfred Hitchcock, das wird bei der Betrachtung seines ersten englischsprachigen Spielfilms Stoker ziemlich deutlich. Nicht nur, dass die Parallelen zu Im Schatten des Zweifels von 1943 bereitwillig bestätigt werden, die weiteren inhaltlichen und ästhetischen Korrespondenzen sind Legion. So ist Stoker ein sinnliches Fest, voller perfekter Bilder und einer dichten Atmosphäre, wird aber durch sein volles Vertrauen auf das Nachspielen bekannter Vorbildern weniger zu einem eigenständigen Werk denn einer hübschen, letztlich aber müßigen Hommage.

Der Vater von India Stoker (Mia Wasikowska) stirbt an ihrem 18. Geburtstag bei einem Autounfall, was sie mit ihrer emotional entfremdeten Mutter Evelyn (Nicole Kidman) allein zurücklässt. Doch dieser Zustand hält nicht lange an, denn ihr Onkel Charlie (Matthew Goode), von dessen Existenz sie bisher nicht einmal ahnte, tritt in ihrer beider Leben und nistet sich in ihrem herrschaftlichen Haus ein. Der charmante, aber auch undurchsichtige Mann fasziniert India, auch wenn sie zusehends vermutet, dass er ein doppeltes Spiel spielt…

Ein Film der großen Überraschungen ist Stoker nicht. Zunächst gibt es ein bisschen Rätselraten darüber, ob der Titel bereits einen phantastischen Einschlag suggerieren soll (Bram Stoker war der Autor von Dracula, aber mit Vampiren hatte sich Park schon 2009 in Durst beschäftigt), was sich aber nicht bewahrheitet. Vielmehr ist dies ein Verweis auf die Gothik-Ästhetik des Films, der eine eigenartige Mixtur aus moderner Welt und 1960er-Jahre präsentiert, die den Film auch gestalterisch auf einer ambivalenten Ebene im Schwebezustand hält. Aber wer in Charlie nicht von der ersten Minute an einen Schurken erkennt, der sieht mit Stoker wohl seinen ersten Thriller. Verraten wird damit nichts, Park macht sich keinerlei Mühe, diesen Umstand zu verbergen, es geht nur noch um das Wie und Wo: Wo hat sich Charlie all die Jahre verkrochen und wie wird seine Präsenz die junge India beeinflussen? So ist Charlie ein Norman-Bates-Klon, von Matthew Goode charismatisch gespielt, aber eben wie der Rest eher Hommage als eigenständige Figur.

Der deutsche Untertitel, der die englische Tagline für den Film aufgreift, macht es schon deutlich, dass sich Stoker auch als eine Art düstere Coming-of-Age-Geschichte versteht. India, kurz vor ihren ersten sexuellen Erfahrungen stehend und in einem schwierigen Prozess mit der Mutter befindlich, der gleichzeitig Abnabelung und Annäherung erfordert, wird von Charlie in den Bann gezogen und die gleichermaßen unangenehme wie faszinierende Anziehung zwischen den beiden gehört zu den besten Elementen des Films. Das englische Wort creepy bringt es am besten auf den Punkt, sagt es doch mehr aus als das deutsche „unheimlich“. Es ist ein lautlos schreiendes Unbehagen, dass Stoker erfüllt und die Atmosphäre teilweise zum Schneiden dick werden lässt. Was der Film letztenendes damit macht, ist aber ähnlich seltsam wie die Auffassung, die egoistische Selbstermächtigung mittels Schwangerschaft in 17 Mädchen hätte etwas mit teenage empowerment zu tun. Im Grunde vertritt Stoker die Auffassung, Gewalt ist erblich, die Lust am Morden ist in manchen Familien schlicht genetisch einprogrammiert. Und eine junge Frau, die einmal Blut geleckt hat (gar nicht mal so sehr im übertragenden Sinne gemeint), wird diesen Pfad weiter verfolgen.
Die Pubertät, beziehungsweise deren langsames Ende, wird hier als Befreiungsschlag gesehen. Nicht falsch, aber warum es quasi zwangsläufig mit Gewalt einhergehen muss, bleibt vage. Wie bei so vielen anderen Filmen in diesem Jahr liegen die Hauptprobleme von Stoker im dritten Akt, der eine fragwürdige Auflösung bietet. Mord als Initiationsritus, als erleichterndes Mittel zum Zweck, an dem man auch schnell Gefallen finden kann. Fast wirkt es so, als wäre Park im letzten Moment eingefallen, dass er nicht ohne explizite Gewalt in seinen Filmen leben kann. Stoker ist zwar zahmer als seine früheren Werke, aber so ganz wollen die finalen Minuten nicht zum Rest passen.

Als überraschungsarmer, ästhetisch aber exzellenter Hitchcock-Klon funktioniert Stoker – Die Unschuld endet recht gut, auch auf die unheimliche Atmosphäre will man sich zu Gunsten der milden Spannung einlassen. Unterm Strich ist Stoker aber ein Film eines fanboys: genau beobachtet, mit viel Liebe zur Vorlage gemacht, aber etwas mehr Individualität und etwas weniger Zitat hätten dem Ganzen durchaus gut zu Gesicht gestanden.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen