Dienstag, 22. Oktober 2013

Hannah Arendt (2012)




HANNAH ARENDT
Deutschland/Luxemburg/Frankreich 2012
Dt. Erstaufführung: 10.01.2013
Regie: Margarethe von Trotta

Mit einem Namen wie Kuleschow-Effekt erwartet man eigentlich unvorhergesehene Parallelen in der Art und Weise, wie Besprechungen in diesem Blog verknüpft werden. Vor allem aber erlaubt die Art des hier vollführten Posting ein gewisses Maß an Anachronismen. So bietet sich durchaus an, in punkto Hannah Arendt zwei weitere selbsternannte Biopic-Filme zu nennen, auch wenn sie später in die deutschen Kinos kamen: Lincoln und Hitchcock. Letzterer ist eher ein cinephiler Liebesbrief denn eine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem Regisseur Alfred Hitchcock. Erster verengt seinen Blick so sehr auf die große Leistung Lincolns in den letzten Monaten seines Lebens, dass der Film eher unausgewogen daher kommt. Dies könnte man auch Hannah Arendt anlasten, interessiert sich der Film doch hauptsächlich für die Berichterstattung über den Eichmann-Prozess und die daraus resultierenden Kontroversen über Arendts Sichtweisen, aber insgesamt gelingt Margarethe von Trotta ein stimmigeres Bild einer historischen Persönlichkeit als Spielberg mit Lincoln, indem sie das Bild durch Details und einer sicheren Inszenierung zu einem großen Ganzen zusammenführen kann.

Hannah Arendt (Barbara Sukowa), einst unter den Nazis interniert, in die USA geflohen und zu einer geschätzten politischen Theoretikerin geworden (dem Begriff Philosophin stand sie kritisch gegenüber), bietet dem Magazin The New Yorker im Jahr 1961 an, nach Jerusalem zu gehen und dort über den Prozess gegen Adolf Eichmann zu berichten. Diesen untergetauchten SS-Obersturmbannführer hatte der Mossad in Argentinien aufgespürt und nach Israel entführt. Im Laufe des Prozesses wird Arendt Zeugin von etwas, dass sie später die „Banalität des Bösen“ nennen sollte: Eichmann entpuppt sich nicht als Monster, sondern als kleingeistiger Bürokrat, offenbar unfähig, über die Konsequenzen seines Handelns nachzudenken. Zwei Jahre nach dem Prozess veröffentlicht Arendt eine Serie von Artikeln, die nicht nur viel Publicity, sondern auch viele Schmähungen beziehen. Besonders ihre Aussagen zu den Judenräten, die mit den Nazis zusammengearbeitet haben sollen, stoßen auf heftige Gegenwehr. Arendts berufliche wie private Zukunft geraten zunehmend in Bedrängnis…

Wenn Hannah Arendt ein Film über das Denken ist, so gelingt es ihm vorzüglich, die Lust daran dem Zuschauer zu vermitteln. Neben all den kleinen Misstönen, die man anbringen kann (die erfundene Szene, in der der Mossad Arendt bedroht; die den Fluss etwas störenden Einschübe mit Martin Heidegger; die im Film wenig in ihrem Kern diskutierten Argumente, die Arendt bezüglich der Judenräte ins Feld führt), ist dies womöglich die größte Stärke des Films: er weckt das Interesse nicht nur an der Person Hannah Arendt (wenn dies nicht von vornherein vorhanden war) und wirkt als starkes Plädoyer für eigenständiges, vor allem aber reflektiertes Denken, nach. Indem von Trotta die Eichmann-Originalaufnahmen verwendet und auf Nachstellung verzichtet, kann auch der Zuschauer anno 2013 ihre Argumentation von der „Banalität des Bösen“ nachvollziehen.
Eichmann erscheint nicht als blutrünstiges Ungeheuer, sondern als pedantischer Beamter, dessen Hörigkeit der Obrigkeit gegenüber ihn immun machte zu sehen, was er tat. Menschen in den Tod schicken oder Formulare abheften – für Eichmann schien dies ein und dasselbe zu sein. Wer einen uneinsichtigen Schlächter erwartete, der wurde zwangsläufig enttäuscht und Arendt traf in ihrer Analyse genau diesen wunden Punkt, den man sich nicht eingestehen mochte. Das die Taten und ihre Konsequenzen nicht banal sein können, der Mensch, der dahintersteht aber schon, ist ein Gedanke, der Hinterbliebene schmerzen muss, ihn aber nicht weniger wahr macht. Von Trotta gelingt es, dieses Gegensatzpaar, die hochkochenden Emotionen auf der einen und die nüchterne Analyse, die zu erklären versucht, aber darum noch lange nicht beschwichtigt, prägnant unter einen Hut zu bringen.

Ebenso zwangsläufig scheint es zu sein, dass der Film den Gegensatz Arendt als Mensch und Arendt in der Öffentlichkeit nicht ebenso kongenial in Szene zu setzen weiß. Von Trotta ist auf der Seite ihrer Figur, der Zuschauer ebenso, weshalb all die harschen Reaktionen von Freunden und Bekannten manchmal, bei allem Wahrheitsgehalt, zu sehr nach Spielfilmdramaturgie riechen. Das Bild von der unterkühlten Denkerin vermag Hannah Arendt nur bedingt zu vermitteln, wir erfahren es eher über die Exposition und auch diesem Umstand gebietet von Trotta Einhalt, in dem sie etwa die Beziehung zwischen Arendt und ihrem zweiten Mann Heinrich Blücher (Axel Milberg) ausgesprochen liebevoll schildert. Man kann nur Arendt-Fan nach diesem Film sein, ambivalente Zwischentöne werden kurz gehalten. Man mag dies kritisieren, anderseits würde wohl auch von Trotta keinen Film über eine ihr unliebsame Person drehen.

So mag Hannah Arendt all jene enttäuschen, die einen mehr dokumentarischen Ansatz favorisiert hätten. Alle anderen finden in diesem den Namen wirklich verdienenden Biopic gleichermaßen spannend aufbereitete Geschichte wie auch viele Denkansätze. Hannah Arendt gelingt der Spagat zwischen gutem und intelligentem Kino hervorragend und setzt einer außergewöhnlichen Persönlichkeit ein würdiges Denkmal.



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