UNTER MENSCHEN
Deutschland/Österreich/Ungarn 2013
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Christian Rost & Claus Strigel
Deutschland/Österreich/Ungarn 2013
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Christian Rost & Claus Strigel
Unter Menschen ist einer jener Filme, die Gefahr laufen, einen Teil
des Publikums bereits in den ersten zehn Minuten zu verprellen. Doch was als
geradezu dilettantisch gefilmte Dokumentation beginnt, wird mit zunehmender
Spielzeit zu einem herzzerreißenden Zeugnis einerseits der Grausamkeit,
andererseits der Güte des Menschen. Am Ende des Jahres könnte Unter Menschen als einer der besten
Filme der letzten zwölf Monate dastehen, weniger wegen seiner technischen
Ausgereiftheit, sondern wegen der schieren Wucht seines Sujets, das so still
daherkommt und am Ende umso nachdringlicher widerhallt. Umso ärgerlicher, dass
der Film mit mageren acht Kopien in Deutschland gestartet wurde und gerade mal
etwas über 2.300 € einspielen konnte. Eine Dokumentation dieser
diskussionswürdigen Brisanz hat mehr verdient.
In den 1980er Jahren erwarb die
österreichische Firma Immuno auf
illegalen Wegen mehrere Schimpansen, die sie danach für eine letztlich völlig
ergebnislose AIDS-Forschung ausbeutete. Als die Firma von einer anderen
aufgekauft wurde, siedelte man die Schimpansen samt Pflegepersonal in einem
Safaripark um, der 2005 Konkurs anmeldete. Der Film schildert einerseits die
Vorgeschichte der Affen, andererseits begleitet er den Bau eines neuen
Refugiums in einem Gnadenhof für ehemalige Versuchstiere, in dem die Schimpansen,
die zum Teil fast dreißig (!) Jahre in Labors verbrachten, zum ersten Mal den
Himmel sehen und auf Gras laufen können.
Wie erwähnt, einen Technikpreis
wird Unter Menschen nie gewinnen.
Oftmals mit dem Charme einer Amateuraufnahme und der nervösen
Unentschlossenheit eines Betrachters, der nicht so recht mit der Zoom-Funktion
umzugehen weiß, ausgestattet, strapaziert der Film das Nervenkostüm. Es braucht
einige Zeit, bis man über diese anstrengenden Stilmittel hinwegsehen kann, die
ein bisschen nach Guerillafilmen aussehen, ohne dass es dazu Anlass gebe.
Glücklicherweise ist die Thematik des Films so stark und die Dramaturgie der
Dokumentation nicht so beliebig, wie es zu Beginn den Anschein hat. Immer
weiter setzen die Regisseure Christian Rost und Claus Strigel das Mosaik
zusammen, in dem sich eine ethische Katastrophe an die nächste zu reihen
scheint.
So erfährt der Zuschauer, der
mehr als einmal fassungslos vor den Geschehnissen sitzt, die ihm hier geboten
werden, dass für einen erfolgreich nach Europa verschifften Schimpansen fünf
bis zehn Tiere in der Wildnis sterben mussten, da man auf der Jagd nach
möglichst jungen Tieren den Familienwiderstand der Affengruppe durchbrechen
musste. Oder dass eine unheimliche Allianz aus Immuno-Mitarbeitern, Staatsdienern und gewissenlosen Allroundern
dies erst möglich gemacht hat. Das die Schimpansen nicht aus freien Stücken
Jahrzehnte in Isolationshaft verbracht haben, ist klar. Dass ihr Leidensweg
unter der wissentlichen Umgehung jeglicher Bestimmungen und jenseits allen
Ertragbaren begann, rekonstruiert der Film. So kommt der sichtlich aufgebrachte
Leiter des Zentrums für Artenschutz, Josef Schmuck, zu Wort, in dessen Besitz
sich Aktenberge befinden, die die Aktivitäten von Immuno und die Bestechungen dokumentieren, die nötig waren, um die
Tiere in die Anlage zu bringen. Für die Gegenseite spricht der ehemalige Anwalt
der Firma, der ein erstaunlich grausames Weltbild ruhig und selbstgefällig zum
Ausdruck bringt.
Die Helden, wenn man so will, des
Films ist aber die resolute Renate Foidl und ihre Kolleginnen, die die
Schimpansen betreuen und ihnen einen möglichst würdevollen Lebensabend bereiten
wollen. Die Frauen sind nicht nur aufopferungsvoll, sie haben auch ihr
ethisches Gewissen nicht verloren. Eine Aussage wie „Wiedergutmachung ist
unmöglich“ hat vor diesem Hintergrund noch gewichtiger. Nicht umsonst lautet
der internationale Titel des Films genau so: Redemption Impossible. Es wird viel von Schuld gesprochen, von
ehrlich empfundener Schuld gegenüber anderen empfindungsfähigen Lebewesen und
wenn man Foidl zusieht und zuhört weiß man, dass dies keine Floskel ist, kein
Gebaren, dass so gern geringschätzig als „Gutmenschentum“ bezeichnet wird. Die
Schimpansen, die man zu Gesicht bekommt, sind traumatisiert und psychisch
gestört, man muss kein ausgesprochener Primatenkenner sein, um das zu erkennen.
Wenn ein Affe dem anderen bei einer Begegnung einen Finger mitsamt Sehne aus
der Hand reißt, weil er zeitlebens nie Gelegenheit hatte, seine Kräfte
einschätzen zu lernen, muss man kein Spezialist sein. Auf der anderen Seite
gibt es Sequenzen von tiefer Emotionalität, etwa die Archivaufnahme, in der
sich zwei Schimpansendamen umarmen und nicht so schnell gewillt zu sein
scheinen, diesen Kontakt zu unterbrechen.
Letztlich ist auch der Titel, Unter Menschen, clever gewählt. Zum
einen ist es eine simple Orts- und Zustandsbeschreibung, zum anderen, wenn man
die beiden Wörter zusammenzieht, hat man eine bitterböse Reminiszenz an die
NS-Zeit. Und darum geht es im Kern des Films: dass der Mensch sich das Recht
heraus nimmt, sich über eine andere, ihm doch so nah verwandte Art, zu erheben
und sie nach Strich und Faden auszubeuten, bis nur noch traumatisierte
Individuen zurückbleiben. Der Mensch degradiert die Tiere zu unter ihm
stehenden Lebewesen, die „für das größere Gut“ hemmungs- und gewissenlos
gefoltert werden dürfen. Nicht einmal einen positiven Effekt können Verteidiger
dieser Praxis anbringen, waren all die Qualen doch letzten Endes umsonst: Es
gibt kein Heilmittel für HIV, nur Affen, an denen unendlich viel Unrecht
begangen wurde. Unter Menschen ist
ein Film über Ethik über die Artengrenze hinaus, über Schuld und mitunter
geradezu verzweifelte Versuche der Sühne. Und es ist ein ungemein starker,
involvierender, wütend, fassungslos und hoffnungsfroh zugleich stimmender Film,
allen technischen Unzulänglichkeiten zum Trotz.
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