Dienstag, 1. Oktober 2013

Unter Menschen (2013)




UNTER MENSCHEN
Deutschland/Österreich/Ungarn 2013
Dt. Erstaufführung: 21.03.2013
Regie: Christian Rost & Claus Strigel

Unter Menschen ist einer jener Filme, die Gefahr laufen, einen Teil des Publikums bereits in den ersten zehn Minuten zu verprellen. Doch was als geradezu dilettantisch gefilmte Dokumentation beginnt, wird mit zunehmender Spielzeit zu einem herzzerreißenden Zeugnis einerseits der Grausamkeit, andererseits der Güte des Menschen. Am Ende des Jahres könnte Unter Menschen als einer der besten Filme der letzten zwölf Monate dastehen, weniger wegen seiner technischen Ausgereiftheit, sondern wegen der schieren Wucht seines Sujets, das so still daherkommt und am Ende umso nachdringlicher widerhallt. Umso ärgerlicher, dass der Film mit mageren acht Kopien in Deutschland gestartet wurde und gerade mal etwas über 2.300 € einspielen konnte. Eine Dokumentation dieser diskussionswürdigen Brisanz hat mehr verdient.

In den 1980er Jahren erwarb die österreichische Firma Immuno auf illegalen Wegen mehrere Schimpansen, die sie danach für eine letztlich völlig ergebnislose AIDS-Forschung ausbeutete. Als die Firma von einer anderen aufgekauft wurde, siedelte man die Schimpansen samt Pflegepersonal in einem Safaripark um, der 2005 Konkurs anmeldete. Der Film schildert einerseits die Vorgeschichte der Affen, andererseits begleitet er den Bau eines neuen Refugiums in einem Gnadenhof für ehemalige Versuchstiere, in dem die Schimpansen, die zum Teil fast dreißig (!) Jahre in Labors verbrachten, zum ersten Mal den Himmel sehen und auf Gras laufen können.

Wie erwähnt, einen Technikpreis wird Unter Menschen nie gewinnen. Oftmals mit dem Charme einer Amateuraufnahme und der nervösen Unentschlossenheit eines Betrachters, der nicht so recht mit der Zoom-Funktion umzugehen weiß, ausgestattet, strapaziert der Film das Nervenkostüm. Es braucht einige Zeit, bis man über diese anstrengenden Stilmittel hinwegsehen kann, die ein bisschen nach Guerillafilmen aussehen, ohne dass es dazu Anlass gebe. Glücklicherweise ist die Thematik des Films so stark und die Dramaturgie der Dokumentation nicht so beliebig, wie es zu Beginn den Anschein hat. Immer weiter setzen die Regisseure Christian Rost und Claus Strigel das Mosaik zusammen, in dem sich eine ethische Katastrophe an die nächste zu reihen scheint.

So erfährt der Zuschauer, der mehr als einmal fassungslos vor den Geschehnissen sitzt, die ihm hier geboten werden, dass für einen erfolgreich nach Europa verschifften Schimpansen fünf bis zehn Tiere in der Wildnis sterben mussten, da man auf der Jagd nach möglichst jungen Tieren den Familienwiderstand der Affengruppe durchbrechen musste. Oder dass eine unheimliche Allianz aus Immuno-Mitarbeitern, Staatsdienern und gewissenlosen Allroundern dies erst möglich gemacht hat. Das die Schimpansen nicht aus freien Stücken Jahrzehnte in Isolationshaft verbracht haben, ist klar. Dass ihr Leidensweg unter der wissentlichen Umgehung jeglicher Bestimmungen und jenseits allen Ertragbaren begann, rekonstruiert der Film. So kommt der sichtlich aufgebrachte Leiter des Zentrums für Artenschutz, Josef Schmuck, zu Wort, in dessen Besitz sich Aktenberge befinden, die die Aktivitäten von Immuno und die Bestechungen dokumentieren, die nötig waren, um die Tiere in die Anlage zu bringen. Für die Gegenseite spricht der ehemalige Anwalt der Firma, der ein erstaunlich grausames Weltbild ruhig und selbstgefällig zum Ausdruck bringt.

Die Helden, wenn man so will, des Films ist aber die resolute Renate Foidl und ihre Kolleginnen, die die Schimpansen betreuen und ihnen einen möglichst würdevollen Lebensabend bereiten wollen. Die Frauen sind nicht nur aufopferungsvoll, sie haben auch ihr ethisches Gewissen nicht verloren. Eine Aussage wie „Wiedergutmachung ist unmöglich“ hat vor diesem Hintergrund noch gewichtiger. Nicht umsonst lautet der internationale Titel des Films genau so: Redemption Impossible. Es wird viel von Schuld gesprochen, von ehrlich empfundener Schuld gegenüber anderen empfindungsfähigen Lebewesen und wenn man Foidl zusieht und zuhört weiß man, dass dies keine Floskel ist, kein Gebaren, dass so gern geringschätzig als „Gutmenschentum“ bezeichnet wird. Die Schimpansen, die man zu Gesicht bekommt, sind traumatisiert und psychisch gestört, man muss kein ausgesprochener Primatenkenner sein, um das zu erkennen. Wenn ein Affe dem anderen bei einer Begegnung einen Finger mitsamt Sehne aus der Hand reißt, weil er zeitlebens nie Gelegenheit hatte, seine Kräfte einschätzen zu lernen, muss man kein Spezialist sein. Auf der anderen Seite gibt es Sequenzen von tiefer Emotionalität, etwa die Archivaufnahme, in der sich zwei Schimpansendamen umarmen und nicht so schnell gewillt zu sein scheinen, diesen Kontakt zu unterbrechen.

Letztlich ist auch der Titel, Unter Menschen, clever gewählt. Zum einen ist es eine simple Orts- und Zustandsbeschreibung, zum anderen, wenn man die beiden Wörter zusammenzieht, hat man eine bitterböse Reminiszenz an die NS-Zeit. Und darum geht es im Kern des Films: dass der Mensch sich das Recht heraus nimmt, sich über eine andere, ihm doch so nah verwandte Art, zu erheben und sie nach Strich und Faden auszubeuten, bis nur noch traumatisierte Individuen zurückbleiben. Der Mensch degradiert die Tiere zu unter ihm stehenden Lebewesen, die „für das größere Gut“ hemmungs- und gewissenlos gefoltert werden dürfen. Nicht einmal einen positiven Effekt können Verteidiger dieser Praxis anbringen, waren all die Qualen doch letzten Endes umsonst: Es gibt kein Heilmittel für HIV, nur Affen, an denen unendlich viel Unrecht begangen wurde. Unter Menschen ist ein Film über Ethik über die Artengrenze hinaus, über Schuld und mitunter geradezu verzweifelte Versuche der Sühne. Und es ist ein ungemein starker, involvierender, wütend, fassungslos und hoffnungsfroh zugleich stimmender Film, allen technischen Unzulänglichkeiten zum Trotz.



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