ALBERT NOBBS
Großbritannien/Irland/Frankreich/USA 2011
Dt. Erstaufführung: 26.09.2013
Regie: Rodrigo García
Dt. Erstaufführung: 26.09.2013
Regie: Rodrigo García
Im Irland des späten 19. Jahrhunderts
ist Albert Nobbs (Glenn Close) der schweigsame, aber perfekt agierende Butler
in einem der besten Hotels in Dublin. Sein bestgehütetes Geheimnis, nämlich
dass er in Wahrheit eine Frau ist, droht aufgedeckt zu werden, als er sich mit
dem Maler Hubert Page (Janet McTeer) kurzfristig das Zimmer teilen muss. Doch
auch Hubert führt eine Doppelexistenz und nicht nur das – „er“ ist auch mit
einer Frau verheiratet. Albert beginnt zu Träumen, von einem eigenen Laden, von
Erfolg und bescheidenem Glück und auch von dem Zimmermädchen Helen (Mia
Wasikowska), dass sich aber viel mehr für den windigen Joe (Aaron Johnson) interessiert…
Nicht nur die Prämisse von Albert Nobbs ist außergewöhnlich, ebenso ist es seine Veröffentlichungshistorie
in Deutschland. Trotz dreifacher Oscarnominierung und zahlreichen weiteren Preise
dauerte es etwa 1 ½ Jahre, bis er nach seiner US-Premiere auf die deutschen
Leinwände kam. Gestartet mit mageren neun Kopien konnte der Film zwar eine
fünfstellige Summe erwirtschaften, wurde aber nur drei Wochen später für die
DVD-Auswertung freigegeben. So konnte man Albert
Nobbs Ende September im Kino erleben und bereits Mitte Oktober das Erlebnis
dank Home Entertainment wiederholen. Fast wirkt es so, als wolle man von Seiten
des Verleihs diesen Film schnell „hinter sich bringen“, als würde man der
Geschlechterbilder zu Disposition stellenden Geschichte keinen Erfolg zutrauen.
Albert Nobbs ist
ein melodramatischer Film, ohne Frage. Aber er ist gleichzeitig so
zurückhaltend inszeniert, dass seine Seifenoper-Elemente nicht irritieren. Dies
liegt vor allem an dem Ensemble, das sich völlig in das historische Setting
hineingibt. Glenn Close kämpfte Jahre darum, die zuvor als Kurzgeschichte und
Theaterstück existierende Story auf die Leinwand zu bringen und ihrem Portrait
von Albert Nobbs merkt man das Herzblut an, dass sie in die Rolle gesteckt hat.
Neben der darstellerischen Leistung ist vor allem das Make-Up ein voller Erfolg
(anders als in Filme wie beispielsweise Cloud
Atlas). Man erkennt Close, akzeptiert sie aber gleichzeitig so vollkommen
als verhuschtes Männlein, dass eine Szene, in der Albert in einem Kleid auf die
Straße tritt, doppelt irritiert: Die Frau, die einen Mann spielt, sieht in
Frauenkleidern aus wie ein verkleideter Mann. Janet McTeers Verwandlung zum
Mann ist weniger gelungen, vielleicht auch, weil sich ihre Oberweite nur
schwerlich verbergen lässt. Aber auch die Maske ist weniger sorgfältig,
geschweige denn überzeugend. Albert Nobbs
ist trotz aller soliden Darsteller, von denen noch Pauline Collins als
widerliche Hotelchefin Erwähnung finden sollte, die Close umgeben, dennoch
unbestreitbar ihr Film.
Sorgfältig gestaltet und ansprechend inszeniert können auch
die Darsteller die Schwächen des Drehbuchs nur bedingt übertünchen. Es sind
keine großen Patzer, beileibe nicht, aber sie fallen dennoch auf. Zum einen die
bereits erwähnte Melodramatik, die wie ein Damoklesschwert dem Zuschauer
suggeriert, dass eine Geschichte wie diese nicht gut ausgehen kann. Zum anderen
der Hang zum Erklären von Dingen, die keiner Erklärung bedurft hätten. Wir
erfahren nie Alberts „richtigen“ Namen und der Film tut sich damit einen
Gefallen. Dennoch muss er die Gründe für die Maskerade von Nobbs und Page
explizit erläutern. Dass es ökonomische Zwänge und sexuelle Gewalt als
Triebfedern sind, dass kann sich jeder Zuschauer mit wenig Fantasie
zusammenreimen. Durch die Erwähnung, also die Bestätigung der einfachsten
Überlegungen nimmt sich der Film einiges an Potenzial, unweigerlich beginnt man
über Alberst früheres Leben nachzudenken. Der Charakter wird dadurch zwar
weniger mystifiziert, aber auch uninteressanter. Es ist fast so, als könne man
Albert nicht Albert sein lassen, sondern seine gesellschaftliche Schizophrenie
mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner erklären zu müssen. In dem Moment, in dem
der Film das offensichtliche ausspricht, begibt er sich auf dramaturgisch
ausgetretene Pfade, die dem sonst so konzentriert inszenierten Film nicht gut
zu Gesicht stehen. Auch das Albert/Helen/Joe-Dreieck funktioniert weit weniger
reibungslos als offenbar beabsichtigt.
Am Ende des Tages bleibt Albert
Nobbs aber ein funktionales, nicht überkandideltes Melodram mit
ambitionierten Darstellern, einer liebevollen Maske und Ausstattung und einem
nicht von der Hand zu weisendem Unterhaltungswert. Allein schon deshalb, weil
man einer liebenswerten Figur wie dem Titelcharakter alles Glück der Erde
wünscht – und ganz nebenbei kluge Anstöße zur Geschlechterdiskussion frei Haus
mitgeliefert bekommt.
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