Samstag, 30. Mai 2015

Mad Max: Fury Road (2015)




MAD MAX: FURY ROAD
USA/Australien 2015
Dt. Erstaufführung: 14.05.2015
Regie: George Miller

Mit Actionfilmen ist es so eine Sache. Das Genre, das sich ganz der Kinetik verschrieben hat, produziert deshalb so viel Ausschuss, weil sich oft zu sehr auf die Hauptattraktion konzentriert wird. Das mag paradox klingen, einem Actionfilm seine Action vorzuwerfen, aber gerade Filme wie die Transformers-Reihe zeigen, dass zu einem organischen Ganzen mehr gehört als nur ein Haufen Pyrotechnik. Dementsprechend sind die immer wieder zitierten Genrebeiträge den auch nicht gerade Legion: Stirb langsam ist dabei, weil er den Helden inmitten des Spektakels immer wieder an seine Menschlichkeit erinnert, Speed, weil er den Rausch der Geschwindigkeit erfahrbar macht und darüber hinaus die Businsassen nicht aus den Augen verliert. James Cameron ist ein Meister des Actionfilms, der über das Abfeuern eines Feuerwerks hinausgeht, vor allem Terminator 2 – Tag der Abrechnung und Aliens – Die Rückkehr sind in Erinnerung geblieben, weil auch ihnen die Figuren und ihre Situationen nicht egal sind. Michael Bay und seine Roboter aus dem Weltall scheren sich nicht darum, auch nicht um kohärente Actionszenen, und genau da liegt der Kern des Problems. George Miller erweist sich nun, 30 Jahre nach dem letzten Beitrag zu seiner Mad Max-Reihe, als Anti-Michael-Bay: er inszeniert ein Spektakel, das seinesgleichen sucht, einen Film, der sich auf eine Art bewegt, die man schon fast nicht mehr für möglich gehalten hatte – und er verliert den menschlichen Kern trotz der Non-Stop-Action ebenfalls nie aus den Augen. Die Schauspieler rasen in Höllenmaschinen durch die Wüste, Autos überschlagen sich, Tankzüge explodieren, Motorräder wirbeln durch die Luft – und das alles im Dienste einer minimalistischen Geschichte über Empowerment, Aufbrechen von Abhängigkeiten und einen Diktatursturz.

Fury Road fungiert als Fortsetzung, die irgendwo zwischen Der Vollstrecker und Jenseits der Donnerkuppel angesiedelt ist, und Reboot, indem er Max eine andere Familienkonstellation gibt und ihn in Visionen auch noch Menschen jenseits seiner Tochter/Ehefrau anklagen. Was genau passiert ist? Darüber schweigt sich der Film weitestgehend aus (Aufhänger für ein Sequel?), reicht aber als Ansatzpunkt für einen Antihelden, der nie ein Mann der vielen Worte war. Der Film ist sich bewusst, dass er nicht gerade ein Aushängeschild für Neu- und Quereinsteiger ist, sondern auf einem zumindest rudimentären Wissen um die originale Trilogie aufbaut. Der Prolog aus Teil Zwei wird weiter minimiert auf ein paar Nachrichten-Soundclips, die das Ende der bekannten Zivilisation postulieren und in einen Monolog von Max übergehen. Was danach folgt, ist gleichzeitig schnell erzählt und ziemlich stimmig: Max (Tom Hardy) wird von den Schergen des Wüstendiktators Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) gefangen genommen und als lebender Blutbeutel für einen der gehirngewaschenen Warboys, der Handlangerelite, missbraucht. Kurz darauf setzt sich Furiosa (Charlize Theron), ihres Zeichen Mitglied der Führungsebene in Immortans schrägem Reich, mit einem Tanklaster ab. An Bord: Fünf von Joes Sexsklavinnen, die als Brutmaschinen für möglichst perfekten männlichen Nachwuchs herhalten sollten. Es beginnt eine Verfolgungsjagd quer durch die Wüste, der Max zunächst als „Blutspender für unterwegs“ beiwohnen muss, sich nach seiner Befreiung aber (zunächst typisch widerwillig) den Frauen auf ihrer Flucht anschließt. Immortan Joe und seine Gefolgschaft sind ihnen allerdings stets dicht auf den Fersen und die Jagd wird zu einem Wettlauf auf Leben und Tod.

Fury Road ist wie sein widerwilliger, oftmals grunzender Protagonist kein Film der vielen Worte, keine Frage. Doch er beweist, dass Film als Medium eben auch sehr viel über die Bilder transportieren kann, ohne dass alles noch einmal verbal ausgearbeitet werden muss. Die Kamera schwenkt über Sets, Charaktere durchqueren sie teilweise nur sekundenlang und dennoch liefern sie ein stimmiges Bild dieser Welt am Abgrund. So wird erzählt, wie sich die Menschen in der Zitadelle genannten Enklave Immortan Joes ernähren, er hält sein Fußvolk mit Wasser gefügig und redet ihnen ein, dass es wie eine Droge wäre, von der man nicht zu viel konsumieren dürfte und dann wäre da noch die Sache mit dem Treibstoff. Die ersten beiden Teile der Trilogie handelten noch von der Ölknappheit und wie die Jagd nach Sprit der alles entscheidende Faktor bei der Motivation vieler Figuren war. Jenseits der Donnerkuppel hatte den Zenit dementsprechend schon überschritten. Fury Road widmet sich (endlich, möchte man hinzufügen), einem elementareren Bedürfnis, dem Wasser. Das kühle Nass ist hier das Objekt der Begierde, denn den Treibstoff bezieht Immortans Reich auf einer nahegelegenen Raffinerie, die einmal am Horizont auftaucht. So mangelt es nicht an Benzin für die Unmengen an Fahrzeugen, die Joe in die Wüste folgen und fürs Auftanken fährt ein entsprechender Tanker mit (der natürlich irgendwann spektakulär in die Luft gehen darf). Das alles wird nicht durch Dialoge ausgewalzt, Miller folgt dem Prinzip des „show don’t tell“ und setzt darauf, dass sein Publikum trotz all der halsbrecherischen Action sein Hirn nicht komplett ausstellt. Es bedarf keiner Mumbo-Jumbo-Erklärungen, die innere Logik des Ganzen hält Fury Road zur Genüge aufrecht.

Dies ist besonders löblich im Hinblick darauf, dass der Film selbstredend auch gern mit seiner technischen Machbarkeit angibt. Auch hier liegt der Unterschied darin, dass Fury Road sich sehr viel mehr auf analoge, also handgemachte Sequenzen verlässt als auf eine Orgie der Computeranimation. Es gibt die Bilder aus dem Rechner, aber man hat nie das Gefühl, dass sie die Oberhand gewinnen. Ein Film wie dieser ist unmittelbarer, wenn echte Autos zu Schrott gefahren werden anstatt wenn zwei CGI-Modelle aufeinanderprallen. So steht der vierte Teil wirklich in der Tradition von Max‘ internationalem Durchbruch, Der Vollstrecker, weil auch dessen oktangeladenes Finale zu den definierenden Momenten des Genres gehört. Fury Road definiert den modernen Actionfilm dahingehend, dass ein Genrefilm seine Hauptattraktion auch in Zeiten des digitalen Overkills kohärent inszenieren kann. Der Zuschauer verliert schlicht nicht die Orientierung im Spektakel und damit das Interesse. Der Verweis auf die ermüdende Roboter-Action des eingangs erwähnten Franchise ist da fast schon Pflicht. Fury Road ist Adrenalin, das die Leinwand füllt und zwei Stunden nicht abklingt.

Und schließlich ist Fury Road auch noch ein Film, der sich, auch das nicht zwingend genretypisch, für gesellschaftliche Fragen interessiert. Über den Aspekt des female empowerment, der dadurch Form gewinnt, dass weder Furiosa (wie auch, mit solch einem Namen) noch die befreiten Sklavinnen zu passiven Opfern degradiert werden, wurde bereits viel geschrieben und theoretisiert, über den unsäglichen Aufruf von sogenannten Männerrechtlern, die ob der starken Frauenfiguren zum Boykott aufriefen, will man indes gar nicht mehr sprechen. Neben diesem Baustein, um den sich de facto der ganze Film aufbaut und der wie eine stimmigere Version des Kinderklans aus Jenseits der Donnerkuppel daherkommt (Max profitiert von der Zusammenarbeit mit den Frauen dahingehend, dass sie ihn wieder einmal vor dem Wahnsinn rettet und ihn zu einer Erlöserfigur macht, auch wenn er hier viel mehr sich selbst erlöst als irgendjemand anderen), kommt man nicht umhin, aktuelle politische Bezüge in Immortan Joe und seinen Warboys zu erkennen. Joe inszeniert sich als strenger, aber gerechter weltlicher Führer, der zudem den Schlüssel zum jenseitigen Paradies kennt. Es ist ein hübsch-absurder Schachzug, wenn die Antagonisten inmitten der flirrenden Wüste vom Einzug nach Walhalla fantasieren, der nur weiter das groteske herausarbeitet, dass in der blinden Gefolgschaft zugunsten einer vermeintlichen Belohnung im nächsten Leben liegt. So hält Joe seine auch sonst nicht gerade vom Leben gesegneten Warboys (Leukämie könnte einer Erklärung sein, warum sie Bluttransfusionen brauchen) auf Linie, die ihm mit blind vertrauen. In einer Zeit, in der junge Menschen sich zu Hauf gemeingefährlichen Rattenfängern anschließen, um für sie zur Verteidigung zweifelhafter Werte in den Krieg zu ziehen wünscht man sich mehr Warboys wie Nux (Nicholas Hoult), der seine Ideale im Zuge der Handlung zu überdenken beginnt. Am Ende kann auch in der Welt von Mad Max nur der Diktatorsturz stehen.

Schlussendlich ist Mad Max: Fury Road die Art Sommerblockbuster, von der man träumt, wenn man wieder einen schlechten Vertreter dieser Spezies gesehen hat. Er rast im wahrsten Sinne dahin, präsentiert Action, die Ihresgleichen sucht und weigert sich zudem beharrlich, sich einer Lobotomie hinzugeben. Denn in den Händen eines fähigen Regisseurs wie Miller, der auch mit Happy Feet die Menschen mit tanzenden Pinguinen ins Kino lockte, um ihnen dort eine sehr viel größere Geschichte über globale Verantwortung und Interspezies-Kommunikation zu präsentieren, ist ein Typ mit einer Gitarre, die gleichzeitig ein Flammenwerfer ist, eben nicht nur das. Vielmehr ist er mit einem fordernden Phallus ausgestatteter Teil einer diktatorischen Gigantomanie, die die Vertreter einer auf Humanität und Solidarität aufbauenden neuen Ordnung durch die Wüste jagt. Der Phallus geht natürlich mit der größten möglichen Zerstörung zu Grunde und die Welt kann nach der Apokalypse zumindest im Kleinen beginnen, nicht wieder die Fehler der machthungrigen Vorangegangenen zu begehen. Und auch wenn man von all diesen Interpretationen nichts halten mag: Fury Road ist eben auch pure Kinetik und höchst unterhaltsames Genrekino. Zusammen mit der Tatsache, dass er sein Publikum nicht für dumm verkauft ist er ein Blockbuster der allerbesten Sorte.



Montag, 18. Mai 2015

Brown Mountain - Alien Abduction (2014)




BROWN MOUNTAIN – ALIEN ABDUCTION
(Alien Abduction)
USA 2014
Dt. Erstaufführung: 02.12.2014 (DVD-Premiere)
Regie: Matty Beckerman

Es ist ja allgemein bekannt, dass mensch in den USA keine Meile weit gehen kann, ohne von einem übernatürlichen Phänomen überrascht zu werden. Zählt man alle lokalen Geschichten von Monstern, Bigfoots, UFOs und Aliens, Gespenstern und seltsamen Lichtern zusammen ist es erstaunlich, dass die Menschen in den Vereinigten Staaten überhaupt noch zu anderen Dingen kommen als sich gegen nicht-menschliche Entitäten durchzusetzen. Soweit, so albern. Dabei soll gar nicht die Existenz von Dingen geleugnet werden, die sich die Zeugen nicht erklären können (und für die es sicherlich Erklärungen außerhalb des paranormalen Spektrums gibt), sondern lediglich die schiere Masse hinterfragt werden. Brown Mountain ist so ein Ort, an dem man sich besser nicht in der Nacht (und, wie es der Film suggeriert, wohl auch nicht am Tag) aufhält, weil die Chancen gut stehen, von Außerirdischen entführt zu werden. Es kursieren die üblichen Schauermärchen von mysteriösen Lichtern mit anschließender Bekanntschaft in ihrer Motivation undurchdringlichen Kreaturen – kurzum: eine ziemlich dankbare, wenn auch hinlänglich bekannte Prämisse. Regiedebütant Matty Beckerman macht daraus aber einen leidlich unterhaltsamen Found-Footage-Thriller, der eher durch seine Klischee-Checkliste auffällt anstatt durch seine Fähigkeit, eine involvierende Atmosphäre zu generieren.

Der 11-jährige Riley (Riley Polanski) befindet sich mit seiner Familie auf einem Campingtrip rund um Brown Mountain, North Carolina. Als Therapie hat der autistische Junge die Aufgabe erhalten, sein Leben in einem Videotagebuch festzuhalten, was er auch brav verfolgt. Eines Nachts werden Riley und seine zwei Geschwister von einem hellen Licht geweckt und beobachten sternenähnliche Objekte, die auf ungewöhnliche Weise über den Himmel manövrieren. Am nächsten Tag spielt das Navigationsgerät des Autos verrückt und die Familie landet mit einem kaum noch Treibstoff enthaltenen Auto auf einer einsamen Straße mitten im Nirgendwo, wo sie durch eine verwaiste Autoflotte in einem Tunnel gestoppt werden. Allem Anschein nach wurden die Menschen gewaltsam aus ihren Fahrzeugen gezerrt. Bei ihren Nachforschungen stößt die Familie schnell auf die Hintermänner des Ganzen – und die sind weder menschlich noch freundlich.

Brown Mountain – Alien Abduction bietet all das, was man von einer Geschichte dieser Art erwartet: ausfallende Technik (nur Rileys Kamera zeigt eine bemerkenswerte Resilienz), einsame Landstriche, Aliens, die während ihrer Verfolgung der Protagonisten diesen Zeit für „charakterbildende“ Dialoge lassen. Und natürlich Figuren, die blöde Fehler begehen, wie sie sich für einen Horrorfilm gehören. Wer behält bei einem Campingausflug beispielsweise nicht die Tanknadel im Auge? Und wer würde bei einer unheimlichen Situation wie der am Tunnel wirklich aussteigen, anstatt umzudrehen und schleunigst das Weite suchen? Und warum wartet ein Alien seelenruhig in einem Auto, nur um im richtigen Moment die Männer der Familie zu Tode zu erschrecken? Letzteres ist zumindest leicht zu beantworten: weil der Film sich für keinen Jump Scare zu schade ist. Diese „Buh!“-Momente sind vorhersehbar und selten effektiv, weil sie zudem mit einer gewissen unfreiwilligen Komik daherkommen. Nicht nur, dass einem Aggressor in Signs – Zeichen Manier die Tür vor der Nase zugeschlagen wird (haben sie etwa Probleme damit?), ihre Technik ist so ausgefeilt, dass sie Menschen praktisch überall ausspüren, in ihr Raumschiff saugen und ggf. dabei töten können, aber wehe, sie verstecken sich mit einer Kamera (augenscheinlich liegt den Aliens die Manipulation und Aufspürung von menschlicher Technik im Blut) im Unterholz. Durch die leicht schleppende Inszenierung, die mit dem Erreichen der obligatorischen einsamen Waldhütte inklusive misstrauischen Redneck ziemlich an Zugkraft verliert, fallen diese Fauxpas bereits bei der Sichtung auf und nicht erst in der Analyse – ein Fehler bei jedem Horrorfilm.

Dabei versuchen die Darsteller möglichst viel aus den dünnen Charakteren herauszuholen, auch wenn sie nie wie eine Familie wirken. Immerhin ist die Erklärung, warum Riley in so ziemlich jeder Situation seine Kamera auf das Geschehen richtet, annehmbar und bringt den Film nicht in solch eine Bredouille wie ähnliche Produktionen, bei denen die erkennbare Kinematografie auch in Extremsituationen stets etwas mehr suspension of disbelief erfordert. Ansonsten ist es ein Film von der Stange mit den üblichen unkreativen Aliens (die stets nackt sind – oder fleischfarbende Anzüge tragen), viel Geschrei, wenig Effektivität und dem diskreten Charme der Langeweile, was bei gerade einmal 85 Minuten Laufzeit doch ziemlich erstaunlich ist. Auch dass man den finalen „Twist“ verrät, der zudem ziemlich plump daherkommt (das Raumschiff operiert also aus solch niedriger Höhe heraus? Und die Kamera hat augenscheinlich ein gänzlich sturzunempfindliches Titangehäuse?), trägt nicht gerade zu einem positiven Gesamteindruck bei. Brown Mountain – Alien Abduction ist ein Trashfilm, der vielleicht noch in einer gut aufgelegten Teenagerrunde einigermaßen funktionieren mag, kaum aber jenseits davon.




Montag, 11. Mai 2015

Abwärts ins Grauen (1985)




ABWÄRTS INS GRAUEN
(The Strangeness)
USA 1985
Dt. Erstaufführung: 15.06.1988 (Video-Premiere)
Regie: David Michael Hillman (jetzt Melanie Anne Phillips)

The Strangeness (Originalbetitelung) ist ein sehr treffender Titel für diesen obskuren Film aus dem Jahr 1985, der wohl nicht ohne Grund wirkt wie die Wochenendarbeit eines Monsterfilmenthusiasten, der ein fragwürdiges Stop-Motion-Modell gebaut hat und es nun auf seine als Schauspieler agierende Freunde loslässt. So sehr man ein Werk der Genreliebe auch unterstützen möchte, bei Abwärts ins Grauen ist dies schwierig, weil das Ergebnis so langatmig und ereignislos geraten ist.

Die Handlung ist schnell zusammengefasst: eine Gruppe wandelnder Stichwörter (der Jock, das „hot girl“, der Nerd, der Ulkige, etc.) will eine Höhle dahingehend erforschen, ob in ihr noch Gold abzubauen ist, wurde sie doch dereinst voreilig geschlossen. Zudem ranken sich zahllose Legenden um diesen Ort, die alle wahr werden, als die Truppe einer nach dem anderen von einem Monster gefressen wird, dass im Innern des Berges lebt.

So weit, so simpel, so vielversprechend. Das klaustrophobische Höhlen-Setting bietet genug Anlass für Spannung, Regisseur und auch sonst treibende Kraft hinter dem Mumbo-Jumbo, David Michael Hillman (dessen Transgender-Geschichte sicherlich um einiges interessanter ist, firmiert er doch nun unter dem Namen Melanie Anne Phillips und engagiert sich für die gesellschaftliche Akzeptanz von Transgender-Personen), macht daraus aber rein gar nichts. Bis zu The Descent – Abgrund des Grauens waren Höhlen augenscheinlich trotz einer gewissen Prädestination als Horrorfilmsetting kein Erfolgsgarant, man denke nur an The Cave oder den noch obskureren Alien- Die Saat des Grauens kehrt zurück. So plätschert Abwärts ins Grauen dahin, man kann zwischendurch auch mit der Steuererklärung anfangen, weil über weite Teile wirklich rein gar nichts passiert. Irgendwann beginnt die Kreatur mit ihren Angriffen, man erfährt vage davon, dass es seine Opfer mit einem Sekret auflöst, wahrscheinlich, um sie dann wie einen ausgelaufenen Smoothie vom Boden aufzusaugen – durch seine Vagina. Ja, man kann Abwärts ins Grauen nicht besprechen, ohne auf diesen wahrlich seltsamen Umstand hinzuweisen, der auch nur so deutlich beschrieben werden kann: das Monster hat eine riesige Öffnung auf der Stirn, die aussieht wie eine menschliche Vagina und die das Sekret produziert, mit dem die Menschen sich zu einer schleimigen Masse zersetzen. In aller animierten Pracht zuckt und schleimt diese Obszönität vor sich hin und der Zuschauer ist nur noch von der Frage nach dem Warum beseelt. Es ist kaum vorstellbar, dass die involvierten Menschen, allen voran der Regisseur, nicht wussten, was sie da taten.

So kann man nur konstatieren, dass auch Abwärts ins Grauen besser im Verborgenen weiter existiert, als völlig absurde Geschichte über ein Geschlechtsteilmonster (hab ich schon erwähnt, dass es auch phallische Tentakel besitzt? Nein? Sei hiermit getan), dass lebende Pappaufsteller in einer Pappmaché-Höhle vollrotzt. Der Film ist, abgesehen von der Diskussion über das Monster, langweilig, uninteressant, hölzern gespielt und weiß mit seinem eigenen Material kaum etwas anzufangen. Kurz gesagt: er war der perfekte Kandidat für ein 80er-Jahre-Videoveröffentlichung mit einem Cover, dass sich nur sehr entfernt an das wirklich im Film zu sehende Monster anlehnte.



[KEIN TRAILER VERFÜGBAR]

Sonntag, 10. Mai 2015

Das Relikt - Museum der Angst (1997)




DAS RELIKT - MUSEUM DER ANGST
(The Relic)
USA 1997
Dt. Erstaufführung: 01.05.1997
Regie: Peter Hyams

Wenn die Filmkritik ernst genommen werden will, muss sie frei von Anekdoten, frei von dem Eingeständnis sein, nicht objektiv daher zu kommen. So scheint es zumindest. Die Analyse kann noch so durchdacht sein, sobald sich der Rezensent auf eine privatere, persönliche Ebene „hinab begibt“ umweht sie der diskrete Duft der Unprofessionalität, zumindest im deutschsprachigen Raum, nicht zuletzt durch die in ihren Anfangszeiten extrem biederen Besprechungen der katholischen Filmarbeit. Ein Roger Ebert, der gern auch mal im jovialen Ton über einen Film sprach und – das klassische Bildungsbürgertum darf nun zusammenzucken – gern Scherze einbaute, scheint auch im Jahr 2015 noch ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, gerade im Hinblick auf die etablierten Medien. Man kann dies bedauern oder in dem eigenen bescheidenden Rahmen versuchen, daran etwas zu ändern. Denn eins zeigt die stetig wachsende Zahl der Internetkritiker, die mit einem gewissen Anspruch an ihr Sujet herangehen, deutlich: die Sphären der vermeintlich objektiven Kritik und die der subjektiven Erfahrung sind verschmelzbar, ohne einen eklatanten Qualitätsverlust in Kauf nehmen zu müssen. Was hat dies alles nun als Einleitung zu einem Monsterfilm auf den späten 1990er zu suchen? Ganz einfach: für mich war Das Relikt einer der ersten Filme, die ich mit der entsprechenden Altersfreigabe gesehen habe und er war bis dato einer der gewalttätigsten, aber auch spannendsten Filme an meinem stetig wachsenden Horizont. Das Entdecken von Klischees brachte mir Freude, ebenso der Vergleich mit der lesenswerten Romanvorlage von Douglas Preston und Lincoln Child. Ich habe Das Relikt oft gesehen und auch meine Freunde genötigt, ihn zu sehen, ich wollte den Film teilen. Darum sei es mir verziehen, dass der von Peter Hyams inszenierte Film hier besser davonkommt, als er es wohl verdient hat. Das Relikt ist standardisierte Genrekost, keine Frage, aber er hat nun mal einen besonderen Platz in meinem Herzen, das die Aufregungen eines Sechszehnjährigen noch nicht komplett verdrängt hat.

Im Museum für Naturkunde in Chicago stirbt ein Wachmann auf besonders brutale Weise – ihm wird das Gehirn aus dem Schädel entfernt. Als ein gesuchter Obdachloser in den Museumskatakomben erschossen wird, scheint der Fall geklärt, zumal eine große Ausstellungseröffnung ins Haus steht und der Museumsleitung negative Publicity gar nicht gelegen kommt. Die Bedenken des abergläubischen Polizisten D’Agosta (Tom Sizemore) werden ignoriert, bis am Eröffnungsabend plötzlich alles schief geht, was nur schief gehen kann und sich eine Gruppe Eingeschlossener bald mit der Tatsache konfrontiert sieht, dass eine bisher unbekannte Kreatur Jagd auf sie macht…

Das Relikt ist dahingehend ungewöhnlich, als dass es seinem Antagonisten einen Grund für seinen Appetit auf Menschen gibt: das Monster ist de facto ein Drogenabhängiger, der die im menschlichen Gehirn produzierten Hormone braucht. Die Erklärung ist sogar noch weitreichender und beinhaltet eine durchgeknallte, Fuck-you-Science-Konstruktion über Mutationen und Hormone, die gleichzeitig Monster erschaffen und sie am Leben erhalten (und ihnen augenscheinlich Detailinformationen über den menschlichen Körpern implantieren). Es ist besser, wenn man nicht zu sehr über die Unmöglichkeiten nachdenkt als sich lieber ganz in die sympathisch altmodisch gestaltete Geschichte zu geben. Im eng gesteckten Rahmen eines Genrefilms ist die Mär vom Drogenmonster nämlich besser als nichts oder etwas noch generischeres.

Das Relikt hat, bei allen Strapazen, die diese Metapher mitgemacht hat, so tatsächlich etwas von einer Achterbahnfahrt: es ist nüchtern betrachtet Quatsch, der nicht existieren müsste, macht aber dennoch unter gegebenen Umständen viel Spaß. Nicht unerheblich daran ist Hyams Gespür für Atmosphäre, dass er als sein eigener Kameramann zudem auch ansprechend bebildert. Oft ist man nah dran an den Figuren, denen ob der angespannten Situation auch mal der Schweiß auf der Stirn stehen darf, und dennoch verliert man nie den Überblick über das Geschehen. Einzig im dritten Akt kann man ins grübeln kommen, an wie vielen Orten das Monster mehr oder weniger gleichzeitig auftritt: egal ob im ebenerdigen Labortrakt oder der großen Ausstellungshalle oder in den unterirdischen Kohletunneln – das Wesen, das auf den Namen Kothoga hört, ist stets vor Ort, um vielen Charakteren buchstäblich eine Last von den Schultern zu nehmen (und dann natürlich nicht die Gehirne zu fressen – man kennt so etwas ja aus Gareth Edwards Godzilla – Filmkreaturen haben nur eine vorgeschobenen Hunger). Man merkt, man kann Das Relikt kaum ohne eine gewisse Ironie besprechen, dafür sind die vielen Klischees zu offensichtlich, aber es sollte auch nicht vergessen werden, wie effektiv Hyams die schnörkellose Geschichte in Szene setzt – trotz Jump Scares aus dem 1:1 des Horrorfilms und launigen Onelinern. Es gibt genügend Sequenzen, die genuin spannend sind und die praktischen Monstereffekte aus dem Hause Stan Winstons sind gewohnt gut und werden durch annehmbare Computereffekte unterstützt (man hat Ende der 90er schlimmeres gesehen).

Das Relikt weiß mit jeder Faser seiner Existenz um sein Dasein als Film mit der simplen Prämisse „Monster mit Appetit nachts im Museum“ (Ben Stiller ist leider nicht zugegen, um aus der Sicht von 1997 vorsorglich gefressen zu werden) und tut niemals, er wäre mehr als die Summe seiner Teile. Diese Teile sind allerdings so sicher inszeniert und das Ergebnis so ehrlich-unterhaltsame Genrekost, dass Das Relikt besser daherkommt als sein Ruf als ereignisloses Creature-Feature. Sicher, man wird kaum neues entdecken in diesem wilden Trip der rollenden Köpfe, aber er ist in dem ihm gegebenen Rahmen eines der besseren Beispiele für den Monsterfilm, vielleicht auch, weil er sich atmosphärisch an die Klassiker der 1950er anlehnt. Spricht da wieder mein 16-jähriges Ich? Womöglich, aber es kann nun mal einem guten Monsterfilm nicht widerstehen, auch nicht im Körper eines 30-jährigen.