Dienstag, 30. Juli 2013

The Sessions - Wenn Worte berühren (2012)




THE SESSIONS – WENN WORTE BERÜHREN
(The Sessions)
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 03.01.2013
Regie: Ben Lewin

The Sessions ist ein Schauspielerfilm. Auf inhaltlicher Ebene gibt es an diesem auf einem wirklichen Leben basierenden Film ein paar Dinge zu kritisieren, aber das Darstellerensemble ist dermaßen gut, dass man bereitwillig die Schwächen übersieht. Dies ist ein gleichermaßen entspannter wie – für manche – provokanter Film.

Mark (John Hawkes) bekam als Kind Polio, was dazu führte, dass seine Muskeln unterhalb des Nackens funktionsuntüchtig wurden. Er ist auf eine eiserne Lunge angewiesen, die er für drei bis vier Stunden verlassen kann. Mit 38 Jahren ist Mark Schriftsteller und Journalist – und Jungfrau. Da er sein „Verfallsdatum“ kommen sieht, beschließt er, auch im Zuge der Recherche eines Artikels über das Sexleben von Körperbeeinträchtigten, an diesem Umstand etwas zu ändern. Mit der geistigen Unterstützung seines liberalen Pastors Brendan (William H. Macy) gerät Mark schließlich an die Sextherapeutin Cheryl (Helen Hunt), mit der er seine Jungfräulichkeit endlich verlieren möchte.

Dass Sex für die allermeisten Menschen in der ein oder anderen Form zum Leben dazugehört, ist keine große Weisheit. Ebenso bedarf es kaum mehr als ein paar funktionierender Synapsen, um sich auszumalen, dass dies auch für sogenannte Behinderte gilt. Nur im Zuge der fortwährenden gesellschaftlichen Marginalisierung dieser Gruppe, die glücklicherweise immer weiter aufgebrochen wird, dürfte dieser Umstand immer noch ein kleiner Schock für manchen sein. Ein Mann, der sich nicht einmal an der Nase kratzen kann, soll Sex haben? Mehr noch, es sogar wollen? The Sessions macht nicht viel Aufruhr darum, dass er Mark exemplarisch aus der Rolle herausholt, in der viele Körperbeeinträchtigte immer noch nach den Statuten der Gesellschaft stecken: die es einsam leidenden „Krüppels“. Genauso uninteressant findet der Film es, den Zuschauer ständig darauf hinzuweisen, dass er auf dem Artikel On Seeking a Sex Surrogate des realen Mark O’Brien basiert, dessen Lebenssituation so gestaltet war wie im Film dargestellt. Wie erwähnt, The Sessions ist ein entspannter Film.

Viel mehr noch, es ist gleichzeitig ein witziger und ernsthafter Film über Sexualität. Es wird nichts beschönigt oder auf eine Hochglanz-Ästhetik gebracht. Wenn Helen Hunt sich auszieht und zu Mark ins Bett steigt ist dies kein Moment, die dem Zuschauer erotische Gefühle bereiten soll. Die Kamera behandelt Hunt ebenso wenig als Objekt wie sie es mit Mark tut, egal in welcher Situation er sich nun befindet. Nacktheit und Sexualität sind vielmehr als normal kodifiziert – ziemlich ungewöhnlich für einen Film, wenn auch unabhängig produziert, aus den USA. Es gibt keine erotische Ausbeutung der Situationen, auch sind die Probleme, die sich ergeben, eher „typisch“ als auf Marks Zustand zurückzuführen. Wie Teenager bei ihren ersten sexuellen Erfahrungen müssen sich Cheryl und Mark erst aufeinander einstellen, bevor das Erlebnis wirklich Lust für beide bedeutet. The Sessions macht aus Sexualität kein Geheimnis, keinen pubertären Mythos und ist auch von jedem die Gegebenheiten ausbeutenden Ansatz meilenweit entfernt. Dem selbst an Polio erkrankten Regisseur Ben Lewin ist ein wahrlich ausgezeichneter Feel-Good-Film gelungen.

Daran haben die Darsteller den größten Verdienst. John Hawkes spielt Mark naturgegeben nur mit dem Gesicht und macht dies mit einer enormen Präsenz. Helen Hunt brilliert als emotional komplexe Cheryl und William H. Macy hat sichtlich enormen Spaß in seiner Rolle als liberaler katholischer Pastor. Mag diese Figur auch den Hauch von Künstlichkeit umwehen (wer die katholische Kirche von innen kennt, weiß, was gemeint ist), Macy macht jede seiner Szenen zu einem Genuss. Das lediglich Helen Hunt bei den letzten Oscarverleihungen mit einer Nominierung bedacht wurde, erscheint dabei geradezu ungerecht.

Gegen Ende gerät The Sessions etwas ins Straucheln. Der wirkliche Marc O’Brien verstarb im Alter von 49 Jahren und der Film zeigt seine Beerdigung. Das er zuvor seine spätere Frau kennenlernte thematisiert der Film nicht weiter. Vielmehr springt er von „Alles wird gut“ zu „Jahre später ist Marc tot“. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine Texttafel über die Geschehnisse ausgereicht hätte, wenn man vorher noch länger an Marcs Leben teilgenommen hätte, schließlich war sein Leben interessanter als die Tatsache, dass auch er sterben muss. Dies hat einen sehr seltsamen Beigeschmack, als wäre es ein Muss, dass der Protagonist im Independentfilm am Ende tot sein muss. Der Film nimmt sich die Freiheit, nur Marcs Suche nach Sexualität als Gegenstand der Handlung zu haben, nicht etwa seine Arbeit als Journalist, darum hätte er sich auch die Freiheit nehmen können, ein weniger plakatives Ende zu wählen. Es geht nicht darum, ein artifizielles Happy End entgegen aller Realitäten durchzuboxen, sondern Marc das würdige Filmende zu gönnen, das er als Mensch und fiktionalisierte Figur verdient hat. Und da wäre das Bild eines glücklichen Mannes mitsamt Ehefrau sicherlich besser gewählt gewesen als ein Sarg.

Doch abgesehen von dem Endpatzer ist The Sessions ein gelungener Film mit hervorragenden Darstellern, viel Herzenswärme und viel Intelligenz im Umgang mit seinen Figuren und der Thematik. Es ist ein offener, freundlicher, lebensbejahender Film. Körperbeeinträchtigung ist kein Hindernis, für nichts. Wer diese (an sich) Banalität noch nicht wusste, weiß es spätestens nach The Sessions.



Argo (2012)




ARGO
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 08.11.2012
Regie: Ben Affleck

Der Ausspruch „Basierend auf einer wahren Begebenheit“ wird im Filmgeschäft geradezu inflationär gebraucht. So sehr, dass er seine Glaubwürdigkeit zusehends verspielt. Denn wenn er zuträfe, könnte man nicht mehr vor die Tür treten, ohne einer paranormalen Erscheinung oder einem wahnsinnigen Massenmörder gegenüberzustehen, deren Taten anschließend in einem Film „basierend auf wahren Begebenheiten“ dramatisiert werden. Bei Argo liegen die Dinge etwas anders. Er ist er nicht dem Horrorgenre zuzuordnen, welches sich überproportional auf angebliche Tatsachen stützt, sondern ein Thriller, der sich zwar einige Freiheiten bei der Erzählung seiner im Kern wahren Geschichte genehmigt, als fiktionalisierte Version einer Story, die so abgehoben ist, dass sie wahr sein muss, aber hervorragend funktioniert. Man könnte sogar so weit gehen, dass die Historie in Argo besser funktioniert als die Realität, bietet der Film doch einige Möglichkeiten, auch Dinge über den eigentlichen Inhalt hinaus zu kommentieren.

Ende 1979 fordert der im Zug der Islamischen Revolution eingesetzte Ayatollah Khomeini die Auslieferung des vorherigen Machthabers Mohammad Reza Schah Pahlavi, der sich zur Behandlung seiner Krebserkrankung (und aus Angst vor der Wut des Volkes) in den USA aufhält. Als sich die US-Regierung weigert, der Forderung nachzukommen, stürmen aufgebrachte Menschen die amerikanische Botschaft in Teheran und nehmen 52 Menschen als Geiseln. Sechs Botschaftsmitglieder können allerdings entkommen und finden im Haus des kanadischen Botschafters Unterschlupf. Als man davon in den USA Kenntnis erlangt, ist die Ratlosigkeit groß, wie man zumindest den sechs Entkommenden schnell beistehen kann. Während ein Eingreifen in der Botschaft aufgrund der vielen anwesenden Personen nicht praktikabel ist und diplomatisch gelöst werden muss, besteht für die anderen zumindest die Chance, das Land frühzeitig zu verlassen. CIA-Mann Tony Mendez (Ben Affleck) entwickelt schließlich einen irrsinnigen Plan. Mit Hilfe der beiden altgedienten Hollywoodgrößen John Chambers (John Goodman), Maskenbildner und Lester Siegel (Alan Arkin), (fiktionale) Regielegende fingiert er einen Film namens „Argo“, ein Krieg der Sterne-Rip-Off, für dessen benötigte exotische Kulissen man sich auch im Iran umsehen möchte. Mit gefälschten Pässen sollen die Geflohenen dann als Teil eines vorgegebenen kanadischen Filmteams an Mendez‘ Seite das Land verlassen…

Argo ist spannender als die Realität es wohl war. So kam es nie zu dem im Film gezeigten Showdown am Teheraner Flughafen. Weder war die Tarnung in Gefahr, noch versuchten Revolutionswächter, das Flugzeug im letzten Moment aufzuhalten. Im Gegenteil, bei der Aktion um 5:30 Uhr morgens waren die Wächter noch genauso müde wie das gefakte Filmteam und winkten sie einfach durch. Doch warum sollen die schnöden Fakten einer guten Geschichte im Weg stehen? Denn auch wenn Hardcore-Puristen die Fiktionalisierung bemängeln mögen, Argo versteht es trotzdem, ein geradezu altmodischer und dadurch auch nicht aufgeblasener Film zu werden. Regisseur Ben Affleck vermag es, sich mehr auf Situationen und auf innere Spannung zu verlassen, anstatt die Dinge zu einem unglaubwürdigen Ganzen aufzublasen. Die Rettungsaktion findet dementsprechend schnell statt, es gibt nicht unzählige Momente des Fast-Auffliegens und das Stürmen der Rollbahn durch die Revolutionswächter ist innerhalb des Films logisch nachvollziehbar und auch nicht übertrieben dargestellt. Es dient der Spannungssteigerung und auf diesem Gebiet ist Argo nahezu perfekt inszeniert.

Wie zu erwarten war, kam natürlich auch dieser Film nicht ohne spezielle Kritik davon. Der Iran empörte sich ob der Darstellung der Iraner, Neuseeland war sauer weil im Film kurz erwähnt wird, dass ihre Botschaft den Geflohenen angeblich den Unterschlupf verweigerte. Ben Affleck wurde angekreidet, dass er sich selbst als Tony Mendez besetzte und keinen hispanischen Schauspieler castete, ist der reelle Mendez doch Halb-Mexikaner. Dies führte zu der amüsanten Reaktion eben jenes reellen Mendez‘, der zu Protokoll gab, sich gar nicht als Halb-Mexikaner zu fühlen und sich deshalb an der Besetzung Afflecks auch nicht zu stören. Insgesamt war und ist der Tenor aber recht moderat, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass es weitaus schlimmere Darstellungen von Iranern im westlichen Mainstreamkino gibt (300). Argo bleibt zwar bei seinen westlichen Figuren, bringt durch die iranische Haushälterin in der kanadischen Botschaft allerdings ein weiteres Element mit ein, so dass die Iraner nicht gänzlich als Mob dastehen. Zudem bekennt sich der Film durchaus zu einer Amerika-kritischen Haltung, verschleiert er doch in seinem (wichtigen) Prolog nicht die üblen Machenschaften, die in letzter Konsequenz zu den Ereignissen der Handlung führten. Argo stellt klar, dass es nicht zu der Situation in der Botschaft gekommen wäre, wenn sich die US-Außenpolitik in entscheidenden Fragen und Situation anders verhandelt hätte. So sind diejenigen Iraner, die im Film als Antagonisten gezeichnet sind, auch Ausdruck einer direkten Mitschuld.

Neben dem naturgegeben starken politischen Aspekt ist Argo auch ein subtiler Kommentar zur Macht des Kinos. Nicht nur dass der Film als solches Politik und Geschichte spannend und unterhaltsam aufarbeitet und durchaus das Zeug hat, politisches Interesse, gerade im Hinblick auf neuerliche Konflikte zwischen USA und dem Iran, zu entfachen, auch innerhalb der Handlung finden sich Elemente, die von Liebe zum Film zeugen. In einer Pressekonferenz, in der „Argo“ der Presse vorgestellt wird und Cast und Crew die Geschichte in Kostümen quasi als Hörspiel inszenieren, schneidet der Film dies mit Bildern aus der Botschaft zusammen, wo die Moral der Geiseln durch fingierte Erschießungen zermürbt wird. Der eine Schwindel trifft auf den anderen, der grausamen Realität wird der eskapistische Reiz eines Science-Fiction-Märchens gegenübergestellt, und sei es noch so trashig. Argo wird so zu einem Statement, warum wir Kino, warum wir Filme brauchen. Es ist geradezu spitzbübisch, dass Afflecks Film den Flucht-Effekt des Kinos mit der dramatisierten Version einer realen Flucht koppelt und dass das Endergebnis dann auch noch so sehenswert ist.

Argo ist nicht ohne Schwächen, beispielsweise erfahren wir deprimierend wenig über die Botschaftsmitarbeiter und ihre Charaktere außerhalb von einigen lauwarmen Stichworten, aber insgesamt gelingt es Affleck, viele der weniger funktionierenden und schlicht klischeehaften Bausteine durch seine souveräne Regie vergessen zu machen. Argo ist hervorragendes Kino: clever erzählt, spannend aufbereitet und mit einiger Relevanz ausgestattet.



Premium Rush (2012)




PREMIUM RUSH
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 18.10.2012
Regie: David Koepp

Kinetik sollte das oberste Gebot eines jeden Actionfilms sein. Denn, wie die Genrebezeichnung schon andeutet, Adrenalin soll beim Zuschauer fließen. Allzu oft hindern generische Verfolgungsjagden, zumeist per Auto, aber das Aufkommen der gewünschten Spannung. Es gibt positive Ausnahmen wie Ronin, der durch die schiere Variationsbreite des Auto-Standards das Interesse wachhält, oder Speed, einem der besten Genrefilme überhaupt. Premium Rush kann sich glücklich schätzen, nicht zu den Verlierern des Actionfilms zu gehören. In punkto Story erfindet er das Rad (no pun intented) nicht neu, aber er geht mit solchem Spaß, Innovationswillen und eben Kinetik ans Werk, dass der Film von David Koepp (Das geheime Fenster, Drehbuch für Jurassic Park) neunzig Minuten herrlich inkonsequente Unterhaltung bietet.

Wilee (Joseph Gordon-Levitt) hat nicht nur namentlich eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Kojoten aus den Road Runner-Cartoons. Als Fahrradkurier in Manhattan rast er bei Rot über die Ampel, analysiert in Sekundenbruchteilen jeden möglichen Fahrweg und ist stets in time da, um seine Lieferungen auszuhändigen. Als er eines Tages von der jungen Studentin Nima (Jamie Chung) nach Chinatown geschickt wird, glaubt er an einen Job wie jeden anderen auch – bis ihm ein Polizist namens Bobby Monday (Michael Shannon) nach dem Leben trachtet. Es beginnt ein Katz-und-Maus-Spiel, in dessen Verlauf Wilee nicht nur mehr über den Hintergrund seiner Lieferung erfährt, sondern auch ständig neue Tricks aufbringen muss, um Monday eine Reifenlänge voraus zu sein.

Premium Rush ist ein Film, der großflächig die bekannte Warnung „Don’t try this at home“ über sich plakatiert hat. Wie jeder Actionfilm hält er sich in den entscheidenden Details nicht an die Realität. So wird Wilee als Running Gag von nur einem einzigen Polizisten (Christopher Place) verfolgt, während Manhattan voll mit ihnen sein dürfte und die waghalsigen Aktion der Kuriere, die auch andere Verkehrsteilnehmer gefährden, nicht lange ungetadelt bleiben würden. Glücklicherweise zieht der im wahrsten Sinne temporeiche Film den Zuschauer schnell in seinen Bann, so dass man über die Handlungslöcher (von denen es einige gibt) erst später nachdenken kann. Premium Rush ist sich bewusst, dass er vom Zuschauer viel suspension of disbelief verlangt, also den Glauben an Dinge innerhalb der Filmlogik, die in der schnöden Realität so nicht vorkommen. Dieses Wissen und der Ansatz, dies auch gar nicht übermäßig zu verschleiern, machen den Film durchaus sympathisch.

Das Kernstück sind die Actionsequenzen per Fahrrad, die in vielerlei Hinsicht interessant sind. Zum einen sind sie spannend, schnell und durchaus innovativ was sowohl die verschiedenen Blickwinkel als auch die narrativen Elemente (Wilees Analyse des Verkehrs mit drei verschiedenen Möglichkeiten des Durchschlängelns) anbelangt. Zum anderen ist das Fahrrad im amerikanischen Kino ein eher randständiges Verkehrsmittel. Es wird von Kindern und Jugendlichen benutzt, aber sobald der Führerschein in Reichweite ist, wird das Fahrrad negiert. Filme wie Transformers sind im Kern nichts anderes als die Fortschreibung des Mythos Auto als Symbol grenzenloser Freiheit. Auch deshalb fallen Sequenzen wie Ewan McGregor, der sich in Der Ghostwriter auf ein Fahrrad schwingt, fast wie Fremdkörper – die motorisierte Fortbewegung ist das Maß aller Dinge, Fahrräder sind in den Filmbildern eher Ausdruck von Kuriosität und subkultureller Verweigerung, der auch gern finanzielle Engpässe zugrunde gelegt werden. Auch diesem Umstand ist sich Premium Rush bewusst. Nicht nur werden die Fahrräder bei aller Glorifizierung von Waghalsigkeit (die sich selbstverständlich nicht als alltagstaugliche Blaupause versteht) als dem Auto letztlich überlegen dargestellt, die Fahrradkuriere werden in der Tat als bunte Subkultur portraitiert, die das Fahrrad als Freiheit versteht, trotz (oder gerade wegen) der finanziellen Engpässe und desr daraus resultierenden Autoverzichts. So ist die Konfrontation zwischen Wilee und dem spielsüchtigen, korrupten Cop Monday auch der Zusammenprall zwischen aggressiv-bequemen Establishment und flink-innovativen Marginalisierten.

Am Ende ist Premium Rush eine erfreuliche Überraschung und als Actionfilm eine Empfehlung wert. Wie gesagt, die Geschichte reißt niemanden vom Hocker, aber die gekonnte Inszenierung und der pure Spaß, den die Produktion versprüht, machen aus der Prämisse „Actionfilm-mit-Fahrrädern“ einen diebisch vergnüglichen Zeitvertreib.




Montag, 29. Juli 2013

Species (1995)




SPECIES
USA 1995
Dt. Erstaufführung: 09.11.1995
Regie: Roger Donaldson

Bereits der Vorspann macht es klar: Species möchte gern Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt sein. Gestaltung, Musik, das Kreaturendesign von H.R. Giger, dem geistigen Vater des aus dem großen Vorbild bekannten Xenomorphs – Regisseur Roger Donaldson weiß, wo er für Inspiration (und Plagiate) schauen muss. Leider verliert sich der Vergleich mit Ridley Scotts Klassiker sehr schnell, denn was nach dem durchaus atmosphärischen Vorspann folgt, ist ein Malen-nach-Zahlen-Monsterfilm ohne die innere Logik von Alien, geschweige denn dessen Gespür für Bilder, Charaktere und Situationen. Manchmal blitzen im Drehbuch von Dennis Feldman durchaus diskussionswürdige Ansätze auf, die aber niemals ein selbstreflexives Level erreichen und sich den billigen Horroreffekten unterordnen müssen.

Nach Jahren des Sendens von irdischen Informationen ins All erhält SETI (Search for Extraterrestrial Intelligence) eine Antwort: Erst die Konstruktionspläne für den Bau eines sauberen Verbrennungsmotors (random information – Species diskutiert diesen an sich faszinierenden Aspekt mit keiner weiteren Silbe), dann die Aufforderung, das menschliche Erbgut nach einem außerirdischen Bauplan zu modifizieren. Und da die sogenannten Wissenschaftler in diesem Film recht dumm sind, wird dies auch ohne weiteres Hinterfragen getan. Das Resultat ist die junge Sil (Michelle Williams), äußerlich nicht von einem menschlichen, etwa zehnjährigen Mädchen zu unterscheiden. Als das Projekt eingestellt und Sil getötet werden soll, entkommt sie dem geheimen Versuchslabor. Auf der Flucht transformiert sie sich in eine verführerische Frau (Natasha Henstridge) und geht auch Männerjagd. Denn Sil kennt nur noch ein Ziel: sich zu vermehren und so den Untergang der Menschheit durch ihren extrem schnellen Reproduktionszyklus einzuläuten. Xavier Fitch (Ben Kingsley), der Kopf der beteiligten Wissenschaftler, stellt ein Team zusammen, um Sil aufzuspüren und zur Strecke zu bringen. Doch wie findet man ein Alien mit solch phänomenalen Fähigkeiten zum Mimikry?

Sil wurde als weibliches Wesen erschaffen, weil man glaubte, Sie besser kontrollieren zu können als einen Er. So weit, so frauenfeindlich. Dank der süffisanten Kommentare der Charaktere ist man noch geneigt, dies als (nicht nötige) Zusatzinformation unter „Ferner liefen…“ abzulegen, aber während Alien die sexuellen Untertöne des Eindringlings als für beide Geschlechter potenziell bedrohlich zeichnete, sind es hier die allzu leicht verführbaren Männer, die von Sil bedroht werden. Dass Frauen als Nebenbuhlerinnen ausgemerzt werden hat eher den Beigeschmack eines Altherrenwitzes über „Zickenfeindschaft“. Feldman bemüht sich, dem Vorwurf der Dämonisierung primär der weiblichen Sexualität zuvorzukommen, in dem er etwas mit den kulturellen Stempeln spielt, die beiden Geschlechtern aufgezwungen werden. Lennox (Michael Madsen), der schwermütige Profikiller, hält als Haustier eine Katze, was im Allgemeinen eher mit Frauen assoziiert wird. Dan (Forest Whitaker) sagt gleich in seinem Eröffnungsmonolog, dass er vermutet, sein Hang zu Gefühlen macht ihn für seine Kollegen suspekt. Dass Dan eine besondere empathische Begabung besitzt und Gefühle anderer quasi durch den Raum fliegend erkennen kann, erfahren wir kurz vorher und aus dem vielversprechenden Ansatz eines zu seinen Gefühlen stehenden Mannes im Kontext eines Sci.-fi.-Horrorfilms wird eher eine interne Lachnummer, denn Dans parapsychologische Eigenschaft wird nie weiter erforscht oder hinterfragt. Man soll sie als Zuschauer schlicht als gegeben und damit als ernstzunehmend einstufen. Arden (Alfred Molina) ist ein Kulturwissenschaftler und die einzig technisch versierte Figur im Ensemble ist Laura Baker (Marg Helgenberger), die mit dem zwar undurchsichtigen, aber durchaus als (einzigen aus der Protagonistengruppe) begehrenswert gezeichneten Mann Lennox irgendwann im Bett landet. Species dreht die kulturellen Rollen der Geschlechter einfach um, feminisiert die Männer und injiziert den Frauen Testosteron und macht dann damit herzlich wenig. Alien lässt sich geradezu subversiv im Hinblick auf die Geschlechterrollen lesen. Species glaubt, mit einem simplen Tausch ist alles geregelt und bestärkt damit nur Klischees, anstatt sie aufzubrechen.

Zugegebenermaßen ist eine Abhandlung über geschlechtsbezogene Rollenbilder innerhalb einer Narration wie in Species nicht das oberste Gebot. Leider hat der Film auch sonst sehr wenig zu bieten. Spannung ist kaum existent, die Oneliner sind lachhaft und einzig eine Sequenz, in der Sil erstmals durch eine mit irdischen Skurrilitäten vollgestopfte Straße in Los Angeles geht, kann ein Gefühl von Fremdheit und Faszination generieren, die beim Kontakt mit einer außerirdischen Kultur entstehen dürfte. Gerade im Hinblick auf den SETI-Hintergrund ist Species eine weitere verlorene Chance, geht sie doch von der Annahme aus, dass eine hoch entwickelte Alienzivilisation letztlich doch nur darauf aus ist, uns mit Tentakeln, die aus Brustwarzen schießen, zu strangulieren. Dass der Film kein ernsthaftes Interesse an den Implikationen seiner Alienthematik hat, ist eine Sache. Dass er dabei so unglaublich plump daherkommt, eine andere. So beruft sich Species auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner, vernachlässigt Intelligenz und Spannung und präsentiert sich als dermaßen belanglos, dass der Vergleich mit Alien nach dem Ende des Abspanns eher wie eine Beleidigung des Vorbilds denn eine vertane Chance oder gar Hommage wirkt.