DER GESCHMACK VON
ROST UND KNOCHEN
(De rouille et d‘os)
Frankreich/Belgien 2012
Dt. Erstaufführung: 10.01.2013
Regie: Jacques Audiard
Dt. Erstaufführung: 10.01.2013
Regie: Jacques Audiard
Alain (Matthias Schoenaerts) verlässt
mit seinem fünfjährigen Sohn Sam (Armand Verdure) Belgien, um bei seiner ihm
entfremdeten Schwester in Frankreich zu leben, nachdem die Beziehung zu seiner
nicht unkomplizierten Freundin endgültig zu Ende gegangen ist. Alain schlägt
sich als Türsteher einer Disco durch. Dort ist es auch, wo er Stéphanie (Marion
Cotillard) kennenlernt, die von einem rüpelhaften Gast verprügelt wurde. Alain
fährt sie nach Hause, erfährt dort, dass sie als Trainerin für Orcas in einem Sea World-esken Park arbeitet und
verschwindet wieder. Erst nachdem Stéphanie bei einem Unfall im Park ihre Beine
verliert, nimmt sie wieder Kontakt mit dem bulligen, emotional
unterentwickelten Alain auf. Beiden ist zunächst nicht ganz klar, was sie aus
dieser Beziehung ziehen sollen, doch im Laufe der Zeit entwickelt sich eine
fragile Freundschaft, die für beide zum schmerzlichen Lernprozess über sich
selbst wird.
Der Geschmack von Rost
und Knochen ist ein Film über gequälte Kreaturen. Stéphanies
Schicksalsschlag ist eindeutig, der Satz „Was habt ihr mit meinen Beinen
gemacht?“ hängt schwer nicht über einer äußerst effektiven Krankenhausszene.
Doch ganz davon abgesehen ist die neue Situation der Hilfsbedürftigkeit für sie
nur schwer zu ertragen. Nicht nur, weil sie unabhängig bleiben möchte, sondern
auch, weil Stéphanie keine Frau der großen Gefühle ist. Die Beziehung zu ihrem
Freund bricht sie mit dem lakonischen Satz „Ich gehe wieder meinen eigenen Weg“
ab. Alain ist ebenso kein emotionales Wunderkind. Die Beziehung zu seinem Sohn
ist von Alains mangelnder Geduld und seinem aufbrausenden Temperament
gekennzeichnet. Er bemüht sich, ein guter Vater zu sein, aber er hat weder die
Reife noch die Liebe, es wirklich zu sein. Was nicht heißen soll, dass Alain
Sam nicht liebt, es fehlt ihm aber nicht nur an Emotionalität, sondern damit
einhergehend auch an Empathie. Es gibt Szenen von erschreckendem Realismus in
diesem Film, zum Beispiel wenn Alain Sam gegen eine Tischkante fallen lässt.
Fast noch erschreckender ist Alains Verständnislosigkeit auf das folgende
Weinen seines Sohns. Auch hier gibt es einen programmatischen Satz: „Du hast
kalte Hände“ sagt Sam oft, wenn er in Körperkontakt zu seinem Vater tritt. Schoenaerts
vermeidet dabei, wie alle anderen Schauspieler auch, eine einseitige Charakterisierung.
Man spürt, dass etwas tief in Alain den Schmerz, den er verursacht, versteht,
er aber schlicht nicht in der Lage ist, diesen Gefühlen Raum zu geben. Zu guter
Letzt gehören auch die von Stéphanie trainierten Orcas zu den Gequälten dieses
Films. Der Film lebt neben den kongenialen Darstellern auch von seiner
Fotografie, bei der atemberaubende Schönheit und tiefgreifende Traurigkeit oft
sehr nah zusammen liegen und die Orcas machen da keine Ausnahme. Wenn sie sich
zu Künststückchen aus dem Wasser katapultieren, legen die Bilder bereits fest,
dass dies eine Kraft ist, die nicht kontrollierbar ist, auch nicht von der
kalten Stéphanie. Der Geschmack von Rost
und Knochen geht nicht so weit, ein Kommentar über die Haltungsbedingungen
und die damit einhergehenden Gefährdungen von Menschen durch Orcas zu werden,
aber neben den menschlichen Dramen, die der Film zuhauf portraitiert, schwingt
auch ein bisschen eine Attitüde von „Wer sich in Gefahr begibt...“ mit, die dem
Ganzen eine weitere faszinierende Note hinzufügt.
Wenn es Probleme innerhalb der Narration gibt, dann tauchen
sie im dritten Akt gehäuft auf. Alains zweiter Job bei einer windigen „Sicherheitsfirma“,
die auf Managergeheiß Angestellte in Bau- und Supermärkten mit Kameras
überwacht, hat direkte Auswirkungen auf Alains Umfeld und lässt die Figur
geradezu dümmlich erscheinen. Auch wenn Alain ein Mann ist, der sich zuerst um
sich selbst kümmert, so wenig Weitsicht, wie ihm hier angedichtet wird, spannt
den Bogen doch etwas über. Die daraus resultierende Rolle Stéphanies als Alains
Quasi-Managerin bei dessen eigentlicher beruflicher Passion, dem Boxen, kann
man als Zurückgewinnung von Autonomie lesen, hat aber auch einen gewissen Touch
von Trashfilm. Und das Ende wirkt etwas forciert, als wolle Regisseur Jacques
Audiard (Ein Prophet) weder seinen
Figuren noch seinen Zuschauern ein Happy-End vergönnen, dass so gut wie alle
Probleme, die sich im Laufe der Zeit angesammelt haben, mit wenigen
Einstellungen und so gut wie ohne Worte löst. Dies wirkt eher wie Verlegenheit
aus Unschlüssigkeit, wie man ein so gewaltiges Drama enden lassen könnte, denn
ein organischer Abschluss für einen Film, der sich zuvor nicht mit einfachen Antworten
zufriedengegeben hat.
Trotz der Schwächen im dritten Akt ist Der Geschmack von Rost und Knochen ein großartiger Film. Die
Schauspieler sind famos, auch weil sich keiner über den anderen erhebt. Marion
Cotillard (Contagion, The Dark Knight Rises) ist zwar die
bekanntere Schauspielerin, aber Schoenaerts (Bullhead) besteht neben ihr mit Bravour. Sowohl Alain als auch
Stéphanie sind keine typischen Leinwandhelden, sondern vielfach gebrochene,
nicht immer sympathische Charaktere, deren Vielschichtigkeit das Interesse die
gesamte Spielzeit über interessant bleibt. Hinzu kommen die wunderschöne
Kameraarbeit, die souveränen Effekte (Cotillards Beine wirken wie wirklich amputiert
und wann mit welchen Tricks gearbeitet wurde ist nicht zu ersehen) und das
intelligente Drehbuch. Der Geschmack von
Rost und Knochen ist pures Kino: eine emotionale Tour-de-Force, getragen
von viel Know-How vor und hinter der Kamera. Wenn das Jahr zu Ende geht, wird
dieser Film sicherlich als eins der befriedigendsten Leinwanderlebnisse 2013
aus dem Rennen gehen.
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