Montag, 15. Juli 2013

Blank City (2010)




BLANK CITY
USA 2010
Dt. Erstaufführung: 24.01.2013
Regie: Celine Danhier

Dokumentarfilme sind eine hohe Kunst. Im Kino werden sie oft übersehen, auch wenn das deutsche Kino voll mit ihnen ist. Die meisten laufen aber nur verstreut in einigen wenigen Programmkinos. Zwölf Kopien oder weniger sind für ein Land mit über 80 Millionen Einwohnern doch verschwindend gering. Blank City brachte es auf immerhin 15 Kopien und schaffte es drei Jahre nach seiner Entstehung auch ins deutsche Kino. Eine reife Leistung für den deutschen Verleih, muss man wohl sagen. Nun ist eine Doku über die „No Budget“-Filmszene von New York in den späten 70ern vielleicht nicht das massenkompatibleste Thema, dass man sich vorstellen kann, aber darum geht es ja nicht. Auch nicht darum, dass Blank City mit einigen inneren Problemen zu kämpfen hat. Es geht, wie man so schön sagt, ums Prinzip.

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre stand New York City am Abgrund. Der Ruin drohte, ganze Stadtteile zerfielen, die Mieten waren lächerlich im Vergleich zur Größe der Apartments. Dies kam vielen de facto mittellosen Künstler zugute, wenn sie keine Angst hatten, ihr Heim mit Ratten und Kakerlaken zu teilen. In dieser „wilden Zeit“ florierte in New York das „wahre“ Independent-Kino. Filme wurden mit einem nicht existenten Budget gedreht, Filmmaterial mitunter gestohlen, Rohmaterial unter Zuhilfenahme von Drogen innerhalb von 24 Stunden zu einem fertigen Film geschnitten. Regisseure wie Amos Poe, Susan Seidelman, Beth & Scott B und Jim Jarmusch experimentierten mit Stilen und Aussagen, es war egal, wie dilettantisch das fertige Produkt auch anmutete, Hauptsache man hatte es getan. Musik und Film, im weitesten Sinne auch Malerei und Graffiti, bedingten sich gegenseitig, immer auf der Suche nach dem nächsten großen Ding. Aus der No Wave genannten Filmbewegung wurde schließlich das aggressivere Cinema of Transgression, das explizierter auch gesellschaftliche Missstände zum Gegenstand der oft sehr experimentellen Arbeiten machte. Als dann in den 80ern das Geld Einzug hielt, zerbrach der kurzlebige Trend allmählich…

…zumindest ist das die Quintessenz, die Regisseurin Celine Dahier dem Zuschauer in ihrem Filmdebüt präsentiert. Dies mag nicht gänzlich falsch sein, trägt aber auch den Beigeschmack von allzu kurz gegriffener Hipster-Kapitalismuskritik, frei nach dem Motto „Geld tötet die Kreativität“. Die meisten Interviewpartner werden auf stilvollen Sofas sitzend gefilmt, im Hintergrund gern ein prall gefülltes Bücherregal. Wer mag diesen Menschen denn verübeln, dass sie nicht auf Ewigkeiten ihre Behausungen mit Kakerlaken teilen wollten, auch wenn man sie zum Gegenstand eines Kurzfilms machen kann? Zumal die Interviewten zum größten Teil recht entspannt damit umgehen, dass die Zeit des No Wave/Cinema of Transgression vorbei ist. Dahier will vielmehr durch Montage und die wenigen wirklich zornigen Stimmen ein Gefühl des Verlorenen inszenieren, dass gar nicht wirklich da ist. So fällt dieser Aspekt des Films sehr flach, ebenso wie die atemlose Montage. Blank City hat ein für filminteressierte durchaus interessantes Sujet und schafft es auch, ehrliches Interesse an jener Art von Film zu wecken, die im Internet für Gelächter sorgt (ich denke da an die Filme, die vom Cinema Snob seziert werden), aber Dahier lässt nie zu, dass der Zuschauer für länger als ein paar Sekunden in der portraitierten Filmwelt versinken kann. Dies ist ein gängiges Problem bei dieser Art von Dokumentation und der selbstauferlegte Drang, möglichst viel in die 90 Minuten Lauflänge hineinzustopfen, macht den Film streckenweise mehr irritierend als involvierend.

Doch trotz der mitunter schwächelnden Inszenierung kann Blank City, auch und gerade durch seine Interviewpartner, ein Stimmungsbild jener kurzen Jahre zeichnen, in denen heute erfolgreiche Filmer wie Jim Jarmusch mit ihren Erstlingen sich aufmachten, das Kino von einer anderen Seite zu betrachten. Es verwundert nicht, dass Jarmusch als interessantester talking head aus dem Film hervorgeht. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass der früh verstorbene Künstler Jean-Michel Basquiat beim Dreh von Permanent Vacation dabei war – schlafend unter der Kamera, außerhalb des Bildes, weil er in Jarmuschs Apartment gestrandet war? So ist es auch Jarmusch, der der verklärenden Rücksicht, verbunden mit Dahiers These vom kommerziellen Kreativitätskill, einen deutlichen Dämpfer verpasst: „Forget about the past and bring on the future.“ Das Kino des No Wave und Transgression ist Geschichte, seine Teilnehmer größtenteils noch in der Welt und kreativ tätig. Und das auch der Mainstream-Film immer von solchen Randbewegungen lernen kann, ist Konsens, auch wenn damit zwangsläufig mehr Geld ins Spiel kommt. Blank City ist durchaus interessant, seine Quintessenz aber zu oberflächlich und der Schnitt manchmal zu epileptisch. Aber nur 15 Kopien, dass hat er wahrlich nicht verdient.



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