Samstag, 8. Oktober 2016

Børning - The Fast and the Funniest (2014)




BØRNING – THE FAST AND THE FUNNIEST
(Børning)
Norwegen 2014
Dt. Erstaufführung: 10.09.2016 (TV-Premiere)
Regie: Hallvard Bræn

Mit „guilty pleasures“ ist es so eine Sache – die Filme zu mögen ist per se etwas peinlich, zumindest, wenn es nach allgemein anerkannten Bewertungskriterien geht – welche auch immer das sein mögen. Zumal es auch einen persönlichen Einblick gewährt, sind „guilty pleasures“ doch oft Überbleibsel aus Kindheit und Jugend, deren Unzulänglichkeiten dem erwachsenen Auge zwar auffallen, die Filme aber kaum von den positiven Gefühlen zu trennen sind. Ich beispielsweise weiß, dass Independence Day beileibe kein guter Film ist, aber als erstes FSK ab 12-Spektakel, dass man in einer Freundesgruppe im Kino sehen durfte, wird er immer einen speziellen Platz in meiner Lebensfilmographie einnehmen.
Mit fortschreitendem Alter, immer mehr Filmen und mehr Seherfahrung (manche würden es wohl auch Zynismus nennen) werden die neuen „guilty pleasures“ weniger – vielleicht auch, weil man als furchtsamer Erwachsener nicht mehr so unkompliziert zugibt, wenn einem ein bestenfalls mittelmäßiges Werk wirklich gut gefällt. Børning ist für mich genau so ein Film und darum sei mir verziehen, dass er vielleicht etwas besser davon kommt, als er „objektiv“ verdient hätte.

Roy (Anders Baasmo Christiansen) ist ein Autonarr im bei der Bemessung seiner Strafzettel nicht gerade zimperlichen Norwegen. Immer wieder gerät er mit seinem Erzfeind Doffen (Sven Nordin) aneinander. Eins ihrer illegalen Rennen führt schließlich zum Platzen der Fruchtblase seiner mitfahrenden Freundin. Alsbald von den Schwiegereltern und der Mutter seiner Tochter verstoßen, konzentriert sich Roy ganz auf das Herumschrauben an alten und neuen Wagen, die ihm in seine Werkstatt geliefert werden und lebt mit seinen nicht weniger PS-affinen Freunden in den Tag hinein. Über ein Jahrzehnt später ist die Beziehung zu seinem Nachwuchs von höflichem Desinteresse und einer gewissen Unfähigkeit geprägt, was sich bald ändern soll: Doffen fordert Roy zu einem erneuten Rennen heraus. Von den Außenbezirken Oslos bis zur Stadtmitte ist als Strecke etwas wenig, auch die nächstgrößeren Städte nordwärts rufen kaum Interesse hervor, also einigt man sich auf das Nordkap, über 2000 Kilometer von Oslo entfernt, als Ziel, welches man in einem Rutsch erreichen will. Zusammen mit ihren jeweiligen Verbündeten machen sich Roy und Doffen auf den Weg über die eher auf das pittoreske Erlebnis ausgelegten Straßen Norwegens, die leicht perplexe Polizei immer im Schlepptau.

Wer einmal in Norwegen war, der weiß, wie abwegig die Idee eines Films á la The Fast and the Furious in diesem Land ist – schmale, gewundene Straßen, große Distanzen mit nicht unüblichen Fährüberfahrten und vor allem sehr saftige Bußgelder schon für kleine Überschreitungen der (für deutsche Verhältnisse) sehr mager bemessenen Geschwindigkeitsbegrenzungen. Kein Wunder, dass das erste Opfer des Rennens ein Starenkasten ist, der rauchend ob so vieler PS den Geist aufgibt.

Aufbauend auf dieser simplen Prämisse macht Børning – kaum etwas, was darüber hinaus gehen würde. Es ist ein Autorennen von Oslo zum Nordkap mit allen Verwicklungen, die dabei halt auftreten können (am effektivsten erweist sich ein Allergieanfall der Tochter, weil Christiansen es versteht, die väterliche Sorge in dieser Situation ausschließlich mit Blicken zu transportieren), unterfüttert von lakonisch, „typisch skandinavischen“ Humor. Ohne Frontscheibe versuchen, eine Zigarette anzuzünden? Warum nicht. Dabei verfehlt es zwar die deutsche, sehr lustlos herunter gespulte Synchronisation, gerade diesen Aspekt adäquat zu retten, aber im Original wirkt Børning oft noch eigenwilliger, als es die Begebenheiten nicht ohnehin schon suggerieren würden. Gerade das Ende ist unter diesem Gesichtspunkt grandios.

Die Charaktere sind zweidimensional, die Konflikte ebenfalls, es hätten ruhig noch mehr, gern auch schräge, Rennszenen in diesem Rennfilm enthalten sein können (gerade der Beginn mit der Nachtfahrt aus Oslo heraus ist etwas unbefriedigend) und dennoch schafft es Børning, auf seltsame Weise, sich ein Mindestmaß an Charme zu erarbeiten, der den eigentlich recht belanglosen Reigen unterhaltsamer macht, als er es eigentlich verdient hätte (sympathischer als The Fast and the Furious ist er auf jeden Fall). Ein Film über ein Autorennen in Norwegen – es ist beileibe nicht mehr, aber auch definitiv nicht weniger. Der deutsche Verleih darf das in diesen Tagen in Norwegen gestartete Sequel Børning 2: On Ice mit einem winterlichen Rennen von Bergen nach Murmansk gern schneller importieren als diesen ersten Teil, der zwei Jahre nach seiner Premiere im hohen Norden im Programm von Sky Deutschland versteckt wurde. Das hat auch ein durchschnittliches „guilty pleasure“ nicht verdient.




Donnerstag, 6. Oktober 2016

Deadpool (2016)




DEADPOOL
USA 2016
Dt. Erstaufführung: 11.02.2016
Regie: Tim Miller

Wo soll man nur beginnen? Vielleicht bei den positiven Aspekten? Nun gut: nach knapp 75 Minuten leistet sich Deadpool die einzig wirklich gute Dialogzeile: „Ich würde dich ja begleiten aber … ich will nicht.“ Lakonisch vorgetragen, gleichzeitig irrelevant wie bestens zur Narrative passend – es ist ein winziger Moment inmitten eines Taifuns aus cineastischen Zumutungen. Denn der massiv erfolgreiche Film, enfant terrible des MARVEL Cinematic Universe (zumindest möchte er so gesehen werden, auch wenn er lizenzrechtlich wohl zunächst nicht auf die Avengers treffen wird), ist vor allem ein selbstreferenzielles Vakuum, erstarrt in einem schon fast nicht mehr pubertär zu nennenden Verständnis der eigenen Coolness. Prä-Pubertär trifft es wohl eher, das filmische Äquivalent zu dem noch nicht in den Stimmbruch gekommenen Halbstarken, der gern über Dinge erzählt, von denen er bestenfalls eine vage theoretische Ahnung hat – aber das Ganze natürlich so lauthals, dass es jeder Umstehende ungefragt mitbekommen muss. Es hagelt Verweise und Sprüche im Sekundentakt, nicht umsonst wird die Figur Deadpool „the merc with a mouth“ genannt. Das Ganze ist aber so beliebig, so wenig fokussiert, dass der Film Deadpool am Ende des Tages wie eine Twittertimeline gefüllt mit den schlimmsten Nerds, die man sich vorstellen kann, wirkt: alles wird kommentiert, was schnell in 140 Zeichen passt, egal, ob es sinnvoll ist oder nicht – der schnelle Lacher ist wichtiger als jede wie auch immer geartete weitere Ebene. Das sich ausgerechnet der Film, der vorgibt, sich über die eine breite Angriffsfläche bietenden Superheldenfilme á la MARVEL lustig zu machen, der mit Abstand schlechteste Vertreter der leidlichen Bande entpuppt, ist dann auf schräge Art wieder im Sinne des postmodernen Selbstempfindens des Ganzen – wenn denn die „I don’t give a fuck“-Attitüde wirklich ernst gemeint wäre. Denn wie der laute „Whatever“-Pubertätsanwärter aus dem obigen Beispiel ist Deadpool natürlich gar nicht tief unter seiner Oberfläche über alle Maßen von sich überzeugt, was seine Sympathiepunkte nicht gerade steigert.

Wade Wilson (Ryan Reynolds) ist ein ewig plappernder Söldner, der sein privates Glück mit einer sich prostituierenden Stripperin Vanessa (Morena Baccarin) gefunden hat. Als bei ihm jedoch Krebs im Endstadium festgestellt wird und er das dubiose Angebot eines sinistren Agenten erhält, er könne diesen besiegen und gleichzeitig auch noch seine körperlichen Fähigkeiten enorm steigern, zögert er nur kurz. Dummerweise erweist sich die Behandlung als ethisch verwerflicher Versuch, in „normalen“ Menschen die im MARVEL-Universum hinlänglich bekannten X-Gene zu aktivieren, um aus ihnen Mutanten mit besonderen Fähigkeiten zu machen – und sie dann in die Sklaverei zu verkaufen. Aus Wilson wird der entstellte Deadpool, ausgestattet mit beeindruckenden Regenerationskräften und so de facto unsterblich. Auf der Suche nach dem Wissenschaftler Francis (Ed Skrein), der ihn der schmerzhaften Prozedur unterzogen hat, und nach einem Hoffnungsschimmer, seine Freundin zurückzuerobern, mordet er sich durch die Gegend und wehrt die Überredungsversuche von X-Men Colossus (Stefab Kapicic) und Negasonic Teenage Warhead (Brianna Hildebrand) ab, sich auf die gute, sprich nicht anarchistische, Seite des Superheldentums zu schlagen.

Deadpool weiß nichts mit sich anzufangen, auch wenn das Spektakel dem Publikum etwas anderes suggerieren soll. Hinter den Phrasen gibt es den üblichen MARVEL-Ballast aus Entstehungsgeschichte und generischem Geplänkel, todlangweiligem Bösewicht und vorhersehbarer Dramaturgie. Das ist aber natürlich alles total „edgy“, weil Wilson in einer Kampfszene nackt ist und man Ansätze eines Penis sieht und er am Ende die große Heldenansprache von Colossus auf denkbar rüde Art unterbricht. Dazwischen schneidet er sich die Hand ab, nur um den Zuschauer kurz darauf aufzuklären, dass er sich mit der nachwachsenden Miniextremität selbst befriedigen wird. So ist auch das, was der Film zeigt, keine Liebes-, sondern eine reine Lustgeschichte. Deadpool, der Film und der Charakter, sind nur auf die Befriedigung der immer gleichen eigenen Triebe aus. Ein Stück weit menschlich, ohne Frage, aber indem der Film nie etwas darüber hinausgehendes anbietet, suggeriert er eben eine selbstzufriedene Bräsigkeit, die nur noch besser hätte illustriert werden können, wenn Wilsons blinde Mitbewohnerin anstelle von IKEA-Möbeln eine Fliesentisch zusammenbauen würde. Der Segen der Ignoranz, der in der zwar auch problembelasteten, aber sehr viel besseren Superheldenparodie Kick-Ass (und ein Stück weit sogar im dann irgendwann ins sadistische abgleitenden Super) aufgebrochen wurde, bleibt bei Deadpool so penetrant bestehen, dass man sich fragt, für wen dieser Film eigentlich gedacht sein soll. Grölende Scharen, die sich an einfachen Welt- und Filmbildern ergötzen und denen man nicht einmal ansatzweise eine Reflexionsebene jenseits der hanebüchenen popkulturellen Referenz zumutet? Ein unschöner Gedanke.

Denn Deadpool richtet sich explizit an die Zuschauer, die sich darin bestärkt fühlen können, den Lauf des Hasen zu kennen. Indem seine Kommentare sich an die Vermarktung und Rezeptzion von Superheldenfilmen wenden, müssen sie sich keine Gedanken über die Wirkmechanismen innerhalb des Konstrukts machen. Demzufolge ist auch das Hinweisen auf Schwachpunkte, nur um sie danach einfach so zu übernehmen, nicht clever, sondern nur ermüdend. Deadpool ist wie ein erzkonservativer Politiker, der plötzlich versucht zu rappen, um „die Kids“ zu erreichen.

Letztlich bleibt der Eindruck eines größtenteils ziemlich peinlichen Films, der die großen Themen [wirkliche Auseinandersetzung mit den hinterfragungswürdigen „tropes“ des Genres oder auch – mein Favorit – der Plot mit der künstlichen Erschaffung von Mutanten, um sie zu versklaven (!). Niemand will sich dessen annehmen? Große Sache und so, wahrlich dunkle Ecke des MARVEL-Universums? Nein? Meh.] außen vor lässt. So ähnlich wie Deadpools Leben nicht viel wert ist, weil er sich ständig regeneriert (und dies nicht zu Auseinandersetzungen wie bei Wolverine führt), ist es auch der Film, dessen Beliebigkeit gleichermaßen erstaunt wie entsetzt. Der Zuschauer hat dabei die Position des Mitgefangenen in Francis‘ Folterkeller inne: es wird ihm weiß gemacht, Wilson sei ein Kumpel, aber am Ende lässt er ihn doch sterben, um selbst zu entkommen. Reue? Gedanken? Reflektionen? Wer braucht das schon, wenn man sich darüber lustig machen kann, dass es nun zwei Kino-X-Men-Zeitlinien gibt. Oder wenn man mal wieder Deadpools Penis ins Gespräch bringen könnte. Ästhetisch einfallslos (einzig die Animation von Deadpools  ist gelungen, schafft sie es doch, den Comiclook von einem Medium ins andere zu übertragen), intentionell vollkommen fehlgeleitet und dramaturgisch ohne Elan ist Deadpool vor allem eins: vergeudete Lebenszeit. Warum die selbsternannten Parodien des Superheldenfilms meistens so abdriften müssen (ein weiteres Beispiel wäre der Comic The Boys von Garth Ennis), ist indes eine Frage, die auch hier unbeantwortet bleiben muss.