DEADPOOL
USA 2016
Dt.
Erstaufführung: 11.02.2016
Regie: Tim Miller
Wo soll man nur
beginnen? Vielleicht bei den positiven Aspekten? Nun gut: nach knapp 75 Minuten
leistet sich Deadpool die einzig
wirklich gute Dialogzeile: „Ich würde dich ja begleiten aber … ich will nicht.“
Lakonisch vorgetragen, gleichzeitig irrelevant wie bestens zur Narrative
passend – es ist ein winziger Moment inmitten eines Taifuns aus cineastischen
Zumutungen. Denn der massiv erfolgreiche Film, enfant terrible des MARVEL Cinematic Universe (zumindest möchte er
so gesehen werden, auch wenn er lizenzrechtlich wohl zunächst nicht auf die Avengers treffen wird), ist vor allem ein selbstreferenzielles Vakuum, erstarrt in
einem schon fast nicht mehr pubertär zu nennenden Verständnis der eigenen Coolness.
Prä-Pubertär trifft es wohl eher, das filmische Äquivalent zu dem noch nicht in
den Stimmbruch gekommenen Halbstarken, der gern über Dinge erzählt, von denen
er bestenfalls eine vage theoretische Ahnung hat – aber das Ganze natürlich so
lauthals, dass es jeder Umstehende ungefragt mitbekommen muss. Es hagelt
Verweise und Sprüche im Sekundentakt, nicht umsonst wird die Figur Deadpool
„the merc with a mouth“ genannt. Das Ganze ist aber so beliebig, so wenig
fokussiert, dass der Film Deadpool am
Ende des Tages wie eine Twittertimeline gefüllt mit den schlimmsten Nerds, die
man sich vorstellen kann, wirkt: alles wird kommentiert, was schnell in 140
Zeichen passt, egal, ob es sinnvoll ist oder nicht – der schnelle Lacher ist
wichtiger als jede wie auch immer geartete weitere Ebene. Das sich ausgerechnet
der Film, der vorgibt, sich über die eine breite Angriffsfläche bietenden
Superheldenfilme á la MARVEL lustig zu machen, der mit Abstand schlechteste
Vertreter der leidlichen Bande entpuppt, ist dann auf schräge Art wieder im
Sinne des postmodernen Selbstempfindens des Ganzen – wenn denn die „I don’t
give a fuck“-Attitüde wirklich ernst gemeint wäre. Denn wie der laute
„Whatever“-Pubertätsanwärter aus dem obigen Beispiel ist Deadpool natürlich gar nicht tief unter seiner Oberfläche über alle
Maßen von sich überzeugt, was seine Sympathiepunkte nicht gerade steigert.
Wade Wilson (Ryan
Reynolds) ist ein ewig plappernder Söldner, der sein privates Glück mit einer
sich prostituierenden Stripperin Vanessa (Morena Baccarin) gefunden hat. Als
bei ihm jedoch Krebs im Endstadium festgestellt wird und er das dubiose Angebot
eines sinistren Agenten erhält, er könne diesen besiegen und gleichzeitig auch
noch seine körperlichen Fähigkeiten enorm steigern, zögert er nur kurz.
Dummerweise erweist sich die Behandlung als ethisch verwerflicher Versuch, in
„normalen“ Menschen die im MARVEL-Universum hinlänglich bekannten X-Gene zu
aktivieren, um aus ihnen Mutanten mit besonderen Fähigkeiten zu machen – und
sie dann in die Sklaverei zu verkaufen. Aus Wilson wird der entstellte
Deadpool, ausgestattet mit beeindruckenden Regenerationskräften und so de facto
unsterblich. Auf der Suche nach dem Wissenschaftler Francis (Ed Skrein), der
ihn der schmerzhaften Prozedur unterzogen hat, und nach einem Hoffnungsschimmer,
seine Freundin zurückzuerobern, mordet er sich durch die Gegend und wehrt die Überredungsversuche
von X-Men Colossus (Stefab Kapicic) und Negasonic Teenage Warhead (Brianna
Hildebrand) ab, sich auf die gute, sprich nicht anarchistische, Seite des
Superheldentums zu schlagen.
Deadpool weiß nichts mit sich
anzufangen, auch wenn das Spektakel dem Publikum etwas anderes suggerieren
soll. Hinter den Phrasen gibt es den üblichen MARVEL-Ballast aus
Entstehungsgeschichte und generischem Geplänkel, todlangweiligem Bösewicht und
vorhersehbarer Dramaturgie. Das ist aber natürlich alles total „edgy“, weil
Wilson in einer Kampfszene nackt ist und man Ansätze eines Penis sieht und er
am Ende die große Heldenansprache von Colossus auf denkbar rüde Art
unterbricht. Dazwischen schneidet er sich die Hand ab, nur um den Zuschauer
kurz darauf aufzuklären, dass er sich mit der nachwachsenden Miniextremität selbst
befriedigen wird. So ist auch das, was der Film zeigt, keine Liebes-, sondern
eine reine Lustgeschichte. Deadpool, der Film und der Charakter, sind nur auf
die Befriedigung der immer gleichen eigenen Triebe aus. Ein Stück weit
menschlich, ohne Frage, aber indem der Film nie etwas darüber hinausgehendes
anbietet, suggeriert er eben eine selbstzufriedene Bräsigkeit, die nur noch
besser hätte illustriert werden können, wenn Wilsons blinde Mitbewohnerin
anstelle von IKEA-Möbeln eine Fliesentisch zusammenbauen würde. Der Segen der
Ignoranz, der in der zwar auch problembelasteten, aber sehr viel besseren
Superheldenparodie Kick-Ass (und ein
Stück weit sogar im dann irgendwann ins sadistische abgleitenden Super) aufgebrochen wurde, bleibt bei Deadpool so penetrant bestehen, dass man
sich fragt, für wen dieser Film eigentlich gedacht sein soll. Grölende Scharen,
die sich an einfachen Welt- und Filmbildern ergötzen und denen man nicht einmal
ansatzweise eine Reflexionsebene jenseits der hanebüchenen popkulturellen
Referenz zumutet? Ein unschöner Gedanke.
Denn Deadpool richtet sich explizit an die
Zuschauer, die sich darin bestärkt fühlen können, den Lauf des Hasen zu kennen.
Indem seine Kommentare sich an die Vermarktung und Rezeptzion von
Superheldenfilmen wenden, müssen sie sich keine Gedanken über die
Wirkmechanismen innerhalb des Konstrukts machen. Demzufolge ist auch das
Hinweisen auf Schwachpunkte, nur um sie danach einfach so zu übernehmen, nicht
clever, sondern nur ermüdend. Deadpool
ist wie ein erzkonservativer Politiker, der plötzlich versucht zu rappen, um
„die Kids“ zu erreichen.
Letztlich bleibt
der Eindruck eines größtenteils ziemlich peinlichen Films, der die großen
Themen [wirkliche
Auseinandersetzung mit den hinterfragungswürdigen „tropes“ des Genres oder auch
– mein Favorit – der Plot mit der künstlichen Erschaffung von Mutanten, um sie
zu versklaven (!). Niemand will sich dessen annehmen? Große Sache und so,
wahrlich dunkle Ecke des MARVEL-Universums? Nein? Meh.] außen vor lässt. So
ähnlich wie Deadpools Leben nicht viel wert ist, weil er sich ständig
regeneriert (und dies nicht zu Auseinandersetzungen wie bei Wolverine führt),
ist es auch der Film, dessen Beliebigkeit gleichermaßen erstaunt wie entsetzt.
Der Zuschauer hat dabei die Position des Mitgefangenen in Francis‘ Folterkeller
inne: es wird ihm weiß gemacht, Wilson sei ein Kumpel, aber am Ende lässt er
ihn doch sterben, um selbst zu entkommen. Reue? Gedanken? Reflektionen? Wer
braucht das schon, wenn man sich darüber lustig machen kann, dass es nun zwei
Kino-X-Men-Zeitlinien gibt. Oder wenn man mal wieder Deadpools Penis ins
Gespräch bringen könnte. Ästhetisch einfallslos (einzig die Animation von
Deadpools ist gelungen, schafft sie es
doch, den Comiclook von einem Medium ins andere zu übertragen), intentionell
vollkommen fehlgeleitet und dramaturgisch ohne Elan ist Deadpool vor allem eins: vergeudete Lebenszeit. Warum die
selbsternannten Parodien des Superheldenfilms meistens so abdriften müssen (ein
weiteres Beispiel wäre der Comic The Boys
von Garth Ennis), ist indes eine Frage, die auch hier unbeantwortet bleiben
muss.
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