Donnerstag, 27. Februar 2014

Zoo (2007)




ZOO
USA 2007
Dt. Erstaufführung: 27.11.2011 (DVD-Premiere)
Regie: Robinson Devor

Sind Sie schon einmal an einer Weide voller Pferde vorbeigegangen und haben über Sex mit diesen Tieren nachgedacht? Nein? Dann gehören Sie offensichtlich nicht zur Gruppe der Zoophilen. Glückwunsch. Oder nicht? Genau darüber möchte Regisseur Robinson Devor augenscheinlich, dass wir nachdenken. Ist Sex zwischen Menschen und Angehörigen anderer Arten in irgendeiner Form vertretbar? Was bedeutet so ein Verhalten für beide Parteien? Was für die Gesellschaft, in der so etwas – wahrscheinlich zu recht – ein Tabu darstellt? Zoo, in Deutschland in der DVD-Reihe Kino kontrovers veröffentlicht, ist ein künstlerisch berauschender Film mit poetischen Bildern von Sean Kirby und einem atmosphärischen Soundtrack von Paul Matthew Moore. Doch allein, was ihm völlig fehlt ist ein tiefergehendes Verständnis oder zumindest der Wille, dies zu vermitteln. Geht man davon aus, dass die allermeisten Zuschauer selbst kein sexuelles Interesse an Tieren haben, tut der Film sehr wenig, dies in irgendeinen Kontext zu setzen. Dabei sollte man anmerken, dass der Film eine Dokumentation ist, die auf dem Fall von Kenneth Pinyan aus dem Jahr 2005 beruht, der hunderte tierpornographische Filme drehte, bevor er an einer Bauchfellverletzung innerlich verblutete, nachdem er sich von einem Hengst hat anal penetrieren lassen. Der Film bleibt ganz in der Perspektive der Männer, die sich auf einer Farm im Bundesstaat Washington trafen, um dort ihrer Leidenschaft zu frönen. An den mannigfaltigen sonstigen Fragen, die das Sujet aufwirft, interessiert sich Devor nicht. Zoo verkauft seine Oberflächlichkeit als Lyrik, versucht, die Kinematographie die Arbeit für eine ausgewogene Dokumentation zu überlassen und ist so am Ende ein zutiefst ärgerlicher Film.

Vielleicht ist der Begriff „Dokumentation“ auch zu hoch gegriffen. Der Film setzt sich hauptsächlich aus Reenactment zusammen, Schauspieler stellen die Protagonisten da, die nach dem Tod von Pinyan, der sich Mr. Hands nannte, durch die Medien aufgeschreckt und in ihrem Tun unterbunden wurden. Die als Voice-Over zu hörenden Interviews mit einigen der Involvierten sind allerdings kein Produkt eines filmischen Kunstgriffs. Männer, die sich The Happy Horseman oder Coyote nennen, reden über ihre Liebe zu Tieren, insbesondere Pferden, und das dies doch eine ganz normale sexuelle Ausrichtung sei, wie etwa Hetero- oder Homosexualität. Und genau da liegt der Knackpunkt sowohl des Films als auch der ganzen Debatte. Nach der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, kurz ICD-10, ist Zoophilie eine gestörte Sexualpräferenz, eine Paraphilie. Unter diesem Oberbegriff finden sich auch andere offensichtliche Störungen wie Pädophilie und Nekrophilie. Und mag Zoo auch noch so schön verpackt sein und die Männer noch so sehr beteuern, sie würden den Tieren ja kein Leid durch ihre Handlungen zufügen, hinwegtäuschen darüber, dass es sich um eine niemals gleichberechtigte Beziehung handeln kann, sollte man sich nicht lassen. Ray Greene vom Boxoffice Magazine bringt es auf den Punkt, wenn er meint, Zoo sei dazu verdammt, für immer unvollständig zu sein, bis jemand das Pferd interviewen kann.

Zoo appelliert so auf höchst irritierende Weise an die Toleranz der Zuschauer. Es ist doch nur eine Form der Liebe, die halt nicht jeder teilt, ist der Tenor, als könnten sich Pferde und Hunde in einem dem menschlichen Denkprozess ähnlichen Verfahren bewusst für Sex, für eine Beziehung mit einem Menschen entscheiden. Es geht nicht darum, Tiere als bewusstseinslose Wesen zu diskreditieren, aber all das Gerede von wahrer Tierliebe verdeckt nur die tiefe Kluft, die zwischen den Arten in Beziehungsfragen besteht. Mehr noch, all die Rechtfertigungen der Männer, die sie anbringen und die unmissverständlich darauf abzielen, sie doch genauso als sexuelle Minderheit anzuerkennen wie alles andere, was aus der Heteronormativität herausfällt, sind ähnlich schwache Argumente wie jene, die von bekennenden Pädophilen vorgetragen werden; in Deutschland erinnert man sich noch gut an die gerade wieder hochgeschwemmten Debatten aus den 1970ern, ob gleichberechtigter sexueller Kontakt zwischen Erwachsenen und Kindern in irgendeiner Form realisierbar wäre. Die Liebe, die von den Zoophilen so vehement als ihr Recht (mit Betonung auf ihr Recht) verteidigt wird, beruht schlicht nicht auf dem Kontakt zwischen zwei Wesen auf gleicher Ebene. Auch der Einwand, die Tiere würden sich ja aus den Situationen herausziehen, wenn es ihnen nicht gefiele, ist wacklig, eben weil der Mensch gerade gegenüber sogenannten Nutztieren in einer Machtposition steht.

Zoo ist nicht wertungsneutral, auch wenn er den Zuschauer dies gern Glauben lassen möchte. Eben weil er de facto alle anderen Stimmen ausblendet, keinen Diskurs eröffnet und die Männer sich in Kreisen um ihre Rechtfertigungen drehen lässt, stößt Devor den Zuschauer durch die Ästhetik abgefedert, aber dennoch bestimmt in eine Richtung. Der Zuschauer soll die Männer kennenlernen und ihre Neigungen, wenn nicht gutheißen, dann zumindest verstehen. Es sind halt einsame, seltsame Gestalten, die bei Tieren subjektiv mehr Zuneigung erfahren als bei anderen Menschen. Dieser Umstand wird betont, verweist auf das wahrscheinlich bei vielen im Publikum bekannte Gefühl, einem Haustier, dem Familienhund oder Großmutters Katze etwa, schon mal emotional näher gewesen zu sein als den nächsten Mitmenschen. Dass man daraus aber auch ein Verständnis für den Sex mit eben jenen Tieren ableiten soll, ist geradezu skandalös manipulativ, auch wenn es nur einen geringen Prozentsatz der Menschen betreffen mag.

Was bleibt also am Ende? Zum einen das Gefühl, dass andere Tiere in der Rechtsprechung des Menschen eine sehr seltsame Position einnehmen, dass es augenscheinlich mit großem Unbehagen verknüpft ist, sich ihnen juristisch als mehr als Sachen oder Besitz zu nähern. Und dass manche Menschen genau daraus einen kruden Anspruch generieren, ihre sexuellen Neigungen den Tieren aufzuerlegen. Sie sind ja ohnehin die wahren Tierfreunde.
Doch all dies unterstützt Zoo als Film nur bedingt. Er aalt sich in seinen zugegebenermaßen ansprechenden Bildern (explizite Aufnahmen kommen vor, sind aber nur für Sekundenbruchteile auf einem TV-Schirm zu sehen), wirkt dadurch aber auch seltsam artifiziell, als hätte Terrence Malick entschieden, einen Film über Sodomie zu drehen. So bleibt ein ungemein leeres Werk zurück, dass die Debatte scheut und Therapiewürdigen Leuten eine groteske Plattform bietet. Zoo will Verständnis für seine Protagonisten, aber wenn man sich vor den wirklichen Fragen und Diskursen verschließt, kann man nicht erwarten, dass der Zuschauer auch gewillt ist, dies zu gewähren.



Mittwoch, 26. Februar 2014

Womb (2010)




WOMB
Deutschland/Ungarn/Frankreich 2010
Dt. Erstaufführung: 07.04.2011
Regie: Benedek Fliegauf

2010 war ein gutes Jahr für Sylt. Auf der Insel, auf der sonst hauptsächlich Dokumentationen und TV-Filme gedreht werden, entstanden, zumindest zum Teil, in diesem Jahr zwei auch international vermarktete Kinofilme: Roman Polanskis Der Ghostwriter und der weniger prestigeträchtige Womb des ungarischen Regisseurs Benedek Fliegauf (Dealer). Weitere Locations waren die Hallig Langeneß und St. Peter-Ording und zusammen ergeben sie eine der größten Stärken des Films: seine atemberaubend schöne Fotografie. Womb ist ein ungemein pittoresker Film mit Bildern, aus denen wahlweise die raue Seeluft oder die anheimelnde Atmosphäre eines Strandhauses den Zuschauer förmlich anspringt. Keine Frage, Womb ist ein einziger Augenschmaus. Inhaltlich liegt der Fall etwas anders, denn Fliegaufs Geschichte ist alles andere als leichte Kost und man kann es wohl kaum jemanden verübeln, wenn er vor dem Nachdenken über die Konsequenzen des Handelns zurückschreckt. Womb ist vieles, aber sicherlich nicht nur nebenbei zu konsumieren.

Rebecca (Ruby O. Fee) ist neun Jahre alt, Thomas (Tristan Christopher) zehn, als sie sich kennenlernen. Rebecca besucht ihren Großvater, der wie Thomas und seine Familie in einem kleinen Dorf an der Küste lebt. Zwischen den Kindern entwickelt sich eine zarte Bande, eine Freundschaft, in der bereits eine tiefe Faszination für den anderen angelegt ist. Als Rebecca wieder nach Hause fahren muss, weil ihre Mutter nach Tokio versetzt wurde, verpasst Thomas auch noch ihre Abreise. Jahre später kehrt sie (nun von Eva Green dargestellt) in das Dorf zurück: ihr Großvater ist verstorben und Rebecca hat seinen Besitz inklusive der Immobilien geerbt. Es dauert nicht lange, bis sie Thomas (Matt Smith) ausfindig gemacht hat und beide erkennen, dass die Anziehung zwischen ihnen sofort wieder präsent ist. Während Rebecca inzwischen als Programmiererin arbeitet, hat sich Thomas dem politisch motivierten Aktivismus verschrieben und möchte die Eröffnungsfeier einer nah gelegenen neuen Biotechnologiefirma sabotieren, die einen Park mit geklonten Tieren eröffnen möchte. Auf dem Weg dahin kommt es allerdings zu einem Unfall und Thomas stirbt. Hin und hergerissen in ihrem Schmerz über den erneuten, schienbar endgültigen Verlust der großen Liebe, entschließt sich Rebecca schließlich, die Möglichkeiten der Biofirma zu nutzen um Thomas zu klonen. Sie bringt also eine exakte Kopie ihres toten Freundes auf die Welt. Doch je älter der „neue“ Thomas wird, desto komplizierter und verwirrender wird es für Rebecca…

Womb ist ein melancholischer Film, der Eva Greens Figur einiges abverlangt. Ihre Rebecca ist ein gequälter Charakter, die konstante Verweigerung allem, was sie glücklich machen könnte, inszeniert Fliegauf behutsam, aber auch gleichermaßen schonungslos. Die Anziehung der Kinder, die noch nicht so recht wissen, wie sie mit der Entdeckung des Seelenpartners umgehen sollen, wird ebenso jäh beendet wie die schicksalhafte Wiedervereinigung der beiden, bei der sich herausstellt, dass keiner den anderen je vergessen hat. Und während Thomas sich durchaus auch den sexuellen Freuden des Lebens hingegeben hat, hat Rebecca augenscheinlich nie den Nächstrichtigen gefunden. So liegt über dem ganzen Prozedere auch eine unverkennbar sexuelle Spannung, die Fliegauf aber nicht auf ungebührliche Weise einsetzt. Selbstredend sexualisiert er nicht das Kind, das Rebecca per Kaiserschnitt auf die Welt bringt, die Verwerfungen beginnen erst, als Thomas erwachsen und seine erste Freundin mit nach Hause bringt.

Letztlich ist Womb ein Film über die menschliche Identität. Ist der Thomas, den Rebecca ausgetragen hat, der Gleiche wie der, aus dessen Erbmaterial er geklont wurde? Machen nicht erst Erfahrungen uns zu den Menschen, die wir sind? Jagt Rebecca nur aus egoistischen Gründen dem Bild von Thomas nach und projiziert es auf ihren Sohn? Und wo liegt ihre Identität, wenn sie das unbändige und ja durchaus nachvollziehbare Gefühl hat, ohne den Seelenverwandten nicht leben zu können? Wie wichtig ist es für einen Menschen, seine Herkunft zu kennen, wie wichtig ist es für die Gesellschaft? All diese Fragen schreien den Zuschauer förmlich an und es ist etwas schade, dass Fliegauf manchmal etwas zu vage bleibt. Da der Film so fantastisch aussieht, kann man sich schnell in ihm verlieren und bemerkt gar nicht, dass Womb einige seiner Ideen nur ungenügend verfolgt. So verläuft beispielsweise der Subplot mit den gesellschaftlichen Vorbehalten gegenüber geklonten Menschen irgendwann im Sande, weil sich Rebecca mitsamt Sohn schlicht aus der Situation heraus stehlen kann. So macht es sich Womb etwas zu einfach, auch wenn die Konzentration auf die spätere Dreiecksbeziehung zwischen Mutter, Sohn  und Freundin selbstredend auch ihren Charme hat. Und eine finale Szene macht zwar von der Konstruktion Sinn, weil es eine lang erwartete Katharsis für Rebecca bedeutet, fühlt sich aber wie ein artifizieller Drehbuchkniff an. Ob ein Mensch in solch einer Situation wirklich so reagieren würde, sei dahingestellt. Ganz zum Schluss interessiert sich Fliegauf dann doch eher für den Effekt (der ein ganz neues Fass von ethischen Fragen aufwirft) als für seine Charaktere.

Unterm Strich ist Womb eine faszinierende Angelegenheit, auch wenn er sich seinen eigenen Implikationen nur ungenügend stellt. Ethik und Moral, Gesellschaft und Persönlichkeit, Emotionen und Ratio – Womb bietet eine Fülle an Fragen und Gedanken, die in einem ständigen Clinch liegen. Fliegauf zwingt den Zuschauer, sich seinen Standpunkt zu suchen, lässt ihn ebenso wie Rebecca ständig oszillieren zwischen der genuin warmherzigen Beziehung zwischen ihr und dem „alten“ Thomas, dem Verständnis über den Verlustschmerz bis hin zum Widerstreit in der Frage, ob die Entscheidung der Protagonistin in dieser Form vertretbar ist oder nicht. Unterstützt von denen in ihrer Schönheit noch lange nachhallenden Bildern ist Womb auf jeden Fall ein Film, der den Zuschauer nicht ohne Konsequenzen entlässt – so oder so.



Montag, 24. Februar 2014

Planet der Affen: Prevolution (2011)




PLANET DER AFFEN: PREVOLUTION
(Rise of the Planet of the Apes)
USA 2011
Dt. Erstaufführung: 11.08.2011
Regie: Rupert Wyatt

Zehn Jahre sollte es dauern, bis nach dem Remake-Desaster, dass Tim Burtons Planet der Affen darstellte, das Kinopublikum wieder einen Film aus dem seit 1968 bestehenden Franchise sehen sollte. Doch was sollte man erwarten? Die zwei letzten Filme waren die zwei schlechtesten der gesamten Reihe, das Original aus den Sechzigern stand immer noch unangefochten an der Spitze aller Bewegtbild-Produkte, die aus Pierre Boulles Roman hervorgegangen waren und dann wurde der Film auch noch als Prequel, also als Vorgeschichte zu allem im Franchise existierenden angepriesen. Hatte Hollywood denn nicht inzwischen genug von all den Reboots, Fortsetzungen, Prequels und was noch nicht alles? Planet der Affen: Prevolution schien von Anfang an verloren zu haben. Doch dann passierte etwas Unerwartetes: der vom relativen Newcomer Rupert Wyatt (The Escapist – Raus aus der Hölle) inszenierte Film war gut. Mehr noch, er war wirklich gut. Und nach knapp 100 Minuten kurzweiliger Spielzeit war es gewiss: Prevolution ist der beste Planet der Affen-Film seit Franklin J. Schaffners Original. So einfach ist es.

Will Rodman (James Franco) arbeitet mit Schimpansen in einem Labor, in dem ein Heilmittel für Alzheimer und andere degenerative Erkrankungen entwickelt wird. Kurz vor dem entscheidenden Durchbruch und der damit zusammenhängenden Finanzierung läuft ein noch in freier Wildbahn gefangenes Schimpansenweibchen Amok, verschreckt die Investoren und muss erschossen werden. Wie sich herausstellt verteidigte es nur sein Junges, das unbemerkt im Labor geboren wurde. Will nimmt den bald auf Caesar hörenden Affen mit nach Hause, auch in der Hoffnung, dass solch ungewöhnliche Interaktion für seinen an Alzheimer erkrankten Vater Charles (John Lithgow) eine Bereicherung sein könnte. Caesar legt alsbald ungewöhnliche Intelligenz an den Tag und es stellt sich heraus, dass das Mittel zur Gehirnregeneration, mit dem seine Mutter behandelt wurde, einen Effekt auf ihn im Mutterleib hatte: weil nichts repariert werden musste, verbesserten sich Caesars kognitive Fähigkeiten bis zu dem Punkt, dass er das womöglich intelligente Tier auf Erden sein könnte. Mit den Jahren wird nicht nur Caesar immer schlauer, auch Charles, der von seinem Sohn heimlich mit dem Mittel behandelt wurde, regeneriert sich. Doch als Caesar irgendwann seine körperliche Überlegenheit gegen eine Bedrohung seiner Adoptivfamilie einsetzt, wendet sich das Blatt. Er kommt in eine Verwahreinheit für Menschenaffen und in dem hochintelligenten Schimpansen wächst der Plan, ob der miserablen Behandlung dort und dem Wissen um das Treiben im Forschungslabor, sich und seine Artgenossen von dem Joch der Menschheit zu befreien…

Prevolution, dessen deutscher Titel eher wie eine ganz schlechte Idee nach durchzechter Nacht daherkommt, sollte nicht in Kontinuität mit den bisher existierenden Filmen der Reihe gebracht werden. Ein solches Unterfangen ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil Wyatts Film sich als erster Teil eines gänzlich eigenständigen Affen-Universums versteht. Es gibt viele Verweise auf den Schaffner-Film und mit den kurzen Nachrichteneinblendungen einer verloren gegangenen Weltraummission legt man auch das Fundament für eine zukünftige an Planet der Affen angelehnte Geschichte, aber es ist müßig zu versuchen, Cornelius, Zira und die anderen Protagonisten aus den älteren Filmen in irgendeinen Einklang mit Prevolution zu bringen.

Befreit von dem Zwang, der ohnehin wackeligen Kontinuität der früheren Saga zu folgen, kann sich Prevolution ganz auf die Generierung einer neuen Storyline konzentrieren. Die Affen hier sind das Ergebnis von Experimenten und nicht einer beschleunigten Evolution, gepaart mit Zeitreiseparadoxen wie in den 1970er Jahren. Zudem ist sich der Film der natürlichen Intelligenz von Menschenaffen sehr wohl bewusst und inszeniert Caesars Bewusstwerdung auch konsequent nicht als gigantischen Sprung, sondern als innerhalb der Narrative nachvollziehbaren nächsten Schritt. Es musste nur etwas nachgeholfen werden, der Film macht keinen Hehl daraus, dass Schimpansen auch so bereits denkfähige Geschöpfe sind. Umso effektiver ist das Finale. Prevolution verzichtet darauf, schaurige Umgebungen wie etwa der Labor in 28 Days Later zu zeigen, in dem ein Schimpanse mit Bilder menschlicher Gewalt gefoltert wird, aber er verschweigt auch nicht, dass der Umgang der Arten auf einem simplen Oben/Unten-Schema beruht, auch wenn die kognitiven Fähigkeiten gar nicht so unterschiedlich sind, wie oft behauptet wird. So verbringt der Film für einen Sommer-Blockbuster bemerkenswert viel Zeit damit, Charaktere und Situationen einzuführen und der Zuschauer findet sich über weite Teile involviert in Caesars Gedankengänge wieder, bis sich im actionreichen Showdown die nachvollziehbar gerechte Wut entlädt. Dabei geht es den Affen gar nicht um einen Umsturz, sondern lediglich um ein selbstbestimmtest Leben. Wenn sich die Menschen in Form der Polizei auf der Golden Gate Bridge gegen die Affen stellen ist das auch ein Versuch, die bisher gängige Ordnung aufrecht zu halten. Herrschende geben ungern Macht ab und hier sind die Herausforderer auch noch Angehörige anderer Spezies‘.

Planet der Affen: Prevolution lässt sich sicherlich wie jeder andere Film auf plot holes abklopfen, aber im Großen und Ganzen ist der Film sehr gut konstruiert. Er bringt alle Figuren in Stellung, liefert Erklärungen für die Beweggründe der Affen und etabliert Ankerpunkte, die in den kommenden Fortsetzungen von Wichtigkeit sein werden. Prevolution ist cleverer, vor allem aber unterhaltsamer als das Gro der gängigen Studioblockbuster. Einzig die menschlichen Figuren sind schwach, vor allem Freida Pinto als Veterinärin wird in einer undankbaren Rolle verheizt. Die digitalen Affen, angeführt von Andy Serkis als Caesar, sind dagegen stark. Ähnlich wie im Herr der Ringe, in dem Serkis als Gollum die beste Performance ablieferte, macht er hier aus Caesar die interessanteste Figur des ganzen Films und sprengt damit geradezu kongenial die Artengrenze. Denn auch wenn seine Intelligenz menschliches Niveau erreicht, bleibt Caesar doch auch Schimpanse. Diese Form des Hybriden wurde von keinem bisherigen Planet der Affen-Film erreicht.

Planet der Affen: Prevolution ist trotz zurückgefahrener Actionelemente temporeich erzählt, kurzweilig und unterhaltsam, dabei die Intelligenz des Publikums nicht beleidigend und hervorragend konstruiert und in Szene gesetzt. Man musste lange warten, um nach Schaffners Version wieder einen solch guten Beitrag zur Reihe zu sehen. Das Warten hat sich gelohnt.



Montag, 17. Februar 2014

Rosemaries Baby (1968)




ROSEMARIES BABY
(Rosemary’s Baby)
USA 1968
Dt.
Erstaufführung: 17.10.1968
Regie: Roman Polanski

Die gängigste Übersetzung für das englische Adjektiv creepy ist gruselig, unheimlich. Das ist zwar korrekt, aber der Anglizismus beinhaltet noch viel mehr, er beschreibt eine Atmosphäre, eine Aura, eine Spannung, die sich nicht durch billige Effekte aufdrängt, sondern im wahrsten Sinn „unter die Haut“ geht. Ein weiteres Wort, dem die deutschen Übersetzungen nicht ganz Rechnung tragen können, ist eerie, ebenfalls als unheimlich, gespenstisch zu verstehen, und auch im Englischen sehr viel mehrdeutiger. Die englischen Worte beischreiben schlicht die Gefühle besser, die bei Roman Polanskis Film Rosemaries Baby aufkommen. Natürlich kann man ihn schlicht als unheimlich beschreiben, aber die einzigartige Atmosphäre ist eben auch sehr creepy/eerie. Wenn man ihn ansieht, wird man schnell wissen, warum die angelsächsischen Wörter den Film besser beschreiben als ein schnödes „gruselig“: Rosemaries Baby ist ein ganz besonderer Horrorfilm, seine Aura ist atemberaubend und – womöglich sein größter Verdienst – er verkauft den Zuschauer nicht für dumm. Polanski weiß um das Denkvermögen seiner Zuschauer und füttert sie ständig mit einer außerordentlich cleveren Struktur an.

Rosemarie (Mia Farrow) und ihr als Schauspieler mäßig erfolgreicher Mann Guy (John Cassavetes) beziehen ein schickes Apartment in einem Haus in New York City. Ihre Nachbarn sind die Castevets, Minnie (Ruth Gordon) und Roman (Sidney Blackmer), die sich sehr schnell als ziemlich aufdringlich erweisen. Doch als Rosemarie schwanger wird, scheint dies eine tolerierbare Störung des Glücks zu sein, zumal Guy auf einmal zum gefragten Akteur aufsteigt. Als sich immer mehr seltsame Ereignisse und kleine Ungereimtheiten häufen und Rosemarie zudem heftige Schmerzen plagen, reift in ihr der Gedanke, dass etwas in ihrem Umfeld nicht stimmen könnte. Spielen die Castevets ein doppeltes Spiel? Oder wird Rosemarie paranoid? Und hat alles womöglich mit ihrem ungeborenen Baby zu tun?

Wie gesagt, Rosemaries Baby ist ein Film mit exzellenter Struktur. Der Zuschauer ist angehalten, ständig die Indizien und die Ereignisse im Leben der sozial zunehmend isolierteren Rosemarie zu interpretieren. Dabei achtet Polanski sorgsam darauf, dass man die Ereignisse fast durchweg dual betrachten kann. Wenn man möchte, kann man die Dinge, die im Umfeld der Protagonistin passieren, als Verschwörung lesen, über fast die gesamte Laufzeit bietet der Film aber auch Raum für eine paranoide Störung als Erklärung. Erst durch diesen Schwebezustand entsteht die Atmosphäre des Films. Die Castevets sind distanzlos, ja, aber sind sie auch böse, gefährlich? Ist Rosemarie Opfer einer Intrige oder „nur“ Opfer einer schweren Schwangerschaft? Und ist das Kind wirklich das Ergebnis einer Liaison mit einer nicht-menschlichen Entität, wie es Rosemarie träumte, oder nicht? Besonders hier erweist sich der Film als besonders intelligent: Guy gibt zu, mit Rosie geschlafen zu haben, als diese bewusstlos war. De facto ist dies also Vergewaltigung in der Ehe. Hat Rosemaries Verstand daraus also den Alptraum konstruiert, der zu den unheimlichsten Szenen der Filmgeschichte zählt? Und sind die Spannungen zwischen ihr und Guy im Anschluss daran durch die Sprachlosigkeit ausgelöst, die zwischen ihnen dadurch herrscht? Führt dieses Traumata schlussendlich zu der Paranoia? Für den Erstseher dürfe Rosemaries Baby ob dieser ständigen möglichen Doppelerklärung ein besonderes Vergnügen darstellen, wobei das Konstrukt so stark ist, dass es auch multiple Sichtungen verträgt.

Moderne Horrorfilme können viel von Polanskis Herangehensweise lernen. Nicht nur, dass er den Erklärungsrahmen so lange wie maximal möglich sehr breit hält, er verzichtet auch auf größtenteils alles, was das Genre an Standards zu bieten hat. Es gibt keine penetrante Musik, die ständig vermeidliche Spannungsmomente ankündigt oder versucht, das Nichts zu verstärken, auch fehlen jump scares und die Art von unheilvollen Ankündigungen, mit denen heute kaum ein Genrefilm auszukommen scheint. Die Handlung bewegt sich organisch dahin und verlässt sich voll und ganz auf seine hervorragenden Darsteller. Mia Farrow hat als etwas naive, aber sympathische Rosemarie unsere Anteilnahme und wir durchleben den Film mit ihr anstatt nur Beobachter zu sein. Ihr geschocktes Gesicht im Finale ist ein Bild, das sich einbrennt. John Cassavetes ist perfekt besetzt als einer der größten Opportunisten des Kinos, Guy, und Ruth Gordon und Sidney Blackmer sind überzeugend als alterndes Nachbarpaar, das entweder „nur“ nervig oder aktiv gefährlich ist. Maurice Evans ist der liebenswerte Freund von Rosemarie und Guy, Hutch.

Rosemaries Baby ist ein Horrorfilm, von dessen Sorte man sich mehr wünscht. Hätte das Genre nicht einen langanhaltenden, etwas ungesunden Trend zum Ausstellen von Brutalitäten hinter sich, womöglich wäre die Gattung nicht so in Verruf geraten. Polanski zeigt, was Horror in seinen Grundfesten ist: die Verunsicherung des Zuschauers in seinem Realitätsbezug. Was ist real, was nicht? Wird Rosemarie verrückt oder nicht? Ist das Gefühl des Unbehagens gerechtfertigt oder konstruiert ihr Gehirn (und das des Zuschauers gleich mit) aus Zufällen einen Sinnzusammenhang, der gar nicht da ist? Der Horror, der auf leisen Sohlen daherkommt wirkt meistens länger nach als der schnelle Effekt. Kaum ein Genrefilm illustriert dies so perfekt wie Rosemaries Baby.