Mittwoch, 26. Februar 2014

Womb (2010)




WOMB
Deutschland/Ungarn/Frankreich 2010
Dt. Erstaufführung: 07.04.2011
Regie: Benedek Fliegauf

2010 war ein gutes Jahr für Sylt. Auf der Insel, auf der sonst hauptsächlich Dokumentationen und TV-Filme gedreht werden, entstanden, zumindest zum Teil, in diesem Jahr zwei auch international vermarktete Kinofilme: Roman Polanskis Der Ghostwriter und der weniger prestigeträchtige Womb des ungarischen Regisseurs Benedek Fliegauf (Dealer). Weitere Locations waren die Hallig Langeneß und St. Peter-Ording und zusammen ergeben sie eine der größten Stärken des Films: seine atemberaubend schöne Fotografie. Womb ist ein ungemein pittoresker Film mit Bildern, aus denen wahlweise die raue Seeluft oder die anheimelnde Atmosphäre eines Strandhauses den Zuschauer förmlich anspringt. Keine Frage, Womb ist ein einziger Augenschmaus. Inhaltlich liegt der Fall etwas anders, denn Fliegaufs Geschichte ist alles andere als leichte Kost und man kann es wohl kaum jemanden verübeln, wenn er vor dem Nachdenken über die Konsequenzen des Handelns zurückschreckt. Womb ist vieles, aber sicherlich nicht nur nebenbei zu konsumieren.

Rebecca (Ruby O. Fee) ist neun Jahre alt, Thomas (Tristan Christopher) zehn, als sie sich kennenlernen. Rebecca besucht ihren Großvater, der wie Thomas und seine Familie in einem kleinen Dorf an der Küste lebt. Zwischen den Kindern entwickelt sich eine zarte Bande, eine Freundschaft, in der bereits eine tiefe Faszination für den anderen angelegt ist. Als Rebecca wieder nach Hause fahren muss, weil ihre Mutter nach Tokio versetzt wurde, verpasst Thomas auch noch ihre Abreise. Jahre später kehrt sie (nun von Eva Green dargestellt) in das Dorf zurück: ihr Großvater ist verstorben und Rebecca hat seinen Besitz inklusive der Immobilien geerbt. Es dauert nicht lange, bis sie Thomas (Matt Smith) ausfindig gemacht hat und beide erkennen, dass die Anziehung zwischen ihnen sofort wieder präsent ist. Während Rebecca inzwischen als Programmiererin arbeitet, hat sich Thomas dem politisch motivierten Aktivismus verschrieben und möchte die Eröffnungsfeier einer nah gelegenen neuen Biotechnologiefirma sabotieren, die einen Park mit geklonten Tieren eröffnen möchte. Auf dem Weg dahin kommt es allerdings zu einem Unfall und Thomas stirbt. Hin und hergerissen in ihrem Schmerz über den erneuten, schienbar endgültigen Verlust der großen Liebe, entschließt sich Rebecca schließlich, die Möglichkeiten der Biofirma zu nutzen um Thomas zu klonen. Sie bringt also eine exakte Kopie ihres toten Freundes auf die Welt. Doch je älter der „neue“ Thomas wird, desto komplizierter und verwirrender wird es für Rebecca…

Womb ist ein melancholischer Film, der Eva Greens Figur einiges abverlangt. Ihre Rebecca ist ein gequälter Charakter, die konstante Verweigerung allem, was sie glücklich machen könnte, inszeniert Fliegauf behutsam, aber auch gleichermaßen schonungslos. Die Anziehung der Kinder, die noch nicht so recht wissen, wie sie mit der Entdeckung des Seelenpartners umgehen sollen, wird ebenso jäh beendet wie die schicksalhafte Wiedervereinigung der beiden, bei der sich herausstellt, dass keiner den anderen je vergessen hat. Und während Thomas sich durchaus auch den sexuellen Freuden des Lebens hingegeben hat, hat Rebecca augenscheinlich nie den Nächstrichtigen gefunden. So liegt über dem ganzen Prozedere auch eine unverkennbar sexuelle Spannung, die Fliegauf aber nicht auf ungebührliche Weise einsetzt. Selbstredend sexualisiert er nicht das Kind, das Rebecca per Kaiserschnitt auf die Welt bringt, die Verwerfungen beginnen erst, als Thomas erwachsen und seine erste Freundin mit nach Hause bringt.

Letztlich ist Womb ein Film über die menschliche Identität. Ist der Thomas, den Rebecca ausgetragen hat, der Gleiche wie der, aus dessen Erbmaterial er geklont wurde? Machen nicht erst Erfahrungen uns zu den Menschen, die wir sind? Jagt Rebecca nur aus egoistischen Gründen dem Bild von Thomas nach und projiziert es auf ihren Sohn? Und wo liegt ihre Identität, wenn sie das unbändige und ja durchaus nachvollziehbare Gefühl hat, ohne den Seelenverwandten nicht leben zu können? Wie wichtig ist es für einen Menschen, seine Herkunft zu kennen, wie wichtig ist es für die Gesellschaft? All diese Fragen schreien den Zuschauer förmlich an und es ist etwas schade, dass Fliegauf manchmal etwas zu vage bleibt. Da der Film so fantastisch aussieht, kann man sich schnell in ihm verlieren und bemerkt gar nicht, dass Womb einige seiner Ideen nur ungenügend verfolgt. So verläuft beispielsweise der Subplot mit den gesellschaftlichen Vorbehalten gegenüber geklonten Menschen irgendwann im Sande, weil sich Rebecca mitsamt Sohn schlicht aus der Situation heraus stehlen kann. So macht es sich Womb etwas zu einfach, auch wenn die Konzentration auf die spätere Dreiecksbeziehung zwischen Mutter, Sohn  und Freundin selbstredend auch ihren Charme hat. Und eine finale Szene macht zwar von der Konstruktion Sinn, weil es eine lang erwartete Katharsis für Rebecca bedeutet, fühlt sich aber wie ein artifizieller Drehbuchkniff an. Ob ein Mensch in solch einer Situation wirklich so reagieren würde, sei dahingestellt. Ganz zum Schluss interessiert sich Fliegauf dann doch eher für den Effekt (der ein ganz neues Fass von ethischen Fragen aufwirft) als für seine Charaktere.

Unterm Strich ist Womb eine faszinierende Angelegenheit, auch wenn er sich seinen eigenen Implikationen nur ungenügend stellt. Ethik und Moral, Gesellschaft und Persönlichkeit, Emotionen und Ratio – Womb bietet eine Fülle an Fragen und Gedanken, die in einem ständigen Clinch liegen. Fliegauf zwingt den Zuschauer, sich seinen Standpunkt zu suchen, lässt ihn ebenso wie Rebecca ständig oszillieren zwischen der genuin warmherzigen Beziehung zwischen ihr und dem „alten“ Thomas, dem Verständnis über den Verlustschmerz bis hin zum Widerstreit in der Frage, ob die Entscheidung der Protagonistin in dieser Form vertretbar ist oder nicht. Unterstützt von denen in ihrer Schönheit noch lange nachhallenden Bildern ist Womb auf jeden Fall ein Film, der den Zuschauer nicht ohne Konsequenzen entlässt – so oder so.



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