WOMB
Deutschland/Ungarn/Frankreich 2010
Dt. Erstaufführung: 07.04.2011
Regie: Benedek Fliegauf
Dt. Erstaufführung: 07.04.2011
Regie: Benedek Fliegauf
2010 war
ein gutes Jahr für Sylt. Auf der Insel, auf der sonst hauptsächlich
Dokumentationen und TV-Filme gedreht werden, entstanden, zumindest zum Teil, in
diesem Jahr zwei auch international vermarktete Kinofilme: Roman Polanskis Der Ghostwriter und der weniger
prestigeträchtige Womb des
ungarischen Regisseurs Benedek Fliegauf (Dealer).
Weitere Locations waren die Hallig Langeneß und St. Peter-Ording und zusammen
ergeben sie eine der größten Stärken des Films: seine atemberaubend schöne
Fotografie. Womb ist ein ungemein
pittoresker Film mit Bildern, aus denen wahlweise die raue Seeluft oder die
anheimelnde Atmosphäre eines Strandhauses den Zuschauer förmlich anspringt.
Keine Frage, Womb ist ein einziger
Augenschmaus. Inhaltlich liegt der Fall etwas anders, denn Fliegaufs Geschichte
ist alles andere als leichte Kost und man kann es wohl kaum jemanden verübeln,
wenn er vor dem Nachdenken über die Konsequenzen des Handelns zurückschreckt. Womb ist vieles, aber sicherlich nicht
nur nebenbei zu konsumieren.
Rebecca (Ruby O. Fee) ist neun
Jahre alt, Thomas (Tristan Christopher) zehn, als sie sich kennenlernen.
Rebecca besucht ihren Großvater, der wie Thomas und seine Familie in einem
kleinen Dorf an der Küste lebt. Zwischen den Kindern entwickelt sich eine zarte
Bande, eine Freundschaft, in der bereits eine tiefe Faszination für den anderen
angelegt ist. Als Rebecca wieder nach Hause fahren muss, weil ihre Mutter nach
Tokio versetzt wurde, verpasst Thomas auch noch ihre Abreise. Jahre später
kehrt sie (nun von Eva Green dargestellt) in das Dorf zurück: ihr Großvater ist
verstorben und Rebecca hat seinen Besitz inklusive der Immobilien geerbt. Es
dauert nicht lange, bis sie Thomas (Matt Smith) ausfindig gemacht hat und beide
erkennen, dass die Anziehung zwischen ihnen sofort wieder präsent ist. Während
Rebecca inzwischen als Programmiererin arbeitet, hat sich Thomas dem politisch
motivierten Aktivismus verschrieben und möchte die Eröffnungsfeier einer nah
gelegenen neuen Biotechnologiefirma sabotieren, die einen Park mit geklonten
Tieren eröffnen möchte. Auf dem Weg dahin kommt es allerdings zu einem Unfall
und Thomas stirbt. Hin und hergerissen in ihrem Schmerz über den erneuten,
schienbar endgültigen Verlust der großen Liebe, entschließt sich Rebecca
schließlich, die Möglichkeiten der Biofirma zu nutzen um Thomas zu klonen. Sie
bringt also eine exakte Kopie ihres toten Freundes auf die Welt. Doch je älter
der „neue“ Thomas wird, desto komplizierter und verwirrender wird es für
Rebecca…
Womb ist ein melancholischer Film, der Eva Greens Figur einiges
abverlangt. Ihre Rebecca ist ein gequälter Charakter, die konstante
Verweigerung allem, was sie glücklich machen könnte, inszeniert Fliegauf behutsam,
aber auch gleichermaßen schonungslos. Die Anziehung der Kinder, die noch nicht
so recht wissen, wie sie mit der Entdeckung des Seelenpartners umgehen sollen,
wird ebenso jäh beendet wie die schicksalhafte Wiedervereinigung der beiden,
bei der sich herausstellt, dass keiner den anderen je vergessen hat. Und
während Thomas sich durchaus auch den sexuellen Freuden des Lebens hingegeben
hat, hat Rebecca augenscheinlich nie den Nächstrichtigen gefunden. So liegt
über dem ganzen Prozedere auch eine unverkennbar sexuelle Spannung, die
Fliegauf aber nicht auf ungebührliche Weise einsetzt. Selbstredend sexualisiert
er nicht das Kind, das Rebecca per Kaiserschnitt auf die Welt bringt, die
Verwerfungen beginnen erst, als Thomas erwachsen und seine erste Freundin mit
nach Hause bringt.
Letztlich ist Womb ein Film über die menschliche
Identität. Ist der Thomas, den Rebecca ausgetragen hat, der Gleiche wie der,
aus dessen Erbmaterial er geklont wurde? Machen nicht erst Erfahrungen uns zu
den Menschen, die wir sind? Jagt Rebecca nur aus egoistischen Gründen dem Bild
von Thomas nach und projiziert es auf ihren Sohn? Und wo liegt ihre Identität,
wenn sie das unbändige und ja durchaus nachvollziehbare Gefühl hat, ohne den
Seelenverwandten nicht leben zu können?
Wie wichtig ist es für einen Menschen, seine Herkunft zu kennen, wie wichtig
ist es für die Gesellschaft? All diese Fragen schreien den Zuschauer förmlich
an und es ist etwas schade, dass Fliegauf manchmal etwas zu vage bleibt. Da der
Film so fantastisch aussieht, kann man sich schnell in ihm verlieren und
bemerkt gar nicht, dass Womb einige
seiner Ideen nur ungenügend verfolgt. So verläuft beispielsweise der Subplot
mit den gesellschaftlichen Vorbehalten gegenüber geklonten Menschen irgendwann
im Sande, weil sich Rebecca mitsamt Sohn schlicht aus der Situation heraus
stehlen kann. So macht es sich Womb
etwas zu einfach, auch wenn die Konzentration auf die spätere Dreiecksbeziehung
zwischen Mutter, Sohn und Freundin selbstredend
auch ihren Charme hat. Und eine finale Szene macht zwar von der Konstruktion
Sinn, weil es eine lang erwartete Katharsis für Rebecca bedeutet, fühlt sich
aber wie ein artifizieller Drehbuchkniff an. Ob ein Mensch in solch einer Situation
wirklich so reagieren würde, sei dahingestellt. Ganz zum Schluss interessiert
sich Fliegauf dann doch eher für den Effekt (der ein ganz neues Fass von
ethischen Fragen aufwirft) als für seine Charaktere.
Unterm Strich ist Womb eine faszinierende Angelegenheit,
auch wenn er sich seinen eigenen Implikationen nur ungenügend stellt. Ethik und
Moral, Gesellschaft und Persönlichkeit, Emotionen und Ratio – Womb bietet eine Fülle an Fragen und
Gedanken, die in einem ständigen Clinch liegen. Fliegauf zwingt den Zuschauer,
sich seinen Standpunkt zu suchen, lässt ihn ebenso wie Rebecca ständig oszillieren
zwischen der genuin warmherzigen Beziehung zwischen ihr und dem „alten“ Thomas,
dem Verständnis über den Verlustschmerz bis hin zum Widerstreit in der Frage,
ob die Entscheidung der Protagonistin in dieser Form vertretbar ist oder nicht.
Unterstützt von denen in ihrer Schönheit noch lange nachhallenden Bildern ist Womb auf jeden Fall ein Film, der den
Zuschauer nicht ohne Konsequenzen entlässt – so oder so.
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