ROSEMARIES BABY
(Rosemary’s Baby)
USA 1968
Dt. Erstaufführung: 17.10.1968
Regie: Roman Polanski
Dt. Erstaufführung: 17.10.1968
Regie: Roman Polanski
Die gängigste Übersetzung für das
englische Adjektiv creepy ist
gruselig, unheimlich. Das ist zwar korrekt, aber der Anglizismus beinhaltet
noch viel mehr, er beschreibt eine Atmosphäre, eine Aura, eine Spannung, die
sich nicht durch billige Effekte aufdrängt, sondern im wahrsten Sinn „unter die
Haut“ geht. Ein weiteres Wort, dem die deutschen Übersetzungen nicht ganz
Rechnung tragen können, ist eerie,
ebenfalls als unheimlich, gespenstisch zu verstehen, und auch im Englischen
sehr viel mehrdeutiger. Die englischen Worte beischreiben schlicht die Gefühle
besser, die bei Roman Polanskis Film Rosemaries
Baby aufkommen. Natürlich kann man ihn schlicht als unheimlich beschreiben,
aber die einzigartige Atmosphäre ist eben auch sehr creepy/eerie. Wenn man
ihn ansieht, wird man schnell wissen, warum die angelsächsischen Wörter den
Film besser beschreiben als ein schnödes „gruselig“: Rosemaries Baby ist ein ganz besonderer Horrorfilm, seine Aura ist
atemberaubend und – womöglich sein größter Verdienst – er verkauft den
Zuschauer nicht für dumm. Polanski weiß um das Denkvermögen seiner Zuschauer
und füttert sie ständig mit einer außerordentlich cleveren Struktur an.
Rosemarie (Mia Farrow) und ihr als Schauspieler mäßig
erfolgreicher Mann Guy (John Cassavetes) beziehen ein schickes Apartment in
einem Haus in New York City. Ihre Nachbarn sind die Castevets, Minnie (Ruth
Gordon) und Roman (Sidney Blackmer), die sich sehr schnell als ziemlich
aufdringlich erweisen. Doch als Rosemarie schwanger wird, scheint dies eine
tolerierbare Störung des Glücks zu sein, zumal Guy auf einmal zum gefragten
Akteur aufsteigt. Als sich immer mehr seltsame Ereignisse und kleine
Ungereimtheiten häufen und Rosemarie zudem heftige Schmerzen plagen, reift in
ihr der Gedanke, dass etwas in ihrem Umfeld nicht stimmen könnte. Spielen die
Castevets ein doppeltes Spiel? Oder wird Rosemarie paranoid? Und hat alles
womöglich mit ihrem ungeborenen Baby zu tun?
Wie gesagt, Rosemaries
Baby ist ein Film mit exzellenter Struktur. Der Zuschauer ist angehalten,
ständig die Indizien und die Ereignisse im Leben der sozial zunehmend
isolierteren Rosemarie zu interpretieren. Dabei achtet Polanski sorgsam darauf,
dass man die Ereignisse fast durchweg dual betrachten kann. Wenn man möchte,
kann man die Dinge, die im Umfeld der Protagonistin passieren, als Verschwörung
lesen, über fast die gesamte Laufzeit bietet der Film aber auch Raum für eine
paranoide Störung als Erklärung. Erst durch diesen Schwebezustand entsteht die
Atmosphäre des Films. Die Castevets sind distanzlos, ja, aber sind sie auch
böse, gefährlich? Ist Rosemarie Opfer einer Intrige oder „nur“ Opfer einer
schweren Schwangerschaft? Und ist das Kind wirklich das Ergebnis einer Liaison
mit einer nicht-menschlichen Entität, wie es Rosemarie träumte, oder nicht?
Besonders hier erweist sich der Film als besonders intelligent: Guy gibt zu,
mit Rosie geschlafen zu haben, als diese bewusstlos war. De facto ist dies also
Vergewaltigung in der Ehe. Hat Rosemaries Verstand daraus also den Alptraum
konstruiert, der zu den unheimlichsten Szenen der Filmgeschichte zählt? Und
sind die Spannungen zwischen ihr und Guy im Anschluss daran durch die
Sprachlosigkeit ausgelöst, die zwischen ihnen dadurch herrscht? Führt dieses
Traumata schlussendlich zu der Paranoia? Für den Erstseher dürfe Rosemaries Baby ob dieser ständigen
möglichen Doppelerklärung ein besonderes Vergnügen darstellen, wobei das
Konstrukt so stark ist, dass es auch multiple Sichtungen verträgt.
Moderne Horrorfilme können viel von Polanskis Herangehensweise
lernen. Nicht nur, dass er den Erklärungsrahmen so lange wie maximal möglich
sehr breit hält, er verzichtet auch auf größtenteils alles, was das Genre an Standards
zu bieten hat. Es gibt keine penetrante Musik, die ständig vermeidliche
Spannungsmomente ankündigt oder versucht, das Nichts zu verstärken, auch fehlen
jump scares und die Art von
unheilvollen Ankündigungen, mit denen heute kaum ein Genrefilm auszukommen
scheint. Die Handlung bewegt sich organisch dahin und verlässt sich voll und
ganz auf seine hervorragenden Darsteller. Mia Farrow hat als etwas naive, aber
sympathische Rosemarie unsere Anteilnahme und wir durchleben den Film mit ihr
anstatt nur Beobachter zu sein. Ihr geschocktes Gesicht im Finale ist ein Bild,
das sich einbrennt. John Cassavetes ist perfekt besetzt als einer der größten
Opportunisten des Kinos, Guy, und Ruth Gordon und Sidney Blackmer sind
überzeugend als alterndes Nachbarpaar, das entweder „nur“ nervig oder aktiv
gefährlich ist. Maurice Evans ist der liebenswerte Freund von Rosemarie und
Guy, Hutch.
Rosemaries Baby
ist ein Horrorfilm, von dessen Sorte man sich mehr wünscht. Hätte das Genre
nicht einen langanhaltenden, etwas ungesunden Trend zum Ausstellen von
Brutalitäten hinter sich, womöglich wäre die Gattung nicht so in Verruf
geraten. Polanski zeigt, was Horror in seinen Grundfesten ist: die Verunsicherung
des Zuschauers in seinem Realitätsbezug. Was ist real, was nicht? Wird
Rosemarie verrückt oder nicht? Ist das Gefühl des Unbehagens gerechtfertigt
oder konstruiert ihr Gehirn (und das des Zuschauers gleich mit) aus Zufällen
einen Sinnzusammenhang, der gar nicht da ist? Der Horror, der auf leisen Sohlen
daherkommt wirkt meistens länger nach als der schnelle Effekt. Kaum ein
Genrefilm illustriert dies so perfekt wie Rosemaries
Baby.
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