Montag, 17. Februar 2014

Rosemaries Baby (1968)




ROSEMARIES BABY
(Rosemary’s Baby)
USA 1968
Dt.
Erstaufführung: 17.10.1968
Regie: Roman Polanski

Die gängigste Übersetzung für das englische Adjektiv creepy ist gruselig, unheimlich. Das ist zwar korrekt, aber der Anglizismus beinhaltet noch viel mehr, er beschreibt eine Atmosphäre, eine Aura, eine Spannung, die sich nicht durch billige Effekte aufdrängt, sondern im wahrsten Sinn „unter die Haut“ geht. Ein weiteres Wort, dem die deutschen Übersetzungen nicht ganz Rechnung tragen können, ist eerie, ebenfalls als unheimlich, gespenstisch zu verstehen, und auch im Englischen sehr viel mehrdeutiger. Die englischen Worte beischreiben schlicht die Gefühle besser, die bei Roman Polanskis Film Rosemaries Baby aufkommen. Natürlich kann man ihn schlicht als unheimlich beschreiben, aber die einzigartige Atmosphäre ist eben auch sehr creepy/eerie. Wenn man ihn ansieht, wird man schnell wissen, warum die angelsächsischen Wörter den Film besser beschreiben als ein schnödes „gruselig“: Rosemaries Baby ist ein ganz besonderer Horrorfilm, seine Aura ist atemberaubend und – womöglich sein größter Verdienst – er verkauft den Zuschauer nicht für dumm. Polanski weiß um das Denkvermögen seiner Zuschauer und füttert sie ständig mit einer außerordentlich cleveren Struktur an.

Rosemarie (Mia Farrow) und ihr als Schauspieler mäßig erfolgreicher Mann Guy (John Cassavetes) beziehen ein schickes Apartment in einem Haus in New York City. Ihre Nachbarn sind die Castevets, Minnie (Ruth Gordon) und Roman (Sidney Blackmer), die sich sehr schnell als ziemlich aufdringlich erweisen. Doch als Rosemarie schwanger wird, scheint dies eine tolerierbare Störung des Glücks zu sein, zumal Guy auf einmal zum gefragten Akteur aufsteigt. Als sich immer mehr seltsame Ereignisse und kleine Ungereimtheiten häufen und Rosemarie zudem heftige Schmerzen plagen, reift in ihr der Gedanke, dass etwas in ihrem Umfeld nicht stimmen könnte. Spielen die Castevets ein doppeltes Spiel? Oder wird Rosemarie paranoid? Und hat alles womöglich mit ihrem ungeborenen Baby zu tun?

Wie gesagt, Rosemaries Baby ist ein Film mit exzellenter Struktur. Der Zuschauer ist angehalten, ständig die Indizien und die Ereignisse im Leben der sozial zunehmend isolierteren Rosemarie zu interpretieren. Dabei achtet Polanski sorgsam darauf, dass man die Ereignisse fast durchweg dual betrachten kann. Wenn man möchte, kann man die Dinge, die im Umfeld der Protagonistin passieren, als Verschwörung lesen, über fast die gesamte Laufzeit bietet der Film aber auch Raum für eine paranoide Störung als Erklärung. Erst durch diesen Schwebezustand entsteht die Atmosphäre des Films. Die Castevets sind distanzlos, ja, aber sind sie auch böse, gefährlich? Ist Rosemarie Opfer einer Intrige oder „nur“ Opfer einer schweren Schwangerschaft? Und ist das Kind wirklich das Ergebnis einer Liaison mit einer nicht-menschlichen Entität, wie es Rosemarie träumte, oder nicht? Besonders hier erweist sich der Film als besonders intelligent: Guy gibt zu, mit Rosie geschlafen zu haben, als diese bewusstlos war. De facto ist dies also Vergewaltigung in der Ehe. Hat Rosemaries Verstand daraus also den Alptraum konstruiert, der zu den unheimlichsten Szenen der Filmgeschichte zählt? Und sind die Spannungen zwischen ihr und Guy im Anschluss daran durch die Sprachlosigkeit ausgelöst, die zwischen ihnen dadurch herrscht? Führt dieses Traumata schlussendlich zu der Paranoia? Für den Erstseher dürfe Rosemaries Baby ob dieser ständigen möglichen Doppelerklärung ein besonderes Vergnügen darstellen, wobei das Konstrukt so stark ist, dass es auch multiple Sichtungen verträgt.

Moderne Horrorfilme können viel von Polanskis Herangehensweise lernen. Nicht nur, dass er den Erklärungsrahmen so lange wie maximal möglich sehr breit hält, er verzichtet auch auf größtenteils alles, was das Genre an Standards zu bieten hat. Es gibt keine penetrante Musik, die ständig vermeidliche Spannungsmomente ankündigt oder versucht, das Nichts zu verstärken, auch fehlen jump scares und die Art von unheilvollen Ankündigungen, mit denen heute kaum ein Genrefilm auszukommen scheint. Die Handlung bewegt sich organisch dahin und verlässt sich voll und ganz auf seine hervorragenden Darsteller. Mia Farrow hat als etwas naive, aber sympathische Rosemarie unsere Anteilnahme und wir durchleben den Film mit ihr anstatt nur Beobachter zu sein. Ihr geschocktes Gesicht im Finale ist ein Bild, das sich einbrennt. John Cassavetes ist perfekt besetzt als einer der größten Opportunisten des Kinos, Guy, und Ruth Gordon und Sidney Blackmer sind überzeugend als alterndes Nachbarpaar, das entweder „nur“ nervig oder aktiv gefährlich ist. Maurice Evans ist der liebenswerte Freund von Rosemarie und Guy, Hutch.

Rosemaries Baby ist ein Horrorfilm, von dessen Sorte man sich mehr wünscht. Hätte das Genre nicht einen langanhaltenden, etwas ungesunden Trend zum Ausstellen von Brutalitäten hinter sich, womöglich wäre die Gattung nicht so in Verruf geraten. Polanski zeigt, was Horror in seinen Grundfesten ist: die Verunsicherung des Zuschauers in seinem Realitätsbezug. Was ist real, was nicht? Wird Rosemarie verrückt oder nicht? Ist das Gefühl des Unbehagens gerechtfertigt oder konstruiert ihr Gehirn (und das des Zuschauers gleich mit) aus Zufällen einen Sinnzusammenhang, der gar nicht da ist? Der Horror, der auf leisen Sohlen daherkommt wirkt meistens länger nach als der schnelle Effekt. Kaum ein Genrefilm illustriert dies so perfekt wie Rosemaries Baby.



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