ARGO
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 08.11.2012
Regie: Ben Affleck
Dt. Erstaufführung: 08.11.2012
Regie: Ben Affleck
Der Ausspruch „Basierend auf einer
wahren Begebenheit“ wird im Filmgeschäft geradezu inflationär gebraucht. So
sehr, dass er seine Glaubwürdigkeit zusehends verspielt. Denn wenn er zuträfe,
könnte man nicht mehr vor die Tür treten, ohne einer paranormalen Erscheinung
oder einem wahnsinnigen Massenmörder gegenüberzustehen, deren Taten
anschließend in einem Film „basierend auf wahren Begebenheiten“ dramatisiert
werden. Bei Argo liegen die Dinge
etwas anders. Er ist er nicht dem Horrorgenre zuzuordnen, welches sich
überproportional auf angebliche Tatsachen stützt, sondern ein Thriller, der
sich zwar einige Freiheiten bei der Erzählung seiner im Kern wahren Geschichte
genehmigt, als fiktionalisierte Version einer Story, die so abgehoben ist, dass
sie wahr sein muss, aber hervorragend funktioniert. Man könnte sogar so weit
gehen, dass die Historie in Argo
besser funktioniert als die Realität, bietet der Film doch einige
Möglichkeiten, auch Dinge über den eigentlichen Inhalt hinaus zu kommentieren.
Ende 1979 fordert der im Zug der Islamischen Revolution
eingesetzte Ayatollah Khomeini die Auslieferung des vorherigen Machthabers
Mohammad Reza Schah Pahlavi, der sich zur Behandlung seiner Krebserkrankung
(und aus Angst vor der Wut des Volkes) in den USA aufhält. Als sich die
US-Regierung weigert, der Forderung nachzukommen, stürmen aufgebrachte Menschen
die amerikanische Botschaft in Teheran und nehmen 52 Menschen als Geiseln.
Sechs Botschaftsmitglieder können allerdings entkommen und finden im Haus des
kanadischen Botschafters Unterschlupf. Als man davon in den USA Kenntnis
erlangt, ist die Ratlosigkeit groß, wie man zumindest den sechs Entkommenden
schnell beistehen kann. Während ein Eingreifen in der Botschaft aufgrund der
vielen anwesenden Personen nicht praktikabel ist und diplomatisch gelöst werden
muss, besteht für die anderen zumindest die Chance, das Land frühzeitig zu
verlassen. CIA-Mann Tony Mendez (Ben Affleck) entwickelt schließlich einen
irrsinnigen Plan. Mit Hilfe der beiden altgedienten Hollywoodgrößen John
Chambers (John Goodman), Maskenbildner und Lester Siegel (Alan Arkin),
(fiktionale) Regielegende fingiert er einen Film namens „Argo“, ein Krieg der Sterne-Rip-Off, für dessen
benötigte exotische Kulissen man sich auch im Iran umsehen möchte. Mit
gefälschten Pässen sollen die Geflohenen dann als Teil eines vorgegebenen
kanadischen Filmteams an Mendez‘ Seite das Land verlassen…
Argo ist
spannender als die Realität es wohl war. So kam es nie zu dem im Film gezeigten
Showdown am Teheraner Flughafen. Weder war die Tarnung in Gefahr, noch
versuchten Revolutionswächter, das Flugzeug im letzten Moment aufzuhalten. Im
Gegenteil, bei der Aktion um 5:30 Uhr morgens waren die Wächter noch genauso
müde wie das gefakte Filmteam und winkten sie einfach durch. Doch warum sollen
die schnöden Fakten einer guten Geschichte im Weg stehen? Denn auch wenn
Hardcore-Puristen die Fiktionalisierung bemängeln mögen, Argo versteht es trotzdem, ein geradezu altmodischer und dadurch
auch nicht aufgeblasener Film zu werden. Regisseur Ben Affleck vermag es, sich
mehr auf Situationen und auf innere Spannung zu verlassen, anstatt die Dinge zu
einem unglaubwürdigen Ganzen aufzublasen. Die Rettungsaktion findet
dementsprechend schnell statt, es gibt nicht unzählige Momente des Fast-Auffliegens
und das Stürmen der Rollbahn durch die Revolutionswächter ist innerhalb des
Films logisch nachvollziehbar und auch nicht übertrieben dargestellt. Es dient
der Spannungssteigerung und auf diesem Gebiet ist Argo nahezu perfekt inszeniert.
Wie zu erwarten war, kam natürlich auch dieser Film nicht
ohne spezielle Kritik davon. Der Iran empörte sich ob der Darstellung der
Iraner, Neuseeland war sauer weil im Film kurz erwähnt wird, dass ihre
Botschaft den Geflohenen angeblich den Unterschlupf verweigerte. Ben Affleck
wurde angekreidet, dass er sich selbst als Tony Mendez besetzte und keinen
hispanischen Schauspieler castete, ist der reelle Mendez doch Halb-Mexikaner.
Dies führte zu der amüsanten Reaktion eben jenes reellen Mendez‘, der zu
Protokoll gab, sich gar nicht als Halb-Mexikaner zu fühlen und sich deshalb an
der Besetzung Afflecks auch nicht zu stören. Insgesamt war und ist der Tenor
aber recht moderat, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass es weitaus
schlimmere Darstellungen von Iranern im westlichen Mainstreamkino gibt (300). Argo bleibt zwar bei seinen westlichen Figuren, bringt durch die
iranische Haushälterin in der kanadischen Botschaft allerdings ein weiteres
Element mit ein, so dass die Iraner nicht gänzlich als Mob dastehen. Zudem
bekennt sich der Film durchaus zu einer Amerika-kritischen Haltung,
verschleiert er doch in seinem (wichtigen) Prolog nicht die üblen Machenschaften,
die in letzter Konsequenz zu den Ereignissen der Handlung führten. Argo stellt klar, dass es nicht zu der
Situation in der Botschaft gekommen wäre, wenn sich die US-Außenpolitik in entscheidenden
Fragen und Situation anders verhandelt hätte. So sind diejenigen Iraner, die im
Film als Antagonisten gezeichnet sind, auch Ausdruck einer direkten Mitschuld.
Neben dem naturgegeben starken politischen Aspekt ist Argo auch ein subtiler Kommentar zur
Macht des Kinos. Nicht nur dass der Film als solches Politik und Geschichte
spannend und unterhaltsam aufarbeitet und durchaus das Zeug hat, politisches
Interesse, gerade im Hinblick auf neuerliche Konflikte zwischen USA und dem
Iran, zu entfachen, auch innerhalb der Handlung finden sich Elemente, die von
Liebe zum Film zeugen. In einer Pressekonferenz, in der „Argo“ der Presse
vorgestellt wird und Cast und Crew die Geschichte in Kostümen quasi als
Hörspiel inszenieren, schneidet der Film dies mit Bildern aus der Botschaft
zusammen, wo die Moral der Geiseln durch fingierte Erschießungen zermürbt wird.
Der eine Schwindel trifft auf den anderen, der grausamen Realität wird der
eskapistische Reiz eines Science-Fiction-Märchens gegenübergestellt, und sei es
noch so trashig. Argo wird so zu einem
Statement, warum wir Kino, warum wir Filme brauchen. Es ist geradezu spitzbübisch,
dass Afflecks Film den Flucht-Effekt des Kinos mit der dramatisierten Version
einer realen Flucht koppelt und dass das Endergebnis dann auch noch so sehenswert
ist.
Argo ist nicht
ohne Schwächen, beispielsweise erfahren wir deprimierend wenig über die
Botschaftsmitarbeiter und ihre Charaktere außerhalb von einigen lauwarmen
Stichworten, aber insgesamt gelingt es Affleck, viele der weniger
funktionierenden und schlicht klischeehaften Bausteine durch seine souveräne
Regie vergessen zu machen. Argo ist
hervorragendes Kino: clever erzählt, spannend aufbereitet und mit einiger
Relevanz ausgestattet.
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