NACHTZUG NACH LISSABON
(Night Train to Lisbon)
Deutschland/Schweiz/Portugal 2013
Dt. Erstaufführung: 07.03.2013
Regie: Bille August
Dt. Erstaufführung: 07.03.2013
Regie: Bille August
Wenn ich als Genreangabe „Literaturverfilmung“
angeben würde, würden sich dort wahrscheinlich fast alle besprochenen Filme
wiederfinden. Manchmal bekommt man den Eindruck, Film als Medium benötigt
geradezu eine literarische Vorlage, ob als Legitimation oder als schiere
Versicherung, dass zumindest die Leser des Buches den Film ansehen werden.
Beide Vorstellungen sind nicht schmeichelhaft. Nachtzug nach Lissabon basiert auf dem Roman von Pascal Mercier,
auf den ich hier nicht eingehen kann, weil ich ihn nicht gelesen habe. Dennoch
haftet der Verfilmung von Regisseurin Bille August und Geld aus halb Europa
etwas zutiefst romanhaftes an, was nicht als Kompliment gemeint ist. Man spürt,
dass das Buch der verwobenen Geschichte besser gerecht wird als die 107 Minuten
Lauflänge. Als Film kommt Nachtzug nach
Lissabon niemals wirklich zu einer eigenständigen Existenz.
Raimund Gregorius (Jeremy Irons) ist ein guter, aber auch
ausgebrannter Lehrer in der Schweiz. Er leidet unter Schlaflosigkeit, ist
geschieden und spielt morgens mit sich selbst Schach. Als er eines Morgens
durch den strömenden Regen zur Arbeit geht, sieht er eine junge Frau (Sarah
Bühlmann) auf einer Brücke stehen, bereit, sich in den Fluss zu stürzen.
Gregorius rettet sie, nimmt sie mit in die Schule, doch schon nach kurzer Zeit
macht sich die Geheimnisvolle wieder auf den Weg und vergisst dabei ihren
Mantel. Entrückt folgt ihr der Lehrer, findet in ihrer Tasche ein kleines Buch
des portugiesischen Autors Amadeu de Prado und eine Zugfahrkarte nach Lissabon,
ausgestellt für einen in 15 Minuten abfahrenden Zug. Gregorius begibt sich zum
Bahnsteig, findet die Frau nicht vor und beschließt, die Karte für sich selbst
zu nutzen. Ausbrechend aus seiner Alltagsroutine macht sich Gregorius auf den
Weg nach Lissabon, um den Autor des Buches zu finden, dessen Lektüre ihn
unendlich fasziniert. In Portugal begibt er sich auf die Suche, die ihn näher
an die Vergangenheit der Salazar-Diktatur und ihrer Akteure bringt…
Nachtzug nach Lissabon
besteht aus zwei Erzählsträngen, die über die Charaktere verbunden sind. Zum
einen Gregorius‘ Suche in der Gegenwart, zum anderen die Geschichte von Amadeu
de Prado und seinen Mitstreitern und Gegner im Widerstand gegen die Diktatur.
Beide Stränge schaffen es nicht, sich vollends zu entfalten, zu viel möchte der
Film in zu kurzer Zeit unterbringen. So springt der Film von einer Ebene zur
nächsten, lässt den Zuschauer trotz des ruhigen Duktus nirgends in Ruhe ankommen
und verlangt ihm auch noch erstaunlich viel suspension
of disbelief ab. Gregorius‘ Suche läuft schlicht zu glatt, die ihm
begegnenden Akteure sind eine Spur zu bereitwillig, ihm alles, auch sehr
persönliche Dinge, zu erzählen. Man darf nicht vergessen, dass Gregorius ein
verhuschter Lehrer ist, kein Journalist, kein Autor, kein Regisseur, der ein
anderes Interesse an der Geschichte hat als eine simple Möglichkeit, aus seinem
langweiligen Alltag auszubrechen. Man kann dies damit entschuldigen, dass
gerade sein privates Interesse eine Vertrauensbasis schafft, aber dieser
Erklärungsansatz fällt schon etwas schwer.
Handwerklich ist Nachtzug
nach Lissabon ein sehr sinnlicher Film, mit schönen Bildern und einer
gewissen „visuellen Haptik“. Wenn Gregorius in dem Buch blättert, hat man das
Gefühl, selbst die Seiten umzublättern und das Papier zu spüren. Sogar der
recht einfache Gegensatz von Bern und Lissabon in punkto Gestaltung (Bern ist
regnerisch und düster, Lissabon sonnig und einladend) funktioniert. Auch die
szenenweise aufgebaute innere Spannung verleiht dem Film einen gewissen Flair,
den er auf der inhaltlichen Ebene nicht erreichen kann. Immer mal wieder gibt
es Anflüge von großen Kinomomenten (Amadeus Rede in der Kirche), aber insgesamt
bleibt der Film verstockt. Nochmals, es besteht kein Zweifel daran, dass
Merciers Roman sehr viel besser funktionieren dürfte als der ins cineastische
Korsett gezwängte und nicht entsprechend aufbereitete Film.
Als europäische Koproduktion steckt Nachtzug nach Lissabon zudem voller Kuriositäten. Jeremy Irons ist
gegen den Strich besetzt, was dem Film gut tut. Dann aber taucht auch noch Christopher
Lee auf und man muss die ganze Zeit an Dracula und Count Dooku denken. Für die
Befriedung der deutschen Geldgeber sind Martina Gedeck, August Diehl und Bruno
Ganz dabei. Man merkt dem Film an, dass jeder, der etwas zur Finanzierung
beisteuerte, auch künstlerisch ein Mitspracherecht haben wollte, was den Film
zusätzlich unkonzentriert wirken lässt. Ich habe inzwischen erfahren, dass
diese Art des aus vielen Einzelteilen zusammengesetzten europäischen Films
Europudding genannt wird. Ein passendes Bild: die meisten Puddings schmecken
okay, sind aber in ihrer Belanglosigkeit extrem schnell wieder vergessen. Nachtzug nach Lissabon ist ein
Filmpudding: hübsch anzusehen, aber durch seine beliebige Regie und die heillos
überfrachtete Geschichte auch schnell wieder aus dem Gedächtnis verschwunden.
Immerhin, das Ende hält eine wirklich sehr schöne Szene parat. Schade, dass
Momente wie dieser so vergleichsweise rar gesät sind.
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