Mittwoch, 9. Oktober 2013

Heute bin ich blond (2013)




HEUTE BIN ICH BLOND
Deutschland/Belgien 2013
Dt. Erstaufführung: 28.03.2013
Regie: Marc Rothemund

Heute bin ich blond hätte auch ganz anders werden können, ein melodramatisches Stück Gefühlsdusel-Kinos, das glaubt, uns darüber belehren zu müssen, wie schlimm eine Krebserkrankung ist. Doch dank der souveränen Regie von Marc Rothemund (Sophie Scholl – Die letzten Tage) und vor allem durch die rundherum perfekten, glaubwürdigen Darsteller bleibt dem auf dem autobiografischen Roman von Sophie van der Strap basierenden Film das Schicksal eines besseren ARD-Freitagsfilms erspart. Dies ist großes, kleines Kino.

Sophie Ritter (Lisa Tomaschewsky) ist 21 Jahre alt, hat gerade ihr Studium begonnen, träumt von gutem Sex mit netten Typen und einer WG mit der besten Freundin. Nachdem ein lästiger Husten über Monate nicht verschwindet, wendet sie sich an einen Spezialisten, der einen höchst seltenen, inoperablen Krebstumor in ihrer Lunge feststellt. Sophie muss eine Chemotherapie und eine Bestrahlung über sich ergehen lassen, die natürlich auch zum Ausfall ihrer Haare führen. Doch mithilfe von neun unterschiedlichen Perücken trotz sie der Krankheit eine positive Seite ab: jede Haarfarbe bedeutet eine neue Rolle, in die Sophie schlüpft, sei es die Partygängerin, die Geheimnisvolle, die Draufgängerin. Die Autonomie, die sie damit erreicht, hilft ihr, die quälende Unsicherheit zu überstehen, die sich zwischen den Untersuchungen breit macht, schließlich kann ihr niemand garantieren, dass die Behandlungen auch wirklich anschlagen…

Die Balance, die Heute bin ich blond hält, ist unglaublich. Einerseits der Prämisse entsprechend dramatisch und emotional involvierend, auf der anderen Seite mitunter so ehrlich witzig, dass die Genreeinteilung Komödie keine Überhöhung darstellt. In beiden Gebieten geben die Darsteller alles, vor allem Tomaschewsky als Sophie und Alice Dwyer und Peter Prager als Eltern sind herausstechend. Es gelingt ihnen, die Dynamik einer gut situierten, aber nicht übermäßig wohlhabenden Familie mit wenigen, wohl platzierten Blicken, Gesten und Worten perfekt auf den Punkt zu bringen. So ist man als Zuschauer ganz bei Prager, der bei der Eröffnung der Diagnose als Vater in Tränen ausbricht, aber auch, wenn er sich vollkommen in die Krebsmaterie einliest und dem behandelnden Arzt mit seinen Nachfragen auf die Nerven geht. Und Dwyer macht die erste Perückenanprobe zum Ereignis, wenn ihr ob der Hässlichkeit des Fetzens auf dem Kopf ihrer Tochter alles aus dem Gesicht fällt, dann aber in mütterlicher Vernunft sich zu einem „So schlecht ist die doch gar nicht“ durchringt. Auch die Dynamik im Krankenhaus aus distanzierten Ärzten und aufopferungsvollen Pflegepersonal erhält durch die natürlich agierenden Darsteller die nötige realistische Erdung, ohne dass Rothemund und seine Drehbuchautorin Kati Eyssen der schwarz/weiß-Malerei anheimfallen würden.

Natürlichkeit ist ohnehin eins der großen Schlagworte des Films. Nur selten bricht die Illusion, etwa wenn Sophie unmotiviert auf einen kleinen, ebenfalls an Krebs erkrankten Jungen (Chiron Elias Krase) trifft und dieser so weise Sprüche klopft, die sich aus dem Mund eines Kindes nur nach Script anhören können. Ansonsten ist Heute bin ich blond bemerkenswert realistisch, die Figuren benehmen sich wie richtige Personen und nicht wie Charaktere, die nur in Drehbüchern existieren können und sagen dabei erfrischend unprätentiöse Dialoge auf. Auch die Darstellung von Sophie vor der Erkrankung hätte leicht danebengehen können, hätte man den Teenager-Hedonismus als etwas Schlechtes dargestellt, dem der Krebs quasi Einhalt gewähren muss. Doch Rothemund wertet nicht, auch wenn sein Film natürlich auch eine Coming-of-Age-Geschichte ist, die der verlängerten Ausbildungszeit Rechnung trägt (Sophie ist 21 und nicht etwa 17). Die Sophie am Ende des Films ist eine andere als zu Beginn, aber der Krebs wird weniger als Stein im Weg wahrgenommen denn als Umweg, an dessen Ende auch „nur“ die üblichen Erkenntnisse der Erwachsenwerdens stehen. So sind auch die Perücken letztlich nur eine Phase, die zum Finden der eigenen Identität wichtig war. Der Grundtenor ist stets optimistisch, ohne dass dies aufgesetzt wirkt. So ist der Krebs einerseits die Schilderung der realen Erkrankung von Sophie van der Strap, im filmischen Kontext andererseits auch eine interessante Metapher für das Erwachsenwerden und die manchmal unüberwindbar erscheinenden Hindernisse, die es zu umschiffen gilt. Man überlebt so vieles, dass sich diese Erkenntnis immer erst hinterher als solche erkennen lässt, darin liegt gleichzeitig Tragik und Hoffnung. Beide Elemente halten Heute bin ich blond zusammen. So wird sogar eine zunächst als plakativ empfundene Silvesterparty zu Beginn des Films zu einer sinnvollen Klammer, wenn Rothemund sein Werk auch mit einer, ganz unterschiedlich von den Protagonisten empfundenen Party ein Jahr später enden lässt. Heute bin ich blond ist ein kluger, ein warmherziger Film.



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