HEUTE BIN ICH BLOND
Deutschland/Belgien 2013
Dt. Erstaufführung: 28.03.2013
Regie: Marc Rothemund
Deutschland/Belgien 2013
Dt. Erstaufführung: 28.03.2013
Regie: Marc Rothemund
Heute
bin ich blond hätte auch ganz anders werden können, ein melodramatisches
Stück Gefühlsdusel-Kinos, das glaubt, uns darüber belehren zu müssen, wie
schlimm eine Krebserkrankung ist. Doch dank der souveränen Regie von Marc
Rothemund (Sophie Scholl – Die letzten
Tage) und vor allem durch die rundherum perfekten, glaubwürdigen Darsteller
bleibt dem auf dem autobiografischen Roman von Sophie van der Strap basierenden
Film das Schicksal eines besseren ARD-Freitagsfilms erspart. Dies ist großes,
kleines Kino.
Sophie Ritter (Lisa Tomaschewsky) ist 21 Jahre alt, hat
gerade ihr Studium begonnen, träumt von gutem Sex mit netten Typen und einer WG
mit der besten Freundin. Nachdem ein lästiger Husten über Monate nicht
verschwindet, wendet sie sich an einen Spezialisten, der einen höchst seltenen,
inoperablen Krebstumor in ihrer Lunge feststellt. Sophie muss eine
Chemotherapie und eine Bestrahlung über sich ergehen lassen, die natürlich auch
zum Ausfall ihrer Haare führen. Doch mithilfe von neun unterschiedlichen
Perücken trotz sie der Krankheit eine positive Seite ab: jede Haarfarbe
bedeutet eine neue Rolle, in die Sophie schlüpft, sei es die Partygängerin, die
Geheimnisvolle, die Draufgängerin. Die Autonomie, die sie damit erreicht, hilft
ihr, die quälende Unsicherheit zu überstehen, die sich zwischen den
Untersuchungen breit macht, schließlich kann ihr niemand garantieren, dass die
Behandlungen auch wirklich anschlagen…
Die Balance, die Heute
bin ich blond hält, ist unglaublich. Einerseits der Prämisse entsprechend
dramatisch und emotional involvierend, auf der anderen Seite mitunter so
ehrlich witzig, dass die Genreeinteilung Komödie keine Überhöhung darstellt. In
beiden Gebieten geben die Darsteller alles, vor allem Tomaschewsky als Sophie
und Alice Dwyer und Peter Prager als Eltern sind herausstechend. Es gelingt
ihnen, die Dynamik einer gut situierten, aber nicht übermäßig wohlhabenden
Familie mit wenigen, wohl platzierten Blicken, Gesten und Worten perfekt auf
den Punkt zu bringen. So ist man als Zuschauer ganz bei Prager, der bei der
Eröffnung der Diagnose als Vater in Tränen ausbricht, aber auch, wenn er sich
vollkommen in die Krebsmaterie einliest und dem behandelnden Arzt mit seinen
Nachfragen auf die Nerven geht. Und Dwyer macht die erste Perückenanprobe zum
Ereignis, wenn ihr ob der Hässlichkeit des Fetzens auf dem Kopf ihrer Tochter
alles aus dem Gesicht fällt, dann aber in mütterlicher Vernunft sich zu einem
„So schlecht ist die doch gar nicht“ durchringt. Auch die Dynamik im
Krankenhaus aus distanzierten Ärzten und aufopferungsvollen Pflegepersonal
erhält durch die natürlich agierenden Darsteller die nötige realistische
Erdung, ohne dass Rothemund und seine Drehbuchautorin Kati Eyssen der
schwarz/weiß-Malerei anheimfallen würden.
Natürlichkeit ist ohnehin eins der großen Schlagworte des
Films. Nur selten bricht die Illusion, etwa wenn Sophie unmotiviert auf einen
kleinen, ebenfalls an Krebs erkrankten Jungen (Chiron Elias Krase) trifft und
dieser so weise Sprüche klopft, die sich aus dem Mund eines Kindes nur nach
Script anhören können. Ansonsten ist Heute
bin ich blond bemerkenswert realistisch, die Figuren benehmen sich wie
richtige Personen und nicht wie Charaktere, die nur in Drehbüchern existieren
können und sagen dabei erfrischend unprätentiöse Dialoge auf. Auch die Darstellung
von Sophie vor der Erkrankung hätte leicht danebengehen können, hätte man den
Teenager-Hedonismus als etwas Schlechtes dargestellt, dem der Krebs quasi
Einhalt gewähren muss. Doch Rothemund wertet nicht, auch wenn sein Film
natürlich auch eine Coming-of-Age-Geschichte ist, die der verlängerten
Ausbildungszeit Rechnung trägt (Sophie ist 21 und nicht etwa 17). Die Sophie am
Ende des Films ist eine andere als zu Beginn, aber der Krebs wird weniger als
Stein im Weg wahrgenommen denn als Umweg, an dessen Ende auch „nur“ die
üblichen Erkenntnisse der Erwachsenwerdens stehen. So sind auch die Perücken
letztlich nur eine Phase, die zum Finden der eigenen Identität wichtig war. Der
Grundtenor ist stets optimistisch, ohne dass dies aufgesetzt wirkt. So ist der
Krebs einerseits die Schilderung der realen Erkrankung von Sophie van der
Strap, im filmischen Kontext andererseits auch eine interessante Metapher für das
Erwachsenwerden und die manchmal unüberwindbar erscheinenden Hindernisse, die
es zu umschiffen gilt. Man überlebt so vieles, dass sich diese Erkenntnis immer
erst hinterher als solche erkennen lässt, darin liegt gleichzeitig Tragik und
Hoffnung. Beide Elemente halten Heute bin
ich blond zusammen. So wird sogar eine zunächst als plakativ empfundene Silvesterparty
zu Beginn des Films zu einer sinnvollen Klammer, wenn Rothemund sein Werk auch
mit einer, ganz unterschiedlich von den Protagonisten empfundenen Party ein
Jahr später enden lässt. Heute bin ich
blond ist ein kluger, ein warmherziger Film.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen