THE WAVE – DIE TODESWELLE
(Bølgen)
Norwegen 2015
Dt.
Erstaufführung: 24.02.2016 (DVD-Premiere)
Regie: Roar
Uthaug
Der tief ins
Festland reichende Geirangerfjord ist eine der größten Touristenattraktionen
Norwegens. In der Hauptsaison wird der kleine Ort ständig von
Kreuzfahrtschiffen belagert, aus deren Innern sich Ströme von Besuchern
ergießen, die mit Bussen die schmalen Straßen hinauf gekarrt werden, um von den
Aussichtsplattformen ein Foto von ihrem unten im Fjord liegenden Schiff zu schießen. Der
Campingplatz des Ortes bietet Wohnmobilfahrern VIP-Plätze mit Blick auf das
Schiffspektakel an und aus eigener Anschauung weiß ich, dass eine der
Hauptsorgen der Kreuzfahrer ist, ob nach den Ausflügen denn noch genug Zeit
bleibt, um im großzügigen Souvenirshop etwas Geld unters Volk zu bringen. Die
fantastische Natur, die sich, wie so oft in Norwegen, in ihrer vollen,
atemberaubenden Schönheit erst abseits der Straßen erschließt, scheint hier nur
Staffage zu sein. Geiranger ist ein hübscher, aber auch seltsamer Ort. Und er
ist akut gefährdet, sind sich Geologen doch einig, dass eine der
beeindruckenden Felsformationen irgendwann abbrechen und in den Fjord stürzen
wird. Die damit ausgelöste Flutwelle könnte verheerende Folgen haben und es
wäre nicht das erste Mal, dass Norwegen von solch einer Naturkatstrophe
heimgesucht werden würde. Kurzum, es ist das perfekte Setting für den ersten
Katastrophenfilm des Landes, der bei allen genrekonformen Elementen und
ziemlich unecht aussehendem CGI-Wasser auf einer unterhaltsamen Ebene besser
ist, als man erwarten durfte (auch wenn das Poster ein Kreuzfahrtschiff
verspricht, dieses aber nicht im Film vorkommt). The Wave, in Deutschland direkt auf Heimmedien gewandert und mit
einem Untertitel versehen, der auch dem letzten Zuschauer verständlich macht,
um was es geht, ist all das, was man von einem Film dieses Kalibers erwartet,
nur mit weniger cheese als seine
US-amerikanischen Cousins.
Für den leicht
zerstreuten Geologen Kristian (Kristoffer Joner) und seine Familie, die
Hotelmanagerin Idun (Ana Dahl Torp) und die Kinder Sondre (Jonas Hoff Ostebro)
und Julia (Edith Haggenrud-Sande) steht der Abschied von Geiranger bevor. Nach
Jahren als Mitarbeiter des örtlichen Überwachungsteams für die gefährdeten Felsformationen
rund um den Fjord wurde er von der Ölindustrie abgeworben, der Umzug nach
Stavanger steht kurz zuvor. Doch in der letzten Nacht im Ort passiert das, was
lange prognostiziert wurde: die Felsen geben nach, krachen in den Fjord und
jagen einen viele Meter hohen Tsunami Richtung Geiranger. Nach dem Alarm
bleiben Kristian nur zehn Minuten, um sich, seine Familie und möglichst viele
weitere Menschen auf eine sichere Höhe zu bringen. Doch kann man den Wettlauf
mit einer Naturgewalt überhaupt gewinnen?
The Wave gelingt es schnell, Sympathien
für seine Figuren zu generieren. Kristian ist kein Nerd, wie ihn Hollywood
produzieren würde. Er überlässt zwar seiner Frau die handwerklichen Aufgaben im
Haushalt (auch ein Ausdruck der selbstverständlichen Gleichberechtigung in
Norwegen) und geht vor allem in seinem Metier auf, aber er verhält sich wie ein
normaler, liebenswerter Mensch und nicht wie eine trottelige Karikatur. Die
Kinder verhalten sich ebenso wie normale Kinder, die Beziehung der Erwachsenen
ist auf eine Art gewöhnlich wie sie im Kontext des Genres geradezu erfrischend
daherkommt. Auch werden unserem Protagonisten nicht umständlich behördliche
oder zwischenmenschliche Steine in den Weg gelegt, wenn er die Katastrophe
prophezeit geht niemand großspurig über ihn hinweg oder ein bornierter
Bürgermeister fürchtet um ein anstehendes Fest. Kristian ist lediglich
vorsichtiger als andere und auch dies trägt dazu bei, dass The Wave sich nicht im Netz seiner offensichtlichen Vorbilder
verheddert. Hier ist alles etwas gesetzter, unaufgeregter, menschlicher.
So kann man mit
den Charakteren durch die Handlung wandern und auch deren Dramaturgie
mittragen, die sich bei aller zwischenmenschlichen Liebe natürlich nicht von
der üblichen Drei-Akt-Struktur unterscheidet: Nach dem Setup kommt die
Katstrophe und dann die Rettung. In jedem Akt gibt es etwas, dass den Film
sehenswert macht, besonders hervorzuheben ist eine wahrlich gespenstische Szene
gegen Ende, die sich ebenso gegen die üblichen Klischees stemmt wie die Figurenzeichnung
und die einen Bus involviert.
Das Herzstück des
Films, die hereinbrechende Katstrophe, wird erstaunlicherweise zur Zäsur für den
in seinem Entstehungsland ziemlich erfolgreichen Film. Mit der nötigen
emotionalen Nähe kann das Adrenalin hier wirklich fließen, wer mehr darauf
achtet, wie schwer es immer noch ist, glaubwürdiges Wasser im Computer
entstehen zu lassen, der wird womöglich mehr amüsiert sein. Die monströse
Naturkraft sieht gerade bei ihrem ersten Shot genauso aus – wie ein Monster,
dem die Animatoren gar nicht genug Wirbel, Wellen und Schaumkronen geben
konnten. Wahrscheinlich sollte man froh sein, dass die Welle nicht auch noch
ein Löwengebrüll anstimmt wie der Wirbelsturm in Twister. Die eigentliche Zerstörung Geirangers ist dann kurz,
heftig, trotz CGI-Wassers besser gelungen und auch das Bild, wie sich die
Wassermassen um eine Fjordbiegung schieben, ist Stoff für Alpträume. In der
Logik des Geschehens gibt es zudem nicht unzählige Nachkatastrophen, die Welle
trifft, zerstört und hat ihr Werk damit getan.
The Wave ist kein überragender Film und
wirklich verwundert darüber, warum er hierzulande nur auf Heimmedien erschien,
ist wohl auch niemand. Aber er hat – und das ist bei Katastrophenfilmen kein
Standard – das Herz am rechten Fleck. Tiefenanalytisch ist es wohl konservativ,
eine generische Familie in den Mittelpunkt zu stellen und darüber hinaus alle
anderen Charaktere ein Stück weit zu negieren, aber eben weil der Film so
unangestrengt dabei ist, uns Kristian und die Seinen als beachtenswert zu
verkaufen, verdient er Respekt. Kann das Spektakel mitunter unfreiwillig
komisch wirken? Ja. Zieht der Film im dritten Akt ein paar klischeehafte
Register zu viel? Auf jeden Fall. Wartet er mit mehr Unterhaltungswert auf, als
man ihm hätte zutrauen können? Auch das ist wahr. The Wave ist ein Genrefilm für alle, die von den markigen
Heldenposen á la San Andreas und 2012 und ihrem unstillbaren Durst nach
totaler Zerstörung inzwischen eher angeödet denn unterhalten sind.
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