THE PLACE BEYOND THE PINES
USA 2012
Dt. Erstaufführung: 13.06.2013
Regie: Derek Cianfrance
Dt. Erstaufführung: 13.06.2013
Regie: Derek Cianfrance
ACHTUNG! Diese Besprechung geht auf Details des Films ein,
die man als „Spoiler“ bezeichnen könnte. Wer ein gänzlich unbeflecktes
Filmerlebnis haben möchte, der komme erst nach dem Genuss des Films hier her
zurück.
Es ist etwas unfair, Kino generell in
die Bereiche „Arthouse“ und „Mainstream“ einzuordnen, da damit im Grunde nur
Klischees befeuert werden: Im Programmkinos läuft große Kunst, in dem
Multiplexen nur massenkompatibler Müll. Oberflächlich mag das sogar manchmal
zutreffen, dies ist aber eher dem Umstand geschuldet, dass das vom US-Studiosystem
beherrschte Kino den Mut zusehends verliert. Ein Film wie Man of Steel wird wahrscheinlich immer mehr Geld einspielen als
eine unabhängige Produktion wie Take This
Waltz. Das beide cineastischer Müll sind, auch wenn der letzter eindeutig
zum „Arthouse“-Dunstkreis gehört, interessiert am Ende des Tages nur wenige. The Place Beyond the Pines ist nun ein
interessantes Beispiel, weil es von außen betrachtet weitaus zugänglicher ist,
als man es gemeinhin mit den Filmen des Programmkinos assoziiert (das auch dies
nur eine Unterstellung ist, sollte Konsens sein). Unter der zunächst nicht
verklausulierten Dramaturgie und der Gestaltung, die keine zu großen Experimente
eingeht, um niemanden zu verschrecken, verbirgt sich ein kluger, involvierender
Film mit eben jenem Mut, der oft so schmerzlich vermisst wird.
Der Staat New York, irgendwann am Ende der 1980er Jahre: Der
schweigsame Luke (Ryan Gosling) arbeitet als Motorradstuntfahrer auf dem
Jahrmarkt, der nach einiger Zeit wieder in der kleinen Stadt Schenectady Halt
macht. Dort kontaktiert Luke eine ehemalige Geliebte, Romina (Eva Mendes), die
ihm eröffnet, dass er einen Sohn im Babyalter hat. Luke kündigt daraufhin
seinen Job, um für seine Familie zu sorgen, auch wenn Romina inzwischen bereits
einen neuen Mann in ihrem Leben hat, Kofi (Mahershala Ali). Zusammen mit dem
Mechaniker Robin (Ben Mendelsohn) beginnt Luke, Banken auszurauben, um mit dem
Geld Möbel und Spielzeug für seinen Sohn zu kaufen. Eines Tages kann er nicht
schnell genug vom Tatort fliehen und kreuzt den Weg des jungen Polizisten Avery
(Bradley Cooper). Die Begegnung bleibt nicht ohne Folgen, nicht nur Avery, der
sich mit der massiven Korruption seiner Kollegen konfrontiert sieht, und auch
nicht 15 Jahre später für die beiden Teenager AJ (Emory Cohen) und Jason (Dane
DeHaan)…
The Place Beyond The Pines
nimmt die klassische Drei-Akts-Struktur des Spielfilms wörtlich und erzählt ein
Triptychon. Alles ist verbunden, so lautete schon die Tagline für Cloud Atlas, aber Regisseur Derek
Cianfrance (Blue Valentine) geht weitaus weniger prätentiös mit dieser Prämisse
um als Tykwer und die Wachowski-Geschwister. Natürlich hat auch er Ambitionen,
aber er verstrickt sich nicht in Megalomanie sondern bleibt im Kleinen. Mit der
letzten Einstellung des Films endet die Geschichte nicht, The Place Beyond the Pines kann man als Anfang einer Blutfehde
sehen – oder als Beginn eines jener Familiengeheimnisse, die verzweifelt zu
verbergen versucht werden.
Familie ist das große Stichwort, auf dem Cianfrance seine
Erzählung ausbaut, genauergesagt Väter/Männer in Familien. Dementsprechend ist The Place Beyond the Pines ein sehr
männlich konnotierter Film, außer Eva Mendes hat keine Frau einen größeren
Part, auch wenn beispielsweise die minuziöse Rose Byrne als Averys Ehefrau
Jennifer aus der Geschichte nicht wegzudenken ist. Doch die Männer sind keine
Helden, sie sind Getriebene. Sehr subtil hinterfragt Cianfrance dabei gängige
Männlichkeitsbilder. Luke fühlt sich nicht als Mann, weil er seine Familie
nicht auf klassische Art ernähren kann und lässt sich von dem einsamen, aber
auch dubiosen Robin zu den Raubzügen überreden. Der gebildete Avery versucht in
einer martialischen Welt „echter Männer“ zu bestehen und macht dabei nicht die
gleichen, aber andere Fehler wie seine verhassten Kollegen: er vernachlässigt
seinen Sohn, der doch nur seine Aufmerksamkeit will. Und Jason nimmt sich nicht
das besonnene, positive Rollenbild seines Adoptivvaters zum Vorbild sondern
meint, ein gewalthaltiges, „typisch männliches“ Verhalten würde seine Welt
verbessern. The Place Beyond the Pines
handelt von den sprichwörtlichen Sünden der Väter und portraitiert Männer als
im Grunde schwaches Geschlecht, auch wenn er dabei nie die Zuneigung zu seinen
Figuren verliert. Vielmehr verzweifelt er an den scheinbar unausweichlichen Konsequenzen,
die nie hinterfragte Männlichkeitsbilder mit sich bringen. Wenn Jake Gewalt
einsetzt, ist er durchaus schockiert über sich selbst, kann aber nicht aus
seiner Haut ausbrechen und auch nur eine einzige Geste des Bedauerns zeigen.
Avery lässt die rassistischen Schmähungen seiner Kollegen in seinem eigenen
Haus durchgehen, duckt sich lange vor den vermeidlich erfahreneren (sprich:
männlicheren) Kollegen, bis er seine Intelligenz nutzt, nur um gleich in die
nächste männlich-konnotierte Emotionsfalle zu laufen, die im Song Cats in the Craddle in vielen Versionen
besungen wurde: die Arbeit, das getrieben sein im Job nimmt ihm jede Zeit für
die nächste Generation an Männern, die verdammt dazu scheinen, wieder Fehler zu
begehen.
Als Ausweg stellt The
Place Beyond the Pines reden, kommunizieren in den Raum – auch so
Eigenschaften und Tätigkeiten, die Männern nicht per se zugeordnet werden. Wer
nun meint, Cianfrance habe einen männerfeindlichen Film gedreht, der irrt. Es
spricht vielmehr eine Verzweiflung aus ihm, ein Aufruf, sich stets zu
hinterfragen und damit auch die als gegeben hingenommenen Strukturen.
Teufelskreise lassen sich nicht durch Schweigen brechen. Männer machen zu viel
mit sich selbst aus, daran lässt The
Place Beyond the Pines keinen Zweifel und auch Eva Mendes‘ Part macht
beileibe nicht alles richtig. Aber das Hauptaugenmerk liegt darauf, wie Männer
mit Schuld, Sühne, ihrem Status als Sohn und Vater umgehen.
The Place Beyond the
Pines ist eine emotionale Tour-de-Force, getragen von wunderbar glaubwürdig
agierenden Darstellern, gefälligen Bildern und einem Füllhorn an Ebenen,
Details und Einfällen, die entdeckt und analysiert werden wollen. Cianfrances
Film kommt auf leisen Sohlen daher, aber wenn er zuschlägt (was er oft tut),
dann mit einer ungeahnten Wucht. Involvierend und spannend erzählt, traurig und
ambivalent in seinem Inhalt wünscht man The
Place Beyond the Pines am Ende des Jahres den Weg auf viele Bestenlisten.
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