Montag, 18. November 2013

Orania (2013)




ORANIA
Deutschland/Südafrika 2013
Dt. Erstaufführung: 13.06.2013
Regie: Tobias Lindner

Orania ist ein Dokumentarfilm über eine Kommune in Südafrika, die so gar nicht zum Bild der Rainbow Nation passen will. Denn hier wohnen ausschließlich Weiße, anderen Ethnien ist es nicht gestattet, im titelgebenden Dorf zu leben und zu arbeiten. Was sich zunächst wie ein rückwärtsgewandtes Konzept anhört, dass gefährlich nahe an alten Apartheids-Strukturen kratzt, wird durch die äußerst zurückhaltende Regie von Debütant Tobias Lindner einem unaufgeregten Check unterzogen. Ist das Grundkonzept des Dorfes per se rassistisch? Was ist das Wesen einer kulturellen Identität in einem Land, in dem eine Minderheit jahrzehntelang alle anderen unterdrückt hat? Wie geht diese Minderheit, die ja nun unter sich in einem Dorf lebt, mit diesem Erbe um? Orania stellt viele Fragen, verlässt sich aber allzu oft auf die Leerstellen, die der Zuschauer augenscheinlich mit Sinn füllen soll. Doch nach der x-ten Einstellung der malerischen Landschaft, in die das Dorf eingebettet ist und diversen Sequenzen, die nur die Annahme untermauern, dass es in Orania meistens wenig spannend zugeht, könnte der Film diverse Zuschauer beim Erreichen der Ein-Stunden-Marke bereits verloren haben, obwohl sich Lindner die Sahnehäubchen für den Schluss aufgespart hat.

Lindner maßt sich kein Urteil darüber an, ob das Konzept des Dorfes in Ordnung ist oder nicht. Vielmehr lässt er die Bewohner sich selbst demontieren. So lamentiert der Besitzer des Schwimmbads nebst angeschlossenen Kiosk darüber, dass sich „die Anderen“ warm anziehen können, sollten sie sich je an den Buren rächen wollen (eine Furcht, die durch den Gesundheitszustand Nelson Mandelas als Friedenssymbol und –verfechter geschürt wird). Später kommt er die Ware für seinen Kiosk von einem dunkelhäutigen Lieferanten abholen. Dieser darf das Dorf nicht betreten und scherzt unsicher darüber, dass er nicht wisse, was innerhalb der Gemeinschaft vor sich gehe. Vielleicht würden ja auch Soldaten dort ausgebildet. Dies kann man wohl entkräften, nicht aber den süffisanten Umstand, dass die Existenz des Lieferanten die zuvor beschworene Mär von der wirtschaftlichen Autarkheit von Orania ab absurdum führt. Und der Kioskbesitzer ist etwas zu bemüht und verkrampft-kumpelig in seinem Ansinnen, bei der Begegnung mit dem Lieferanten vor der Kamera zu demonstrieren, dass er ja nichts gegen andere Ethnien als die eigene habe. Dies ist im Grunde die beste Sequenz des ganzen Films, bringt sie die Widersprüche des Ortes doch gut zur Geltung.

„Die Anderen“, sie sind fast immer Thema in Orania. Was unterscheidet die einen von den anderen? Die Interviewpartner haben meistens auch nicht mehr parat als abgestandene Klischees, die als clevere Rechenbeispiele und Fakten präsentiert werden. In seiner Quintessenz haben sich in Orania Angehörige jener Volksgruppe zusammengefunden, die das Land dereinst teilten und die nun eine diffuse Angst umtreibt: der schwarze Mann steht draußen vor dem Tor und will uns womöglich ans Leder. Wirklich ausgesprochen wird dies nie, wohl aber verklausuliert geäußert. So entpuppt sich der Ort mitnichten nur als kulturelles Refugium, in dem Bilder von den Strapazen der Buren bei der Besiedelung des Landes an den Wänden hängen, sondern sehr wohl als Ansammlung von Weißen, die im tiefsten Innern ihres Herzens vor der Welt dort draußen Angst haben. Gerade im südafrikanischen Kontext kann ein Dorf wie dieses nicht existieren, ohne dass man sich Fragen stellt.

So ist die Materie interessanter als der Film. Man kann viel Gesprächsstoff aus Orania ziehen, als Gesamtwerk ist der Film etwas zu schleppend, etwas zu sehr nach dem Lehrbuch inszeniert. Für jeden interessanten Aspekt, den Lindner in dieser leicht bizarren Welt findet, gibt es auch viel Leerlauf, der keinen Mehrwert bietet. Zurückhaltung bedeutet ja nicht Unkonzentriertheit, aber genau jene legt der Film ein paar Mal zu viel an den Tag. Vollends zum Leben erwacht er erst nach 60 Minuten. So ist Orania bei allem guten Willen hauptsächlich ein Kuriosum wie das Dorf selbst, von dem man ohnehin das Gefühl hat, es wird nicht aus ewig überleben können. Ewig lebten auch zwei der Protagonisten nicht, die einen Großteil der Leinwandzeit einnehmen. Ihre Namen sind mit Kreuzen im Abspann versehen, keine Texttafel o.ä. informiert über sie. Und allerspätestens dann wird einem gewahr, dass auch der sich im Hintergrund haltende Dokumentarstil seine Grenzen hat. Wenn nämlich die bei diesem Genre so essenziellen Informationen ausbleiben, dann kann man durchaus die Sinnfrage stellen. Orania hätte, bei aller Beobachtungsfähigkeit Lindners, auch bereits vorher mehr Infos gut gebrauchen können.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

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