ORANIA
Deutschland/Südafrika 2013
Dt. Erstaufführung: 13.06.2013
Regie: Tobias Lindner
Deutschland/Südafrika 2013
Dt. Erstaufführung: 13.06.2013
Regie: Tobias Lindner
Orania
ist ein Dokumentarfilm über eine Kommune in Südafrika, die so gar nicht zum
Bild der Rainbow Nation passen will.
Denn hier wohnen ausschließlich Weiße, anderen Ethnien ist es nicht gestattet,
im titelgebenden Dorf zu leben und zu arbeiten. Was sich zunächst wie ein
rückwärtsgewandtes Konzept anhört, dass gefährlich nahe an alten
Apartheids-Strukturen kratzt, wird durch die äußerst zurückhaltende Regie von
Debütant Tobias Lindner einem unaufgeregten Check unterzogen. Ist das
Grundkonzept des Dorfes per se rassistisch? Was ist das Wesen einer kulturellen
Identität in einem Land, in dem eine Minderheit jahrzehntelang alle anderen unterdrückt
hat? Wie geht diese Minderheit, die ja nun unter sich in einem Dorf lebt, mit
diesem Erbe um? Orania stellt viele
Fragen, verlässt sich aber allzu oft auf die Leerstellen, die der Zuschauer
augenscheinlich mit Sinn füllen soll. Doch nach der x-ten Einstellung der
malerischen Landschaft, in die das Dorf eingebettet ist und diversen Sequenzen,
die nur die Annahme untermauern, dass es in Orania meistens wenig spannend
zugeht, könnte der Film diverse Zuschauer beim Erreichen der Ein-Stunden-Marke
bereits verloren haben, obwohl sich Lindner die Sahnehäubchen für den Schluss
aufgespart hat.
Lindner maßt sich kein Urteil darüber an, ob das Konzept des
Dorfes in Ordnung ist oder nicht. Vielmehr lässt er die Bewohner sich selbst
demontieren. So lamentiert der Besitzer des Schwimmbads nebst angeschlossenen
Kiosk darüber, dass sich „die Anderen“ warm anziehen können, sollten sie sich
je an den Buren rächen wollen (eine Furcht, die durch den Gesundheitszustand
Nelson Mandelas als Friedenssymbol und –verfechter geschürt wird). Später kommt
er die Ware für seinen Kiosk von einem dunkelhäutigen Lieferanten abholen. Dieser
darf das Dorf nicht betreten und scherzt unsicher darüber, dass er nicht wisse,
was innerhalb der Gemeinschaft vor sich gehe. Vielleicht würden ja auch
Soldaten dort ausgebildet. Dies kann man wohl entkräften, nicht aber den
süffisanten Umstand, dass die Existenz des Lieferanten die zuvor beschworene
Mär von der wirtschaftlichen Autarkheit von Orania ab absurdum führt. Und der
Kioskbesitzer ist etwas zu bemüht und verkrampft-kumpelig in seinem Ansinnen,
bei der Begegnung mit dem Lieferanten vor der Kamera zu demonstrieren, dass er
ja nichts gegen andere Ethnien als die eigene habe. Dies ist im Grunde die
beste Sequenz des ganzen Films, bringt sie die Widersprüche des Ortes doch gut
zur Geltung.
„Die Anderen“, sie sind fast immer Thema in Orania. Was
unterscheidet die einen von den anderen? Die Interviewpartner haben meistens
auch nicht mehr parat als abgestandene Klischees, die als clevere
Rechenbeispiele und Fakten präsentiert werden. In seiner Quintessenz haben sich
in Orania Angehörige jener Volksgruppe zusammengefunden, die das Land dereinst
teilten und die nun eine diffuse Angst umtreibt: der schwarze Mann steht
draußen vor dem Tor und will uns womöglich ans Leder. Wirklich ausgesprochen
wird dies nie, wohl aber verklausuliert geäußert. So entpuppt sich der Ort
mitnichten nur als kulturelles Refugium, in dem Bilder von den Strapazen der
Buren bei der Besiedelung des Landes an den Wänden hängen, sondern sehr wohl
als Ansammlung von Weißen, die im tiefsten Innern ihres Herzens vor der Welt
dort draußen Angst haben. Gerade im südafrikanischen Kontext kann ein Dorf wie
dieses nicht existieren, ohne dass man sich Fragen stellt.
So ist die Materie interessanter als der Film. Man kann viel
Gesprächsstoff aus Orania ziehen, als
Gesamtwerk ist der Film etwas zu schleppend, etwas zu sehr nach dem Lehrbuch
inszeniert. Für jeden interessanten Aspekt, den Lindner in dieser leicht
bizarren Welt findet, gibt es auch viel Leerlauf, der keinen Mehrwert bietet.
Zurückhaltung bedeutet ja nicht Unkonzentriertheit, aber genau jene legt der
Film ein paar Mal zu viel an den Tag. Vollends zum Leben erwacht er erst nach
60 Minuten. So ist Orania bei allem
guten Willen hauptsächlich ein Kuriosum wie das Dorf selbst, von dem man
ohnehin das Gefühl hat, es wird nicht aus ewig überleben können. Ewig lebten
auch zwei der Protagonisten nicht, die einen Großteil der Leinwandzeit
einnehmen. Ihre Namen sind mit Kreuzen im Abspann versehen, keine Texttafel
o.ä. informiert über sie. Und allerspätestens dann wird einem gewahr, dass auch
der sich im Hintergrund haltende Dokumentarstil seine Grenzen hat. Wenn nämlich
die bei diesem Genre so essenziellen Informationen ausbleiben, dann kann man
durchaus die Sinnfrage stellen. Orania
hätte, bei aller Beobachtungsfähigkeit Lindners, auch bereits vorher mehr Infos
gut gebrauchen können.
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