THE DEEP
(Djúpið)
Island 2012
Dt. Erstaufführung: 27.06.2013
Regie: Baltasar Kormákur
Island 2012
Dt. Erstaufführung: 27.06.2013
Regie: Baltasar Kormákur
Es gab mal eine Zeit, da galten die
skandinavischen Staaten (und ich zähle Island dazu, auch wenn ich weiß, dass
der Begriff „Skandinavien“ streng genommen nur Norwegen, Schweden und Dänemark
umfasst) als filmische Entwicklungsländer. Heutzutage, mit den mutigen
Kinderfilmen aus Norwegen oder überragenden dänischen Dramen wie Die Jagd (von TV-Serien wie Borgen – Gefährliche Seilschaften ganz
zu schweigen) ist diese Ansicht überholt. The
Deep, ein involvierendes Survialdrama aus Island ohne die Melodramatik des
Subgenres, ist ein weiteres Beispiel für das berechtigte Selbstvertrauen im
skandinavischen Kino.
1984, auf den zu Island gehörenden Westmännerinseln:
Zusammen mit seiner Crew, unter anderem seinem besten Freund seit Kindertagen,
Palli (Jóhann G. Jóhannsson) und dem wortkargen Käpt’n Jón (Stefán Hallur
Stefánsson), bricht der gutmütige, stämmige Gulli (Ólafur Darri Ólafsson) mit
einem veralteten Fischerboot auf, um einen neuen Fang ins Netz zu holen. Doch
durch einen Unfall kentert das Boot in Minutenschnelle, diejenigen, die das
Unglück überleben, sind dem gerade einmal fünf Grad kaltem Wasser ausgeliefert.
Einzig Gulli gelingt es, seine Heimatinsel zu erreichen – obwohl dies
wissenschaftlich eigentlich nicht möglich sein sollte, können Menschen doch
nicht stundenlang in solch kalten Gefilden überleben…
The Deep basiert
auf der wahren Geschichte von Guðlaugur
Friðþórsson, der sechs Stunden lang im eiskalten Wasser vor Island überlebte
und dessen Weg zurück auf die Insel akkurat dargestellt wird. Dieser
Realitätsanspruch erhöht nur die Wirkung des Films, den Baltasar
Kormákur nach dem Mark-Wahlberg-Vehikel Contraband
wieder in seiner Heimat inszenierte. The
Deep ist ein zurückhaltener Film, ganz wie seine Hauptfigur Gulli, die ihr
eigenes Überleben weit weniger fasziniert als die Wissenschaftler, die allerlei
obskure Tests mit ihm durchführen. Gulli wird eher von dem Warum er? und Schuldgefühlen
gegenüber Palli beherrscht, der eine Frau und zwei kleine Söhne zurücklässt.
Kormákurs sensible Regie sorgt dafür, dass beispielsweise die Begegnung
zwischen Gulli und eben jenen Hinterbliebenen zu einem der anrührendsten Momente
des Films wird, ohne sich in Theatralik oder Pathos zu verlieren. In The Deep zeigen echte Menschen echte
Gefühle.
Kormákur interessiert sich neben Gullis Überleben vor allem
für die Nachbeben, die solch ein Ereignis mit sich bringt. Der Grund für Gullis
Rettung kann nicht komplett geklärt werden, bohrende Fragen müssen als solche
zurückbleiben. The Deep ist auch ein
Film über das „damit zurechtkommen“, so schwer es auch sein mag. Gegenüber
diesen zwei Aspekten fällt der Charakterisierungsaspekt der restlichen
Crewmitglieder etwas ab. Sie sind schweigsame Archetypen, auch wenn Kormákurs
Publikumslenkung durch die verhältnismäßig detaillierte Einführung eines neuen
Smutjes durchaus geschickt ist. Das Meer macht eben auch nicht vor
Filmkonventionen halt.
Handwerklich absolut einwandfrei sind die schönsten Szenen
wohl jene, in denen Gulli mit einer Möwe spricht. Allein im Meer, mit kaum
einer realistischen Hoffnung auf Rettung klammert er sich an den Strohhalm, den
ihm die einseitige Konversation bietet. Für Sequenzen wie diese gibt es im
englischen den Ausdruck haunting,
dessen deutsche Entsprechung eindringlich
es nicht ganz trifft. The Deep ist
ein bewegender Film, angenehm entfernt vom Survivalpathos, der gern in
US-Produktionen aufgetischt wird. Gullis Überleben ist auch für den Zuschauer
eine emotionale Prüfung, die auslaugt, aber auch bereichert.
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