Dienstag, 5. November 2013

The Deep (2012)




THE DEEP
(Djúpið)
Island 2012
Dt. Erstaufführung: 27.06.2013
Regie: Baltasar Kormákur

Es gab mal eine Zeit, da galten die skandinavischen Staaten (und ich zähle Island dazu, auch wenn ich weiß, dass der Begriff „Skandinavien“ streng genommen nur Norwegen, Schweden und Dänemark umfasst) als filmische Entwicklungsländer. Heutzutage, mit den mutigen Kinderfilmen aus Norwegen oder überragenden dänischen Dramen wie Die Jagd (von TV-Serien wie Borgen – Gefährliche Seilschaften ganz zu schweigen) ist diese Ansicht überholt. The Deep, ein involvierendes Survialdrama aus Island ohne die Melodramatik des Subgenres, ist ein weiteres Beispiel für das berechtigte Selbstvertrauen im skandinavischen Kino.

1984, auf den zu Island gehörenden Westmännerinseln: Zusammen mit seiner Crew, unter anderem seinem besten Freund seit Kindertagen, Palli (Jóhann G. Jóhannsson) und dem wortkargen Käpt’n Jón (Stefán Hallur Stefánsson), bricht der gutmütige, stämmige Gulli (Ólafur Darri Ólafsson) mit einem veralteten Fischerboot auf, um einen neuen Fang ins Netz zu holen. Doch durch einen Unfall kentert das Boot in Minutenschnelle, diejenigen, die das Unglück überleben, sind dem gerade einmal fünf Grad kaltem Wasser ausgeliefert. Einzig Gulli gelingt es, seine Heimatinsel zu erreichen – obwohl dies wissenschaftlich eigentlich nicht möglich sein sollte, können Menschen doch nicht stundenlang in solch kalten Gefilden überleben…

The Deep basiert auf der wahren Geschichte von Guðlaugur Friðþórsson, der sechs Stunden lang im eiskalten Wasser vor Island überlebte und dessen Weg zurück auf die Insel akkurat dargestellt wird. Dieser Realitätsanspruch erhöht nur die Wirkung des Films, den Baltasar Kormákur nach dem Mark-Wahlberg-Vehikel Contraband wieder in seiner Heimat inszenierte. The Deep ist ein zurückhaltener Film, ganz wie seine Hauptfigur Gulli, die ihr eigenes Überleben weit weniger fasziniert als die Wissenschaftler, die allerlei obskure Tests mit ihm durchführen. Gulli wird eher von dem Warum er? und Schuldgefühlen gegenüber Palli beherrscht, der eine Frau und zwei kleine Söhne zurücklässt. Kormákurs sensible Regie sorgt dafür, dass beispielsweise die Begegnung zwischen Gulli und eben jenen Hinterbliebenen zu einem der anrührendsten Momente des Films wird, ohne sich in Theatralik oder Pathos zu verlieren. In The Deep zeigen echte Menschen echte Gefühle.

Kormákur interessiert sich neben Gullis Überleben vor allem für die Nachbeben, die solch ein Ereignis mit sich bringt. Der Grund für Gullis Rettung kann nicht komplett geklärt werden, bohrende Fragen müssen als solche zurückbleiben. The Deep ist auch ein Film über das „damit zurechtkommen“, so schwer es auch sein mag. Gegenüber diesen zwei Aspekten fällt der Charakterisierungsaspekt der restlichen Crewmitglieder etwas ab. Sie sind schweigsame Archetypen, auch wenn Kormákurs Publikumslenkung durch die verhältnismäßig detaillierte Einführung eines neuen Smutjes durchaus geschickt ist. Das Meer macht eben auch nicht vor Filmkonventionen halt.

Handwerklich absolut einwandfrei sind die schönsten Szenen wohl jene, in denen Gulli mit einer Möwe spricht. Allein im Meer, mit kaum einer realistischen Hoffnung auf Rettung klammert er sich an den Strohhalm, den ihm die einseitige Konversation bietet. Für Sequenzen wie diese gibt es im englischen den Ausdruck haunting, dessen deutsche Entsprechung eindringlich es nicht ganz trifft. The Deep ist ein bewegender Film, angenehm entfernt vom Survivalpathos, der gern in US-Produktionen aufgetischt wird. Gullis Überleben ist auch für den Zuschauer eine emotionale Prüfung, die auslaugt, aber auch bereichert.


http://filmblogosphaere.wordpress.com/

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