Sonntag, 5. Januar 2014

Das erstaunliche Leben des Walter Mitty (2013)




DAS ERSTAUNLICHE LEBEN DES WALTER MITTY
(The Secret Life of Walter Mitty)
USA 2013
Dt.
Erstaufführung: 01.01.2014
Regie: Ben Stiller

Das erstaunliche Leben des Walter Mitty erfindet mitnichten das Rad neu, es ist gutmütige, manchmal vielleicht etwas naive Wolhfühl-Unterhaltung. Und genau dort liegt der Schlüssel zu seinem Erfolg. Die neuste Kinoregiearbeit von Ben Stiller nach der Kriegsfarce Tropic Thunder ist ein unschuldiger, ein entwaffnender Film, der sich selbst als bestes Schild gegen all den Zynismus ins Feld führt, dem ihm vor allem von der US-Kritik entgegen geschleudert wird. Walter Mitty beruht auf einer Kurzgeschichte von James Thurber, die 1947 unter dem Titel Das Doppelleben des Herrn Mitty verfilmt wurde - mit den in den Staaten sehr bekannten und geschätzten Danny Kaye in der Hauptrolle. Der Film, der hierzulande erst Mitte des letzten Jahres bei einem winzigen Label auf DVD erschien und momentan bereits out of print zu sein scheint, ist den amerikanischen Kollegen offenbar noch so im Gedächtnis, dass Ben Stillers Version, die nach meinen Informationen sich diverse Freiheiten in der Interpretation zugesteht, von vornherein einen schweren Stand zu haben schien. Ein bisschen scheint es wie mit Das Wunder von Manhattan zu sein, dessen Remake bei uns auch besser ankommt als in den USA, in denen das Original aus den 1940er Jahren zum Standardrepertoire des Festtagsprogramms der Fernsehsender gehört. Ob die Herangehensweise, die frei von „Vorbelastungen“ ist, ein Segen oder ein Fluch ist – geschenkt. Stillers kleine Kinomagie ist trotz simpler Botschaft ein erfreulich warmherziger Auftakt für das Kinojahr 2014.

Walter Mitty (Ben Stiller) ist der introvertierte Fotoarchivar des renommierten LIFE-Magazins, dem nun eine Umstrukturierung zu einem Onlineportal ins Haus steht. Abgewickelt wird das Ganze von dem schmierigen Ted Hendricks (Adam Scott), der nicht nur keine Ahnung vom Magazin hat, sondern auch den ständig tagträumenden Mitty verhöhnt. Nur in seinen Phantasien setzt sich Walter zur Wehr, bekämpft Hendricks im Alleingang, hat stets den perfekten Spruch auf den Lippen und bekommt natürlich die Frau seiner Träume, seine Kollegin Cheryl Melhoff (Kristen Wiig), die er vergeblich versucht, über ein Onlinedatingportal auf sich aufmerksam zu machen. Als wäre das alles nicht schon genug, glaubt Walter auch noch, ein passendes Bild für das Cover der letzten Ausgabe parat zu haben, denn das angebliche Meisterwerk des exzentrischen Fotografen Sean O’Connell (Sean Penn), mit dem Walter über ein Jahrzehnt korrespondiert hat, ohne im jemals in natura gegenüber zu stehen, das Negativ No. 25, ist verschwunden. Um es zu beschaffen, muss sich Walter aus seinen Träumen hinaus in ein echtes Abenteuer wagen, dass ihn von Grönland über Island bis nach Afghanistan führt…

Das erstaunliche Leben des Walter Mitty ist auf vielen Ebenen ziemlich clever, ohne damit hausieren zu gehen. An der Oberfläche ist es natürlich ein leicht zu goutierendes Werk über die persönliche Reifung eines Introvertierten, aber Stiller und sein Drehbuchautor Steve Conrad (The Weather Man) achten auf eine Vielzahl von Details, die den Film über den Durchschnitt heben. Da sind zum einen die Tagträume, die oftmals bombastisch daherkommen. Den besten hat man zum Glück auch noch nicht durch die Vorschauen erfahren: Walter duelliert sich mit Hendricks auf eine Art und Weise, wie sie die Avengers nicht besser hätten abliefern können. Und ganz nebenbei werden dabei augenzwinkernd die im Grunde lächerlichen Gesetzte freigelegt, nach denen diese Filme funktionieren. Eine solch süffisante Superheldenparodie, in der der MacGuffin dieser Filme (ein außerirdisches Artefakt, ein Edelstein, eine besondere Energiequelle) durch ein nostalgisch-alberne Actionpuppe ersetzt wird, hätte man einem Film, der sonst das Schöne, das Märchenhafte in den Vordergrund stellt, gar nicht zugetraut.
Doch bei aller Spielfreude gewinnen die Tagträume nie die Oberhand und am Ende ist die Realität, mit der sich Mitty konfrontiert sieht, um Längen besser und bombastischer. Natürlich kann man nun anführen, dass auch hier die Gesetzte des Films greifen, das „wirklich wahre Leben“ nie so sei, aber Stiller und Conrad machen es den Zuschauer glauben. Außerdem, wer im Urlaub schon einmal vor einer atemberaubenden Kulisse stand oder eine unerwartet schöne Begegnung im Alltag hatte, der dürfte den Gedanken dahinter durchaus verstehen. Und die Botschaft des Films („Stop Dreaming. Start Living.“) bedeutet ohnehin für jeden etwas anderes.

Neben den Darstellern, zu deren Riege auch Shirley McLaine oder der aus The Deep inzwischen hoffentlich bekanntere Ólafur Darri Ólafsson gehören, sind die Bilder von Kameramann Stuart Dryburgh (Die letzte Kriegerin) das Element, das dem Film ein ungeheures Flair verleiht. Dryburgh hat ein gutes Gespür für Kamerapositionen und Licht, er weiß mit der Tiefe des Raums ebenso umzugehen wie mit den Ebenen in räumlich beschränkten Umgebungen. Walter Mitty ist ein sehr schön anzusehender Film, in dessen Mittelpunkt stets Ben Stiller steht. Und was auch immer man von ihm persönlich bzw. von der Auswahl seiner Filme halten mag (und ich mache keinen Hehl daraus, dass ich kein Stiller-Fan bin), so ist sein Walter Mitty doch eine bemerkenswert sympathische Kreation. Von der ersten Szene an, in der er zu schüchtern ist, um auf einen Button innerhalb der Datingseite zu klicken, gewinnt Stiller den Zuschauer für sich. Mitty dürfte eine seiner besten Darbietungen sein, schon allein, weil sie auf grelle Comedy und enervierende Einlagen verzichtet. Waren seine Everyman-Qualitäten in Meine Braut, ihr Vater und ich noch eher behauptet, kommen sie hier voll zum Tragen.

Schlussendlich ist Das erstaunliche Leben des Walter Mitty auch ein ungemein nostalgischer Film, mit echter Sorge darüber, wie eine Welt aussieht, in der alles digital ist. Walters Büro ist ein Kleinod von einem Set, ständig tauchen Verweise auf eine analoge Welt auf, die vielleicht nicht besser war, aber es auch nicht verdient hat, in einer zweifelhaften Modernisierungswut unterzugehen. Wenn Walter nach seinen Abenteuern in die Firmenzentrale zurückkehrt und aus dem gedruckten, sorgfältig erstellten LIFE Magazin nun LIFE Online geworden ist, dann kommt man nicht umher, auch hier einen unmissverständlichen Seitenhieb zu erkennen. Die Digitalisierung bringt auch Segen, Mitty nutzt auch die Annehmlichkeiten der Zeit, aber sowohl er als auch sein Film verwehren sich einer Hörigkeit gegenüber der „Moderne“. Letztlich kann auch Mitty den Niedergang des Printjournalismus bevor sein nur online existierender Cousin eine sinnige Form gefunden hat, nicht verhindern. Das erstaunliche Leben des Walter Mitty hat auch seine schwermütigen Seiten, seine Nostalgie wird nicht nur durch Erinnerungskultur, sondern auch echter Sorge angetrieben.

So bietet Das erstaunliche Leben des Walter Mitty durchaus vieles, was einen Kinobesuch lohnt. Die an sich unspektakuläre Geschichte wird durch ihren Subtext und die vielen liebevollen Details enorm aufgewertet, die Darsteller sind mit Elan dabei, der Soundtrack kommt ausgesucht daher, die Bilder von teils beeindruckender Schönheit. Walter Mitty ist schlicht entwaffnend liebevoll, völlig egal, wie Thurber seine Kurzgeschichte schrieb und Kaye die Hauptrolle interpretierte. Stiller beweist hier ungeahnten Mut zu diversen Brüchen mit dem gängigen Hollywood-Wohlfühlkino und allein seine Sensibilität sollte man beachten. Dieser Walter Mitty ist wirklich erstaunlich.



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