Montag, 23. Dezember 2013

Ist das Leben nicht schön? (1946)




IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN?
(It’s a Wonderful Life)
USA 1946
Dt. Erstaufführung:  25.12.1962 (TV-Premiere)
Regie: Frank Capra

George Bailey (James Stewart) ist verzweifelt. Jahrelang hat er die Arbeiter seiner Heimatstadt Bedford Falls vor den Machenschaften des raffgieren Potter (Lionel Barrymore) bewahrt, doch nun hat sein schusseliger Onkel (Thomas Mitchell) 8.000 Dollar verloren und George steht vor dem Ruin, zusammen mit seiner Bank und allen Leben, die daran hängen. Seine Lebensversicherung indes ist 15.000 Dollar wert. Also beschließt George, seinem Leben an diesem verschneiten Heilig Abend ein Ende zu setzen, um so viele andere Leben zu retten. Schließlich wären sie ohnehin immer besser ohne ihn dran gewesen, nicht wahr? Nein, meint Clarence (Henry Travers), ein Engel, der sich mit der Rettung von George seine Flügel verdienen möchte. Er zeigt ihm, wie Bedford Falls aussehen würde, wenn er nie existiert hätte und wie viele Leben sich zum schlechteren, nicht zum guten, verändert hätten.

All dies, Cineasten ohnehin seit langem bekannt, spielt sich in der letzten halben Stunde des zwei Stunden starken Films ab. Es ist wohl nur der Konklusion zu verdanken, dass Ist das Leben nicht schön? als DER Weihnachtsfilm schlechthin gehandelt wird, vor allem in den Vereinigten Staaten. Denn ansonsten hat Frank Capras Film mit dem Fest nicht viel zu tun, 1 ½ Stunden werden auf die Schilderung von Georges Leben verwendet und da geht es weniger um Weihnachten als um zerplatzte Träume und wirtschaftliches Überleben im Zwiespalt zwischen Wirtschaftlichkeit und Altruismus. Aber natürlich kann man auch hier einen Festverweis finden – geben ist seliger als nehmen.

Es gibt viele Szenen, Sequenzen und Details in Ist das Leben nicht schön?, die im Gedächtnis bleiben. Die Dramaturgie erweist sich dabei als manchmal etwas unglücklich. In Georges Kindheit wird die Erklärung für ein plot device, seine Taubheit auf einem Ohr, geliefert, um dann zu einer der emotional packensten Sequenzen zu schwenken: George bewahrt ein anderes Kind vor der Vergiftung durch einen trauernden Apotheker, der versehentlich Pillen mit Gift anstelle eines Wirkstoffs herausgegeben hat. Dies ist in seiner scheinbaren Beiläufigkeit so kraftvoll, dass man sich mehr Szenen mit kindlichem Mut wünscht, weil sie eben so völlig unprätentiös sind – George tut das Richtige ohne vorherige Überlegungen. Doch dann erfährt man sehr viel über den erwachsenen George, wie er sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss und seine Reisepläne, seine Hoffnungen, dass Kaff Bedford Falls zu verlassen, immer wieder durchkreuzt werden. George verzichtet for the greater good auf eine Europareise, aufs College, sogar auf seine Hochzeitsreise. Er ist der leidensfähige Lakai der Stadt und es hat auch etwas Tragisches an sich, dass ihm alles verwehrt wird. Sicherlich, man soll es als Bebilderung des Ausspruchs „Das Leben ist das, was passiert, wenn du andere Pläne machst“ sehen und sich mit George freuen, wenn am Ende die gesamte Stadt für ihn eintritt, was letztlich ja auch zur eigenen Rettung beiträgt. Und so wunderschön das Finale an sich auch ist, man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass Capra seinem Helden etwas zu viel versagt. Und natürlich wird auch der Schurke Potter nie zur Rechenschaft gezogen. Man soll ihn bedauern, weil er keinen solch gesellschaftlichen Rückhalt wie George hat, aber das ist Potter schlicht egal. Und Menschen bedauern, die um ihre eigene charakterliche Misere nicht wissen, ist im Film immer etwas unbefriedigend.

So sind George und Potter keine dreidimensionalen Figuren und wer argumentiert, der Film sei ein modernes Märchen und darum nicht verpflichtet zur tiefergehenden Charaktersierung jenseits von Chiffren, der sollte sich daran erinnern wie sehr sich Capra um Authenzität bemüht. Wenn es um Darlehen und drohende Bankenkollapse geht, dann bekommt man sehr wohl das Gefühl, dass etwas auf dem Spiel steht. Wenn George seine Familie anherrscht, dann kann man den Schock der Kinder förmlich spüren. So schafft es der Film gleichermaßen extrem sorgsam und an entscheidenden Stellen etwas fahrig zu sein. Womöglich ist es aber auch so, dass der ungebrochene Optimismus des Films den Zuschauer so sehr packt, dass man sich schlicht nicht damit abfinden will, dass George keinen seiner Träume verwirklichen kann. Zuhause ist es doch eh am schönsten, nicht wahr…?

Bei aller Kritik, die man auch bei einem Klassiker wie Ist das Leben nicht schön? anbringen kann, ist er als Gesamtpaket doch ein ziemlich unterhaltsame Sache. Von Dingen, die der Entstehungszeit geschuldet und heute etwas irritierend wirken (in der alternativen Realität ohne George hat seine Frau nie geheiratet, ist eine „alte Jungfer“, trägt Brille und arbeitet in einer Bibliothek – das Höchstmaß an weiblicher Nicht-Erfüllung anno 1946, heute peinlicher Sexismus) ist der Film in seinem Kern gut gealtert. Eine Bank wie die der Baileys dürften sich viele Menschen heute wieder wünschen und auch wenn die Dramaturgie an mancher Stelle zu viel, an anderer zu wenig investiert, bleibt der Kern unangetastet. Als menschliches Drama funktioniert Ist das Leben nicht schön? hervorragend, er ist elegant inszeniert und – wie gesagt – das Ende… Nichts für Hardcore-Zyniker, das ist klar, aber wer aus dieser Gruppe würde schon einen Film mit diesem Titel ansehen? Der weihnachtliche Aspekt wurde vielleicht in der Retrospektive etwas wichtiger, als er dem Film an sich war (in den USA lief der Film auch im Januar an, nicht etwa im Dezember), aber es ist unbestreitbar, dass er so etwas erschuf, dass viele Menschen anrührte. Selbst wenn es nicht gänzlich absichtlich geschah – schön ist es trotzdem.

Ist das Leben nicht schön? ist bei allen kleineren Mängeln ein hervorragender Film über bedingungslose Hingabe an die Mitmenschen. In einer Welt, in der der hemmungslose Egoismus zwar angeprangert wird, sich aber trotzdem weiter ausbreitet, sollten wir vielleicht alle etwas mehr wie George Bailey sein. Man muss ja nicht gleich alle Träume aufgeben.



http://filmblogosphaere.wordpress.com/


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