Samstag, 12. April 2014

Carrie - Des Satans jüngste Tochter (1976)




CARRIE – DES SATANS JÜNGSTE TOCHTER
(Carrie)
USA 1976
Dt. Erstaufführung: 22.04.1977
Regie: Brian De Palma

Carrie war die erste Verfilmung eines Stephen King-Romans fürs Kino. Drei Jahre später sollte mit Brennen muß Salem die erste TV-Adaption einer Vorlage des „Königs des Horrors“ folgen. Beide Stränge hatten ihre Hochs und Tiefs. Shining war ein Traum für jeden Produktionsdesigner und ein bis heute andauernder Stein des Anstoßes für teils aberwitzige Spekulationen (Room 237), aber ebenso artifiziell wie die oft unfreiwillig komischen TV-Mehrteiler von Es, Tommyknockers bis zu Langoliers. Da war der ehrliche Trash, den King mit Rhea M – Es begann ohne Warnung, seiner bis heute einzigen Regiearbeit, ablieferte, willkommener. Seine adaptierten Stoffe jenseits des phantastisch-erschreckenden wie Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers oder Die Verurteilten waren da von konstanterer Qualität, auch im Hinblick auf seinen mysteriösen Die Wand-Abklatsch Under the Dome, der momentan als TV-Serie erfolgreich ist.
Carrie ist sowohl als Adaptions-Erstling wie als King-Horror gelungen. Der tendenziöse deutsche Untertitel ist zwar feinste Dichtkunst der tumben Sorte und der Film als solcher hat ein bisschen unter dem „male gaze“ zu leiden, nichtsdestotrotz ist Carrie aber ein wohlgealterter, psychologisch interessanter Horrorthriller.

Carrie (Sissy Spacek) ist 17 Jahre alt, extrem schüchtern, eine Außenseiterin ohne Freunde und unter der Knute ihrer religiös-fanatischen Mutter (Piper Laurie). Da diese alles fleischliche als sündig ansieht, denkt Carrie, dass sie sterben muss, als sie unter der Dusche nach dem Sportunterricht zum ersten Mal ihre Regelblutung bekommt. Ihre Panik wird von ihren Klassenkameradinnen mit Gelächter und Verhöhnung quittiert. Und auch wenn die resolute Lehrerin Miss Collins (Betty Buckley) mit Carries Peinigerinnen danach hart ins Gericht geht, sorgt dies lediglich bei Sue (Amy Irving) für ein Umdenken. Während sie ihren Freund Tommy (William Katt) mit Carrie zum bevorstehenden Abschlussball gehen lassen will, um ihr zu zeigen, dass nicht alles schlecht auf der High School ist, schmiedet die sich zu Unrecht angeklagt fühlende Chris (Nancy Allen) zusammen mit ihrem Freund Billy (John Travolta) einen furchtbaren Plan, wie sie Carrie bei dem Ball bloßstellen könnte. Doch sie hat die Rechnung ohne Carries aufkeimenden telekinetischen Fähigkeiten gemacht…

Redet man von Carrie, redet man automatisch von der ikonenhaften Szene beim Abschlussball, in der eine bloßgestellte Carrie ihre Fähigkeiten nutzt, um sich am versammelten Auditorium ob all der Schmach zu rächen. Die Geschichte trägt unverkennbar Züge einer adoleszenten Rachefantasie und auch die Telekinese ist eher ein plot device. Bei aller rückblickenden Verklärung kann die Schule für manche ein höllischer Ort sein, vor allem weil das „Kastensystem“ der amerikanischen High Schools augenscheinlich sehr viel erbarmungsloser ist als das deutsche (die inzwischen zum Standardrepertoire gewordenen Einteilungen in diesem Setting sind nicht völlig aus der Luft gegriffen). Doch das Gefühl des Außenseitertums, in dem die (vermeintlich) Starken auf die (vermeintlich) Schwachen dreschen, ist von universeller Wahrheit. So wäre es ein Einfaches, in Carrie nicht mehr zu sehen als eine Erbauungsfantasie für geschundene Teenagerseelen. Doch Regisseur Brian De Palma behält sich konsequent eine höchst ambivalente Sichtweise vor, die vor allem bei dem Schulballmassaker offensichtlich wird. Die von ihrer Mutter in gewisser Weise aufs Versagen indoktrinierten Carrie dreht durch, sieht Hohn da, wo keiner ist und stürzt so selbst wohlmeinende Seelen ins Verderben. Carrie gereicht nicht vollständig zur Identifikationsfigur, tötet sie doch nicht nur mindestens eine Figur, die immer auf ihrer Seite stand, sondern macht in ihrer Wut auch anderweitig keine Unterschiede. In einer geradezu alttestamentarischen Wut, von der sich Carrie eigentlich im Hinblick auf ihre Mutter zu emanzipieren versuchte, löscht sie das Leben beim Ball aus, ihr entfachtes Feuer ist wie die Sintflut, die alles hinweg spült. Carrie wird zu jenem zornigen Gott, vor dem sich ihre Mutter stets in Ehrfurcht verkriecht – eine positiv besetzte Protagonistin, so sehr wir auch ihr Leid und ihre Beweggründe nachvollziehen können, sieht anders aus.

So ist der Film durchaus zwiespältig, auch in seiner religiösen Symbolik. Das Kreuzigungsthema wird ziemlich konsequent durchgezogen (und Carries Mutter hat auch noch im Tod eine beeindruckende Körperspannung), Erlösung im besseren Sinne gibt es nicht. Man kann Carrie darum als schlussendlich sehr weltanschaulich-konservativen Film lesen, der für moralische Zwickmühlen nur einen Ausweg kennt, aber man kann nicht verleugnen, dass er funktioniert. So liegt in seiner Verweigerungshaltung gegenüber einer klassischen Legitimation für die Hauptfigur (etwas, auf das das 2013er-Remake deutlich mehr Wert legte) auch eine unterschwellige Absage an jene Rachefantasien, die Carrie zunächst zu bekräftigen scheint. Die Verzweiflung, ja das Mitleid, dass man als Zuschauer für die Protagonistin empfindet, speist sich aus der Unauflöslichkeit ihrer Situation – es kommen einfach zu viele Faktoren zusammen, die Carrie brechen. Ihre Taten werden dadurch nicht gerechtfertigt, wohl aber in einen Rahmen gesetzt, der nachvollziehbar, wenn auch traurig stimmend, ist.

So ist Carrie psychologisch, im dramaturgischen Aufbau und in der Handhabung vieler Details äußerst gelungen, bei der reinen Darstellung offenbaren sich ein paar Unstimmigkeiten. Der schon angesprochene „male gaze“, also der männliche Blick auf das Geschehen, dominiert vor allem die von unnötiger Nacktheit geradezu vollgestopfte Eröffnungssequenz, in der die Kamera langsam, fast möchte man sagen lüstern, durch die Mädchenumkleide streift, dabei sehr viele Brüste und sehr viel Schamhaar aufschnappt, um schlussendlich bei Carrie in der Dusche zu landen, wo der Akt des sich Säuberns über alle Maßen als weichgezeichneter, mild-erotischer Akt illustriert wird. Beinahe könnte man vergessen, dass dies in erster Linie ein Thriller und kein Softporno ist. Dass die Darstellerinnen allesamt minderjährig sein sollen (auch wenn Hauptdarstellerin Sissy Spacek 1976 bereits 27 Jahre alt war) trägt nur weiter zu einem zumindest hinterfragungswürdigen Umstand bei. Gelungen dagegen sind die Nuancen, mit denen die Abscheu der Männer, die vor allem durch den Rektor der Schule verkörpert, vor Menstruationsblut illustriert wird.

Es bleibt festzuhalten, dass sich Carrie – Des Satans jüngste Tochter als den Jahren robust trotzender Genrebeitrag erwiesen hat. Es mag an den vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten liegen oder an der souveränen Inszenierung, die kleinere Disharmonien vergessen macht, aber Brian De Palmas Verfilmung des King-Romans ist ein involvierendes, durchweg interessantes Unterfangen.



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