CARRIE – DES SATANS
JÜNGSTE TOCHTER
(Carrie)
USA 1976
Dt. Erstaufführung: 22.04.1977
Regie: Brian De Palma
Dt. Erstaufführung: 22.04.1977
Regie: Brian De Palma
Carrie
war die erste Verfilmung eines Stephen King-Romans fürs Kino. Drei Jahre später
sollte mit Brennen muß Salem die
erste TV-Adaption einer Vorlage des „Königs des Horrors“ folgen. Beide Stränge
hatten ihre Hochs und Tiefs. Shining
war ein Traum für jeden Produktionsdesigner und ein bis heute andauernder Stein
des Anstoßes für teils aberwitzige Spekulationen (Room 237), aber ebenso artifiziell wie die oft unfreiwillig
komischen TV-Mehrteiler von Es, Tommyknockers bis zu Langoliers. Da war der ehrliche Trash,
den King mit Rhea M – Es begann ohne
Warnung, seiner bis heute einzigen Regiearbeit, ablieferte, willkommener.
Seine adaptierten Stoffe jenseits des phantastisch-erschreckenden wie Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers
oder Die Verurteilten waren da von
konstanterer Qualität, auch im Hinblick auf seinen mysteriösen Die Wand-Abklatsch Under the Dome, der momentan als TV-Serie erfolgreich ist.
Carrie ist sowohl als Adaptions-Erstling wie als King-Horror gelungen. Der tendenziöse deutsche Untertitel ist zwar feinste Dichtkunst der tumben Sorte und der Film als solcher hat ein bisschen unter dem „male gaze“ zu leiden, nichtsdestotrotz ist Carrie aber ein wohlgealterter, psychologisch interessanter Horrorthriller.
Carrie ist sowohl als Adaptions-Erstling wie als King-Horror gelungen. Der tendenziöse deutsche Untertitel ist zwar feinste Dichtkunst der tumben Sorte und der Film als solcher hat ein bisschen unter dem „male gaze“ zu leiden, nichtsdestotrotz ist Carrie aber ein wohlgealterter, psychologisch interessanter Horrorthriller.
Carrie (Sissy Spacek) ist 17 Jahre alt, extrem schüchtern,
eine Außenseiterin ohne Freunde und unter der Knute ihrer religiös-fanatischen
Mutter (Piper Laurie). Da diese alles fleischliche als sündig ansieht, denkt
Carrie, dass sie sterben muss, als sie unter der Dusche nach dem
Sportunterricht zum ersten Mal ihre Regelblutung bekommt. Ihre Panik wird von
ihren Klassenkameradinnen mit Gelächter und Verhöhnung quittiert. Und auch wenn
die resolute Lehrerin Miss Collins (Betty Buckley) mit Carries Peinigerinnen danach
hart ins Gericht geht, sorgt dies lediglich bei Sue (Amy Irving) für ein
Umdenken. Während sie ihren Freund Tommy (William Katt) mit Carrie zum
bevorstehenden Abschlussball gehen lassen will, um ihr zu zeigen, dass nicht
alles schlecht auf der High School ist, schmiedet die sich zu Unrecht angeklagt
fühlende Chris (Nancy Allen) zusammen mit ihrem Freund Billy (John Travolta)
einen furchtbaren Plan, wie sie Carrie bei dem Ball bloßstellen könnte. Doch
sie hat die Rechnung ohne Carries aufkeimenden telekinetischen Fähigkeiten
gemacht…
Redet man von Carrie,
redet man automatisch von der ikonenhaften Szene beim Abschlussball, in der
eine bloßgestellte Carrie ihre Fähigkeiten nutzt, um sich am versammelten
Auditorium ob all der Schmach zu rächen. Die Geschichte trägt unverkennbar Züge
einer adoleszenten Rachefantasie und auch die Telekinese ist eher ein plot device. Bei aller rückblickenden
Verklärung kann die Schule für manche ein höllischer Ort sein, vor allem weil
das „Kastensystem“ der amerikanischen High Schools augenscheinlich sehr viel
erbarmungsloser ist als das deutsche (die inzwischen zum Standardrepertoire
gewordenen Einteilungen in diesem Setting sind nicht völlig aus der Luft
gegriffen). Doch das Gefühl des Außenseitertums, in dem die (vermeintlich)
Starken auf die (vermeintlich) Schwachen dreschen, ist von universeller
Wahrheit. So wäre es ein Einfaches, in Carrie
nicht mehr zu sehen als eine Erbauungsfantasie für geschundene Teenagerseelen. Doch
Regisseur Brian De Palma behält sich konsequent eine höchst ambivalente
Sichtweise vor, die vor allem bei dem Schulballmassaker offensichtlich wird.
Die von ihrer Mutter in gewisser Weise aufs Versagen indoktrinierten Carrie
dreht durch, sieht Hohn da, wo keiner ist und stürzt so selbst wohlmeinende
Seelen ins Verderben. Carrie gereicht nicht vollständig zur
Identifikationsfigur, tötet sie doch nicht nur mindestens eine Figur, die immer
auf ihrer Seite stand, sondern macht in ihrer Wut auch anderweitig keine
Unterschiede. In einer geradezu alttestamentarischen Wut, von der sich Carrie
eigentlich im Hinblick auf ihre Mutter zu emanzipieren versuchte, löscht sie
das Leben beim Ball aus, ihr entfachtes Feuer ist wie die Sintflut, die alles
hinweg spült. Carrie wird zu jenem zornigen Gott, vor dem sich ihre Mutter
stets in Ehrfurcht verkriecht – eine positiv besetzte Protagonistin, so sehr
wir auch ihr Leid und ihre Beweggründe nachvollziehen können, sieht anders aus.
So ist der Film durchaus zwiespältig, auch in seiner
religiösen Symbolik. Das Kreuzigungsthema wird ziemlich konsequent durchgezogen
(und Carries Mutter hat auch noch im Tod eine beeindruckende Körperspannung),
Erlösung im besseren Sinne gibt es nicht. Man kann Carrie darum als schlussendlich sehr weltanschaulich-konservativen
Film lesen, der für moralische Zwickmühlen nur einen Ausweg kennt, aber man
kann nicht verleugnen, dass er funktioniert. So liegt in seiner
Verweigerungshaltung gegenüber einer klassischen Legitimation für die
Hauptfigur (etwas, auf das das 2013er-Remake deutlich mehr Wert legte) auch
eine unterschwellige Absage an jene Rachefantasien, die Carrie zunächst zu bekräftigen scheint. Die Verzweiflung, ja das
Mitleid, dass man als Zuschauer für die Protagonistin empfindet, speist sich
aus der Unauflöslichkeit ihrer Situation – es kommen einfach zu viele Faktoren
zusammen, die Carrie brechen. Ihre Taten werden dadurch nicht gerechtfertigt,
wohl aber in einen Rahmen gesetzt, der nachvollziehbar, wenn auch traurig
stimmend, ist.
So ist Carrie
psychologisch, im dramaturgischen Aufbau und in der Handhabung vieler Details
äußerst gelungen, bei der reinen Darstellung offenbaren sich ein paar
Unstimmigkeiten. Der schon angesprochene „male gaze“, also der männliche Blick
auf das Geschehen, dominiert vor allem die von unnötiger Nacktheit geradezu
vollgestopfte Eröffnungssequenz, in der die Kamera langsam, fast möchte man
sagen lüstern, durch die Mädchenumkleide streift, dabei sehr viele Brüste und
sehr viel Schamhaar aufschnappt, um schlussendlich bei Carrie in der Dusche zu
landen, wo der Akt des sich Säuberns über alle Maßen als weichgezeichneter,
mild-erotischer Akt illustriert wird. Beinahe könnte man vergessen, dass dies
in erster Linie ein Thriller und kein Softporno ist. Dass die Darstellerinnen
allesamt minderjährig sein sollen (auch wenn Hauptdarstellerin Sissy Spacek
1976 bereits 27 Jahre alt war) trägt nur weiter zu einem zumindest
hinterfragungswürdigen Umstand bei. Gelungen dagegen sind die Nuancen, mit
denen die Abscheu der Männer, die vor allem durch den Rektor der Schule
verkörpert, vor Menstruationsblut illustriert wird.
Es bleibt festzuhalten, dass sich Carrie – Des Satans jüngste Tochter als den Jahren robust
trotzender Genrebeitrag erwiesen hat. Es mag an den vielfältigen
Interpretationsmöglichkeiten liegen oder an der souveränen Inszenierung, die
kleinere Disharmonien vergessen macht, aber Brian De Palmas Verfilmung des
King-Romans ist ein involvierendes, durchweg interessantes Unterfangen.
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