Samstag, 12. April 2014

Carrie (2013)




CARRIE
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 05.12.2013
Regie: Kimberly Peirce

Nein, nennt es nicht Remake. Nennt es „Neuerfindung“ oder „Neuinterpretation“, bezieht euch darauf, dass die Story auf dem Roman von Stephen King basiert und ignoriert die erste Verfilmung von 1976, die Pseudo-Fortsetzung von 1999 und die TV-Adaption von 2002. So oder ähnlich stellt man sich Anweisungen hinter den Kulissen von Carrie anno 2013 vor, sogar die IMDB-Seite bringt das Wort „reimagining“ in der kurzen Inhaltsangabe unter. Das Wort Remake hat halt einen etwas schalen Beigeschmack, muss sich der Film doch verstärkt der Sinnfrage stellen. Bietet er irgendetwas, das die bisher existierenden Versionen des Stoffes bereichert, gewinnt er der Geschichte neue Facetten ab, interpretiert er einzelne Elemente anders? Letzteres trifft eindeutig auf Carrie zu, aber das heißt noch lange nicht, dass es auch sinnvoll ist. Der von Kimberly Peirce (hier weit entfernt von ihrem gelungenen Boys don’t cry) inszenierte Film wird zwar den „male gaze“ der ersten und bekanntesten Verfilmung von Brian De Palma los, findet aber so gut wie keine neuen Ansätze in der Story um Carrie White. Mehr noch, er lässt auch einfach die ambivalente Psychologisierung unter den Tisch fallen und wird so zu einem jener 08/15-Horrorfilme, die auch dank ihrer geleckten Optik so gut in die Zeit passen.

Die Story unterscheidet sich nicht von der 70er-Jahre-Version: Carrie (Chloe Grace Moretz) ist 17 Jahre alt, extrem schüchtern, eine Außenseiterin ohne Freunde und unter der Knute ihrer religiös-fanatischen Mutter (Julianne Moore). Da diese alles Fleischliche als sündig ansieht, denkt Carrie, dass sie sterben muss, als sie unter der Dusche nach dem Sportunterricht zum ersten Mal ihre Regelblutung bekommt. Ihre Panik wird von ihren Klassenkameradinnen mit Gelächter und Verhöhnung quittiert, eine erstellt gar ein Handyvideo von der Verzweifelten. Und auch wenn die resolute Lehrerin Miss Desjardin (Judy Greet) mit Carries Peinigerinnen danach hart ins Gericht geht, sorgt dies lediglich bei Sue (Gabriella Wilde) für ein Umdenken. Während sie ihren Freund Tommy (Ansel Elgort) mit Carrie zum bevorstehenden Abschlussball gehen lassen will, um ihr zu zeigen, dass nicht alles schlecht auf der High School ist, schmiedet die sich zu Unrecht angeklagt fühlende Chris (Portia Doubleday) zusammen mit ihrem Freund Billy (Alex Russell) einen furchtbaren Plan, wie sie Carrie bei dem Ball bloßstellen könnte. Doch sie hat die Rechnung ohne Carries aufkeimenden telekinetischen Fähigkeiten gemacht…

Das Konzept des Remakes setzt voraus, das ein gegenwärtiges Publikum durchaus an älteren Geschichten interessiert ist, diese aber nur mit gegenwärtigen Stars, Musik und Aufmachung goutieren will. So beklagenswert diese Denkweise ist, setzt sie doch vor allem das angepeilte jugendliche Publikum allesamt als egozentrische Idioten voraus, denen die Kompetenz mit medialen Präsentationen aus einer Zeit vor ihrem eigenen Geburtsjahr abgesprochen wird, so hat das Remake manchmal durchaus seinen Sinn. Nämlich dann, wenn es ihm gelingt, ein antiquierte, wirklich nicht mehr zeitgemäße Vorlage so aufzubereiten, dass sie einen Mehrwert hat. Im Fall von Carrie stellt sich dieser Mehrwert nicht ein, weil die originale Verfilmung so sorgsam inszeniert und insgesamt so stark ist, dass sie auch heute noch ohne Probleme bestehen kann. Carrie 2013 gelingt es nur am wenigen Stellen, eine eigene Sichtweise zu entwickeln und untergräbt dadurch nur die Stärke der Geschichte, anstatt sie zu mehren.

Es ist vor allem die Sequenz, auf die alle warten, wenn sie den Namen Carrie hören, die leidet: die Übersprunghandlung der Protagonistin, die in einem High-School-Blutbad endet. Dass Peirce das Spektakel expliziter als De Palma anno 1976 in Szene setzt, war zu erwarten, dass ihm eine sehr eindeutige Lenkung des Publikums voraus geht, weniger. In den 70ern war Carrie ein geschundener Charakter, der sich nicht wirklich gegen die fanatische Übermutter durchsetzen konnte und dessen alttestamentarischer Ausbruch beim Abschlussball eine alles einnehmende Zwiespältigkeit offenbarte, die der Neuverfilmung fehlt. Es ist klar, dass wir Carrie als Identifikationsfigur annehmen sollen, egal, was sie tut, zumal sie es sehr bewusst tut. Der Racheakt beim Ball ist denn genau das: ein Racheakt, ein von der Figur genüsslich und einfallsreich durchgespielter Alptraum, in dem sie sehr wohl zwischen Freund und Feind unterscheiden kann. Die ambivalente Tragik des Originals lag darin, dass Carrie vollkommen im Affekt jeden tötete, der sich im Auditorium befand, einschließlich derer, die ihr wohlgesonnen waren. Derlei Abgründe lässt das Remake nicht zu, Carrie, die sich im Laufe ihres Amoklaufs immer mehr für eine Aufnahme bei den X-Men empfiehlt, rettet natürlich eine ihr zugetanen Person, bevor sie die anderen um sie herum wissentlich tötet. So ist es kaum verwunderlich und dennoch frustrierend, wenn aus der konsequent-schnellen Tod der Hauptantagonistin hier eine generische Actionfilm-Konfrontation wird, die vor allem dem Zuschauer eine Katharsis verschaffen soll. Man kann „Ding-Dong, die Hex‘ ist tot“ förmlich hören.

So ist diese Version von Carrie genau die Art von juveniler, im Kontext legitimierte Rachefantasie, die De Palmas Bearbeitung sich schlussendlich verbot zu werden. Das Publikum verlangt Brot und Spiele, so könnte man meinen, und Peirce ist etwas zu bereitwillig dabei, genau dies aufzutischen. So verwässert sie auch die Beziehung zwischen Carrie und ihrer Mutter und findet lediglich Wege, den Wahn Letzterer noch explizierter zu bebildern. Ansonsten wird Carrie als durchaus handlungsfähig gezeichnet, nicht so ausgeliefert und darum tragisch wie 1976. Das Selbstbewusstsein dieser Inkarnation wechselt immer so, wie es das Drehbuch von Lawrence D. Cohen (der schon das Originaldrehbuch verfasste und augenscheinlich auch keine neuen Ansatzpunkte finden konnte) und Roberto Aguirre-Sacasa (TVs Glee) gerade möchte. Hatte man am Ende von Carrie – Des Satans jüngste Tochter noch das Gefühl, dass das Publikum über das Schicksal der Hauptfigur geteilter Meinung sein konnte und sollte, ist die Sache hier klar: Carrie ist die Heldin all der marginalisierten Teenager. Dass sich der Film damit einiges an Potenzial verbaut, scheint dabei nicht weiter störend ins Gewicht gefallen zu sein.

Wir die Auseinandersetzung mit Carrie anno 2013 eine Welle der Sichtungen von Carrie anno 1976 zur Folge haben? Es wäre dem Siebziger-Film zu wünschen. Denn die fehlende Tiefe, die Verweigerung einer jenseits des Erwartbaren anzusiedelnden Interpretation und die teils vollkommen sinnlosen Neuerungen (Stichwort: Schwangerschaft), die der Geschichte in keinster Weise helfen, machen aus dieser Carrie-Version genau das, was eine „Neuinterpretation“ eigentlich nicht sein will: überflüssig.



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