CARRIE
USA 2013
Dt. Erstaufführung: 05.12.2013
Regie: Kimberly Peirce
Dt. Erstaufführung: 05.12.2013
Regie: Kimberly Peirce
Nein, nennt es nicht Remake. Nennt es
„Neuerfindung“ oder „Neuinterpretation“, bezieht euch darauf, dass die Story
auf dem Roman von Stephen King basiert und ignoriert die erste Verfilmung von
1976, die Pseudo-Fortsetzung von 1999 und die TV-Adaption von 2002. So oder
ähnlich stellt man sich Anweisungen hinter den Kulissen von Carrie anno 2013 vor, sogar die
IMDB-Seite bringt das Wort „reimagining“ in der kurzen Inhaltsangabe unter. Das
Wort Remake hat halt einen etwas schalen Beigeschmack, muss sich der Film doch
verstärkt der Sinnfrage stellen. Bietet er irgendetwas, das die bisher
existierenden Versionen des Stoffes bereichert, gewinnt er der Geschichte neue
Facetten ab, interpretiert er einzelne Elemente anders? Letzteres trifft
eindeutig auf Carrie zu, aber das
heißt noch lange nicht, dass es auch sinnvoll ist. Der von Kimberly Peirce
(hier weit entfernt von ihrem gelungenen Boys
don’t cry) inszenierte Film wird zwar den „male gaze“ der ersten und
bekanntesten Verfilmung von Brian De Palma los, findet aber so gut wie keine
neuen Ansätze in der Story um Carrie White. Mehr noch, er lässt auch einfach
die ambivalente Psychologisierung unter den Tisch fallen und wird so zu einem
jener 08/15-Horrorfilme, die auch dank ihrer geleckten Optik so gut in die Zeit
passen.
Die Story unterscheidet sich nicht von der
70er-Jahre-Version: Carrie (Chloe Grace Moretz) ist 17 Jahre alt, extrem
schüchtern, eine Außenseiterin ohne Freunde und unter der Knute ihrer
religiös-fanatischen Mutter (Julianne Moore). Da diese alles Fleischliche als
sündig ansieht, denkt Carrie, dass sie sterben muss, als sie unter der Dusche
nach dem Sportunterricht zum ersten Mal ihre Regelblutung bekommt. Ihre Panik
wird von ihren Klassenkameradinnen mit Gelächter und Verhöhnung quittiert, eine
erstellt gar ein Handyvideo von der Verzweifelten. Und auch wenn die resolute
Lehrerin Miss Desjardin (Judy Greet) mit Carries Peinigerinnen danach hart ins
Gericht geht, sorgt dies lediglich bei Sue (Gabriella Wilde) für ein Umdenken.
Während sie ihren Freund Tommy (Ansel Elgort) mit Carrie zum bevorstehenden
Abschlussball gehen lassen will, um ihr zu zeigen, dass nicht alles schlecht
auf der High School ist, schmiedet die sich zu Unrecht angeklagt fühlende Chris
(Portia Doubleday) zusammen mit ihrem Freund Billy (Alex Russell) einen
furchtbaren Plan, wie sie Carrie bei dem Ball bloßstellen könnte. Doch sie hat
die Rechnung ohne Carries aufkeimenden telekinetischen Fähigkeiten gemacht…
Das Konzept des Remakes setzt voraus, das ein gegenwärtiges
Publikum durchaus an älteren Geschichten interessiert ist, diese aber nur mit
gegenwärtigen Stars, Musik und Aufmachung goutieren will. So beklagenswert
diese Denkweise ist, setzt sie doch vor allem das angepeilte jugendliche
Publikum allesamt als egozentrische Idioten voraus, denen die Kompetenz mit
medialen Präsentationen aus einer Zeit vor ihrem eigenen Geburtsjahr
abgesprochen wird, so hat das Remake manchmal durchaus seinen Sinn. Nämlich
dann, wenn es ihm gelingt, ein antiquierte, wirklich nicht mehr zeitgemäße Vorlage
so aufzubereiten, dass sie einen Mehrwert hat. Im Fall von Carrie stellt sich dieser Mehrwert nicht ein, weil die originale
Verfilmung so sorgsam inszeniert und insgesamt so stark ist, dass sie auch
heute noch ohne Probleme bestehen kann. Carrie
2013 gelingt es nur am wenigen Stellen, eine eigene Sichtweise zu entwickeln
und untergräbt dadurch nur die Stärke der Geschichte, anstatt sie zu mehren.
Es ist vor allem die Sequenz, auf die alle warten, wenn sie
den Namen Carrie hören, die leidet:
die Übersprunghandlung der Protagonistin, die in einem High-School-Blutbad
endet. Dass Peirce das Spektakel expliziter als De Palma anno 1976 in Szene
setzt, war zu erwarten, dass ihm eine sehr eindeutige Lenkung des Publikums
voraus geht, weniger. In den 70ern war Carrie ein geschundener Charakter, der
sich nicht wirklich gegen die fanatische Übermutter durchsetzen konnte und
dessen alttestamentarischer Ausbruch beim Abschlussball eine alles einnehmende
Zwiespältigkeit offenbarte, die der Neuverfilmung fehlt. Es ist klar, dass wir
Carrie als Identifikationsfigur annehmen sollen, egal, was sie tut, zumal sie
es sehr bewusst tut. Der Racheakt beim Ball ist denn genau das: ein Racheakt,
ein von der Figur genüsslich und einfallsreich durchgespielter Alptraum, in dem
sie sehr wohl zwischen Freund und Feind unterscheiden kann. Die ambivalente
Tragik des Originals lag darin, dass Carrie vollkommen im Affekt jeden tötete,
der sich im Auditorium befand, einschließlich derer, die ihr wohlgesonnen
waren. Derlei Abgründe lässt das Remake nicht zu, Carrie, die sich im Laufe
ihres Amoklaufs immer mehr für eine Aufnahme bei den X-Men empfiehlt, rettet natürlich eine ihr zugetanen Person, bevor
sie die anderen um sie herum wissentlich tötet. So ist es kaum verwunderlich
und dennoch frustrierend, wenn aus der konsequent-schnellen Tod der
Hauptantagonistin hier eine generische Actionfilm-Konfrontation wird, die vor
allem dem Zuschauer eine Katharsis verschaffen soll. Man kann „Ding-Dong, die
Hex‘ ist tot“ förmlich hören.
So ist diese Version von Carrie
genau die Art von juveniler, im Kontext legitimierte Rachefantasie, die De
Palmas Bearbeitung sich schlussendlich verbot zu werden. Das Publikum verlangt
Brot und Spiele, so könnte man meinen, und Peirce ist etwas zu bereitwillig
dabei, genau dies aufzutischen. So verwässert sie auch die Beziehung zwischen
Carrie und ihrer Mutter und findet lediglich Wege, den Wahn Letzterer noch
explizierter zu bebildern. Ansonsten wird Carrie als durchaus handlungsfähig
gezeichnet, nicht so ausgeliefert und darum tragisch wie 1976. Das
Selbstbewusstsein dieser Inkarnation wechselt immer so, wie es das Drehbuch von
Lawrence D. Cohen (der schon das Originaldrehbuch verfasste und augenscheinlich
auch keine neuen Ansatzpunkte finden konnte) und Roberto Aguirre-Sacasa (TVs Glee) gerade möchte. Hatte man am Ende
von Carrie – Des Satans jüngste Tochter
noch das Gefühl, dass das Publikum über das Schicksal der Hauptfigur geteilter
Meinung sein konnte und sollte, ist die Sache hier klar: Carrie ist die Heldin
all der marginalisierten Teenager. Dass sich der Film damit einiges an
Potenzial verbaut, scheint dabei nicht weiter störend ins Gewicht gefallen zu
sein.
Wir die Auseinandersetzung mit Carrie anno 2013 eine Welle der Sichtungen von Carrie anno 1976 zur Folge haben? Es wäre dem Siebziger-Film zu
wünschen. Denn die fehlende Tiefe, die Verweigerung einer jenseits des
Erwartbaren anzusiedelnden Interpretation und die teils vollkommen sinnlosen
Neuerungen (Stichwort: Schwangerschaft), die der Geschichte in keinster Weise
helfen, machen aus dieser Carrie-Version
genau das, was eine „Neuinterpretation“ eigentlich nicht sein will:
überflüssig.
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