Sonntag, 6. Dezember 2015

Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1975)




DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM
BRD 1975
Dt. Erstaufführung: 10.10.1975
Regie: Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta

Diese Besprechung ist Teil der Adventsaktion „Wünsch dir ein Review!“ und wurde von Journalistenfilme gewünscht.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist ein frustrierender Film. Nicht, weil er schlecht wäre, sondern weil in den 40 Jahren (!), die zwischen der Filmentstehung und dieser Besprechung liegen, sich in einigen Bereichen des deutschen (Boulevard-)Journalismus kaum bis nichts getan zu haben scheint. Basierend auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Heinrich Böll von 1974 hat der Film in weiten Teilen nichts an Aktualität eingebüßt, was gleichermaßen faszinierend wie erschreckend ist. Dramaturgisch ist Katharina Blum zwar etwas einseitig, bietet aber neben der Medienkritik aus heutiger Sicht auch einen durchaus konzentrierten Blick auf damalige westdeutsche Befindlichkeiten in einer Welt, die überall sowjetische Infiltration und drohende atomare Vernichtung sah.

Auf einer Party lernt die zurückhaltende Katharina Blum (Angela Winkler) Ludwig Götten (Jürgen Prochnow) kennen. Von Anfang an herrscht eine nicht zu leugnende Anziehungskraft zwischen ihnen und sie verbringen die Nacht miteinander. Am nächsten Morgen wird Blums Wohnung von der Polizei gestürmt, da ihre Bekanntschaft eines „staatsfeindlichen“ Verbrechens verdächtigt wird. Blum wird vorläufig festgenommen, die Geschichte ihres One-Night-Stands glaubt ihr keiner, schon gar nicht der manipulative Kommissar Beizmenne (Mario Adorf), sie wird umgehend für eine kommunistische Komplizin gehalten. Die Medien, namentlich das hetzerische Boulevardblatt Die Zeitung, stürzen sich auf die Geschichte, verdrehen Tatsachen und prägen so das öffentliche Bild von Katharina Blum. Immer perfidere „journalistische“ Mittel führen zu einer Hexenjagd mit ungewissem Ausgang.

Katharina Blum ist ein spröder Film, fast möchte man ihn als programmatisch für das westdeutsche Kino der 1970er-Jahre ansehen. Gestaltungstechnisch läuft das Ganze oft bemerkenswert unaufgeregt ab, ohne reißerische Musik, schnelle Schnitte, übermäßige Übertreibungen. Inhaltlich bietet der Film hingegen genügend Sprengstoff und es ist gerade die ruhige, sichere Inszenierung, die vielen Momenten erst ihre Tiefe gibt. Zudem sich manche perfiden Methoden in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit erst nach und nach entfalten. So verschafft sich ein Reporter Zutritt zur Intensivstation, um Blums kaum noch ansprechbare Mutter zu befragen, konstruiert aus den ein, zwei Worten, die sie noch sagen kann, eine Anklage, die abgedruckt wird („Meine Tochter hat mich schon so lange nicht mehr besucht!“), auf die Katharina nach Kenntnisnahme mit „Ich konnte sie doch nicht besuchen, die Ärzte haben mir das wegen des Ruhebedürfnis meiner Mutter verboten“ reagiert. Es sind solche Details, die viele Aspekte der Hexenjagd erst ihr Gewicht verleihen. Es wird sehr viel über Blum, wenig mit ihr geredet, schon gar nicht durch die Medien. Die Zeitung nutzt ein Foto, dass die sonst beherrschte Katharina in einer deutlich aggressiveren Pose zeigt, konstruiert aus jedem Schnipsel kontextfrei eine Anklage. Es ist die perfekte Vorverurteilung, die sich zudem im absoluten Recht sieht, da sich Blum ja mit einem Kommunisten, zumindest mit einem Träumer von einer gerechteren Welt, eingelassen hat. Der Ausspruch „Das Private ist Politisch“ bekommt hier einen perfiden Beigeschmack.

Katharina Blum ist außerdem ein Film über das spezifische Medienbild von Frauen, welches in weiten Teilen bis heute nicht wesentlich korrigiert wurde. Nicht nur ist Blum geschieden, sie hat zudem Sex mit einem Mann, den sie gerade auf einer Party kennengelernt hat. Sie ist keine Hausfrau und Mutter, sie verdient ihr eigenes Geld, die Krankenhausgeschichte mit ihrer Mutter soll sie zudem auf der fürsorglichen Ebene diskreditieren – skandalös, eine Frau, die sich nicht kümmert. Kurzum, Blum vereint viele Eigenschaften auf sich, die dem Stereotyp nach hauptsächlich Männern zugeschrieben werden und dort eher mit einem entschuldigenden „Boys will be boys“ wohlwollend hingenommen werden. So legitimiert das gezeichnete Medienbild der „Gangsterbraut“ obszöne Anrufe und sexualisierte Drohbriefe – die Frau, sie sich nicht fügt, ist Freiwild und erklärt so auch das aggressive Vorgehen der Staatsanwaltschaft.

Die Schwächen des Films liegen hingegen in seiner Einseitigkeit. Ausgeglichene Medienstimmen kommen nicht zu Wort, wahrscheinlich würde man heute zumindest eine sympathisierende Nebenfigur auf Seiten der Zeitungen einfügen. Katharina Blum konzentriert sich ganz auf die zerstörerischen Aspekte des Boulevards, zeichnet aber seine Protagonistin immerhin ambivalent. Nicht alles, was sie tut, ist gut für sie und die Handlung am Schluss wandelt die „Anstrengungen“ der Zeitung zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Katharina wird zu einem Geist, den Die Zeitung rief. Dies führt immerhin zu einem grandios-bösen Ende, in dem de facto im Namen der Pressefreiheit das Vorgehen der journalistischen Menschenjäger gerechtfertigt wird. Die Parallelen gerade zur deutschen Wirklichkeit des Jahres 2015 sind erschütternd, den die Verbindungen, die durch unreflektierten, reißerischen bis hetzerischen „Journalismus“ und in die Tat umgesetzten Hate Crimes bestehen, sollten inzwischen jedem klar sein – und auch die unrühmliche Rolle, die real-existierende Blätter dabei spielen.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum ist ein ebenso anklagender wie verzweifelter Film, dessen Pessimismus augenscheinlich angebracht war im Anbetracht der stagnierenden Bewegung, die es auf dem Feld des Boulevardjournalismus gab. Dass die menschliche Gier nach Skandalen mit einhergehenden, schnell zu fällenden Urteilen in Zeiten sozialer Netzwerke eher noch zugenommen hat, macht den „analogen“ Film nur umso bemerkenswerter. Es ist ein Blick in die Vergangenheit, von der Gegenwart durch mannigfaltige Ereignisse getrennt, und doch sollten gerade die Parallelen den Zuschauer aufhorchen lassen. Katharina Blum kommt auf leisen, filmtechnisch kaum ausgefeilten, Sohlen daher, was das Echo der Schritte aber nur noch lauter hallen lässt.




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