DIE VERLORENE EHRE DER KATHARINA BLUM
BRD 1975
Dt.
Erstaufführung: 10.10.1975
Regie: Volker
Schlöndorff und Margarethe von Trotta
Diese Besprechung
ist Teil der Adventsaktion „Wünsch dir ein Review!“ und wurde von Journalistenfilme gewünscht.
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
ist ein frustrierender Film. Nicht, weil er schlecht wäre, sondern weil in den
40 Jahren (!), die zwischen der Filmentstehung und dieser Besprechung liegen, sich
in einigen Bereichen des deutschen (Boulevard-)Journalismus kaum bis nichts
getan zu haben scheint. Basierend auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von
Heinrich Böll von 1974 hat der Film in weiten Teilen nichts an Aktualität
eingebüßt, was gleichermaßen faszinierend wie erschreckend ist. Dramaturgisch
ist Katharina Blum zwar etwas
einseitig, bietet aber neben der Medienkritik aus heutiger Sicht auch einen
durchaus konzentrierten Blick auf damalige westdeutsche Befindlichkeiten in
einer Welt, die überall sowjetische Infiltration und drohende atomare
Vernichtung sah.
Auf einer Party
lernt die zurückhaltende Katharina Blum (Angela Winkler) Ludwig Götten (Jürgen
Prochnow) kennen. Von Anfang an herrscht eine nicht zu leugnende
Anziehungskraft zwischen ihnen und sie verbringen die Nacht miteinander. Am
nächsten Morgen wird Blums Wohnung von der Polizei gestürmt, da ihre
Bekanntschaft eines „staatsfeindlichen“ Verbrechens verdächtigt wird. Blum wird
vorläufig festgenommen, die Geschichte ihres One-Night-Stands glaubt ihr
keiner, schon gar nicht der manipulative Kommissar Beizmenne (Mario Adorf), sie
wird umgehend für eine kommunistische Komplizin gehalten. Die Medien,
namentlich das hetzerische Boulevardblatt Die
Zeitung, stürzen sich auf die Geschichte, verdrehen Tatsachen und prägen so
das öffentliche Bild von Katharina Blum. Immer perfidere „journalistische“
Mittel führen zu einer Hexenjagd mit ungewissem Ausgang.
Katharina Blum ist ein spröder Film,
fast möchte man ihn als programmatisch für das westdeutsche Kino der
1970er-Jahre ansehen. Gestaltungstechnisch läuft das Ganze oft bemerkenswert
unaufgeregt ab, ohne reißerische Musik, schnelle Schnitte, übermäßige
Übertreibungen. Inhaltlich bietet der Film hingegen genügend Sprengstoff und es
ist gerade die ruhige, sichere Inszenierung, die vielen Momenten erst ihre
Tiefe gibt. Zudem sich manche perfiden Methoden in ihrer ganzen
Ungeheuerlichkeit erst nach und nach entfalten. So verschafft sich ein Reporter
Zutritt zur Intensivstation, um Blums kaum noch ansprechbare Mutter zu
befragen, konstruiert aus den ein, zwei Worten, die sie noch sagen kann, eine
Anklage, die abgedruckt wird („Meine Tochter hat mich schon so lange nicht mehr
besucht!“), auf die Katharina nach Kenntnisnahme mit „Ich konnte sie doch nicht
besuchen, die Ärzte haben mir das wegen des Ruhebedürfnis meiner Mutter
verboten“ reagiert. Es sind solche Details, die viele Aspekte der Hexenjagd
erst ihr Gewicht verleihen. Es wird sehr viel über Blum, wenig mit ihr geredet,
schon gar nicht durch die Medien. Die
Zeitung nutzt ein Foto, dass die sonst beherrschte Katharina in einer
deutlich aggressiveren Pose zeigt, konstruiert aus jedem Schnipsel kontextfrei
eine Anklage. Es ist die perfekte Vorverurteilung, die sich zudem im absoluten
Recht sieht, da sich Blum ja mit einem Kommunisten, zumindest mit einem Träumer
von einer gerechteren Welt, eingelassen hat. Der Ausspruch „Das Private ist
Politisch“ bekommt hier einen perfiden Beigeschmack.
Katharina Blum ist außerdem ein Film
über das spezifische Medienbild von Frauen, welches in weiten Teilen bis heute
nicht wesentlich korrigiert wurde. Nicht nur ist Blum geschieden, sie hat zudem
Sex mit einem Mann, den sie gerade auf einer Party kennengelernt hat. Sie ist
keine Hausfrau und Mutter, sie verdient ihr eigenes Geld, die
Krankenhausgeschichte mit ihrer Mutter soll sie zudem auf der fürsorglichen
Ebene diskreditieren – skandalös, eine Frau, die sich nicht kümmert. Kurzum,
Blum vereint viele Eigenschaften auf sich, die dem Stereotyp nach hauptsächlich
Männern zugeschrieben werden und dort eher mit einem entschuldigenden „Boys
will be boys“ wohlwollend hingenommen werden. So legitimiert das gezeichnete
Medienbild der „Gangsterbraut“ obszöne Anrufe und sexualisierte Drohbriefe –
die Frau, sie sich nicht fügt, ist Freiwild und erklärt so auch das aggressive
Vorgehen der Staatsanwaltschaft.
Die Schwächen des
Films liegen hingegen in seiner Einseitigkeit. Ausgeglichene Medienstimmen
kommen nicht zu Wort, wahrscheinlich würde man heute zumindest eine
sympathisierende Nebenfigur auf Seiten der Zeitungen einfügen. Katharina Blum konzentriert sich ganz
auf die zerstörerischen Aspekte des Boulevards, zeichnet aber seine
Protagonistin immerhin ambivalent. Nicht alles, was sie tut, ist gut für sie
und die Handlung am Schluss wandelt die „Anstrengungen“ der Zeitung zu einer
selbsterfüllenden Prophezeiung. Katharina wird zu einem Geist, den Die Zeitung rief. Dies führt immerhin zu
einem grandios-bösen Ende, in dem de facto im Namen der Pressefreiheit das
Vorgehen der journalistischen Menschenjäger gerechtfertigt wird. Die Parallelen
gerade zur deutschen Wirklichkeit des Jahres 2015 sind erschütternd, den die
Verbindungen, die durch unreflektierten, reißerischen bis hetzerischen
„Journalismus“ und in die Tat umgesetzten Hate
Crimes bestehen, sollten inzwischen jedem klar sein – und auch die
unrühmliche Rolle, die real-existierende Blätter dabei spielen.
Die verlorene Ehre der Katharina Blum
ist ein ebenso anklagender wie verzweifelter Film, dessen Pessimismus
augenscheinlich angebracht war im Anbetracht der stagnierenden Bewegung, die es
auf dem Feld des Boulevardjournalismus gab. Dass die menschliche Gier nach
Skandalen mit einhergehenden, schnell zu fällenden Urteilen in Zeiten sozialer
Netzwerke eher noch zugenommen hat, macht den „analogen“ Film nur umso
bemerkenswerter. Es ist ein Blick in die Vergangenheit, von der Gegenwart durch
mannigfaltige Ereignisse getrennt, und doch sollten gerade die Parallelen den
Zuschauer aufhorchen lassen. Katharina
Blum kommt auf leisen, filmtechnisch kaum ausgefeilten, Sohlen daher, was
das Echo der Schritte aber nur noch lauter hallen lässt.
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