VERGISS MEIN NICHT
Deutschland 2012
Dt. Erstaufführung: 31.01.2013
Regie: David Sieveking
Dt. Erstaufführung: 31.01.2013
Regie: David Sieveking
Der 1977 geborene Regisseur David
Sieveking (David Wants To Fly)
begleitet seine Mutter Margarete, genannt Gretel, wie ihre Persönlichkeit, ihr
ganzes Sein, langsam von der Krankheit Alzheimer zerstört wird. In dieser
Prämisse steckt Zündstoff, ist der Regisseur doch so persönlich in sein Sujet
involviert, dass er Gefahr laufen könnte, eine reine Selbsttherapie abzuliefern
oder – noch schlimmer – ein durch und durch voyeuristisches Werk. Doch
Sieveking gelingt es, Vergiss mein nicht
zu einer so liebevollen Collage werden zu lassen, dass man sich als Zuschauer
nie wie ein eigentlich unerwünschter Voyeur fühlt. Vielmehr gelingt es ihm,
stellvertretend durch seine Mutter, den zwei Millionen Alzheimerkranken in
Deutschland ein Gesicht, eine Geschichte zu geben. Es wird noch mehr geben, die
ein ähnlich aufregendes Leben wie Gretel geführt haben und für die, die
zurückbleiben sind es eben konservierte Erinnerungen wie diese, die die Person
im Zustand vor der Krankheit festhalten.
Vergiss mein nicht
ist klug konstruiert. Anstatt den Verfall seiner Mutter rein zu begleiten (was
wirklich nichts anderes als Voyeurismus gewesen wäre), bringt uns Sieveking sie
als Person nahe. Politisiert in der Zeit des Vietnamkrieges, Leiterin einer vom
Schweizer Verfassungsschutz beobachteten Studentenvereinigung, Mutter dreier
Kinder und verheiratet mit Malte Sieveking in einer offenen Ehe, die mehr als
einmal auf harte Proben zwischen Ideal und Realität gestellt wurde – Margarete
Sieveking war ein Charakterkopf. Natürlich ist es auch ein Stück weit
Selbsttherapie, aber David Sieveking selbst hält sich geradezu erstaunlich
zurück. Zu Beginn und am Ende gibt es ein paar Voice-Overs, in denen er
geradezu schonungslos offenlegt, dass die Erkenntnis über die Erkrankung der
Mutter auch ein sehr egoistisches Element beinhaltet: er hat zu Weihnachten kein
Geschenk bekommen. Diese simple Erkenntnis bringt die ganze Problematik auf den
Punkt: die Kinder, die doch gerade an Weihnachten wieder bei den Eltern
unterkriechen und die heile Welt der Kindheit ein Stück weit wiederaufleben
lassen wollen, müssen erkennen, dass ihre Mutter auf einem unumkehrbaren Weg
ist und sie als Nachkommen immer mehr eine Art Elternrolle übernehmen müssen.
Vieles muss Sieveking auch nicht aussprechen, die Bilder sprechen für sich und
wenn Vater Malte mühsam die Tränen zurückhalten muss, wenn Gretel bei einer
ärztlichen Untersuchung deutlich ihre verminderte Erinnerungsleistung
demonstriert ist der Film hart an der Grenze des emotional ertragbaren.
Doch trotz des Themas, trotz der eingefangenen Momente von
großem Schmerz und absoluter Hilfslosigkeit, ist Vergiss mein nicht auch ein zutiefst positiver, von Liebe geradezu
überbordender Film. Man spürt das Herzblut, dass Sieveking in den Film gesteckt
hat, nicht nur in seiner konsequenten Weigerung, aus Fakten wie der Windel, die
Gretel tragen muss oder die morgendlich verdreckten Laken mitleidiges Kapital
zu schlagen (noch ein Argument gegen einen ausbeuterischen Ansatz), sondern
auch, dass er geradezu komische Szenen nicht ausspart. Wenn Gretel ihrem Sohn,
den sie zwischendurch auch mal als ihren Mann ansieht, im Pflegeheim eine halb
aufgegessene Waffel in die Hand drückt hat diese Geste so viel
(groß)mütterliches an sich, dass man sich ob des Schmunzelns nicht schämen
muss. Das Leid der Familie ist spürbar gewaltig, aber die Erkenntnis, nichts
gegen die Krankheit ausrichten zu können und Gretel einfach eine möglichst
schöne Restzeit zu bescheren, zeugt von einer beneidenswerten Reife und – auch
hier – Liebe. So reicht es auch aus, dass der Film mit einer kurzen Impression
von Gretels letzten Tagen endet, die sich nicht in Agonie ergeht, sondern sie
im Krankenbett von ihrer Familie umringt zeigt und sie schlussendlich ihren
Sohn umarmt.
Vergiss mein nicht
ist kein Exploitationfilm im Dokumentargewand. Er ist zwar sehr persönlich,
intim und ehrlich, aber er umschifft alle Klippen, die sich auf seinem Weg
auftun, geradezu schlafwandlerisch gut. Gretel wäre sicherlich stolz auf ihren
Sohn, der ihr so ein liebevolles filmisches Denkmal gesetzt hat.
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