Mittwoch, 28. August 2013

Vergiss mein nicht (2012)




VERGISS MEIN NICHT
Deutschland 2012
Dt. Erstaufführung: 31.01.2013
Regie: David Sieveking

Der 1977 geborene Regisseur David Sieveking (David Wants To Fly) begleitet seine Mutter Margarete, genannt Gretel, wie ihre Persönlichkeit, ihr ganzes Sein, langsam von der Krankheit Alzheimer zerstört wird. In dieser Prämisse steckt Zündstoff, ist der Regisseur doch so persönlich in sein Sujet involviert, dass er Gefahr laufen könnte, eine reine Selbsttherapie abzuliefern oder – noch schlimmer – ein durch und durch voyeuristisches Werk. Doch Sieveking gelingt es, Vergiss mein nicht zu einer so liebevollen Collage werden zu lassen, dass man sich als Zuschauer nie wie ein eigentlich unerwünschter Voyeur fühlt. Vielmehr gelingt es ihm, stellvertretend durch seine Mutter, den zwei Millionen Alzheimerkranken in Deutschland ein Gesicht, eine Geschichte zu geben. Es wird noch mehr geben, die ein ähnlich aufregendes Leben wie Gretel geführt haben und für die, die zurückbleiben sind es eben konservierte Erinnerungen wie diese, die die Person im Zustand vor der Krankheit festhalten.

Vergiss mein nicht ist klug konstruiert. Anstatt den Verfall seiner Mutter rein zu begleiten (was wirklich nichts anderes als Voyeurismus gewesen wäre), bringt uns Sieveking sie als Person nahe. Politisiert in der Zeit des Vietnamkrieges, Leiterin einer vom Schweizer Verfassungsschutz beobachteten Studentenvereinigung, Mutter dreier Kinder und verheiratet mit Malte Sieveking in einer offenen Ehe, die mehr als einmal auf harte Proben zwischen Ideal und Realität gestellt wurde – Margarete Sieveking war ein Charakterkopf. Natürlich ist es auch ein Stück weit Selbsttherapie, aber David Sieveking selbst hält sich geradezu erstaunlich zurück. Zu Beginn und am Ende gibt es ein paar Voice-Overs, in denen er geradezu schonungslos offenlegt, dass die Erkenntnis über die Erkrankung der Mutter auch ein sehr egoistisches Element beinhaltet: er hat zu Weihnachten kein Geschenk bekommen. Diese simple Erkenntnis bringt die ganze Problematik auf den Punkt: die Kinder, die doch gerade an Weihnachten wieder bei den Eltern unterkriechen und die heile Welt der Kindheit ein Stück weit wiederaufleben lassen wollen, müssen erkennen, dass ihre Mutter auf einem unumkehrbaren Weg ist und sie als Nachkommen immer mehr eine Art Elternrolle übernehmen müssen. Vieles muss Sieveking auch nicht aussprechen, die Bilder sprechen für sich und wenn Vater Malte mühsam die Tränen zurückhalten muss, wenn Gretel bei einer ärztlichen Untersuchung deutlich ihre verminderte Erinnerungsleistung demonstriert ist der Film hart an der Grenze des emotional ertragbaren.

Doch trotz des Themas, trotz der eingefangenen Momente von großem Schmerz und absoluter Hilfslosigkeit, ist Vergiss mein nicht auch ein zutiefst positiver, von Liebe geradezu überbordender Film. Man spürt das Herzblut, dass Sieveking in den Film gesteckt hat, nicht nur in seiner konsequenten Weigerung, aus Fakten wie der Windel, die Gretel tragen muss oder die morgendlich verdreckten Laken mitleidiges Kapital zu schlagen (noch ein Argument gegen einen ausbeuterischen Ansatz), sondern auch, dass er geradezu komische Szenen nicht ausspart. Wenn Gretel ihrem Sohn, den sie zwischendurch auch mal als ihren Mann ansieht, im Pflegeheim eine halb aufgegessene Waffel in die Hand drückt hat diese Geste so viel (groß)mütterliches an sich, dass man sich ob des Schmunzelns nicht schämen muss. Das Leid der Familie ist spürbar gewaltig, aber die Erkenntnis, nichts gegen die Krankheit ausrichten zu können und Gretel einfach eine möglichst schöne Restzeit zu bescheren, zeugt von einer beneidenswerten Reife und – auch hier – Liebe. So reicht es auch aus, dass der Film mit einer kurzen Impression von Gretels letzten Tagen endet, die sich nicht in Agonie ergeht, sondern sie im Krankenbett von ihrer Familie umringt zeigt und sie schlussendlich ihren Sohn umarmt.

Vergiss mein nicht ist kein Exploitationfilm im Dokumentargewand. Er ist zwar sehr persönlich, intim und ehrlich, aber er umschifft alle Klippen, die sich auf seinem Weg auftun, geradezu schlafwandlerisch gut. Gretel wäre sicherlich stolz auf ihren Sohn, der ihr so ein liebevolles filmisches Denkmal gesetzt hat.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen