Sonntag, 11. August 2013

Der weiße Hai (1975)




DER WEIßE HAI
(Jaws)
USA 1975
Dt. Erstaufführung: 18.12.1975
Regie: Steven Spielberg

Der weiße Hai erblickte zu einer Zeit das Licht der Leinwand, als Horrorfilme noch eindeutig in die Schmuddelecke gehörten. Man redete nicht darüber, wer sie ansah gehörte eindeutig nicht zum Bildungsbürgertum. Dies galt gleichermaßen für die USA wie für Deutschland. Umso erstaunlicher, dass ein Film, der in erster Linie Horror- und erst in zweite Linie Abenteuerfilm oder ähnliches war, 1975 den modernen Kinoblockbuster begründete und eine bis dato relativ unbekannten Regisseur namens Steven Spielberg in den Olymp der Hollywood-Akteure katapultierte. Nach Der weiße Hai wusste man, wie ein Kino-Sommer-Hit auszusehen hatte (damals kam der Film erst im Dezember in die deutschen Kinos, heute wäre man bedeutend schneller). Muss man sich also bei dem Film bedanken, dass er das Formelhafte, die Malen-nach-Zahlen-Herangehensweise aus der Taufe hob, jenes Konzept also, dass inzwischen (ich schreibe diese Rezension im Sommer 2013, in dem viele der geplanten Blockbuster grandios finanziell scheiterten) gehörig bröckelt? Wohl kaum. Man kann auch Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt nicht vorhalten, dass er massenhaft billige und billigste Plagiate nach sich zog. Die Probleme liegen in Spielbergs Film an ganz anderer Stelle.

Amity ist eine kleine Gemeinde auf einer Insel, die ganz und gar vom Tourismus während der Sommermonate abhängt. Da machen sich Gerüchte über einen sieben Meter langen weißen Hai, der einen Appetit auf Menschenfleisch entwickelt hat, nicht gut. Erst als ein Junge gefressen wird, hat auch der Bürgermeister ein Einsehen und so machen sich der aus New York stammende Polizeichef Brody (Roy Scheider), der Angst vor dem Wasser hat, der bärbeißige Käpt’n eines kleinen Kutters, Quint (Robert Shaw) und der junge Meeresbiologe Hooper (Richard Dreyfuss) auf, das Tier auf offener See zur Strecke zu bringen.

Es gibt Szenen von großer Intensität in Der weiße Hai. Wenn der Junge, das zweite Opfer, wie durch eine unsichtbare Macht in die Tiefe gezogen wird und sich das Wasser rot färbt, zeigt Spielberg seinen zu Beginn meisterhaft durchgehaltenen Ansatz des „Weniger ist mehr“, denn sein Hai ist über weite Teile des Films nicht zu sehen, um dann einen furiosen ersten Full-Frontal-Auftritt hinzulegen, während Brody Köder ins Wasser wirft. Von da an kann sich Spielberg nicht mehr zurückhalten und zeigt sein „Monster“ geradezu inflationär. Zum einen weiß jeder, wie ein Hai aussieht, zum anderen ist das animatronische Tier zwar eine für sich genommene Meisterleistung aus einer Zeit, in der mechanische Effekte noch nicht durch penetrante Computeranimationen zu ersetzen waren, aber einen gewissen „Gummi-Touch“ kann man nicht von der Hand weisen. Die handwerklich hervorragenden Effekte sind besser in der Suggestion, nicht wenn der Fisch ins Schiff kracht, um Brody zu schnappen.

Dies führt zum nächsten Problem: das ganze Konzept ist eher etwas für Phobiker. Dass Haie bei weitem nicht so gefährlich sind, wie in unzähligen Medienprodukten suggeriert wird, sollte eigentlich bekannt sein. Und wenn man wie hier ein rezentes Tier ohne den Hauch einer weiteren Erklärung auf die Menschen loslässt, ist dies trotz des hohen Produktionsniveaus nichts weiter als stumpfer Tierhorror, einem der am wenigsten funktionalen Subgenres. Der Hai ist bei Spielberg ein wahrlich dämonisches Wesen, dass nicht nur die Fähigkeit besitzt, Boote zum kentern zu bringen, die es nicht berührt hat (zu sehen in einer der weniger gelungenen Szenen), sondern auch als Platzhalter für die allgemeine Furcht vor dem nicht einsehbaren Meer missbraucht wird. Wäre der Hai ein durch äußere Einflüsse umgepolter Vertreter seiner Art wie in den ebenfalls in den 1970er-Jahren beliebten „Rache der Natur“-Filmen oder hätte man ihn gleich durch ein gänzlich frei erfundenes Monster ersetzt, Der weiße Hai hätte nicht nur einen anderen Namen, sondern wäre womöglich auch weniger B-Exploitationfilm mit A-Film-Budget. Natürlich kann man den Hai eben auch nur als Platzhalter sehen, als Verkörperung der menschlichen Angst vor dem Unbekannten und dessen Eindringen in vermeintlich sichere Refugien wie das Ferienparadies Amity. Dennoch hinterlässt eben der „Gebrauch“ eines realen Wesens, dessen Ruf weitaus schlechter ist als seine wirkliche Natur, einen stumpfen Nachgeschmack. Das einige Haiarten mit Vorsicht zu genießen sind und ihre Art der Untersuchung, nämlich das Zubeißen, mitunter fatale Folgen haben kann, darüber sollte man sich keine Illusionen machen. Aber die lachhafte Dämonisierung, die Spielberg betreibt, ist doch zu viel suspension of disbelief, zumindest für den zoologisch Interessierten.

Handwerklich ist Der weiße Hai, wie bereits erwähnt, hervorragend. Einige Spannungsmomente funktionieren zugegebenermaßen sehr gut, die Schauspieler haben ganz offensichtlich Spaß an ihren Rollen, die Charaktere sind keine Abziehbilder sondern haben Zeit, sich zu entfalten, auch wenn Einfälle wie die Wasserphobie Brodys so dumm sind, dass selbst einige selbstreflexive Gags im Film selbst sie nicht retten können. Und John Williams Score ist verdientermaßen inzwischen ein Klassiker.
Wer sich also auf den Tierhorroraspekt ohne Probleme einlassen kann, der wird in Der weiße Hai womöglich einen der besten (und profitabelsten) Vertreter des Subgenres finden. Denn billig ist hier allenfalls die Prämisse des auf Peter Benchlys Roman basierenden Drehbuchs. Vielleicht ist es symptomatisch, dass der erste große Blockbuster des amerikanischen Unterhaltungskinos im Grunde nichts anderes als ein aufgeblähtes B-Movie war.




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